Die Gartenlaube (1875)/Heft 22
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No. 22. | 1875. | |
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.
Wöchentlich 1½ bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennige. – In Heften à 50 Pfennige.
Der Graf Max Theodor war ein gutherziger und in seiner Art fürstlich freigebiger Herr. Er wußte recht wohl, daß die reichen Vorräthe aus seiner Küche und aus seinen Kellern in Hunderten von Adern nach dem casernenhaft bevölkerten alten Schloßflügel hinauf- und in die einzelnen Wohnhäuser seiner kleinen Stadt hinabflossen, und versuchte doch niemals, diesen Abgang zu regeln oder zu hemmen. Der Herr Graf freute sich vielmehr darüber, daß sein Schloß das schlagende Herz des kleinen Gemeinwesens war und verordnete höchst eigenhändig manchem Kranken und manch’ armer Familie recht heilsame und dazu wohlschmeckende Recepte aus seiner Hofküche und Kellerei.
Aber der hohe Herr konnte auch recht lebhaft hassen. Sein Herz wurde hart und despotisch, wo es sich um Gegenstände ganz besonderer Abneigung handelte. Er hatte zunächst, wie schon angedeutet, kein Erbarmen für Wildfrevler jeder Art, und Comtesse Charlotte mußte allen ihren Einfluß aufbieten, damit ein armes Bäuerlein, das etwa einen Hasen in der Schlinge gefangen hatte, mit einem Jahr Zuchthaus durchschlüpfte. Zweitens duldete Max Theodor nirgends Schnurrbärte und ließ sie, wo sie dennoch widerrechtlich keimen wollten, trotz aller Proteste durch seinen Hofbarbier kraft fürstlicher Machtvollkommenheit sogar zwangsweise abrasiren. Drittens aber haßte der Graf den Luxus. Seine eigenen Zimmer waren bequem, aber bürgerlich einfach eingerichtet, kräftig und schlicht war auch sein Tisch bestellt, und Niemand durfte sich unterstehen, ihm etwa im Fracke, den er für eine ganz besondere Ausgeburt des Luxus hielt, seine Aufwartung machen zu wollen. Ja, Max Theodor überzeugte sich oft selbst, ob nicht etwa der verhaßte Feind auf geheimen Wegen in die Wohnungen seiner Beamten und Diener eingeschlüpft wäre.
Auch das weite Vorzimmer des Oberlandjägermeisters von Holderbusch im zweiten Stocke des Schlosses war darum nicht einmal tapezirt, sondern nur gelb getüncht, und die wenigen dort aufgestellten Möbel entsprachen in ihrer fast übertriebenen Einfachheit dem ganzen Charakter des Zimmers.
Mitten in diesem etwas wüsten Raume aber sehen wir heute einen Menschen, der noch schlichter und solider aussah, als seine Umgebungen, und das war der biederbe Christian Blümchen, der Kammerdiener, Reitknecht, Kutscher, Hausknecht, Schneider und Koch, kurzum, das Factotum des Oberlandjägermeisters. Der etwas fadenscheinige Livreerock des untersetzten, breitschultrigen Burschen hing jetzt an einem Haken der einen auf den Vorsaal mündenden Thür, und das besagte Factotum zeigte sich deshalb nur mit einer blauwollenen gestrickten Jacke, aus welcher oben der mahagonibraune Stiernacken handbreit hervorragte, mit einer etwas zu kurzen Drillichhose und mit schweren Holzpantoffeln bekleidet. Auf diesem Untergestelle aber ruhte ein Kopf, der jedermann eine Art von Respect einflößte. Denn die klaren blauen Augen blitzten aus dem verwitterten Gesichte so klar und zugleich so unerschrocken in die Welt hinein, die massiven Kinnbacken mit den blendend weißen Zähnen waren meist so fest geschlossen, daß man sofort erkennen mußte, dieser Bursche wisse gar nicht, was Furcht sei, und scheue sich vor dem Teufel selbst nicht, ja, er werde auch vor dem erlauchten Landesherrn oder vor seiner hochmüthigen Frau Oberlandjägermeisterin nicht um die Breite eines Schrittes aus elender Menschenfurcht zurückweichen. Blümchen’s Stellung im Holderbusch’schen Hause war durch seine dreißigjährige Dienstzeit und den heiklen Umstand, daß seine Herrschaft ihm seit Jahren den fälligen Lohn schuldete, eine sehr freie geworden, die denn auch der alte Bursche in der ungenirtesten Weise ausbeutete.
Christian hielt soeben Heerschau über drei Paar hohe Reiterstiefeln. Mit napoleonisch verschränkten Armen stand er vor der Front seiner schwarzen Schaar, und Blicke tiefernsten Ingrimms zuckten dabei aus seinen furchtlosen Augen hernieder.
„Nein, sie gefallen mir noch immer nicht, durchaus nicht,“ sprach er nach einigen Augenblicken tiefinnigster Betrachtung. „Der Kukuk bringe aber einmal rasch sechs hohe Stiefeln zum richtigen Glanze, wenn sie so naß sind wie die Schwämme und wenn man noch nebenbei alle Augenblicke einmal zum Fenster hinaus gucken muß, damit der junge Herr und sein Schätzchen nicht von Jemand überrascht werden. Es freut mich nur, daß ich dem Johann heute sein Spiel verdorben habe. Ich möchte überhaupt ’mal sehen“, fuhr er sinnend fort, „was aus dieser Liebesgeschichte würde, wenn der alte Christian Blümchen nicht da wäre und sorgte. Was da, Mißheirath! Unsinn, Larifari! das Mädel ist brav und hat Batzen, und wir können Batzen brauchen – das ist die Hauptsache. Das Pumpen will ja fast nicht mehr gehen. Und warum will unsere Gnädige nicht? Es wäre zum Kranklachen, wenn es nicht zum Todtärgern wäre. Weil unser Junker noch einmal die Schulden seines Onkels, des Generals, zu den Schulden der Eltern erben soll. Sie sagte neulich, der General hätte noch ein Majorat – Unsinn, Weibergeschwätz! Ein [362] General ist kein Major, das weiß man ungefähr. Ich muß nur der Gnädigen meine Meinung über den Punkt einmal deutsch sagen.“
Der ehrliche Christian merkte im Eifer seiner Rede nicht, daß sich die Außenthür des Vorsaals leise ein wenig öffnete und durch den Spalt das spitze Gesicht seines Collegen Johann vorsichtig in das Zimmer hereinspähte.
„Ja, ja, das gemeine Volk da unten meint Wunder, wie gescheidt unsere vornehmen Herrschaften sind,“ fuhr Christian fort. „Ja, prosit Gescheidtheit! Würde der Max Theodor für heute Nachmittag noch einen Ritt nach dem Hirschsprunge befohlen haben, wenn er gescheidter Weise an die nassen Stiefeln gedacht hätte? Ich wollte, der Graf müßte dafür alle Reitstiefeln am ganzen Hofe ganz blitzblank wichsen. Ja, das wollt’ ich.“
„Da haben Sie ganz Recht, Herr Blümchen.“
Christian fuhr auf diese unerwartete Anrede sichtlich erschrocken herum und stand nun Johann gegenüber, wie die Bulldogge dem Fuchse.
„Was will man hier? Was schleicht man hier herum?“ schnauzte er den überhöflichen Collegen ingrimmig an.
„Mein Gott, warum schon wieder so hitzig, Herr Blümchen?“ bat Johann geschmeidig. „Ich komme ja in der unschuldigsten Absicht von der Welt.“
„Seine Unschuld kennt man. Was will Er?“
„Nun, nun, nur ein wenig plaudern, liebster Freund.“
„Wüßte nicht, wann ich Sein Freund gewesen wäre. Was beguckt man die Stiefeln so? he?“
„Ein hübsches, feines Paar Stiefeln da. Ich meine die in der Mitte mit dem einen schief getretenen Sporne,“ fuhr Johann unerschrocken fort, „die können nur dem gnädigen Junker gehören. Nicht wahr, Herr Blümchen?“
Christian aber traute dem allzu geschmeidigen Cameraden niemals, selbst wenn es sich nur um ein Paar Stiefeln handelte.
„Das sind meine Stiefeln,“ sagte er darum.
„Was? Ih – re Stiefeln, wirklich die Stiefeln des Herrn Blümchen?“ wiederholte Johann verwundert. „Allen Respect vor Ihnen, aber man sollte gar nicht meinen, daß Ihre Füße da hinein passen könnten.“
„Mit den Holzpantoffeln freilich nicht,“ entgegnete Christian kurz und spöttisch.
„Hm, Ihr Wort in Ehren, Herr Blümchen,“ fuhr Johann fort. „Aber gerade heute habe ich den zierlichen Fuß des gnädigen Junkers zu bewundern Gelegenheit gehabt, und so meinte ich, die Stiefeln könnten etwa ihm passen. Ihrem Junker ist übrigens heute eine ganz ungewöhnliche Ehre widerfahren.“
„Gewiß nicht mehr, als er verdient.“
„Gewiß nicht. Aber denken Sie nur, eine halbe Stunde und zehn Minuten ist er bei unserer erlauchten Comtesse gewesen.“
„Aha, aha,“ knurrte Christian. „Und da möchte nun ein gewisser Jemand gerne wissen –“
„Was die Herrschaften verhandelt haben mögen. Allerdings wünschte ich das. Natürlich – nur ganz unschuldige Neugier.“
„Ja, ganz natürlich. So dachte nun der Herr Johann vielleicht, er könne von mir etwas erfahren?“
„Allerdings, mein bester Herr Blümchen. Vor Ihnen hat der gnädige Junker kein Geheimniß, wie alle Welt weiß.“
„Hat der Herr Johann auch gedacht, daß Er mich beim Stiefelputzen treffen und daß ich auch Ihn bei der Gelegenheit so ein bissel wichsen könnte, nur damit er weiß, wie das Angeschwärztwerden thut? Marsch, marsch, sag’ ich. Hinaus mit Ihm, Er Horcher, Er Schleicher, Er Spion!“
Christian trat dem schweigsamen Johann bei diesen Worten so grimmig drohend mit der Wichsbürste entgegen, daß jener sich zu einem eiligen Rückzuge entschloß und schleunigst durch die offen gebliebene Thür entwich.
„Leben Sie recht schön adieu, verehrtester Herr College!“ rief ihm Christian nach. „Den Schleicher wären wir los. Ja, kommen Sie nur wieder einmal zum Christian, um zu plaudern, mein allerliebster Herr Johann! Mich ärgert’s jetzt nur, daß ich immer noch zu höflich gegen ihn gewesen bin.“
Der Alte hörte in seinem Grimme nicht, daß sich während seines Selbstgesprächs die eine auf den Vorsaal führende Thür öffnete und aus ihr der Junker Kurt dicht hinter ihn trat. Er fuhr deshalb erschrocken herum, als sich Kurt’s Hand plötzlich auf seine Schulter legte.
„Nun, was sind das schon wieder für Narrheiten?“ wollte Christian rufen, als er noch zu rechter Zeit in die offenen Züge seines Lieblings blickte. Rasch wich jetzt aller Grimm aus seinem finsteren Gesichte, und statt dessen begann es sich wie heller, warmer Sonnenschein über die verwitterten Züge zu breiten.
„Ach, Sie sind es, Kurtchen,“ sagte er mit dem weichsten Tone seiner ehernen Stimme. „Und ich glaubte schon, es wäre – – –“
„Hast Du Dein Wort gehalten, Du alter, närrischer, grimmiger Christian?“ unterbrach ihn der Jagdjunker. „Hast Du hübsch aufgepaßt?“
Der Alte nickte verständnißvoll.
„Ich habe sie – Sie wissen ja schon, wen ich meine – vor einer Viertelstunde aus dem Hause der Tante nach dem Garten gehen sehen. Lassen Sie das Schätzchen ja nicht lange warten! Frauenzimmer haben keine Geduld, Kurtchen. Natürlich, denn sie haben nicht so viel Verstand wie Unsereiner.“
„Natürlich,“ stimmte der Jagdjunker lachend zu.
„Wie Sie nur so lachen mögen, Junker!“ schalt der Alte. „Mir macht Ihre Lage meiner Seel’ mehr Sorge, als Ihnen selbst. Was soll werden, wenn sich die Hindernisse nun einmal nicht beseitigen lassen?“
„Sie müssen aber beseitigt werden,“ erklärte der Junker fest.
„Sie haben gut reden. Wir haben die gnädige Mama, den Präsidenten, seinen sauberen Johann und auch wohl den Grafen gegen uns. Dagegen sind wir unser Zwei.“
„Du vergißt die Comtesse, die mir ihre Hülfe zugesagt hat.“
„Lernen Sie nur erst vornehme Herrschaften kennen!“ erklärte Christian. „Die Erlaucht wird sich um Ihretwillen die feinen Händchen nicht verbrennen. Was dann?“
„Glaubst Du, es würde mir allzuschwer werden, mich in einen einfach bürgerlichen Kurt Holderbusch zu verwandeln und mein Brod durch meine Arbeit zu verdienen? Wenn der Adel mein Glück hindert, so werfe ich ihn eben weg.“
„Sie wollten den Hofdienst aufgeben und bürgerlich werden? Denken Sie auch an Ihre Mutter?“
„Sie thut mir leid, aber ich kann ihr, wenn sie nicht nachgiebt, den Verdruß nicht ersparen. Vorurtheilen opfere ich mein Glück nicht. Leb’ wohl, Christian!“
„Na, viel Glück auf den Weg, Kurtchen! Seien Sie nur bei der Comtesse hübsch vorsichtig, denn mit hohen Herrschaften, auch wenn sie noch so gnädig sind, ist nicht gut Kirschenessen. Den Frauensleuten traue ich vollends nicht – man weiß nie recht, wie man mit ihnen daran ist. Und halt, noch Eins! Gehen Sie nicht auf der Haupttreppe hinunter! Der Johann vom Präsidenten war eben hier, um zu spioniren, und ich traue dem Schleicher nicht einmal so weit, wie ich ihn sehe. Verstanden?“
„Werde mich bestens danach richten. Ich weiß wohl, daß Du nicht blos treu und muthig bist, sondern daß Dir der Himmel auch ein gut Theil Schlauheit zugemessen hat. Leb’ wohl!“
Mit einem dankbaren Händedrucke verabschiedete sich der Junker von dem Alten, der ihn einst auf seinen Armen und Knieen gewiegt und geschaukelt hatte und der nun mit dem Ausdrucke einer fast mütterlichen Zärtlichkeit seinem Lieblinge nachblickte.
Aber nur zu bald sollte der Alte aus seiner friedlichen Stimmung herausgerissen werden.
„Chrrristian, he, Chrrristian!“ rief aus der Stube des Oberlandjägermeisters eine schnarrende Bierbaßstimme.
„Aha, der Herr Oberlandjägermeister,“ brummte Blümchen, that aber sonst gar nicht, als ob ihn der Ruf irgendwie anginge, sondern widmete sich wieder mit zornigem Eifer seinen Stiefeln.
„Muß nurrr selbst sehen, wo derrr Kerrl steckt,“ schnarrte es von Neuem im Nebenzimmer. Dann kam ein schlurrender Schritt näher und näher, und endlich öffnete sich die Thür.
„Himmel mohrrren krrreuz – –“ fluchte der gräfliche Oberlandjägermeister, dessen beleibte Figur fast die ganze Thüröffnung ausfüllte. „Meinerrr Seel, da steht derrr Kerrrl und antwortet nicht einmal. Ist Errr taub geworden, Chrrristian, oder was ist es?“
[363] „Habe heute zu thun, Herr Oberlandjägermeister.“
„So? Meint Errr etwa, ich hätte nichts zu thun, als nach Ihm zu schrreien?“
„Viel mehr wird’s auch nicht sein.“
„Was? Ich arrbeite mich fast zu Tode. Habe heute schon ein zwei Hände hohes Actenstück ganz allein zusammengeschrieben. Was sagt Errr nun?“
„Daß der Herr Oberlandjägermeister nicht flunkern sollen, wenn wir Beide allein sind,“ entgegnete der alte Diener unerschrocken.
„Kerrl, was wagt Errr – –“
„Na, na, nur ruhig! Wir Beide kennen uns doch nun gut genug,“ sagte Christian in seiner halb lachenden, halb grimmigen Weise. „Dem anderen Volke können Sie auch meinetwegen vorlügen, so viel Sie immer wollen! Der Christian hilft Ihnen ja doch immer wieder heraus, wenn Sie sich ’mal in die Patsche hineingelogen haben und nicht vorwärts und rückwärts können. Aber unter uns? Nein, da geht das partout nicht. Denn, sehen Sie, ich glaube Ihnen nun einmal kein Wort, und Sie können nicht allein mit dem Lügen fertig werden.“
„Allerrrliebst! Errr wird ja alle Tage höflicher. Aber wo sind meine Stiefeln? Sind sie immer noch nicht blank?“
„Ihre Stiefeln? Ich bin noch nicht einmal mit meinen fertig. Unser Graf muß wahrhaftig heute einen Strich – –“
Weiter kam Christian mit seiner verwegenen Rede nicht, denn sein Herr hielt ihm erschrocken den Mund zu.
„Ach was, ich fürchte mich nicht,“ rief Christian, sobald er die Hand des Oberlandjägermeisters mit sanfter Gewalt hinweggeschoben hatte. „Ich bin nicht, wie andere Männer, die immer wunder welche Heldenthaten zusammenlügen, und wo es dann gilt, sich wie ein Krauthase verkriechen.“
„Wen meint Errr mit dem Krrrauthasen?“ schnarrte der Oberlandjägermeister grimmig.
„Nun, wen sonst als Sie?“ entgegnete Christian. „Haben Sie sich etwa heute nicht versteckt, als der Präsident kam?“
„Hm, hm, ja allerrrdings,“ gab Blümchen’s Herr zu. „Das ist ein anderrr Ding. Werrr liebt auch solche Scenen? Konnte mir wohl denken, warum dieserr Herr von Strrraff kam. Fatale Geschichte mit dem Kurrrt, höchst fatal.“
„Warum fatal?“ fragte Christian „Wenn der Herr Oberlandjägermeister ein Mann wären – – –“
„Wa –, was bin ich denn sonst?“
„Das weiß ich nicht. Aber ich wenigstens ließe mir nicht in meine Familiensachen hineinsprechen. Mit Verlaub, eher würfe ich den Präsidenten sammt seinem Johann die Treppe hinunter, daß alle Beide Arme und Beine brächen.“
Wieder machte der Oberlandjägermeister einen Versuch, den tollkühnen Mund zu verschließen, aber diesmal wehrte der alte Diener seine Hand rechtzeitig ab und fuhr fort:
„Wär’s denn auch ein so großes Unglück, wenn unser Kurtchen die Mamsell Hartmann freite? Ich denke, ein bissel Geld können wir Alle brauchen. Was soll’s zum Exempel werden, wenn die Stiefeln da aus den Nähten gehn? Meister Patz rührt für uns meiner Seel’ ohne Geld keine Pfrieme mehr an.“
„Derr Kerrrl ist wohl toll?“ schnarrte Herr von Holderbusch sichtlich erschrocken.
„Nein Meister Patz ist nicht toll,“ fuhr Christian Blümchen trocken fort. „Eher sind gewisse Leute ein bissel toll, wenn sie um bloßer Einbildungen willen das Glück zur Thür hinauswerfen. Fassen Sie ’mal Courage, Herr Oberlandjägermeister! Machen Sie der gnädigen Frau den Standpunkt klar!“
„Errr hat im Grrrunde Rrrecht. Wahrhaftig Errr hat Rrrecht,“ erklärte der dicke Herr feierlich, indem er mit entschlossenen Schritten und geballten Fäusten im weiten Vorsaale pantoffelschlarfend auf und ab schritt. „Meine Frrrau nimmt sich wirklich manchmal zu viel heraus, das ist wahrrr. Ich werde ihr bei der allernächsten Gelegenheit meine Meinung sagen. Ja, das werd’ ich auf Ehrrre.“
„Holderbusch, bist Du im Vorsaale?“ rief in diesem Augenblicke eine schneidig scharfe Stimme aus dem anderen Nebenzimmer.
„Da können Sie ja Ihre Worte sogleich an – an – die Frau bringen,“ sagte Christian mit einem seltsamen Lächeln. „Spazieren Sie nur da hinein, Herr Oberlandjägermeister!“
„Nicht fürrr eine Million!“ erklärte der dicke Herr erschrocken. „Chrrristian, was thu’ ich? Das giebt gewiß eine schlimme Scene. O, du mein Himmel!“
„Na, so will ich zu der Gnädigen geh’n. Ich fürchte mich nicht. Da halten Sie unterdessen meine Pfeife im Brande.“
Ehe noch der Oberlandjägermeister zum vollen Bewußtsein des an seiner Würde geübten überkühnen Attentats kommen konnte, hielt er bereits die kurze Stummelpfeife seines Dieners in der Hand; Letzterer aber war im Nebenzimmer verschwunden.
„Was will Er? Ich habe nicht geschellt,“ herrschte dem alten Diener die schneidige Stimme der gnädigen Frau sofort bei seinem Eintritte in deren Zimmer entgegen.
„Weiß wohl, gnädige Frau. Der gnädige Herr sind – sind aber zufällig nicht – nicht da, und so kam ich.“
„Das sehe ich. Im Uebrigen kann mir auch Sein Erscheinen recht sein; denn Er ist im Grunde ein ganz verständiger Mensch.“
„Ja, das bin ich allerdings,“ erklärte Christian mit dem Ausdrucke ruhigen Selbstbewußtseins, während doch zugleich ein seltsames Aufleuchten in seinen Augen anzudeuten schien, daß ihn die überflüssige Anerkennung unleugbarer Thatsachen tief-innerlich belustige. „Was befehlen gnädige Frau?“
„Ich habe mit Ihm verschiedene ernste Dinge zu besprechen.“ –
„Gut, aber machen Sie es hübsch kurz, gnädige Frau! Ich habe für lange Constellationen heute keine Zeit.“
Die Frau Oberlandjägermeisterin biß sich in verhaltenem Zorne auf die Lippe. „Kurz, zur Sache!“ sagte sie dann, ihre innere Entrüstung niederkämpfend. „Da Er in guten Häusern servirt hat, so weiß Er gewiß auch, wie viel dort auf Reinheit des Blutes ankommt. Sehe Er einmal, Christian, mein Schwager, der kurfürstliche General von Holderbusch, Excellenz, ist Majoratsherr. Und nun habe ich zu meinem Schrecken durch den Präsidenten erfahren, daß mein Sohn ein Verhältniß mit einem bürgerlichen Mädchen angeknüpft hat. Hierdurch aber würde der Fortbestand des Majorats bei unserer Familie gefährdet, und deshalb darf und soll er sich nicht unter seinem Stande verheirathen.“
„Aber gnädige Frau, ich will mich ja gar nicht verheirathen. Denke gar nicht daran, sag’ ich Ihnen.“
Die Oberlandjägermeisterin erhob sich rasch von ihrem Sitze und trat mit zornig blitzenden Augen an ihren Diener heran.
„Wenn ich nicht wüßte, ein wie treuer Diener Er immer gewesen ist, so würde ich Ihn jetzt in einer Weise mores lehren, die Ihm nicht gefiele,“ sagte sie dann. „Denkt Er etwa, ich glaube bei Ihm an diese wunderbare Naivetät, so irrt Er sich. Ich habe mindestens soviel Verstand, wie Er, und ich sage Ihm also, daß Er recht wohl weiß, ich rede vom Junker und nicht von Ihm.“
„Ah so, ah so, vom Junker,“ erwiderte Christian, der diesmal doch ein wenig verblüfft darüber schien, daß die Gnädige sein keckes Spiel so rasch durchschaut hatte. „Gnädige Frau meinen also, daß unser Junker die Demoiselle Hartmann nicht heirathen soll? Ein böses Ding das, gnädige Frau.“
„Warum? Glaubt Er etwa, Kurt werde seinen Eltern nicht gehorchen?“
„Was unser Kurt thun wird, das kann ich nicht sagen, gnädige Frau. Wenn man verliebt ist, dann hat man so seine eigenen Schrullen, wie gnädige Frau wohl auch wissen. Es wäre jedenfalls am besten, man schaffte die Doppelflinte, die beiden Pistolen und die Pürschbüchse aus der Stube unseres Junkers fort.“
„Christian, was redet Er da?“ rief Frau von Holderbusch erbleichend. „Er denkt doch nicht –“
„Ich denke nur, besser ist besser, gnädige Frau.“
„O mon dieu, mon dieu!“ jammerte die Gnädige, indem sie mit gerungenen Händen im Zimmer auf- und abschritt. „Mein Kurt, mein einziges Kind! Warum muß über uns solches Unheil kommen?“
„Ruhig, gnädige Frau! Unser Kurt ist ja noch nicht todt. Am Ende ist es doch auch besser, der Junker bekommt eine hübsche junge Frau, die Batzen hat, als die Schulden des Herrn Generals.“
„Er redet, wie Er’s versteht,“ entgegnete Frau von Holderbusch mit einem Anklange an den alten scharfen Ton. „In [364] unserm Hause ist niemals eine Mißheirath vorgekommen, nein, niemals. In unseren Adern fließt kein Tropfen bürgerlichen Blutes, und wir haben uns namentlich niemals zu Geldheirathen erniedrigt. Wenn ich auch als Mutter schwach sein wollte, so könnte und dürfte ich dennoch nicht nachgeben. Ich habe dem Präsidenten heute mein adeliges Ehrenwort verpfändet, daß mein Sohn niemals ein bürgerliches Mädchen heirathen soll.“
„Ist das Ihr einziges Bedenken, gnädige Frau? Und solch ein Pappenstiel macht Ihnen Kopfschmerzen? Der Graf braucht ja die Jungfer nur zu adeln, so ist uns geholfen.“
„Das, ja das ließe sich allerdings hören,“ räumte Frau von Holderbusch ein.
„Und was das Geld der Jungfer betrifft, so brauchen sich gnädige Frau auch keine besonderen Sorgen zu machen,“ fuhr Christian mit einem seltsamen Lächeln fort. „Der Junker hat mir schon gesagt, daß er sein Schätzchen nicht um des Geldes willen heirathen will, daß er auf das Vermögen verzichtet und –“
„Wenn mein Sohn das gesagt hat, so ist er wahrhaftig ein Narr,“ erklärte die Gnädige sehr entschieden.
„Die Narrheit läßt sich halten,“ entgegnete Christian rasch. „Von jungem verliebtem Volke darf man es gar nicht anders erwarten. Das wäre mir ein schöner Bursche, der schon vor der Verlobung rechnen wollte, wie viel einmal seine Braut bekommt. Aber es giebt gewisse ältere Leute, die sonst ganz gescheidt sind und dann doch um curioser Ideen willen –“
„Schuster, bleib bei Deinen Leisten!“ unterbrach ihn die Oberlandjägermeisterin. „Was versteht Er von höheren leitenden Ideen! Kurz gesagt, wenn der Graf das Mädchen wirklich adeln wollte, so hätte ich im Grunde nichts Ernstliches gegen sie einzuwenden. Es ist meines Sohnes Sache, Seine Erlaucht den Grafen zu jenem Schritte zu bewegen, und das wird schwer genug halten. Denn Seine Erlaucht lieben den Domänenrath nicht, und unser Herr Präsident setzt natürlich Himmel und Hölle in Bewegung, um diese Erhebung in den Adelstand zu hintertreiben. Ich selbst halte mich neutral, wie es einer Frau von meinem Stande gebührt.“
„Sie werden so lange neutral bleiben, bis Sie es bereuen, gnädige Frau. Aber meinetwegen! Jeder nach seinem Geschmack, sagt der Franzose.“
„Wo es sich um adelige Ehre handelt, bereue ich nichts. Inzwischen erwarte ich von Ihm, daß Er mir über alle Vorkommnisse getreulich berichtet. Ueber alle ohne Ausnahme, versteht Er wohl? Unser Kurt hat zu Ihm Vertrauen und verbirgt Ihm nichts. Es ist also Seine Pflicht, mich über alle Mittheilungen des Junkers im Klaren zu erhalten. Will Er mir das versprechen?“
Das mahagonifarbige Gesicht Christian’s war während dieser Worte seiner Gnädigen noch um einige Farbentöne dunkler geworden, und seine breite Brust wogte dabei gewaltig auf und ab, als arbeite sie einem gewaltsamen Ausbruche entgegen.
„Nun, hat Er mich verstanden? Oder würdigt Er mich keiner Antwort?“
Die Frau Oberlandjägermeisterin betonte die letzten Worte so besonders scharf, daß Christian diesmal nicht schweigen konnte.
„Ich bin kein Narr und kein Verräther, gnädige Frau,“ sagte er dann. „Unsereins weiß auch, was Pflicht ist, und von einem Verräther frißt kein Rabe. Halten zu Gnaden, Frau Oberlandjägermeisterin!“
Damit machte der Alle rasch rechtsum Kehrt und ging mit wuchtigen, selbstbewußten Schritten aus dem Zimmer.
„Der Präsident hat Recht – der Mensch muß sobald, wie möglich, aus dem Hause,“ zischte Frau von Holderbusch zornig, sobald sich die Thür hinter Christian geschlossen hatte. „Seine lange Dienstzeit bei uns hat ihn übermüthig gemacht, sodaß er seine untergeordnete Stellung völlig vergißt. Er muß fort.“
Christian aber ging draußen von Neuem an seine schwere Arbeit.
Im Arbeitszimmer des Kammerpräsidenten von Straff herrschte dieselbe Einfachheit, wie in der Wohnung des Oberlandjägermeisters. Die Möbel waren sämmtlich alt und unscheinbar und der mit fadenscheinigem, grünem Tuche bezogene Arbeitstisch, an welchem jetzt der gefürchtete Günstling des Grafen saß, hatte sicher mehr als ein halbes Jahrhundert erlebt. Der starkknochig und eckig gebaute, bejahrte, aber noch kräftige Herr, in dessen rothbraunes Haar sich bisher nur einzelne Silberfäden eingeschlichen hatten, blätterte in einem Actenstücke herum, in dem einer der massiv gebauten Finger eine besonders interessante Stelle anzudeuten schien. Herr von Straff war dabei in sein Studium so tief versunken, daß er nicht einmal von der Anwesenheit seiner Tochter zu wissen schien, obwohl die junge Dame schon wiederholt in wachsender Ungeduld durch leise, dann aber immer merkbarere Zeichen die Aufmerksamkeit ihres Vaters auf sich zu lenken gesucht hatte.
„Nun, Papa, wie weit bist Du mit Deiner wichtigen Arbeit?“ fragte sie endlich. „Ist die Lectüre so außerordentlich interessant, daß Du für mich weder Auge noch Ohr hast?“
Der Kammerpräsident erhob bei dieser Anrede seinen Blick von den Acten und sah seine Tochter noch etwas zerstreut an.
„Wie weit ich bin?“ wiederholte er dann. „Interessirst Du Dich wirklich einmal für Das, was mir am Herzen liegt? Ich sage Dir, diese Acten, auf welche Du mit gewohnter Geringschätzung herabblickst, sind für mich ein Gegenstand von höchster Wichtigkeit. Der schlaue Wilddieb, von dem sie handeln, ist höchst wahrscheinlich derselbe, der jahrelang ungestraft in den gräflichen Forsten so arg gehaust hat. Er leugnet zwar noch, die sämmtlichen früheren Vergehen begangen zu haben, obwohl er beim Ausweiden eines Rehes betroffen worden ist und obwohl ich es an ernsten Ermahnungen zur Wahrheit nicht habe fehlen lassen.“
„Der Himmel behüte Jedermann vor Deinen ernsten Ermahnungen!“ warf Hulda bitter lachend ein. „Ich habe das Jammergeschrei des armen Menschen über den ganzen Markt herüber bis auf mein Zimmer hören müssen.“
„Und Dein stets so mildes und gefühlvolles Herz hat sich natürlich davon sehr gerührt gefühlt,“ bemerke der Präsident mit kaltem Spotte. „Für solche Schwächen hat Dein eiserner Vater nun freilich kein Verständniß. Ich sage Dir, der Bursche muß in jedem Falle gestehen. Ich brauche seine Bekenntnisse für ganz besondere Pläne und werde sie also zu erlangen wissen. Dem Himmel sei es gedankt, daß uns für solche Zwecke in unseren Wäldern die geeigneten Mittel von selbst und reichlich in die Hand wachsen.“
Der alte Herr machte mit der Hand eine so unzweideutige Bewegung, daß seine Tochter sich leise schaudernd abwenden mußte.
„Welchen besonders hohen Zweck kannst Du hier verfolgen?“ fragte sie dann. „Ist nicht unser Zuchthaus schon voll genug von Wilddieben? Was also kann Dir noch an dem Elende eines Verurtheilten liegen?“
„Du sprichst wie ein Kind,“ entgegnete Herr von Straff. „Wir beherrschen unsere Fürsten wahrlich nicht durch ihre Tugenden, sondern vor Allem durch ihre Schwächen. Glaubst Du, ich bliebe auf die Dauer der eigentliche Herr im Lande, wenn unser Max Theodor etwa stets nur gutherzig und freigebig wäre? Zum Diener eines sentimentalen Herrn bin ich nicht geschaffen. Aber Gott sei Dank, der Graf liebt mit blinder Leidenschaft die Jagd und haßt wie den Tod die Wilderer. An diesem Gängelbande leite ich ihn, wie ich eben will. Aber, da wir einmal von meinen Zwecken reden – hast auch Du sie gefördert, wie ich Dir rieth? Hast Du Dich, als der Graf gestern Abend mit Dir redete, über das unziemliche Benehmen dieses Junkers von Holderbusch beschwert?“
Ueber das Gesicht des Mädchens legte sich ein tiefer Schatten. „Nein,“ sagte sie fest, „das habe ich nicht gethan und werde es auch nicht thun.“
Der Präsident erhob sich von seinem Sessel und starrte seine Tochter mit einem zornglühenden Blicke an.
„Was? Du weigerst mir den Gehorsam?“ rief er. „Willst auch Du erfahren, daß diese Hand trotz meines Alters noch stark genug ist, um diese Grafschaft und daneben auch mein Haus zu regieren? Warum also hast Du meine Weisung nicht befolgt?“
„Einfach deshalb nicht, weil mir der Junker allzu gleichgültig ist,“ entgegnete Hulda unerschrocken.
„Du hast, wie es scheint, einen recht besonderen und auserlesenen Geschmack,“ bemerkte der Präsident mit spöttischem Lächeln. „Anderen Damen von gutem Adel mißfällt der Junker durchaus
[365] nicht. Er ist hübsch, hat etwas gelernt, weiß sich zu benehmen und ist im Grunde auch nicht bösartig.“
„Aber er hat nicht den Ehrgeiz, den ich von einem Manne unseres Standes verlange,“ entgegnete Hulda stolz. „Er strebt nicht nach höherem Einflusse bei Hofe und denkt sogar vom Adel gering.“
„Natürlich, ganz natürlich,“ lachte der Präsident. „Das geschieht, weil er eben ein bürgerliches Schätzchen hat.“
„Also bis dahin erniedrigt sich der Junker? Und wen beglückt er durch seine noble Neigung?“
„Wie? Solltest Du allein am Hofe noch nicht wissen, in welchem Verhältnisse Kurt von Holderbusch zur Anna Hartmann, der Tochter des Domänenraths in Brandenfels, steht?“ „Du weißt, daß ich mich um sentimentale Affairen, die in
solchen Schichten der Gesellschaft spielen, grundsätzlich nicht kümmere. Dagegen muß ich jetzt einen sehr ernsten Vorwurf gegen Dich selbst richten. Du hast um diese schimpfliche Neigung des Junkers gewußt und hast mir dennoch rathen können, daß ich die Berührung mit ihm suche?“
„Es paßte eben für meine Zwecke, daß wenigstens der Graf an ein Verhältniß zwischen Dir und dem Junker glaube,“ entgegnete der Präsident kalt.
„Vortrefflich! Welch zärtlichen Vater ich habe!“ rief Hulda von Straff mit schneidiger Schärfe. „Wie ängstlich besorgt er um die Ehre seiner einzigen Tochter ist! Und diesen Schimpf sollte ich auch noch zum Gegenstande von Beschwerden beim Grafen machen? Gott sei gelobt, daß er mich wenigstens vor diesem Aeußersten bewahrte!“
„Du bist und bleibst ewig eine Närrin, welche der Hochmuth völlig blind macht,“ erklärte der Alte. „Wer den Zweck will, muß auch die Mittel nicht scheuen und nicht viel nach ihren moralischen Qualitäten fragen. Nur rücksichtslose Geister kommen in dieser Welt zum Ziel.“
„Sind diese Zwecke auch der Art, daß Deine Tochter sie erfahren darf?“ fragte Hulda mit einem seltsam forschenden Blicke.
„Warum nicht?“ entgegnete der Präsident nach kurzem Bedenken. „Die lebhafte Zuneigung des Grafen zu seiner Schwester ist von je das gefährlichste Hinderniß meiner Pläne gewesen, und gar manchen davon hat mir die Comtesse zu meinem argen Verdrusse vereitelt. Wenn es mir gelänge, dieses Band zu zerschneiden, wie ich einst die noch zärtlicheren Fesseln zwischen der Comtesse und dem jetzigen Domänenrath Hartmann zertrennte, so wäre meine Stellung unerschütterlich. Nun liebt der Graf den Domänenrath nicht, weil es mir bei der Hainröder Erbtheilung durch einen glücklichen Griff gelang, das Gut und die Waldungen Hartmann’s als churfürstliche Enclave zu bewahren, das heißt wie einen recht stachligen Dorn mitten in die gräflichen Jagdreviere hinein zu pflanzen. Die Comtesse aber wird natürlich aus alter Liebe, die nie rostet, das Verhältniß zwischen dem Junker und Hartmann’s Tochter begünstigen. Sollte also auf solchem Boden, wenn wir ihn noch ein wenig cultiviren, der segensreiche Keim einer goldenen Zwietracht zwischen den gräflichen Geschwistern nicht gedeihen können?“
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Jede große Seestadt, zumal wenn sie den Charakter einer Hauptstadt trägt, hat das wenig beneidenswerthe Glück, der Sammelplatz von Schaaren derjenigen Menschenclasse zu sein, die der Engländer so treffend mit dem Namen von „Outlaws“, das heißt, „außerhalb des Gesetzes Stehenden“, bezeichnet. Solche Großstädte bieten dem Verbrecher einen reichen Spielraum und die leichteste Gelegenheit, in dem täglich landenden Menschengewirr die eigne Spur zu verwischen und der verfolgenden Gerechtigkeit ein Schnippchen zu schlagen.
Neben London, der großen englischen Hauptstadt, ist von jeher der Boden der Vereinigten Staaten das Eldorado der Verbrecherzunft gewesen. Und unter allen Städten der Union ist New-York die begnadete, nach der sich der Strom dieser transatlantischen Einwanderung lenkt. Wer nur erst einmal hier gelandet und den noch verhältnißmäßig heißen Boden des Schiffes verlassen hat, dem ist es ein Leichtes, in dem Häuser- und Menschengewirr zu verschwinden, um von einem sicheren Orte aus die „Sache“ eine Zeit lang ruhig anzusehen und Gras über die Geschichte wachsen zu lassen.
Wenn jedoch das Verbrechen ein solches war, welches nur Blut sühnen konnte, wenn ein Mord das bange Gewissen des Schuldigen belastete, so trug ihn das Dampfroß nach dem fernen, uncivilisirten Westen, wo kein Mensch sich um seine Vorgeschichte kümmert. Hier, unter den Bewohnern der Wildniß, bedurfte es nur kühner, frecher Menschen, die vor Nichts zurückschreckten, die Nichts fürchteten. Alles Andere war Nebensache. Freilich haben in letzter Zeit theils der Telegraph, theils der Abschluß von Auslieferungsverträgen zwischen den verschiedenen Regierungen den Besuch des früher so sicheren Landes ziemlich mißlich gemacht und erschwert, und Mancher, der schon glücklich entronnen zu sein glaubte, wurde angesichts des rettenden Hafens festgenommen, wohl verwahrt und bewacht und mit eisernen Armbändern kostenfrei zurückspedirt.
So wurde Brüssel bekanntlich vor ungefähr einem Jahre durch eine grauenvolle That in Aufruhr versetzt. Der Chevalier de Bianco war ermordet in seinem Bette gefunden worden. Um jede Spur des Verbrechens zu verwischen, hatte der Mörder das Haus in Brand zu setzen versucht und war entflohen. Aber die schwarze That mißglückte. Der Leichnam verbrannte nicht, und der allgemeine Verdacht richtete sich sogleich auf den Kammerdiener des Ermordeten, einen gewissen Stupp. Als derselbe unter dem angenommenen Namen Vogt in New-York landete, wurde er sogleich festgenommen. Der Fall, so weit ein gewöhnlicher in der criminalistischen Praxis, wurde jedoch bald sehr verwickelt. Des Pudels Kern, der Vogt gestattete, so hartnäckig für seine Freilassung und für sein Leben zu kämpfen, ein Zufall, an den er sich wie der Ertrinkende an den Strohhalm klammerte, war folgender: Zur Zeit, als das Verbrechen begangen wurde, bestand zwischen Belgien und den Vereinigten Staaten noch kein Auslieferungsvertrag. Daher große Verlegenheit, als der belgische Consul die Auslieferung des Verbrechers verlangte. Nach langen Verhandlungen und nachdem die Anwälte des Beklagten eine enorme Summe von Scharfsinn und rabulistischen Kniffen aufgeboten, mußte der Richter, wenn auch mit schwerem Herzen, die Freilassung Vogt’s anordnen, und derselbe wäre gerettet gewesen, wenn sich nicht Preußens Consul in’s Mittel gelegt hätte. Zu seinem Unglück war der Mörder preußischer Bürger und Unterthan, aus Köln gebürtig, und da mit Preußen ein Vertrag bestand, so verlangte dieser Staat kraft desselben die Auslieferung. „Denn,“ hieß es in dem Antrage, „der preußische Unterthan sei dem Staate Rechenschaft schuldig für jedes von ihm, selbst im Auslande begangene Verbrechen.“ Der interessante Fall ist noch nicht erledigt, doch sollen die Actien für Vogt schlecht, sehr schlecht stehen. –
Obwohl nun mancher Verbrecher in New-York festgenommen und zurückspedirt wird, gelingt es dennoch einer großen Anzahl, durchzuschlüpfen und im Lande der Verheißung Hütten zu bauen, wo sie dann mit des Satans Hülfe ihr trauriges Gewerbe weiter treiben. Und es giebt wenige Städte der Welt, wo das Verbrechen so frech und ungescheut auftritt und wuchert, wie in New-York, wo viele dunkle, furchtbare Unthaten begangen werden, ohne daß „die Sonne sie an den Tag bringt“.
Einer der schlimmsten Tummelplätze des Verbrechens sind die New-Yorker Docks, welche die Stadt von Süden, Westen und Osten umgürten. Was hilft es, daß hier und da Polizeipatrouillen diese Gegend durchstreifen und viele Polizei-Agenten hier angestellt sind! Oede und finster, mit ihren zahllosen Schlupfwinkeln, liegen die Docks da. Die Wogen der Bai schlagen plätschernd an die ankernden, nach allen Welttheilen bestimmten Schiffe und nehmen gurgelnd die Unvorsichtigen auf, die sich hierher verlaufen und dem Verbrechen zum Opfer fallen. „Der Leichnam eines unbekannten Mannes wurde aus den Wassern der Bai gefischt,“ heißt es dann in den Zeitungen. Die Leiche wird in die Morgue geschafft, wo sie einige Tage liegt, ohne natürlich identificirt zu werden, bis endlich das Gericht die Todtenschau gehalten und den weisen Spruch abgegeben hat: „Tod durch Ertrinken“. Dann kräht kein Hahn mehr nach dem Todten, der ohne Sang und Klang begraben wird, während in der Ferne vielleicht ein angstvolles Mutterherz sich um den Verlornen grämt und abhärmt und lange Jahre hindurch hoffend und harrend die Rückkehr des Lieblings erwartet, der ihre einzige Stütze. Nie, nie mehr wird er in die sehnenden Arme der Mutter zurückkehren.
Auf den die Hafenstadt umgebenden Gewässern der Bai, des Hudson River und des East River, jenes schmalen Meeresarmes, der Long Island, die „lange Insel“, von dem Continente trennt, treiben die Flußpiraten ihr gesetzloses Handwerk. In stürmischen Nächten durchkreuzen sie in ihren kleinen, flinken Booten die Fluthen, stehlend, schmuggelnd oder raubend, und wehe dem, der sich ihnen in den Weg zu stellen versucht! Selbst der Hafenpolizei liefen sie bisweilen kleine Schlachten, in denen es selten ohne größeres Blutvergießen abgeht.
Zu den Schaaren derselben gehörten auch die beiden in diesen Tagen zu so großer Verrufenheit gelangten Hallunken Mosher und Douglaß, die frechen Räuber des kleinen Charlie Roß aus Germantown, der Vorstadt Philadelphias. Ungeheures Aufsehen in ganz Amerika hatte diese That gemacht, da sie am hellen Tage, gleichsam im Angesichte aller Bürger, ausgeführt worden war. So gut geplant hatten indessen diese Beiden das Verbrechen, daß sie trotz der eifrigsten Nachforschungen der gesammten Polizeimacht unentdeckt blieben. Am Tage in einer Spelunke von New-York verborgen, durchkreuzten sie in dunklen, stürmischen Nächten den East River auf ihrer kleinen Barke, mit seltener Keckheit ihre Verbrechen ausführend und den Raub auf einer der unzähligen kleinen Inseln des Sundes bergend. Endlich aber hatte auch ihre Stunde geschlagen. Bei einem Ueberfalle der Villa des Richters Van Brunt in Bay Ridge wurden Beide erschossen. Bis jetzt aber ist noch keine Spur des unglücklichen Knaben aufgefunden worden, dessen Vater dem Wahnsinne nahe ist. – Eine dritte Classe von Mördern – und diese sind die gefährlichsten – sind diejenigen, die auf den Fährbooten in der Nacht ihr fürchterliches Gewerbe betreiben. Wehe dem Leichtsinnigen, der sich mit goldener Kette oder einem in die Augen fallenden Goldschmucke aus der sicheren Kajüte hervorwagt! Im Nu wird er rücklings gefesselt und beraubt, und mit halb ersticktem Schrei stürzt der Ueberraschte über Bord. Wann wäre wohl je einer dieser zahlreichen Morde an’s Tageslicht gekommen? Das Boot fährt ruhig seine Bahn fort, und der Unglückliche ist verloren. Wieder giebt die Jury ihren Spruch ab: „Tod durch Ertrinken. Ursachen unbekannt“ – und Alles ist vorbei. –
Einen höchst interessanten Beitrag zu dem New-Yorker
[367] Verbrecherleben liefern die Polizeiberichte für das Jahr 1874. Laut derselben beträgt die Gesammtzahl der Gefangenen, welche den Polizeirichtern während der Periode vom 3. November 1873 bis zum 31. October 1874 vorgeführt worden, 84,821, was, wenn man die Gesammtbevölkerung New-Yorks auf eine Million veranschlagt, eine Verhaftung auf je zwölf Personen ergiebt. Den General- und Specialassisen wurden von den Verhafteten 8424 überwiesen, 7394 männliche und 1030 weibliche. Die größte Zahl der Angeklagten ist nicht über fünfundzwanzig Jahre alt. Bei einer solchen Lage der Dinge wird man wohl begreifen, wie wohlthätig der mit nächstem 1. Januar in Kraft tretende obligatorische Schulunterricht wirken wird.
Eines Tages entschloß ich mich, eine Tour durch die verrufensten Gegenden der Empire City zu machen. Ich hatte diesen Wunsch lange mit mir herumgetragen, ohne ihn jedoch ausführen zu können, als die Ankunft eines lieben Freundes meiner Unentschiedenheit ein Ende machte. Derselbe war auf dem Wege nach dem fernen Colorado und wollte sich nur wenige Tage in New-York aufhalten Ich begab mich deshalb nach dem Stationshause des vierten Polizeibezirks, um den Capitain zu ersuchen, uns einen Polizei-Agenten zur Verfügung zu stellen. Es war ziemlich nebelig, und die grünen Laternen in Oak Street, welche das Stationshaus anzeigen, flimmerten nur schwach durch die dicke Luft. In dem großen Vorsaale saß hinter einem geräumigen, von zwei Lampen hell erleuchteten Pulte der wachthabende Sergeant, soeben beschäftigt, die Personalien einer alten, abscheulich häßlichen Negerin aufzunehmen, die ein Polizist vagabondirend und „zum Laster aufreizend“ aufgegriffen hatte.
Als ich nach dem Capitain fragte, wies er mich in die Nebenstube linker Hand.
So einfach und kahl der große Raum war, den ich verließ, so schmuck und reinlich war derjenige ausgestattet, den ich betrat. Capitain Williams, ein noch junger Mann mit hübschen, charaktervollen Zügen, saß in einem Stuhle und las die Abendzeitung, indem er dazu eine Cigarre rauchte. Mit der größten Bereitwilligkeit und Liebenswürdigkeit gewährte er meine Bitte und schickte sogleich Boten nach dem durch seine Kühnheit, Kaltblütigkeit und Umsicht bekannten Polizeiagenten Van Boskirk aus.
„Ich bedaure nur,“ bemerkte er hierauf, nachdem er mich zum Sitzen eingeladen, „daß Sie nicht viel Sehenswerthes finden werden. Die schlimmsten Spelunken sind sammt und sonders aufgehoben, unter anderen die Logirhöhlen – mit einem andern Namen kann ich sie nicht gut bezeichnen – des vierten Stadtviertels, förmliche Löcher, in welchen dem, der sie betrat, Schlamm und Wasser bis an die Knöchel gingen. Aufrecht stehen konnten Sie in den wenigsten. In diesen Höhlen wurden des Nachts Stricke ausgespannt, auf welchen für die Besucher Betten zurecht gemacht wurden. Männer und Weiber lagen natürlich bunt durch einander. Der Preis für die Person betrug, wenn ich nicht irre, zwei Cents (achtzig bis zweiundachtzig Cents gleich drei Mark). Diese Löcher sind alle verschwunden, da sich herausstellte, daß sie gemeingefährlich seien und oft Epidemien sich von da über die Stadt verbreiteten.“
Ich fand diese Beschreibung eines Nachtlagers nicht gerade sehr idyllisch und konnte die Frage nicht unterdrücken, wer denn eigentlich die Kostgänger dieser prachtvollen Hôtels gewesen seien.
„Farbiges Volk,“ war die Antwort. „Es ist kaum glaublich, in welcher Unsumme von Unrath und Schmutz sich diese Race wohlfühlt. Höchst selten verliefen sich einige weiße Personen dahin. Außer diesen Höhlen gab es noch eine Anzahl anderer Locale ähnlicher Tendenz, aber wir haben das Geschäft zum größten Theile in die Luft gesprengt.“
Welcher Art dieses Geschäft war, wurde nicht weiter berührt. Da der Polizeiagent noch nicht erschienen war, so machte Capitain Williams den Vorschlag, uns die innere Einrichtung des Hauses zu zeigen, was mein Freund und ich mit großem Danke annahmen. Wir besichtigten den Telegraphen, der mit dem Hauptquartiere in Verbindung steht, den höchst einfach möblirten Wartesaal für die Mannschaften und stiegen nach den Schlafstätten für heimathlose Personen hinauf, die zumeist im Winter stark benutzt werden. Wir traten in einen langen kahlen Raum, in dem sich hölzerne Pritschen befinden. Eine wollene Decke vollendet das Bett. Doch hat das Zimmer bei all’ seinen Mängeln einen großen Vortheil für Obdachlose – es ist geheizt. Und wenn der eiskalte Nordwind durch die Straßen fegt und die Schritte der Passanten beschleunigt, dann sammeln sich jene unglücklichen Geschöpfe schaarenweise vor den Stationshäusern und bitten um Aufnahme. Leider erweisen sich diese Plätze bei großer Kälte meist als zu klein, und mancher muß mit schwerem Herzen, der Verzweiflung nahe, wieder abziehen. Wie sich von selbst versteht, sind die beiden Geschlechter streng geschieden und werden in verschiedenen Räumlichkeiten untergebracht.
Unter diesen primitiven Herbergen öffnete der Capitain eine schwere eiserne Gitterthür, die zu den Gefangenenzellen führte. Dieser Theil des Gebäudes ist von massiven Quadern aufgeführt. In den Wänden sind Nischen, in denen sich eine breite hölzerne Pritsche als Lager für den Gefangenen befindet. Außerdem sind in der Ecke eine Wasserleitung und eine Commodité angebracht. Die Nischen, die so groß sind, daß ein Mann sich zur Noth darin bewegen kann, werden wieder durch schwere eiserne Gitterthüren verschlossen. Obwohl ein kleiner eiserner Ofen in der Mitte des Ganges beständig feurige Gluthen ausspeit, ist doch die Temperatur dieser Zellen feucht und unangenehm. Die gewaltigen Quadern sind mit herabrieselnden Tropfen bedeckt und die ganze Luft ist moderig.
Als wir wieder in den vorderen Saal traten, wartete unser Führer Van Boskirk bereits auf uns. Capitain Williams überlieferte uns demselben, und wir hatten allen Grund, mit ihm zufrieden zu sein. Van Boskirk, ein geborener Amerikaner, ist eine schlanke, geschmeidige Gestalt, etwas über Mittelgröße. Ein wohlgepflegter, schwarzer Schnurrbart giebt seinem Aussehen etwas Kühnes, zu dem auch der durchdringende Blick wohl paßt. Seine Erscheinung ist die eines Mannes, dem man nicht gerne als Feind gegenüber treten möchte. Alles an ihm ist Muskel, Kraft, Gelenkigkeit. Dabei ist sein Auftreten fern von jeder Anmaßung. Im Gegentheil machte sein fast bescheiden zu nennendes Wesen den besten Eindruck. Er trug einen einfachen, doch eleganten schwarzen Anzug, den er jedoch fest zugeknöpft hielt.
Als wir durch die nebligen Straßen dahinwandelten, war meine erste Frage an ihn, ob es ihm nicht mitunter unheimlich sei, so allein durch alle Verbrecherhöhlen zu gehen.
Es war ein feines Lächeln, das für den Augenblick auf seinem Gesichte spielte.
„Es ist dies eine Frage,“ antwortete er, „die mir sehr häufig vorgelegt wird, und sie ist auch wohl natürlich. Ich kann Ihnen indessen die Versicherung geben, daß ich selten das, was man Angst nennt, empfunden habe. Sie werden gewiß in den Blättern gelesen haben, daß ich schon zu verschiedenen Malen in recht heiklichen Lagen war. Wirkliche Furcht erinnere ich mich nur einmal gehabt zu haben, und damals allerdings hätte ich um mein Leben keinen Heller gegeben. Ich glaube, die Geschichte ist interessant genug, um sie Ihnen zu erzählen. Ich wurde im Jahre 1867 einer Fälscherbande nachgeschickt, der wir auf die Spur gekommen waren. Nach langem Forschen entdeckte ich endlich in dem kleinen Städtchen Houston in Texas die zwei Hauptgeschäftsführer der Bande, und es gelang mir, mit denselben in Geschäftsverbindung zu treten. Nach und nach kaufte ich den Hallunken für circa zweitausend Dollars gefälschtes Geld, natürlich auf Staatskosten, ab, wobei ich ihnen fünfzehn Cents für den Dollar bezahlte. Sie sehen, das Geschäft war ein recht einträgliches. Dadurch hatte ich nun die Mittel in die Hand bekommen, die Burschen jeden Augenblick verhaften lassen zu können, aber dies genügte mir nicht. Mein Hauptbestreben war, das ganze Nest aufzuheben, oder doch wenigstens die Platten in meinen Besitz zu bekommen. Lange unterhandelte ich vergebens. Endlich gaben sie nach und versprachen, mich mit sich nach New-Orleans zu nehmen, wo mir die Platten gegen den Preis von fünftausend Dollars ausgehändigt werden sollten.
Wir hatten uns bereits zur Reise fertig gemacht, als plötzlich, wie ich glaube, durch die Unvorsichtigkeit meiner eigenen Leute, die Brüder Wind bekamen.
Ahnungslos kam ich also eines Tages in ihre Wohnung, eine Dachkammer, als der Aeltere die Thür hinter mir zuschloß. Der Andere spielte mit einer Pistole und sagte kaltblütig: ‚Das Spiel ist zu Ende.‘ Gefangen in der eigenen Falle! Das Blut strömte mir heiß in die Schläfe. Es flimmerte mir vor den Augen. Da standen die beiden Schufte mir gegenüber, [368] beide mit Pistolen bewaffnet. Ein Schrei, ein Zeichen meinerseits, und ich war ein Kind des Todes. Zwar wußte ich, daß unten meine Leute auf mich warteten und daß mein Tod augenblicklich gerächt werden würde, aber dies war doch nur ein schlechter Trost. Was thun? Jenen unten ein Zeichen geben, war nicht rathsam und hätte die Katastrophe nur beschleunigt. Ich sammelte also all’ meine Willenskraft und setzte mich, so kaltblütig, wie nur irgend möglich, auf einen Stuhl, fix und fertig mit meinem Schlachtplane. So viele Minuten ich hier brauche, um Ihnen die Sache zu erklären, so viele spielte die Affaire im Ganzen. Alles folgte blitzschnell aufeinander.
‚Schöne Gauner seid Ihr!‘ erwiderte ich spottend. ‚Recht nette Geschäftsleute! Aber ich hätte dergleichen erwarten sollen, als ich mich mit Euch einließ. Jetzt, wo Ihr das Geld aus mir heraushabt, wollt Ihr mich um meinen Gewinnst betrügen. Nun wohl, es sei! Hier habt Ihr Euer Geld zurück!‘ Damit warf ich ihnen den Ballen, den ich stets bei mir in der Tasche hatte, vor die Füße. ‚Seid froh in dem Bewußtsein, mich übertölpelt zu haben!‘
Die Wirkung meiner Worte war eine magische. Verdutzt schauten sich die beiden Spitzbuben an. Ich aber verfolgte rasch den errungenen Vortheil. Entschlossen stand ich auf. Ich sah, ich war gerettet.
‚Oeffnet die Thür jetzt und laßt mich gehen! Ich habe nichts mehr mit Euch zu schaffen,‘ herrschte ich sie barsch und im Tone des gekränkten Biedermannes an.
Jetzt kam die Reihe des Triumphirens an mich.
Dem Gefühle der Verdutzung folgte das der Beschämung, einen dummen Streich gemacht und sich mit ihrem besten Geschäftsfreunde überworfen zu haben.
Fast mit Gewalt drangen sie mir meine falschen Banknoten wieder auf und baten mich um des Himmels willen, ihnen doch zu vergeben. Lange sträubte ich mich, endlich aber gab ich nach, da ich meinen Plan, die Platten zu erhalten, noch nicht durchgeführt hatte. Die Nacht verbrachte ich mit den Burschen, die von nun an blindes Vertrauen in mich setzten, indem wir von einem Spielhause in das andere zogen.“
Van Boskirk wischte sich den Schweiß ab, der ihm bei der Erinnerung an diese Scene auf die Stirn getreten war.
„Nun? Und das Ende?“ fragte ich.
„Das Ende? Wie abgemacht übergaben sie mir in New-Orleans die Platten. Nach dem Reste der Bande zu forschen, hatte ich nach diesem kleinen Erlebnisse aufgegeben. Mein Leben war mir doch zu lieb. Deshalb begnügte ich mich mit den Platten. Ich legte ihnen die bedungene Summe auf den Tisch. Doch ehe sie dieselbe nehmen konnten, trat ich ihnen mit der gespannten Pistole entgegen, während auf meinen schrillen Pfiff meine Leute eindrangen. Es war auch dies nicht ganz gefahrlos, denn der eine hatte schon sein Pistol gezogen, wurde aber schnell entwaffnet. Beide wurden auf vierzehn Jahre eingesperrt.“
„Also“, beendete er seine Erzählung, „es giebt für uns nur eine Regel: ‚Laß Dich nicht verblüffen!‘ Wie man verloren ist, wenn man einer wilden Bestie nur die geringste Furcht im Auge zeigt, wo ein Zittern der Wimper zum Untergange führen kann, so ist es auch in unserem Berufe. Ein wenig moralischer Muth thut viel. Unterdessen stelle ich mich mit den Hallunken auf einen möglichst guten Fuß und – habe stets meinen Revolver in Bereitschaft. Apropos,“ fuhr er fort, „haben die Herren sich mit Revolvern versehen?“
Als wir dies bejahten, entgegnete er, es wäre nicht gerade absolut nöthig, aber gut sei es doch immerhin, wenn man einen „verläßlichen Freund“ bei sich habe.
Unterdessen hatten wir unsere erste Station, Water-Street, erreicht. In derselben, wie in der angrenzenden James-Street und Cherry-Street, befinden sich eine Menge Schifferkneipen, gemeine Spelunken niedrigster Sorte, in denen der Matrose seinen Vergnügungen nachgeht. Wir zählten allein in Water-Street deren gegen dreißig.
Diese Localitäten sind alle nach der Straße zu offen. Eine grüne Jalousie, die jedoch unverschließbar und durch einen leichten Stoß zu öffnen ist, schließt die Blicke der Passanten aus. Aus dem Innern der Räumlichkeiten ertönt eine haarsträubende Musik, meist aus Harfe oder Banjo, Geige und Trompete oder Pickelflöte bestehend. Dazwischen erschallen laute Jauchzer, Schreie und Flüche in allen erdenklichen Sprachen.
Wir waren eben im Begriff, in eine dieser Localitäten zu treten, als dieselbe von innen mit großer Gewalt geöffnet wurde und ein englischer Matrose mit fabelhafter Geschwindigkeit hervorstürzte. Augenscheinlich war er durch einen wohlgezielten Tritt auf den Schwerpunkt seines Rückens so telegraphisch schnell befördert worden, daß er unserem Polizeiagenten mit seinem Kopfe, wie eine wohlgezielte Bombe, gerade vor den Bauch fuhr und diesen um ein Haar umgerannt hätte. Von unsichtbarer Macht dem Matrosen nachgeschleudert, kam der Hut hinterdrein geflogen. Mit ein paar freundlichst in der Eile ausgetauschten Flüchen trennten sich die beiden in einander gerannten Fahrzeuge wieder, und wir segelten in das feindliche Lager, indem unser Begleiter sich noch immer den Magen rieb.
Niemals hatte das königliche Theater von St. James in London eine so glänzende Gemeinde in seinen Räumen versammelt gesehen, als am 2. Juni 1852. Die Königin Victoria war anwesend mit ihrem Gemahle, dem Prinzen Albert, und mit der Herzogin von Kent. Rings um sie reihten sich die Spitzen der britischen Aristokratie, schwere, alte Namen, wunderbare Titel und Würden, daneben reizende Frauen, Alles in festlichen Kleidern, ein glänzend bunter Anblick. Aber nicht blos Hoheit und Rang der Lebensstellung fesselten die Augen der Kundigen, auch die Aristokratie des Geistes und der Kunst war repräsentirt in ihren hervorragendsten Vertretern. In den „Private boxex“ des „Pit Tier“ saßen neben einander Chevalier Bunsen und Lord Egerton Ellesmere, Macaulay und Carlyle, Julius Benedict und Staudigl, Charles Dickens und Thackeray, am zahlreichsten aber waren zu schauen die Jünger der dramatischen Kunst, welche reservirte Sitze im „Dress Circle“ einnahmen. Die berühmtesten englischen Schauspieler hatten sich ein Stelldichein gegeben: M. Ch. Young, der beste seit den Tagen John Kemble’s, Ch. Kean, Miß Helen Faucit, die bedeutendste Trägerin der Rolle der Ophelia, Ch. Kemble, Mrs. Martin, Miß Fanny Kemble, Sartoris, Mrs. Martin, Bartley, der große Polonius, Mr. und Mrs. Cooke, Mr. und Miß Walter Lacy, Addison, Anderson u. A. mehr. Frankreich war vertreten durch Levassor, die Rose-Cheri, Numa, die St. Georges, Lafont etc., Deutschland durch Johanna Wagner, die Pianistin Wilhelmine Clauß – kurz, es war hier ein Parterre von Königen und Königinnen der Kunst versammelt. Der Vorhang rauschte in die Höhe: die Muse trat vor, im Gewande der Germania, den Eichenkranz im gelösten Blondhaar – und – zum ersten Male auf einer britischen Bühne – deutsche Laute schlugen tönend, Vielen fremd, an das Ohr der Zuhörer. Der Prolog begrüßte weihevoll Alt-England, seine kunstsinnige Herrscherfamilie und das stammverwandte Volk. Dann drückte der Sprecher des Prologs einen Lorbeerkranz auf Meister William’s Haupt, dessen Büste zwischen denen Goethe’s und Schiller’s die Bühne zierte. Das „God save the Queen“ fiel rauschend ein, und darauf leitete Beethoven’s wunderbare Ouvertüre das eigentliche Spiel des Abends ein. Man gab den „Egmont“, die erste Darstellung des Gastspiels deutscher Bühnenkünstler in Großbritannien. Der Erfolg war ein ungeheurer, das Publicum enthusiasmirt bis zur Raserei; es regnete Kränze und Bouquets; die Hervorrufe bei offener Scene wollten kein Ende nehmen. Am andern Tage waren alle Zeitungen voll von den Leistungen der Gäste. Die „German plays“ waren das Ereigniß des Tages geworden; die deutsche Kunst hatte einen der größten Triumphe gefeiert.
Sie hatte damit zurückzuzahlen begonnen, was sie vor nahezu zwei Jahrhunderten empfangen. Englische Komödianten waren es bekanntlich gewesen, welche in der Mitte des siebenzehnten Jahrhunderts in Holland und Deutschland das Schauspielwesen zuerst [369] zünftig gemacht, die Beschäftigung damit zu einem besonderen Stande erhoben hatten. Früher wurde das Volksschauspiel nur von Liebhabern gepflegt, welche oft Schurzfell und Pechdraht zur Seite warfen, um sich den Cothurn unter die Füße zu schnallen, genau wie es uns Shakespeare in der Rüpelkomödie seines Sommernachtstraumes so drastisch ergötzlich vor Augen geführt hat. Er selber, der damals fast unbekannte Schwan vom Avon, soll mit einer englischen Bande in Deutschland Gastrollen gegeben haben, doch ist dies wohl nichts weiter, als unverbürgte Sage. Ueber den Canal sind aber vor 1852 niemals deutsche Schauspieler gekommen, um ihrer Muttersprache und deren dramatischen Meisterwerken im Lande Shakespeare’s Geltung zu verschaffen. Daher war das erste deutsche Theater in London, wie Eduard Devrient in seiner Geschichte der deutschen Schauspielkunst mit Recht sagt, ein Vorgang, ehrenvoll und denkwürdig für die deutsche Kunst.
Die Idee zu der Unternehmung war ausgegangen von Dr. Heinrich Künzel, Professor der Geschichte, Literatur und Aesthetik am Polytechnicum zu Darmstadt. Es möge vergönnt sein, diesem bedeutenden Manne, dessen Name Tausenden wohl bekannt und auch den Lesern dieses Blattes nicht fremd ist, hier einen bescheidenen Denkstein der Erinnerung zu setzen. Er verdient ihn, wie Wenige. Denn wenn ein rastlos im Dienste der Menschheit hingeopfertes, reich begabtes, für alles Gute und Hohe begeistertes Leben dazu berechtigen kann, im Angedenken der Nachwelt zu leben, so darf sein Name nicht vergessen werden. Heinrich Künzel, geboren am 26. December 1810, war der Sohn schlichter, wohlhabender Bürgersleute, welche, ihre Zeit verstehend, Alles daran wandten, ihren Kindern eine vorzügliche Erziehung angedeihen zu lassen. Nachdem er das Gymnasium mit hohen Ehren absolvirt – er ist namentlich schon als junger Mann ein Meister in Handhabung der Sprachen, alter und neuer, insbesondere auch der deutschen, gewesen – widmete er sich anfänglich dem Studium der Medicin, war aber zu sensitiven Gemüths, um lange dabei auszuhalten, weshalb er zu demjenigen der Theologie und Philosophie überging mit der Absicht, sich später ganz dem Lehrfache zu widmen. Er studirte in Gießen und Heidelberg 1829 bis 1832; in letzterer Stadt erfreute er sich des regen Umganges mit Gervinus, Schlosser und Paulus. Nachdem er promovirt, trat er als Accessist ein bei der berühmten Hofbibliothek in Darmstadt, welche unter der Leitung seines Freundes und Gönners, Geheimraths Feder, eines seinerzeit bekannten Philosophen und Schriftstellers, stand. Die trockene Wühlarbeit im Bücherstaube würzte er durch gründliche Musikstudien unter dem alten Cantor Rinck, dem großen Organisten aus der Schule des Abts Vogler, und der beiden Weber, welche seinerzeit das kleine Darmstadt zu einer Heimstätte der Tonkunst gemacht hatten. Die leidigen Bibliotheksarbeiten sagten dem strebsamen Geiste des jungen Mannes übrigens nicht lange zu; er gab seine Stelle nach Jahresfrist auf und wandte sich nach Paris. Hier trat er in Beziehung zu allen hervorragenden Geistern der Zeit, insbesondere schloß er sich an die beiden Brüder Grafen Escudier, mit welchen zusammen er ein
Musikjournal gründete; gleichzeitig ward er Mitarbeiter am „Constitutionnel“ und an der „Revue des deux Mondes“.
In diese Zeit fällt auch seine Bekanntschaft mit Anton Grafen Auersperg (Anastasius Grün), der ihm zeitlebens ein werther Freund geblieben ist, auch mit Heine, Börne, Constant, Hugo, Musset, Nodier etc. verkehrte er viel. Von großem Einflusse auf sein künftiges Leben waren die freundschaftlichen Beziehungen, in welche er zu Bunsen und dessen Familie trat; sie riefen ihn nach Großbritannien, welches von nun ab das Land seiner Vorliebe blieb. Er wurde mit den bedeutendsten Persönlichkeiten daselbst genau bekannt und bewegte sich in den höchsten Kreisen.
Mit Sir Robert Peel, Macaulay, Lord Brougham, Carlyle, Landseer, Benedict und Anderen stand er fortwährend in dem regsten Verkehre. In dem Bunsen’schen Cirkel lernte er fast Alles kennen, was England an Größen der Wissenschaft und Kunst besaß. Er wurde zum Local Secretary der Camden-Society ernannt, und ihm manche andere schöne Aussicht eröffnet, da zog ihn plötzlich ein Ruf in die Heimath, nach Frankfurt, wo er die Redaction des „Phönix“ übernahm. Er führte sie jedoch nur ein Jahr lang, dann eilte er wieder über den Canal, warm empfangen von zahlreichen Freunden, welche ihn nunmehr für immer zu fesseln gedachten. Auf Veranlassung Bunsen’s ersah ihn der Herzog von Sutherland, einer der reichsten und angesehensten britischen Peers, zum Erzieher seines Sohnes, des Marquis of Stafford, unter wahrhaft glänzenden Bedingungen, unter Anderem der Zusage einer Pfarrpfründe von achthundert Pfund Sterling nach Ablauf von vier Jahren. Allein in Künzel erwachte mit Allgewalt die Liebe zur deutschen Heimath. Er schlug das lockende Anerbieten zu Gunsten von Ritter Bunsen’s ältestem Sohne aus und ward Lehrer am Gymnasium zu Worms mit dem überbescheidenen Gehalt von siebenhundert Gulden, bald darauf Professor der Geschichte, der deutschen und englischen Literatur an dem Polytechnicum in Darmstadt. Gleichzeitig wurde er zum Lehrer der Prinzessin Marie von Hessen, der jetzigen Kaiserin von Rußland, ernannt, welcher er mehrere Jahre hindurch Unterricht im Englischen und in den schönen Wissenschaften ertheilte, bis zu ihrer Verlobung mit dem Großfürsten Alexander. Bei angestrengter Berufsthätigkeit – denn für achthundert Gulden verlangt man dort schon etwas! – gab Künzel doch seine Beziehungen nach außen nicht auf, sondern unterhielt den regsten literarischen Verkehr. Er schrieb in fast alle bedeutenderen Zeitschriften des In- und Auslandes, ebenso war er bei jeder gemeinnützigen Angelegenheit des öffentlichen Lebens immer an der Spitze, der Erste mit Rath und That – aber der Letzte, wenn es galt einen Lohn oder eine Auszeichnung einzuheimsen. Diese hat er immer den Armen im Geiste überlassen. Ihm galt es um die Sache, nicht um blinkenden und klingenden Dank. Wie übrigens der letztere in jenen Zeiten aufgefaßt wurde, geht aus einem uns vorliegenden Decrete hervor, mit welchem das hessische Oberconsistorium für jahrelange, vielfache Bemühungen als Dolmetsch des Englischen ihm, dem Professor, dem Manne der Wissenschaft, die hervorragende [370] Gehaltserhöhung von fünfundzwanzig, sage fünfundzwanzig Gulden verlieh.
Seit dem Jahre 1845 war Künzel besonders thätig für das Auswanderungswesen; er agitirte mit aller Energie des ehrlichen Mannes gegen den sogenannten Adelsverein, der bekanntlich von Texas aus Amerika zur Monarchie überzuführen gedachte, und gründete im Verein mit Dr. Stricker in Frankfurt die Zeitung „Der deutsche Auswanderer“, welche fünf Jahre lang erschien und viel Gutes gestiftet hat. Damals stand Künzel auch in engerem Verkehre mit dem alten Gagern in Hornau, von dem sich hochinteressante Schriftstücke in seinem Nachlasse vorfinden. Inzwischen war er mehrere Male wieder nach Frankreich und England gereist; in London trat er in Verbindung mit dem unternehmenden Buchhändler John Mitchell, der eben im Begriff war, eine französische Künstlergesellschaft auf die Bühne von St. James zu bringen, und welcher Künzel’s Idee, ein deutsches Musterschauspiel in England einzuführen, mit Feuereifer aufgriff. So kam eines der für die deutsche Kunst ehrenvollsten Unternehmen zu Stande.
Welche Sorgen, Mühen, Plagen aber die Zusammenbringung eines solchen erfordert, kann nur Derjenige ermessen, der sich jemals mit Aehnlichem befaßt hat. Künzel hatte die gesammte artistische Leitung übernommen, die Engagements zu besorgen, die Auswahl des Repertoires zu treffen, die Theaterzettel zu verfassen wie den Prolog – kurz, er mußte Alles in Allem sein. Seiner fieberhaften Thätigkeit, seinem gereiften Kunsturtheile und dem Einflusse seiner allen Interessenten diesseits und jenseits sympathischen Persönlichkeit gelang das scheinbar Unmögliche. Das deutsche Schauspiel in London ward zum Ereigniß; es gelang glänzend in jeder Richtung. Emil Devrient war die bedeutendste unter den gewonnenen Kräften, der Hauptträger des Erfolges; neben ihm wirkten hervorragend Grans, Kühn, Lehfeld, Wisthaler, Denk, Birnstill, von Frauen Lina Schäfer, Frau Stolte, Fräuleins Eppert und Stromeyer. Der berühmte Maschinist Brandt vom Darmstädter Hoftheater leitete die Scenerie; als Musikdirector war A. Thomas engagirt. Vom 2. bis 30. Juni 1852 brachte die Gesellschaft an vierzehn Abenden die folgenden Dramen zur Darstellung: „Egmont“ (zweimal), „Don Carlos“, „Kabale und Liebe“ (zweimal), „Der arme Poet“, „Humoristische Studien“, „Der gerade Weg der beste“, „Der Majoratserbe“, „Die Eifersüchtigen“, „Hamlet“ (zweimal), „Emilia Galotti“, „Faust“ (zweimal), „Die Räuber“, dann in einer Matinée „Das Sololustspiel“ und „Einer muß heirathen“, endlich das dramatisirte „Lied von der Glocke“ (zweimal). Mit jeder Vorstellung stieg der Enthusiasmus des Publicums. Dieses treffliche Zusammenspiel, in dem auch die schwächere Kraft ihren Platz mit voller Wirkung ausfüllte, dieses Maßhalten im Affect ohne Einbuße der Wärme, diese Schönheit der Sprache und der Bewegungen waren den Briten völlig neu. Prinz Albert hatte (in einem uns vorliegenden Briefe) davor gewarnt, Schillers „Maria Stuart“ zu bringen: die ganze Auffassung sei anti-englisch, das Kirchliche, wenn auch versteckt, ein Gräuel. Ebenso rieth er dringend davon ab, Stücke Shakespeare’s in deutscher Sprache auf die Londoner Bühne zu bringen, er sei überzeugt, daß ein solcher Versuch verunglücken müsse. Nun, es wurde gewagt, und „Hamlet“ hat unter allen Stücken, nächst „Faust“, den glänzendsten Erfolg gehabt, worüber sich Niemand mehr freute, als der Prinz-Gemahl selber. Die Briten bewunderten nebenbei die Treue und Schmiegsamkeit der Schlegel’schen Uebersetzung, welche fast alle Zuhörer vor sich hatten; die strenge „Times“ selber ließ sich zu dem Ausspruche herbei: „Die Deutschen sind das einzige Volk, welches übersetzen kann.“
Der Earl of Ellesmere, dessen Kunsturtheil damals als das erste in England galt, schrieb nach der Aufführung gleich in der Nacht an Bunsen (der Brief liegt ebenfalls vor uns): „Ich bewahre eine treue, unauslöschliche Erinnerung an John Kemble, Young und den ältern Kean in der Rolle des Hamlet, ebenso habe ich Talma darin gesehen, der, trotz der schlechten Uebersetzung von Dulis, darin seine großen Momente hatte. Ohne Bedenken stelle ich aber Emil Devrient über Alle. Er bringt die feinsten Spitzen des Charakters und der Situation mit einer Bravour zur Geltung, daß sich Shakespeare selber – dessen Geist heute zweifellos unter uns weilte – zum höchsten Beifall hingerissen gefühlt hätte, mit gleicher Vollkommenheit giebt er aber auch die ruhigeren, empfindungsvollen Stellen wieder. Die Monologe lassen absolut nichts zu wünschen übrig, weder von Seiten des Schauspielers noch des Uebersetzers. Die Belehrung der im Stücke auftretenden Mimen war gleichfalls ganz vollkommen, und um per saltum auf die übrigen Mitwirkenden zu kommen, so sage ich nicht zu viel mit der Behauptung, daß ich niemals die nebensächlichen Rollen so gut dargestellt gesehen habe; bei uns werden dieselben stets auch nebensächlich behandelt. Sie haben alle Ursache, stolz auf Ihr vaterländisches Theater zu sein, dem sich in Bezug auf höchste Kunstentwickelung kein anderes vergleichen kann, weder in London noch in Paris, obgleich letzteres die Rachel hat. Ich habe jene Zuhörer wahrhaft beneidet, welchen die schönen Klänge der deutschen Sprache geläufiger waren als mir, doch selbst trotz dieses fühlbaren Mangels haben die empfangenen Eindrücke mir wieder die Erinnerung an die besten Tage der englischen Bühne auf das Lebhafteste erweckt. Egerton Ellesmere, 18 Belgrave Square, 17. Juni 1852.“
Man hätte glauben sollen, der außerordentliche Erfolg, den das deutsche Theater in London erzielte, habe auch seinem Gründer und Leiter nur Anerkennung gebracht. Dem war aber nicht so. Kaum zurückgekehrt, wurde Dr. Künzel von seiner vorgesetzten Behörde darüber zur Verantwortung gezogen, daß er es gewagt, ohne gnädige Erlaubniß der großherzoglich hessischen Oberstudiendirection während seiner Ferienzeit ein Pionnier der deutschen Kunst zu sein. Zwar vermochte man seiner dem verbohrten Zopfthum gegenüber glänzend ironischen Rechtfertigung nichts anzuhaben, allein man versagte ihm kurzweg im nächsten Jahre den Urlaub, und ein Anderer mußte die Leitung der zweiten Saison des deutschen Schauspiels in London 1853 übernehmen. Obgleich diesmal noch bessere Kräfte engagirt waren, neben Emil Devrient Dessoir, Gabillon, Fräulein Fuhr, und der Enthusiasmus des britischen Publicums ebenso groß war, wie im Jahre vorher, kam doch kein rechter Zug in dieses zweite Gastspiel; innere Zerwürfnisse brachen aus, und somit wurde die Idee der permanenten Einführung der deutschen Schaubühne in London wiederum begraben. „Die Seele fehlte!“ hatte John Mitchell geschrieben – vielleicht hat er dabei an die hochpreisliche Oberstudienbehörde in Abdera gedacht. Es ist noch zu bemerken, daß Künzel sich früher selbst dramatisch mit Erfolg versucht hat; sein Festspiel „Elisabeth“ erwarb ihm schon 1836 die goldene Medaille vom Könige von Preußen; ein anderes, „Mozart“, kam zur wiederholten Ausführung.
Von nun an lebte Dr. Künzel vorzugsweise den Wissenschaften und einer außerordentlich regen gemeinnützigen Thätigkeit. Seine Schriften sind sehr zahlreich; er veröffentlichte vorzügliche Uebersetzungen von Benjamin Constant’s „Adolph“, Cooper’s „Geschichte der amerikanischen Marine“, Sheridan’s Lustspiel „die Liebesjagd“, Wellstedt’s „Reisen nach der Stadt der Khalifen“, Charles Lamb’s „Shakespeare-Erzählungen“, Sir Robert Peel’s „Leben und Reden“ (dem Ritter von Bunsen zugeeignet). An selbstständigen Werken gab er heraus eine „Geschichte von Hessen“, ein ebenso originales als höchst interessantes Werk, und das für die Geschichte des spanischen Erbfolgekriegs hochwichtige „Leben und Briefwechsel des Landgrafen Georg von Hessen, des Eroberers und Vertheidigers von Gibraltar“. Für das Letztere erhielt er die einzige Auszeichnung, welche ihm jemals für seine großen Verdienste wurde, den ebenso unfruchtbaren wie billigen Titel „Hofrath“. Schon 1837 war Künzel dem Freimaurerorden beigetreten, in welchem er eine weit über die engeren Grenzen seiner Heimath hinausreichende Wirksamkeit entfaltete; abgesehen von einem größeren Werke über das Freimaurerwesen, hat er dasselbe in zahlreichen Abhandlungen und Aufsätzen von jeder Seite beleuchtet und gefördert. Sein großes Talent ließ ihn auch in diesen Kreisen bald zum Mittelpunkte werden; längere Jahre hindurch war er Meister vom Stuhle, und seine Reformbestrebungen stehen bei den „Brüdern“ in gutem Andenken. Auch als Dichter hat Künzel viel Schönes geleistet. Er ließ sich nicht leicht eine Gelegenheit entgehen, sein Votum in gebundener Rede hinausfliegen zu lassen; besonders waren es Zeitereignisse, welche ihn zu zündenden Strophen begeisterten, denn er war ein deutscher Patriot im besten Wortsinn, ein freisinniger Ehrenmann, abhold allem Unwahren und Unedlen. Leider hat ihn seine große Anhänglichkeit an die engere Heimath [371] auch einem Localpatriotisinus in die Arme getrieben, dem er seine beste Lebenskraft gewidmet hat ohne Dank und Entgelt.
Seit dem Jahre 1854 war Dr. Heinrich Künzel überaus glücklich verheirathet mit Elise Hamm. Seine Professur am Polytechnicum nahm ihn zwar, besonders im Verhältnisse zu dem damit verbundenen Gehalte, sehr in Anspruch, ließ ihm aber, bei seiner rastlosen Benutzung jeder Stunde, immer noch Zeit zu einer reichen literarischen Thätigkeit. Die hervorragendsten periodischen Organe, wie „Gartenlaube“, „Unsere Zeit“, „Ueber Land und Meer“, „Allgemeine Zeitung“, „Neue freie Presse“ etc. enthalten treffliche, öfters mit vieler Entschiedenheit den Nagel auf den Kopf treffende Aufsätze von ihm. Er hatte schon im Jahre 1839 Vorlesungen über Literatur eröffnet, später einen Cyclus über englische Sprache abgehalten, natürlich Alles ohne Anspruch auf irgend eine Gegenleistung; ebenso verdankt seine Vaterstadt ihm die dauernde Einführung eines Systems wissenschaftlicher Vorträge, seit 1866. Allen möglichen Vereinen hat er angehört; wo es galt, der Humanität eine neue Stätte zu gründen, das Schöne oder Gute aus dem Schmutze des Alltagslebens hervorzuziehen in’s Licht, da war er stets einer der Ersten, Thätigsten, Opferwilligsten. Er gründete unter Anderem den Frauenverein „Charitas“, welcher in der Stille viel des Guten wirkt; sein letztes Werk war die Bildung des Thierschutzvereins für das Großherzogthum Hessen.
Heinrich Künzel war ein wahrhaft edler Mensch, von Allen benutzt, von Vielen verkannt, von Wenigen so ganz gekannt, wie seine volle, reiche Seele es verdiente. Tausende leben heute noch, die „seiner Sitten Freundlichkeit erfahren“. Hunderten hat er geholfen; sie auf den rechten Weg gebracht mit Rath und That; zahlreiche Schüler verehren in ihm den humanen Lehrer, der es verstanden hat, die trockene Materie zu durchgeistigen und Liebe in die Herzen der Jugend zu pflanzen; groß war der Kreis seiner Freunde und Bekannten in aller Welt. Die Nachricht von seinem plötzlichen Tode im besten Mannesalter hat daher Viele erschüttert. Der völlig gesunde und kräftig heitere Mann befand sich in einer heiteren Abendgesellschaft, in welcher er stets ein gerngesehener, belebender Gast war. Plötzlich brach er zusammen und war todt. Es geschah dies am 11. November 1873. Ihm ist der Heimgang leicht geworden, schwer aber lastet sein Scheiden auf Denen, die heute noch das Dasein ohne ihn kaum für möglich halten. Möge der bescheidene Gedächtnißzweig, den ich hiermit auf das Grab des braven Mannes lege, der mir näher stand als jeder Andere im Leben, dazu beitragen, bei den Vielen, die ihn gekannt und geliebt, die Erinnerung an ihn wach zu halten. Er hätte wohl ein anderes biographisches Denkmal verdient. Hier, in dem Blatte, das ihm vor Anderen werth gewesen, sei Heinrich Künzel’s vorzugsweise gedacht als eines Pionniers der deutschen Kunst.
Wir haben in einer neulichen Besprechung der modernen kunstgewerblichen Bestrebungen gesehen, in welchem schwierigen Verhältniß die Kunst und die Mode zu einander stehen, wie schwer es ist, bei der Forderung einer künstlerischen Ausschmückung unseres Hauses überall den praktischen Bedenken und den zufälligen Strömungen des Geschmackes Rechnung zu tragen. Es kommt darauf an, im Einzelnen zu beweisen, wie das Handwerk sich aus der allgemeinen Verwirrung, welche auf diesem Gebiete jetzt herrscht, zurechtfinden und zu künstlerischen und zugleich brauchbaren Formen der Geräthschaften gelangen kann.
Wir möchten den Kreis dieser Betrachtung mit dem Goldschmucke eröffnen, nicht etwa, weil er das wichtigste Lebenselement unseres Gebrauches oder unseres Gewerbes wäre, sondern weil wir hier doch unzweifelhaft es mit Stücken zu thun haben, bei welchen der reine Gebrauchswerth ganz in den Hintergrund tritt gegen die künstlerische Form, welche wir diesen Stücken zu geben haben. Bei der Wahl des Kleides, der Tapete, der Möbel mögen schließlich praktische Erwägungen so überwiegen, daß man selbst gegen sein besseres Gefühl die Rücksichten der Schönheit opfert. Es sollte so nicht sein, aber es ist doch entschuldbar. Bei der Auswahl eines Schmuckgegenstandes dagegen wird man sich der Verpflichtung nicht entziehen können, etwas wirklich Schönes und Geschmackvolles zu wählen. Sollte man es glauben, daß auch auf diesem Gebiete die ärgste Verwilderung herrscht, daß rohes Prunken mit dem Material an die Stelle der künstlerischen Durchbildung tritt?
Es ist in den letzten Jahren an manchen Stellen eine Wendung zum Besseren unverkennbar eingetreten, aber die große Mehrzahl, besonders der deutschen Erzeugnisse, bewegt sich noch völlig in der Verwahrlosung der letzten Jahrzehnte. Wenn man an unsere Schaufenster tritt, so ist bei den meisten der erste Eindruck der, daß mit der Masse des Goldes und der Steine geprahlt werden soll. Große unförmliche Stücke matten oder blanken Goldes, auf demselben ohne jede künstlerische Vermittlung möglichst kostspielige Steine in geistloser Anhäufung, das scheint das Vornehmste sein zu sollen. Schlimm genug, wenn der Begriff des Kostspieligen an Stelle des künstlerisch Werthvollen tritt! Das ist der Zustand der schnöden Barbarei, in welcher die Germanen vor zweitausend Jahren die kostbaren antiken Goldgeräthe einschmolzen, um sich fingerdicke Goldringe daraus zu schmieden, nach deren Gewicht und Anzahl sie den Glanz des Anzuges beurtheilten. Trotzdem war man in unserem Jahrhunderte so weit gekommen, daß man gelegentlich einen derartigen ganz glatten Reifen, der doch wenigstens keine Verzerrungen enthielt, anderen Arbeiten vorziehen mußte, welche in gräulicher Verwilderung aller Ornamente jedem gebildeten Geschmacke Hohn sprachen.
Das Hauptunheil hat hier, wie auf vielen anderen Gebieten, die Maschine angerichtet. Man wollte billige Dutzendarbeit, hatte deshalb aufgehört, mit feiner Ciselirung und Löthung das Gold zu bearbeiten, und begnügte sich damit, die Stücke massenhaft aus eisernen Stempeln zu pressen. Hierin lag der Hauptfehler. Der hohe Werth und die schmiegsame Bildsamkeit des Goldes verlangen gebieterisch, daß man dieselben zu ihrem Rechte kommen läßt. Erst in der zierlichsten, liebevollen Ausarbeitung wird man den edlen Charakter des Materials erkennen. Selbst barocke und wunderlich phantastische Formen können hierdurch ihren Werth erhalten.
An Stelle der zierlich aufgelegten Blätter und Blüthen, der fein verschlungenen Schnörkel treten in der Arbeit des Stempels flache verweichlichte Formen. Mit dieser bloßen Verschlechterung konnte man sich aber nicht lange begnügen. Man verlangte nach neuen Ideen. Um das Goldschmiedehandwerk neu zu beleben, suchte man statt in gesunder Ueberlegung und tüchtigen Arbeitern sein Heil in wunderlichen Einfällen. An Stelle geistvoller, auf die Form basirter Erfindung traten lächerliche Auswüchse einer rohen Phantasie. Das ist die Zeit, in welcher ein Lederriemen als passendes Vorbild für Goldarbeit erschien. Die rohe eiserne Schnalle, die eingebohrten Stiche des Saumes, die glatte wulstige Form mit scharf abgeschnittenen Kanten, welche bei einem Kofferriemen ganz natürlich ist, sollte nun auf einmal das Vorbild für die Arbeit im edelsten Metalle werden. An Stelle des zierlich geschlungenen Reifen und der zart verknüpften Bänder, an Stelle der fein gegliederten Ketten und anmuthigen Schlangenbildungen, mit welchen sonst der Arm einer schönen Frau geschmückt wurde, trat jetzt ein solcher Riemen aus Gold. Beim Armbande kann man die Verirrung noch begreifen. Das gemeinsame Motiv des Umschlingens mag den Anlaß gegeben haben – aber was hat der Lederriemen, an einem Kettchen hängend, am Ohre zu thun? Wie kommt er dazu, flach gelegt, ein Medaillon bilden zu sollen?
Mit dem Lederriemen zugleich erhielten wir die holde Schöpfung des Vorlegeschlosses als Broche und Ohrring. Auf seidenen Kleidern und zart durchbrochenen Spitzen, zwischen blonden eigenen oder gekauften Locken durften sich diese Vorlegeschlösser schaukeln, deren Form so roh war, wie frühere Jahrhunderte [372] sie selbst am eisernen Schlosse nicht gekannt und wie nur die moderne Maschine bei tausendfacher Wiederholung sie herzustellen pflegt. Ein ebenbürtiger Genosse dieser Vorlegeschlösser sind die Hufeisen in der Größe von einem Groschen bis zu einem Thaler; Jockeymützen, Reitgerten und Sattelzeug als Ohrring schließen sich demselben würdig an.
Hierbei sei, für die deutschen Frauen wenigstens, bemerkt: dieser Jockeyschmuck stammt, wie so vieles andere Gute und Schlechte, aus Frankreich. In Paris ist es üblich, daß die Damen für besondere Gelegenheiten sich Phantasietoiletten erdenken: bei Kahnfahrten erscheinen sie in einer Art von phantastischem Matrosencostüm, bei Jagdgelegenheiten wird der Anzug mit der Darstellung von Jagdgeräthschaften geschmückt und bei den großen Pferderennen, bei denen Alt und Jung hinausströmt, die der Sammelplatz der ganzen und halben Welt sind, mögen denn auch als Phantasiestücke und Abzeichen der Huld, in welcher die edle Renngesellschaft bei den Damen steht, derartige Schaustücke getragen werden. Das ist ein halb scherzhaftes Vorgehen, dem Niemand seine Berechtigung absprechen wird, aber wenn die Französinnen wüßten, daß man diese Eintagsfliegen der Mode in Gold und edlen Steinen nachahmt und mit einem derartigen Schmucke in Theatern und Concerten, auf Promenaden und schließlich bei soliden Hochzeiten und Kindtaufen erscheint, so würden gerade sie, welche die Formen erfunden haben, die Ersten sein, welche uns über deren geschmacklose Anwendung verhöhnten.
Andere von den modernen Schmucksachen erscheinen ehrbarer. Dahin gehören die Armbänder in Manschettenform. Diese Idee, thöricht an sich, wird nun sofort in allen Consequenzen ausgebeutet. Die ursprüngliche Form der Manschette entsteht aus der Natur ihres Materials, welches aus Leinewand und Spitzen besteht; sie hat nur Sinn als Ueberschlag des Hemdärmels und muß ihrem Stoffe nach als zugehörig zu demselben erscheinen können. Nun aber trägt man die Manschette am bloßen Arme und noch dazu von Gold! In dem Golde ahmt man womöglich die Stiche und Nähte nach; durch Knöpfe und Knopflöcher soll Alles zugeknöpft erscheinen, was sich doch auf den ersten Blick als feste, unbewegliche Masse kennzeichnet. Schließlich vergißt man dann wieder, daß man eine Manschette nachahmt und setzt mitten hinein schwere Steine oder legt auch einen Balken quer darüber, der wiederum mit Steinen besetzt ist. Dieser Querbalken spielt überhaupt eine verhängnißvolle Rolle und legt sich ebenso rücksichtslos über Ohrgehänge, Halsschmucksachen und Medaillons. Daß man sich eine Spinne von bunten Steinen durch das Haar laufen läßt, daß eine Brustnadel wie ein Schwefelholz oder wie ein vierköpfiger Hufnagel aussieht, der durch die seidene Binde hindurchgetrieben ist, darüber wundert man sich schon gar nicht mehr, sondern begrüßt es womöglich als eine hübsche neue Idee.
Was konnte uns nun aus dieser Verwilderung retten? Man wies auf die classischen Vorbilder hin, und bald fand sich eine Reihe von Musterzeichnern und Fabrikanten, welche dieselben benutzten. Zuerst geschah dies ziemlich plump. Man nahm einzelne Ornamentformen heraus, Palmetten, Greifenköpfe, Sphinxe, die heiligen Käfer der Aegypter, die Scarabäen, und brachte dieselben ebenso zusammenhangslos auf den Reifen, Brochen und Ohrringen an, wie man es vorher mit den Jockeymützen und bunten Steinen gethan. Damit ist aber der Sache noch nicht geholfen. Nicht auf die Einzelheiten der griechischen oder ägyptischen oder sonst einer guten, als Vorbild empfehlenswerthen Kunstperiode kommt es an, sondern auf den Geist, in welchem jene alten Arbeiten erfunden sind. Verstehen muß man lernen, was an denselben Gutes ist, und diese guten Eigenschaften in geeigneter Weise für unsere modernen Zwecke benutzen. Nirgends ist dies leichter als auf dem Gebiete der Goldschmiedekunst. Die äußerlichen Bedingungen sind seit der Zeit der Griechen wesentlich dieselben geblieben. Arm und Nacken unserer Frauen rundet sich in denselben Formen wie der jener Griechinnen, für welche die köstlichen Arbeiten ersonnen sind, die jetzt als edelste Vorbilder unsere Sammlungen zieren. Durch die lebendigen Locken der blonden Scheitel unserer Frauen läßt dasselbe Diadem sich flechten, dessen zerfallene Reste wir aus einem Grabe erhoben haben, einem Grabe, dessen Decke sich vor zweitausend Jahren über dem Antlitz einer Griechin geschlossen hat. Jene goldene Spange, die Jahrtausende im Grabe nordischer Hünen geruht, kann unverändert den Arm der letzten Enkeltochter schmücken.
Die Reform unseres Goldschmuckes ist davon ausgegangen, daß man unverändert die griechischen Vorbilder copirte. Castellani in Rom gebührt hierin das hauptsächlichste Verdienst. Er ist es, der die Arbeiter wieder herangezogen hat, und wunderbarer Weise hatten sich in den kleinen italienischen Felsennestern, an welchen die Cultur des letzten Jahrtausends fast spurlos vorübergegangen war, die Traditionen der alten Goldschmiedekunst erhalten, welche sonst in der ganzen Welt erstorben war. Aus Italien bekamen wir diese trefflich gelungenen Nachbildungen endlich wieder, jene Urtypen des menschlichen Schmuckes, welche seitdem eine heilsame Umwälzung zum Besseren angebahnt haben.
Und was ist es denn, wodurch diese griechischen Arbeiten so mustergültig werden? Es sind wie auf allen Gebieten des Lebens und der Kunst Einfachheit, guter Verstand und gerader rechter Sinn. Jedes Schmuckstück ist nur das, was es sein soll, und nichts anderes. Das hört sich so einfach an und scheint doch so schwer zu begreifen. Man sucht keine Absonderlichkeiten, sondern nimmt die Formen, die sich von selbst ergeben. Das Stirnband, wenn es durch die Haare geschlungen werden soll, ist ein glatter Streifen, von seinen Rändern eingefaßt, der mit werthvollen Stücken besetzt ist, die einfach neben einander gereiht sind, mögen dies Steine, Perlen oder sonstige Kostbarkeiten sein, aber es ist dafür gesorgt, daß die einzelnen Stücke im Zusammenhange ein fortlaufendes Band bilden. Soll dieses Stirnband nicht von den Haarflechten halb überdeckt sein sondern sich frei über der Stirn erheben, so wird es zum Diadem, das nach oben ausstrahlend das menschliche Haupt krönend abschließt. Dann kann es nicht mehr ein glatt fortlaufendes Band sein, sondern muß, entsprechend der Form des menschlichen Hauptes, auf dem Scheitel einen krönenden Mittelpunkt haben; am unteren Rande wird der Abschluß gegen das Haupt durch kräftig ausgedrückte Querstreifen bezeichnet; darüber entwickeln sich die Blätter der Palmetten, in die Höhe wachsend und nur durch ihr eigenes Gewicht die Spitzen senkend, damit sie nicht stachlicht in die Höhe starren, sondern sich gleichsam leise wiegend, nicht unähnlich der Art der sie umspielenden Locken, das Haupt umgeben.
Wenn irgendwo, muß hier der Charakter der Schwere vermieden werden, falls er nicht beabsichtigt ist, um einen besonders monumentalen und majestätischem Eindruck hervorzubringen. Wie beim Diadem Alles in die Höhe strebt, wird sich beim Ohrgehänge Alles niederhängend und freischwebend zu gestalten haben. In anmuthigen Schwingungen soll das Gehänge die Bewegung des Kopfes begleiten und den Formen desselben einen zierlichen Abschluß gewähren. Hier ist Alles zu verbannen, was als schwer oder herabziehend erscheinen könnte, was eine horizontale, gleichsam feindlich gegen den Kopf gerichtete Bewegung annehmen könnte. Wie unendlich fein und geistreich sind hierbei die Griechen zu Werke gegangen! Hängende Knospen und Blüthen, vor Allem aber schwebende Figürchen liebten sie an dieser Stelle anzubringen und auch nur solche Figürchen, die als geflügelte Wesen von selber zu schweben schienen. Hier schaukelten sich anmuthige Liebesgötter, bald auf einer Taube, dem heiligen Vogel der Venus, reitend, bald die Flöte blasend, bald auch den Finger auf den Mund legend als zierliches Zeichen des Schweigens und gleichsam herausfordernd zum vertrauensvollen Geständnisse. Auch die leichte Schaar der Siegesgöttinnen, geflügelte Genien, Kränze und Blumen tragend, sowie flatternde Vögel fanden hier ihre Stelle. Wie traurig roh und gedankenlos erscheint hierneben fast Alles, was unser modernes Kunstgewerbe an eigenen Erfindungen zu bringen gesucht hat! In welche Verkehrtheiten ist man verfallen! Habe ich doch auf einer der Weltausstellungen in dem Kasten eines englischen Juweliers als Ohrgehänge Strickleitern gesehen, auf welchen kleine Matrosen, die Fahne schwingend, hinaufkletterten, und diese Stücke beanspruchten noch, jenen griechischen Gedanken in moderner Form ausgeführt zu haben.
Ebenso anmuthig, wie Diadem und Gehänge, war der Halsschmuck der antiken Kunst, ein Gefüge aus feingegliederten Ketten; geschmeidig genug, um der zartesten Biegung des Halses zu folgen und doch zugleich voll genug, um in fester Weise die Abgrenzung zu markiren, vertheilte er sich nach unten hin in ein Flechtwerk von Ketten und zierlichen Bommeln, welche glatt hängend eine fest geschlossene Masse bildeten, aber auf der
[373][374] Wölbung des Halses aufliegend sich zierlich öffneten und, jeder Bewegung der Muskel folgend, sich in jedem Augenblicke theilten und wieder schlossen.
Ebenso sinnreich war das Armband erfunden. Eine Spange legte sich um den Arm entweder in den Windungen einer Schlange, deren Kopf und zierliches Schuppenwerk durch sorgfältig ausgeführte Arbeit bezeichnet war, oder in der Form eines Reifes, ähnlich wie das Stirnband, mit aufgesetzten Rosetten oder werthvollen Steinen geschmückt. Das Schloß bildete ein rundes, reichgeschmücktes Schild, oder es waren Köpfe, die sich in einander bissen. Manchmal bestand es aus runden Perlen oder ovalen Schildern, die an einander gereiht waren; stets aber war der Charakter des ringförmig Umschließenden gewahrt, so mannigfach auch die gegebene Form sein mochte.
Es giebt in den technischen Künsten, als deren Leiterin die Architektur dasteht, eine Reihe von Ausdrucksformen, welche man mit den Hülfszeitwörtern, mit den Präpositionen und Conjunctionen der Sprache vergleichen könnte. Das Sein, das Werden, das Oben und Unten, das An und Bei, das Herum und Zwischen – das Alles und die Verhältnisse, welche sich in allen Kunstformen, beim größten Tempelbau, wie beim Kleiderschrank und beim Ohrring, wiederholen. Diese müssen klar und deutlich ausgedrückt werden, dann kann man nachher alle Details in freier Phantasie bilden, und diese klare Formensprache, diese verständige Grundlage ist es, die wir vor Allem aus der griechischen Kunst zu lernen haben. Unsern Schatz an Vocabeln können wir schließlich aus allen Sprachen und aus allen Zeiten bereichern, gewöhnlich aber geschieht bei uns Letzteres ohne das Erstere. Man greift beliebig hier ein ägyptisches, dort ein assyrisches, hier ein indisches und dort ein indianisches Motiv heraus und glaubt damit etwas gewonnen zu haben. Nichts hat man gewonnen als eine Neuigkeit, um Unwissende zu blenden. Der wirkliche Gewinnst bleibt immer nur der an Verständniß und gutem Sinn.
Das Gebiet, auf welchem eine Erweiterung zu suchen ist, wird vielmehr das der Technik sein. In der allgemeinen Verschlechterung unserer Goldschmiedekunst sind auch die feinen technischen Arbeiten, auf welchen der eigentlich reiche Glanz beruht, mehr und mehr verschwunden. Man begnügt sich mit der goldenen Platte und mit Steinen von bestimmtem Werth. Wie viel reicher waren andere Zeiten! Das Gold wurde selten allein, meist in Verbindung mit verschiedenfarbigen Materialien angewandt. Das Gold selbst nimmt verschiedene Färbungen an. Röthlich, hellgrün und blaßgelb mit einander verbunden, strahlt es in zauberischem Glanz. Hierzu fügen sich die farbig schimmernden Steine und vor Allem die fein aufgeschmolzenen Glasflüsse, die Schmelzfarben des Email. In feinen Fäden ausgezogen, spinnt und knotet sich Silber und Gold im Filigranwerk zu zierlichen Schnecken und Maschen; in feinster Körnung giebt es der Oberfläche einen sammetweichen Schimmer. Zu den bunten Steinen reihen sich die Erzeugnisse des Meeres, die bläulich schimmernde Perle und die Koralle von blasser Fleischfarbe bis zum tief-dunkelglühenden Roth. Den figürlichen Schmuck geben die geschnittenen Achate und Muscheln im zierlichen Kameo; die bunten Steine und Glasstifte fügen sich im Mosaik zu graziösen Bildungen; auf der Emailplatte entstehen die feinsten und duftigsten Malereien. Alle diese Materialien wollen ihrem Werth und ihrem Charakter nach besonders behandelt sein; keines derselben ist dem andern in Form und Farbe, in Größe oder Leuchtkraft gleich.
Dem Brillanten mit seinen strahlenden, von allem Körperlichen gleichsam befreiten Feuer wird sich das werthlosere Metall bescheiden unterordnen müssen. Die Fassung mag ganz verschwinden, damit die Steine wie Sterne aus den dunkeln Locken hervorleuchten. Bei der schweren Mosaikplatte wird der Rahmen voll und kräftig sein müssen, um die zusammengesetzten Steine gleichsam festzuhalten und die dunkle Masse des Grundes wirksam von der Umgebung loszuheben. Kleine an sich werthlose Steine und Perlen wird man in ein Netzwerk von goldenen und silbernen Fäden verstricken, damit sie, zusammengefaßt, als ein Ganzes wirken; die große Perle dagegen wird man möglichst von aller störenden Umgebung befreit erscheinen lassen. Die von der Natur gegebenen Formen der Perlen und Korallen werden ebenso viele Veränderungen hervorrufen und bedingen.
Hier ist das Feld, auf welchem Geist und Erfindungskraft des Goldarbeiters sich siegreich bewähren können, aber an den Grundformen der Stücke, auf welchen der eigentliche Ausdruck beruht, an dem künstlerischen Grundgedanken soll und darf man nicht ändern. Es ist ja natürlicher Weise nicht möglich, in diesen Besprechungen auf alle Einzelheiten einzugehen. Wir möchten daher auf ein Unternehmen hinweisen, das auf dem Gebiete der Goldschmiedekunst mit gutem Willen und tüchtigen Kräften diesen verständigen Weg betreten hat. Ein in Berlin erscheinendes, in den Handwerkstätten der Juweliere sehr verbreitetes Blatt, „Die Perle“, herausgegeben von einem anerkannt tüchtigen Musterzeichner, Martin Gerlach, welcher selber Juwelier von Fach ist, enthielt in seinen früheren Heften bis vor kaum einem Jahre nichts als die landläufigen Muster, welche wir in den meisten Juwelierläden zu sehen gewohnt sind. Seit Anfang des Jahres 1874 jedoch hat dieses Blatt eine vollständig andere Bahn eingeschlagen und zum ersten Male versucht, in fortlaufenden Veröffentlichungen der deutschen Goldschmiedekunst gute und stylgerechte Muster zuzuführen.
Es darf nicht unerwähnt bleiben, daß der Anstoß hierzu von Niemand Geringerem ausgegangen ist, als dem Kronprinzen des deutschen Reiches. Auf die Zuschickung einiger Nummern des alten Blattes, welche demselben, als Gönner aller kunstgewerblichen Bestrebungen, vorgelegt wurden, erhielt der Herausgeber neben dem üblichen Dank für die gute Absicht die kategorische Antwort, daß er sich doch besserer Muster befleißigen möge, und in Besitz dieses an die Cabinetsordres des alten Fritz erinnernden Schreibens hat der Herausgeber, mit Unterstützung des deutschen Gewerbemuseums in Berlin, es nunmehr dahin gebracht, daß sein Blatt wirklich verständige und zugleich brauchbare Muster enthält, welche, ganz unabhängig von französischen Modejournalen, in selbstständiger Entwickelung guter Formen Anerkennenswertes leisten, welches zugleich den Goldschmieden den Weg weist, wie sie mit Benutzung der gegebenen Muster Neues und Verständiges schaffen können. Die hier eingefügten Muster sind jenem Blatte entlehnt.
Ende der sechsziger Jahre, einige Monate, nachdem in dem Hafenbecken von Santorin die Knechte des Feuergottes ihre Thätigkeit wieder aufgenommen hatten und neben den zwei alten erloschenen Feueressen auf Mikro und Nea Kaimeni eine neue entstanden war, kam ich an Bord der Fregatte R… nach Santorin. Wir ankerten ungefähr in der Mitte zwischen der Hauptinsel Thira und den großen Lavahaufen, welche unter dem Namen der Kaimeni- (verbrannten oder brennenden) Inseln bekannt sind. – Santorin bildet bekanntlich im Südosten des griechischen Festlandes mit Anaphi die südlichste Gruppe der Cycladen-Inseln; in nächster Nähe derselben stiegen im Jahre 1707 mehrere brennende Krater aus dem Aegäischen Meere empor. Die Insel selbst hat die Gestalt eines nach Westen offenen Halbmonds oder der größern Hälfte eines ehemaligen Rundwalles, von dessen östlichem Theile ein großes, etwa ein Sechstel eines Kreises betragendes Bruchstück, die Insel Therasia, und südlich davon ein ganz kleines, der Felsen Aspro, übrig sind, so zwar, daß von Nordwesten her eine engere, von Südwesten eine weite Einfahrt, nur durch die kleine Felseninsel Aspro unterbrochen, in das Becken von Santorin führen, in dessen Mitte die drei Kaimeni-Inseln Mikro, Nea und Paläa Kaimeni liegen. Von diesen trägt Mikro Kaimeni einen alten erloschenen Eruptionskegel, zweihundertzwanzig Fuß hoch, dessen Aschendecke schon etwas Vegetation zeigt; südwestlich von dieser Insel sehen wir Nea Kaimeni, nur durch einen schmalen Canal von der ersteren getrennt; zwei Eruptionskegel liegen in der Nähe, der eine dicht am Canal, viel jünger als der erstgenannte, aber auch erloschen (250 Fuß hoch), der andere, weiter abseits, ungefähr dritthalb
[375] bis dreihundert Schritte vom Canal entfernt. Mit Ausnahme eines dritten, niedrigen Hügels stellt die Insel Nea Kaimeni ein unebenes Lavafeld dar, von zahlreicher Spalten zerklüftet, aus denen die gewöhnlichen vulcanischen Dämpfe, hier und da auch heiße Quellen, zu Tage kommen. Solche Quellen treten besonders in dem Canale zwischen Mikro und Nea Kaimeni unter dem Wasser auf, so daß daselbst längere Zeit hindurch dicht am Ufer eine kleine Bade-Anstalt bestand, die von Leidenden viel besucht wurde, während die nach Santorin kommenden Kauffahrer ihre Schiffe für einige Stunden im Canale über den heißesten Quellen zu vertäuen pflegten, um deren Boden von pflanzlichen und thierischen Parasiten reinigen zu lassen. Beiden Anwendungsarten der heißen Quellen machte der neue Vulcan ein Ende; er zertrümmerte die Badehäuschen und steckte ein Schiff in Brand.
Als die Fahrt nach Santorin beschlossene Sache war, stand auch sogleich bei mir der Entschluß fest, den Vulcan zu besteigen und ihm ein wenig in die Werkstätte zu gucken; zwei Freunde wollten mit von der Partie sein. Angekommen in Santorin, gewannen wir zwar bald die Ueberzeugung, daß dies kein so leichtes Stück Arbeit sei; bei einem Bade, das wir noch denselben Abend in der Nähe der unteren Canalmündung nahmen, beobachteten wir, daß der Vulcan in Zwischenräumen von fünf bis zehn, höchstens fünfzehn Minuten einen Ausbruch mache und daß die dabei ausgeworfenen glühenden Lavastücke zwar nicht mehr in den Canal, wohl aber bis an seinen Strand fielen, so daß wir, uns in der Mitte haltend und die heißen Quellen vermeidend, den ganzen Canal durchschwimmen konnten. Am Tage darauf wurde eine Probebesteigung der beiden erloschenen Kegel zur Recognoscirung vorgenommen; der von Mikro Kaimeni war leicht zu ersteigen. Seine Rinde gab dem Fuße nicht viel, stellenweise gar nicht nach; die Böschung war an der gewählten Stelle eine mäßige. Wir setzten nun über den Canal und bestiegen den zweiten erloschenen Vulcan, den Nachbar des jetzt thätigen; das ging schon minder leicht; denn die Abdachung war viel steiler; der Fuß sank tief in die seine Asche ein, und die dazwischen und darunter liegenden Lavastücke gaben meist nach, so daß das Vorwärtskommen ein äußerst langsames war. Zudem fielen, obwohl wir uns beim Aufstiege in der größtmöglichen Entfernung von dem thätigen Vulcane hielten, bei jedem Ausbruche kleine nuß- und selbst apfelgroße aber glücklicher Weise sehr poröse und darum leichte und auch schon ausgekühlte Stücke bis zu uns herüber.
Einer von uns – wir waren, wie gesagt, unser Drei – ließ sich muthlos von der halben Höhe nach Bergmannsart, aber ohne Bergleder, hinabgleiten, indem er uns durch das Getöse „Gute Unterhaltung mit dieser Thorheit!“ zuschrie. Wir Beiden, noch immer in der unbegreiflichen Selbsttäuschung, wir würden von der Höhe des Kraterrandes wenigstens hinüber in den Krater des andern Vulcans sehen können, krochen endlich auf allen Vieren vorwärts; denn gehend war kein Fortkommen mehr. Erst als wir nahezu oben waren, erinnerten wir einander lachend daran, daß ja unser Kegel um ein gutes Stück niedriger sei, als der Nachbar. Indeß eine Ueberzeugung verschaffte uns, diese Kletterpartie doch, die nämlich, daß von einer Besteigung des Vulcans bei ruhiger Luft nicht die Rede sein könne, da die Auswürfe in zu kurzen Zwischenräumen erfolgten und die massenhaft ausgeworfenen Trümmer glühender Lava und die heiße Asche gleichförmig rund um den Berg und auf seine Abdachung niederfielen; nur bei sehr starkem Winde konnte es möglich werden, auf der Luvseite hinaufzugelangen. Auf einen solchen Wind zu warten, hatten wir nun allerdings keine Zeit; der konnte möglicher Weise erst im Herbste genügend stark eintreten; zum Mindesten war er für die zwei bis drei Tage unseres Hierseins nicht zu hoffen.
Aber so ganz resultatlos durften wir doch auch nicht zurückkehren, wollten wir uns nicht dem schadenfrohen Gelächter der Zurückgebliebenen aussetzen, die uns von dieser Partie lebhaft abgerathen hatten. Etwas mußten wir erzählen können, was der Mühe des Anhörens werth war, und so beschlossen wir denn (zum Theil allerdings von falscher Scham, aber sicher auch von besseren Motiven getrieben), während der Besichtigung des alten eingestürzten Kraters, koste es was es wolle, mit möglichster Schnelle zu einer uns sichtbaren Spalte am Fuße des thätigen Vulcans hinzueilen, um von dort einige Stücke Gestein mitzunehmen, das von den ununterbrochenen Ausathmungen mit reichen Schwefelkrusten überzogen zu sein schien. Gesagt, gethan; wir hatten im Durchschnitte zehn Minuten Zeit zwischen zwei Ausbrüchen: ging es mit Glück, d. h. kam der nächste erst nach fünfzehn Minuten, so war ja gar keine Gefahr mit der Expedition verbunden; wenn er aber früher kam, nach acht, nach fünf Minuten, was dann? – Indeß beschlossen war es; zurücktreten wollte Keiner; also herab von dem Hügel und zu den Badehäusern! Von da waren, wie gesagt, auf dem nächsten Wege gegen dreihundert Schritt zu durchmessen – eine kleine Distanz an sich. Aber das Terrain war das schlechteste und hinderlichste, das man finden konnte, der Boden ganz mit scharfkantigen, hier und dort noch heißen Lavatrümmern bedeckt.
Nachdem der Trümmerregen nach einem Ausbruche in einem alten Badehause mit gewölbtem, halbunterirdischen Gelasse abgewartet worden war, machten wir uns auf den Weg. Die großen, scharfen und besonders die rauchenden Trümmer nach Thunlichkeit vermeidend, eilten wir, so gut es ging, vorwärts. Jetzt waren wir bei der Spalte; das Gestein um dieselbe zeigte die schönsten Schwefelüberkrustungen; lautlos, ein Tuch vor Mund und Nase, bemühte sich Jeder, schnell ein größeres Stück loszubrechen, ohne den Ueberzug zu beschädigen. Das unterirdische Getöse dauerte fort; hier hieß es rasch zu arbeiten; denn wenn die verhängnißvolle Stille eintritt, welche den neuen Ausbruch ankündigt, dann ist es zu spät zur Flucht. Jeder hatte endlich mit blutenden Händen ein schönes Stück losgebrochen; ich mahnte zum Aufbruche; der Andere wollte durchaus noch ein Stück haben – da tritt die bekannte unheimliche Stille ein; der Berg schweigt; in ein paar Secunden, längstens Minuten, wird mit einem furchtbaren Donnerschlage eine neue Ladung auffliegen – und dann wären wir verloren – fort also! –
Beide waren wir von der Nutzlosigkeit der Flucht überzeugt; denn bevor wir noch ein Viertel der Entfernung zurückgelegt haben konnten, mußte der neue Ausbruch erfolgen, und daß von den Tausenden glühender Geschosse, die der Vulcan über die frechen Eindringlinge in sein Bereich ausschüttete, keines treffen sollte, war platterdings unmöglich; der Hagel war ein zu dichter – das hatten wir oft genug gesehen, besonders bei Nacht, da sich die leuchtenden Trümmer von dem dunklen Himmel besser abhoben, als bei Tage die schwarzen auf dem braunen Hintergrunde der gleichzeitig ausgestoßenen Aschen- und Rauchmassen. Allein so ganz ohne Versuch der Rettung sich erschlagen zu lassen, fiel uns beiden nicht ein – also fort, ohne eine Silbe zu sprechen, um den Athem zu sparen! Bei aller Anstrengung war ein Laufen nicht möglich; gegen das mit solcher Eile unvermeidlich verbundene häufige Niederfallen konnte nur vorsichtiges Springen schützen, und das ging so langsam vor sich, viel zu langsam für die Möglichkeit einer Rettung.
Das waren so unsere Gedanken während des Davoneilens; zur Mittheilung nahmen wir uns natürlich nicht die Zeit. – Und jetzt – wir hatten ungefähr sechszig bis achtzig Schritte zurückgelegt – ein Luft und Erde erschütternder Donnerschlag. Das Schweigen des Vulcans ist zu Ende; der Ausbruch ist da. In ein paar Augenblicken überschüttet eine glühende Lava Alles in weitem Umkreise, und uns mit. Wir Beide sendeten in diesem Augenblicke im Geiste den Lieben in der Heimath die letzten Grüße zu, da – erblicke ich einen Schritt zur Rechten eine schräg aus dem Trümmerwerke emporragende Felsplatte, groß genug vielleicht, um uns in dem Raume darunter, der nach der Gegend des Canals hin offen war, aufzunehmen und zu decken; „Unter den Stein!“ rief ich dem Gefährten angstvoll zu, und es war die höchste Zeit.
Das Alles ist natürlich viel langsamer erzählt, als es vor sich ging. Im Nu waren wir Zwei, dicht an einander geschmiegt, unter der Felsplatte geborgen, da prasselte auch schon der glühende Hagel nieder, und der Boden dröhnte und zitterte von der furchtbaren Arbeit im Innern. Kopf und Gesicht mit den Händen vor den abprallenden Splittern deckend, die sparsam auch in unser Versteck drangen, kauerten wir da, vor den vernichtenden Würfen geschützt, wenn nicht etwa die Platte in Stücke ging, die bei dem unterirdischen Donnern mitdröhnte, als wollte sie bersten; dazu machten die auf und um die Platte niederfallenden Trümmer ein Geprassel, wie vielfaches Gewehrfeuer. Aber unser schützendes Dach hielt aus. Die [376] bangen Augenblicke, bis Alles niedergefallen war, dünkten uns so lang wie Stunden; die Luft wurde zum Ersticken heiß durch die von den Lavasplittern ausgehauchten Dämpfe, aber getroffen wurden wir glücklicher Weise nur leicht von kleineren Stücken, und endlich konnten wir uns hervorwagen; der Berg grollt fort; es fällt ein dichter Aschenregen, und nun heißt es, die Minuten nützen, bevor die nächste Stille eintritt.
Aufathmend, ein Jeder sein gerettetes Steinstück unter dem Arme, eilten wir in weiten Sätzen über die rauchenden Trümmer dahin, der schützenden Platte, undankbar genug, nicht einen Blick gönnend. Mit zerrissenem Schuhwerk, mit verbrannten und verwundeten Füßen kamen wir am Strande bei dem Badehäuschen an, warteten hier den nächsten Ausbruch ab und winkten dann unser Boot herbei, das jenseits des Canales in sicherem Bereiche gewartet hatte. Unser dritter Gefährte, der bei der Besteigung des alten Kegels von der Partie zurückgetreten war, versicherte uns, die peinliche Spannung, in welcher er sich befunden, als er sich vor dem Ausbruche in das Badehaus zurückzog und uns ungedeckt glaubte, könnte nicht geringer gewesen sein, als unsere eigene; er hatte das Felsstück wohl gesehen, aber von seinem Standpunkte aus nicht annehmen können, daß es Deckung biete, somit geglaubt, wir wären ungedeckt weiter geeilt, bis er wieder aus der Hütte treten konnte und uns unter der Platte kauernd sah.
Drei Jahre später besuchte ich abermals Santorin; der Vulcan hatte sich bis zu stundenlangen Pausen zwischen zwei Ausbrüchen beruhigt, und nun bot die Ersteigung gar keine Gefahr mehr.
Bilder aus den Ostalpen. (Mit Abbildung, Seite 365.) Krain, durch seine Höhlen und Grotten und deren geheimnißvolle Bewohner ebenso berühmt wie durch seine unterirdischen Flüsse und periodischen Seen, ist trotzdem ein von den Touristen wenig besuchtes Land; es theilt eben das Schicksal der Ostalpenländer überhaupt, von denen in jedem Reisehandbuche zu lesen ist, daß sie viel zu wenig bekannt und besucht sind. Doch ist dieser Umstand von gewissen Gesichtspunkten aus nicht einmal gar so sehr zu beklagen. Denn seit Telegraphendrähte und Schienenstränge sogar schon auf Berggipfel hinauf führen und daselbst schwarzbefrackte Kellner in luxuriös eingerichteten Hôtels den Reisenden empfangen, seitdem ist der Besuch gewisser Punkte zwar in’s Ungeheuere gestiegen, aber es ist doch sehr fraglich, ob nicht gerade durch diese modernen Zuthaten der Zauber unserer Berge theilweise sehr gelitten hat, ob wir auf solchen Aussichtspunkten noch dasselbe Entzücken fühlen, wie ehedem, wo vielleicht nur eine elende Sennhütte vor hereinbrechendem Sturm und Ungewitter Schutz bot. Ist doch die majestätische Ruhe, die Einsamkeit und das Schweigen des Hochgebirges, in dem uns Nichts an all das kleinliche Getriebe unseres Alltagslebens erinnert, nicht der unbedeutendste Factor jenes Entzückens, das uns Städter die Gebirgstouren allen andern vorziehen läßt.
Doch auch in den Ostalpen beginnt es anders zu werden. Von Jahr zu Jahr mehren sich auch dort die Touristen, namentlich seitdem die neugebauten Eisenbahnen den Besuch derselben so wesentlich erleichtern. Ueberall trifft man die Spuren der alles bessernden oder wenigstens bessern wollenden Hand des Menschen, und von manchen Punkten kann man schon heute sagen, daß sie in nicht gar ferner Zukunft von Touristen so überschwemmt sein werden, als lägen sie in der Schweiz.
Solche Punkte besitzt Krain mehrere, und unter ihnen steht Veldes wohl obenan.
Sieben Meilen nordwestlich von Laibach führt von der Rudolphsbahnstation Radmannsdorf-Lees ein guter Fahrweg in etwa einer Stunde nach dem genannten reizenden Badeorte. An dem Ufer eines kleinen fast viereckigen Sees, dessen Flächeninhalt schon ein bedeutender ist und dessen Wasser sich durch eine wundervolle Klarheit auszeichnet, erhebt sich eine senkrechte Felswand von circa hundertzwanzig Meter Höhe, die auf ihrem Scheitel das zwar alte, aber noch gut erhaltene Schloß „Veldes“ trägt. Veldes heißt auch das am Fuße jenes Felsen gelegene Dorf und der See. Schloß, Dorf und See erbielten ihren Namen von dem vorhin erwähnten schroffen Felsen; denn „Veldes kommt von Velß oder Felß“ sagt der gelehrte Valvasor, welcher vor mehr als zwei Jahrhunderten die noch heute unübertroffene Geschichte Krains schrieb, „die Nachkömmlinge aber haben das Wort verstümpelt und aus Felß Feldeß, wie es noch von etlichen aufgezeichnet wird, endlich aber Veldes geformirt“.
Zum Schlosse, welches 1004 Kaiser Heinrich der Zweite dem heiligen Albuin, Bischof von Brixen, schenkte, führt an der Seeseite ein ziemlich steiler, schmaler Fußsteig hinauf. Oben angelangt, genießt man eine prachtvolle Aussicht auf den See und das denselben umrahmende Gebirge. Gegen Westen hebt sich der krainer’sche Bergriese, der dreigipflige Terglou weit über seine Umgebung empor, gegen Osten erblicken wir den gewaltigen Stou und die Kalkkolosse der Karawanken. Tief darunter aber liegt der liebliche See und in ihm eine kleine, grüne Insel, welche die Wallfahrtskirche zu „Unserer lieben Frauen im See“ trägt. „Eine lustige Insel“ nennt sie unser Chronist, „die gewißlich nicht ebenso sehr ihrer ausbündigen Anmuth und Schönheit, als ihrer übrigen Gelegenheit wegen für eine schöne Rarität der Natur mag gepriesen werden. Mit ihrer Schönheit erbuhlt sie zwar auch günstige Augen, darum weil sie erfreulich grünend und mit Wasser umringt einer grünseidenen Decke gleicht, die mit einer silbernen Einfassung umher geziert, oder einem Kleinode von Smaragden, die mit vielen Perlen umher besetzt sind. Weil aber mit solcher Lustbarkeit und Zier manche andere Insel mehr von der Natur beehrt worden, kann sie unter solchem Vorwande des Titels einer Naturrarität sich nicht berechtigen, sondern muß denselben mit einer anderen Gelegenheit und Bewandtniß erwerben, nämlich mit dieser, daß der See, welcher sie umfängt, grausam tief ist und sie dennoch nebst dem Kirchlein getreu mitten in seinem Schooße duldet.“
Als ich das erste Mal gegen Abend über den See fuhr, fiel mir ein eigenthümliches Läuten auf, das von Zeit zu Zeit vom Thurme jenes Kirchleins herüberschallte. Auf mein Befragen erklärte mir der alte Krainer, welcher mich führte, in seinem gebrochenen Deutsch, daß dies die sogenannte Wunschglocke sei. Jedermann dürfe sie läuten, und was er dabei wünsche, gehe in Erfüllung. Der Kranke aber, der Genesung hoffe, müsse den Strang mit jenem Theil des Körpers ziehen, an dem leidet, mit dem Arme, dem Fuße, den Zähnen etc.
Das Dorf Veldes ist zwar nur klein, hat aber einige Gasthäuser und eine Wasserheilanstalt, wo Freunde der Natur und des Seebades stets den erwünschten Comfort finden werden. Das herrliche Stückchen Land wird namentlich dem Nord- und Mitteldeutschen, welcher derartige Seethäler daheim nur selten findet, einen durch den Reiz der Neuheit doppelt erhebenden Naturgenuß bieten.Noch einmal die Genossenschaft deutscher Bühnenangehöriger. Als ergänzender Nachtrag zu dem in Nr. 6 unseres Blattes enthaltenen Artikel „Ein Triumph der Selbsthülfe“ geht uns nachstehende officiöse Mittheilung zu:
„Im December 1874 fand in Nürnberg die statutarische Delegirtenversammlung der Genossenschaft statt. Von den hervorragenden Beschlüssen derselben sind zu erwähnen: 1) die Revision des Pensionsstatuts. Eine Commission ist gewählt worden – zu ihr gehören bedeutende Fachmänner und Mathematiker – welche zu prüfen hat, ob und welche Modificationen und Verbesserungen vorzunehmen sind. Die Commission hat ein neues Pensionsstatut auszuarbeiten und der nächsten Delegirtenversammlung vorzulegen. Auf Grund dieses neuen Pensionsstatuts soll dann die Verleihung des Corporationsrechtes nachgesucht werden. 2) Die Gründung eines Separatfonds zu genossenschaftlichen Zwecken. Diese Gründung wird bewerkstelligt durch eine Umlage innerhalb der Genossenschaft und hat zum Zwecke, die unvermeidlichen Verwaltungsausgaben der Genossenschaft nicht mehr, wie bisher, der Generalcasse aufzubürden.
Das Vermögen der Genossenschaft betrug laut Abschluß vom 30. November 1874:
Activa: | 243,403 | Thlr. | 19 | Sgr. | 8 | Pf. |
Passiva: | 41,735 | ,, | 26 | ,, | 4 | ,, |
–––––– | ––– | –– | ––– | – | –– | |
Vermögen: | 201,667 | Thlr. | 23 | Sgr. | 4 | Pf. |
Ein neues Dichtergrab in Thüringen. Der dramatische Verherrlicher seiner schönen, sagen- und geschichtereichen Heimath, Alexander Rost, ist am fünfzehnten Mai gestorben und am achtzehnten in den Friedhof Weimars gebettet worden, wo er bei Vielen ruht, deren Namen zu den Ehren Deutschlands gehören. Wie jeder Hochbegabte ist auch er zu früh geschieden; sein Geist und seine Schaffelust hatten Kraft und Vorrath noch für manches Jahr froher Arbeit. Auch die Genugthuung der öffentlichen Anerkennung seiner Werke hob in der letzten Zeit mehr als je seine früher oft gedrückte Dichterseele, und das so spät gewonnene Glück des eigenen Herds schmückte seinen nahenden Lebensabend. Warum sollten wir’s verschweigen, wie sehr es seinem bescheidenen Herzen wohl that, als die „Gartenlaube“ ihren Lesern ihn im Bilde vorführte? Und als eine zweite Freude dieser Zeit pries er die Nachricht, daß sein letztes großes Drama „Der ungläubige Thomas“ von dem Theaterpublicum der vorzüglichsten Bühnen, wie in Dresden, mit warmem Beifalle begrüßt worden sei. Ja, es ist gewiß, daß diese seine zwei letzten großen Freuden seinen letzten Stunden viel von der Bitterkeit alles Scheidens genommen haben. Möge die treue Liebe und Sorge, welche dem Dichter in seinem langen Leiden die nun verlassene Gattin widmete, dieser dankbar vergolten werden! Ihn selbst aber, unsern Alexander Rost, ehre die Bühne und das Volk durch treue Pflege und Verbreitung seiner Werke! Namentlich das Letztere würden wir als die würdigste „Liebesgabe“ für den Dichter preisen, weit höher, als den Denkmalstein, mit welchem nur allzuoft die Theilnahme für den Todten sich für immer abfindet.
M. Hansen in Saarlouis. Derartige Institute giebt es nicht. Lassen Sie aber den jungen Mann auf die Wanderschaft gehen! Er wird leicht in größeren Städten, wo sich Taubstummenanstalten befinden, Arbeit erhalten, falls er nämlich ein guter Arbeiter ist. In Leipzig, Berlin, Nürnberg, Dresden z. B. stehen in den besten Holzbildhauerwerkstätten Taubstumme in Arbeit.
M. Th. in New-York. Näheres über „Das fünfundzwanzigjährige Jubiläum der Geraer Handelsschule“, welches am achten October v. J. mit Glanz begangen worden ist, können Sie aus der Festschrift unter obigen Titel erfahren; dieselbe enthält außer der Rede des Begründers und Directors der Anstalt, Dr. Ed. Amthor’s, auch den Festbericht.