Textdaten
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Autor: Arno Hempel
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Titel: Ein Triumph der Selbsthülfe
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 6, S. 94–97
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1875
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Ein Triumph der Selbsthülfe.


Trotz aller schönfärberischen Redensarten ist es eine nicht wegzuleugnende Thatsache, daß der Schauspieler, der Bühnenkünstler überhaupt, innerhalb der Gesellschaft auch heutzutage noch vereinsamt und fast gemieden dasteht. Der Kern der Gesellschaft, das eigentliche Bürgerthum, hat im Großen und Ganzen außerhalb des Theaters wenig Sympathien für die Jünger Thaliens. Man wird mir den Vorwurf eines allzu pessimistischen Urtheils machen wollen, aber die Erfahrung läßt mich auf meinem Standpunkte beharren. Der geneigte Leser, welcher an der Wahrheit meiner Worte zweifelt, möge sich selbst auf das Gewissen fragen: ob er nicht in der Nähe eines Menschen, der sich ihm als Schauspieler zu erkennen gab, etwas von jenem achtungsvollen Grauen verspürt, welches uns bei der Berührung zweifelhafter Existenzen mit zwingender Gewalt zu überfallen pflegt? – Ich weiß sehr gut, daß diese Gefühle achtungsvoller Scheu jenen Bühnenkünstlern gegenüber nicht mehr Platz greifen, welche Talent und Glück zu Mitgliedern großer Hof- und Stadttheater machten. Diese Herren und Damen befinden sich in fester, reich dotirter Stellung und sind schon darum den bürgerlichen Verhältnissen näher gerückt. Sie bilden aber die Minderzahl des Standes. Die ungeheure Mehrzahl desselben unterliegt sicherlich noch den obengeschilderten Antipathien der Gesellschaft.

Und worin liegt das? –

Zuerst, glaube ich, liegt es in der eigenthümlichen Stellung, welche der Schauspieler als Staatsbürger innerhalb des Rechtsstaates einnimmt. Es ist ihm leider sehr schwer gemacht, sein gutes Recht ungeschmälert zu erhalten. Die Contracte, welche er unterschreiben muß – denn alle Verträge der Bühnen zweiten Ranges sind bezüglich ihrer Paragraphen von wahrhaft rührender Aehnlichkeit – sind meist so verclausulirt, daß der Richter in etwaigen Streitfällen nicht umhin kann, ihm Unrecht zu geben. Handelt es sich um technische Fragen, so ist der Richter größtentheils nicht befähigt, dieselben ihrem innersten Wesen nach zu verstehen. Im Rheinlande ist in dieser Beziehung der Code Napoléon für den Bühnenkünstler eine wahre Wohlthat, denn er hält streng auf Herbeiziehung von erfahrenen Sachverständigen. Im Allgemeinen übergeht der Richter gern die Zuziehung derselben. Die in seinen Augen geringen Klagobjecte dünken ihm dazu nicht wichtig genug. Werden sie aber herbeigezogen, so sind es gewöhnlich keine wahrhaft Sachverständigen, das heißt, es sind nicht Leute, welche das Theater auch wirklich genau kennen. Außerdem ist der Richter immer geneigt, der Autorität – dem Director – beizuspringen.

Ein überaus langsames Proceßverfahren, welches dem Bühnenmitgliede monatelanges Warten auferlegt, in Fällen, wo der Hunger schon vor der Thür steht, die Vertheuerung des gerichtlichen Einschreitens durch den Domicilwechsel – alle diese Uebelstände machen das Processiren für den Schauspieler fast aussichtslos. Er processirt also nicht und hilft sich selbst, so gut er kann. Das ist aber ein Verfahren, welches ihn der Gesellschaft eines Rechtsstaates entfremden muß. –

Der zweite und zwar der Hauptgrund für die Isolirtheit des Standes scheint mir in der großen Aussichtslosigkeit zu liegen, welche ihm von jeher als charakteristisches Merkmal anhaftete. Die Aussichten eines Bühnenkünstlers sind – namentlich für das hereinbrechende Alter – von sprüchwörtlicher Trostlosigkeit. Ist es aber möglich an eine Blüthezeit der deutschen Bühne zu glauben, so lange nicht ihre Jünger innerhalb der Gesellschaft eine durchaus geachtete Stellung einnehmen? Diese wird ihnen aber gewiß nicht fehlen, sobald der Fluch der Aussichtslosigkeit von ihnen genommen ist, sobald die Verhältnisse ihnen gestatten, sich als vollberechtigte Staatsbürger zu fühlen, sobald sie einer gesicherten Existenz im nicht mehr erwerbsfähigen Alter entgegensehen können.

Schon das Jahr 1857 sah einen Versuch, das Alter des Schauspielers zu sichern. Der Geheime Hofrath Louis Schneider in Berlin, der sich für die ehemals von ihm ausgeübte Kunst und ihre Jünger ein warmes Herz bewahrt hat, ergriff zu diesem Zwecke die Initiative. Er gründete die „Perseverantia“, eine Art Rentenversicherungsanstalt, und verband dieselbe mit einem Engagementsvermittelungsbureau. Die letztgenannte Institution sollte dem Unwesen der meisten Theateragenturen entgegentreten. Aber Gleichgültigkeit, Neid und Bosheit brachten die Perseverantia schon nach wenigen Jahren zu Falle und die deutschen Bühnenangehörigen waren wieder um eine Hoffnung ärmer.

Es kam das Jahr 1869. Dieses Jahr brachte dem deutschen Theater Neuerungen, die aber keine Verbesserungen waren. Diese Neuerungen aber gipfelten in dem zusammengesetzten Hauptworte „Theaterfreiheit“. Die bestehende Gesetzgebung wurde durch die Theaterfreiheit – namentlich bezüglich des Concessionswesens – in erheblicher Weise alterirt oder ganz über den Haufen geworfen und die modernen Gesetzgeber stellten – wenn nicht dem Worte, so doch dem Sinne nach – fest, daß das deutsche Theater nicht zu den Kunstanstalten zu rechnen sei, daß es viel mehr zu den Gewerben gehöre, und daß Directoren wie ausübende Mitglieder Gewerbtreibende seien.

Man braucht nicht gerade eine sentimentale Natur zu sein, um den Sieg dieser Ansicht für einen beklagenswerthen zu halten. Das Streben nach Selbstverwaltung, der Wunsch, der lästigen Bevormundung des Staates soviel wie möglich zu entgehen, das Sehnen nach möglichster Freiheit der Individuums innerhalb des Staatswesens – alles das ist ja vollberechtigt, nützlich und [95] heilsam für das Wohl des Ganzen. Die Theorien der Schule von Manchester dominiren segensvoll in der modernen Volkswirthschaft, und ihre Gegner sind noch in der Minorität. Aber Principienreiterei und Doctrinarismus sind böse Dinge. Eines schickt sich nicht für Alle, und einer Doctrin zu Liebe die Bühne vollständig zum Gewerbe herabzuwürdigen, das war jedenfalls – der Erfolg hat es gelehrt – eine recht schlimme Principien-Reiterei. Daß die Bühne dem Volke in ethischer und ästhetischer Beziehung viel zu sein vermag, dafür ist uns Schiller Bürge, und es ist noch Keiner aufgestanden mit dem Wagniß, den größten Verfechter ihrer Würde Lügen strafen zu wollen. Man darf den Gedanken verwerfen, daß der Staat dem Theater zur Erreichung seiner der Volkswohlfahrt dienenden Zwecke seine directe Hülfe gewähren und daß er die Bühne mit Strenge bevormunden müsse, aber man kann verlangen, daß er einer Institution, welche am letzten Ende volksbildend und volksveredelnd wirken kann und sollte, einen Schutz angedeihen lasse, wie er ihn Unterrichtsanstalten und Kunstakademien nicht versagt. Thun das Staat und Gesetzgebung nicht, so haben Beide die Hauptschuld zu tragen, wenn das deutsche Theater seinem eigentlichen Zwecke täglich fremder wird. In genauer Consequenz der staatlichen Ansicht ist das Theater nichts weiter als eine Vergnügungsanstalt niederen Ranges, ein Gewerbe, aber keine Kunst.

In Folge der Theaterfreiheit schossen die neuen Theater auf wie Pilze nach dem Regen. Die meisten dieser Institute waren indessen von sehr unsolider Natur. Es war so leicht Theaterdirector zu werden. Ging das „Geschäft“ nicht und waren Privatmittel beim Unternehmer – wie fast immer – nicht vorhanden, so „machte er die Bude zu“ und überließ es einer mehr oder minder großen Zahl von armen Mitgliedern aussichtslos zu processiren und einige Zeit am Hungertuche zu nagen. Nicht als ob die Gesetzgebung hierin nicht vorgebeugt hätte; die Paragraphen 32 und 53 der Reichs-Gewerbe-Ordnung enthalten diesbezügliche Bestimmungen zum Schutze gegen unfähige und unsolide Directoren; aber die betreffenden Behörden handhaben diese Paraphen durchaus ohne die nöthige Strenge.

Es ist nicht zu leugnen: die Errichtung so vieler neuer Theater steigerte die Nachfrage nach dem ausübenden Künstler ganz bedeutend und trieb die Gehalte zu noch nicht dagewesener Höhe. Ueber die großen Gagen hätten sich die deutschen Schauspieler freuen können, wenn man sie ihnen auch wirklich gezahlt hätte. Das Ungesunde des ganzen Zustandes zeigte sich indessen auch hier. Zahlungseinstellungen und Verkümmerungen des Gehaltes waren in allen möglichen Formen an der Tagesordnung. Außerdem schuf aber die Theaterfreiheit ein Schauspielerproletariat, wie es in solchem Umfange niemals vorhanden gewesen ist. Es kamen durch die gesteigerte Nachfrage nach ausübenden Künstlern und durch die Gewissenlosigkeit vieler Theateragenten Elemente zum Theater, die ihm geradezu zur Schande gereichten. Diese Leute suchten bei der Bühne nur das arbeitslose Bummelleben, brachten weder Bildung noch Talent mit und dienten nur dazu, den Stand innerhalb der Gesellschaft bloßzustellen und zu entwürdigen. Rauchtheater, Rechtsunsicherheit, ein neugeschaffenes Schauspielerproletariat und ein Virtuosenthum, wie es sich noch nie so schamlos geberdet hatte – das waren die directen Segnungen der Theaterfreiheit.

Man wird gestehen müssen, die Verhältnisse des deutschen Theaters und seiner Angehörigen lagen recht im Argen. Aber aus denselben Principien, die Beide so schwer geschädigt hatten, sollte auch eine Hülfe erwachsen, die Vieles wieder gut zu machen im Stande war. Die Theorien der Schule von Manchester enthielten das Besserungsmittel der bestehenden Zustände; sie selbst gaben die Mittel an die Hand, ihre irrige Anwendung zu bekämpfen.

Der Mann, der mit warmem Herzen und durchgreifender Energie zur rechten Zeit das Rechte recht zu thun verstand und dadurch die bedeutendsten Verdienste um die deutsche Bühne und ihre Angehörigen sich erwarb, ist der Schauspieler Ludwig Barnay. Schon seit Jahren waren seine Wünsche und Bestrebungen der guten Sache zugewandt, aber immer ohne Erfolg. Da, im Frühjahre 1871, kam der rechte Geist und die rechte Stunde zum guten Werke. Er selbst sagt in dieser Beziehung sehr treffend: „Da wehte in diesem Frühjahre Einheitsodem durch Deutschland. ‚Ein deutsches Reich ersteht wieder‘! schallte es durch die Lande, und höher schlug Jedem das Herz, uns Thalienjüngern wahrlich nicht weniger als jedem andern Bürger. Viele unserer Berufsgenossen verspritzten ihr Blut auf dem Schlachtfelde für das Vaterland und seine Ehre; Wenige von ihnen kämpften um den Besitz, denn wenige unter uns sind Besitzende, und doch kämpften sie auch für die speciellen Interessen unseres Standes, denn die Zerrissenheit unseres deutschen Vaterlandes trug die erste und größte Schuld an der Zerrissenheit unserer Theaterverhältnisse. Jetzt oder nie – klang es in mir – werden die deutschen Schauspieler, erwärmt von der Einheitssonne, die dem Vaterlande leuchtet, zusammentreten und ihre eigenen Interessen in’s Auge fassen; habe ich es nur erlebt, sie einmal und zum ersten Male in einen Saal zusammenzubekommen, um gemeinschaftliche Interessen selbstlos, gerecht und wohlwollend zu berathen, dann ist mir für das Gähren und Reifen des gesunden Urstoffs nicht bange.“

Der Initiative Barnay’s gelang es, ein provisorisches Comité zu gründen, welches die Einberufung eines „Allgemeinen deutschen Bühnen-Congresses“ veranstalten sollte. Dem begeisterten Agitator schlossen sich die Mitglieder dieses Comités, Dr. Krückl, Ulram, Gettke, ferner Bletzacher, Vollmer, Köller, Jacobi, Borchers, Siehr, Löwe, Dr. Hugo Müller, Salomon, Savits u. A. an. Barnay fand die Möglichkeit, ein Organ für die Sache in’s Lehen zu rufen. Gratis wurde es in Tausenden von Exemplaren an die Berufsgenossen in Deutschland versandt. Die darin ausgesprochenen Gedanken zündeten allerwärts. Die Idee war da, und die herzenswarme Hingabe Aller ermöglichte den „Ersten allgemeinen deutschen Bühnen-Congreß“ in Weimar am 17., 18. und 19. Juli 1871. – Wahrlich, diese Tage werden unvergeßlich bleiben in der Geschichte des deutschen Theaters. Es waren große Momente voll reinster Begeisterung, als die Vertreter der deutschen Schauspieler zum ersten Male vereinigt waren auf heiligem Boden, an den Särgen unserer Geistesheroen in der Fürstengruft, als sie in später Abendstunde huldigend zum Standbilde der Herrlichen zogen. Und als sie wieder hinausgingen in alle Welt, da brachten sie ihrem Stande das ersehnte Ergebniß einer gesegneten Arbeit mit: die Errichtung einer Genossenschaft deutscher Bühnenangehöriger und die sichere Aussicht auf eine Pensions- und Altersversorgungsanstalt.

Hatte der Congreß zu Weimar unter dem Präsidium des verdienstvollen Hugo Müller die Grundzüge des zu Erstrebenden festgestellt, so waren es wiederum die Delegirtenversammlungen in Kassel, Leipzig und Dresden, welche durch definitive Gründung der allgemeinen Pensionsanstalt deutscher Bühnenangehöriger, durch Berathung und Sanctionirung des Statuts und dessen Revision und Modification den Ausbau vollzogen. Von Wichtigkeit war die Annahme eines mit dem „Deutschen Bühnenvereine“ zu Stande gekommenen einheitlichen Contractsformulars. Diese Vorlage wurde, wenn nicht freudig, so doch achtungsvoll als ein Fortschritt zum Bessern begrüßt. Freudig konnte sie nicht begrüßt werden, denn es war nicht möglich gewesen, die Gegenseitigkeit des Kündigungsrechtes und der Conventionalstrafe für den Contractbruch zu erlangen. Das sind aber gewissermaßen naturrechtliche Forderungen der Bühnenangehörigen, und der schließliche Sieg dieser Forderungen dürfte nur eine Frage der Zeit sein.

Ein nicht minder wichtiger Gegenstand fand ferner Erledigung. Die Mehrzahl der deutschen Bühnenangehörigen seufzt schwer unter dem Treiben der meisten Theateragenturen. Die Delegirtenversammlung beschloß deshalb die Errichtung einer „Genossenschafts-Theateragentur“ nur für Mitglieder der Genossenschaft. Die Ansicht, die Benutzung dieser Agentur obligatorisch zu machen, erhielt nicht die Mehrheit. Der Beginn der Emancipation hat sich indessen vollzogen, und es war weise, gerade diese Angelegenheit nicht zu überstürzen. Es wird an den Mitgliedern der Genossenschaft selbst liegen, durch Benutzung ihres Agenten jenen Theateragenturen, welche oft in geradezu gemeiner Weise arbeiten, den Garaus zu machen.

Das eingreifendste Ereigniß der Dresdener Decembertage war aber die Errichtung einer Wittwen- und Waisen-Pensionsanstalt. Schon in Leipzig hatte ein Statut zu diesem Zwecke vorgelegen. Man hatte aber dort den Entwurf zu nochmaliger Berathung einer Commission übergeben. Diese Commission wandte sich an den berühmten Versicherungstechniker Johannes [96] Karup in Gotha, und auf der Basis der von diesem bedeutenden Fachmanne angestellten Berechnungen hatte die Commission das nun vorliegende Statut ausgearbeitet. Der Entwurf wurde in eingehender Debatte modificirt und angenommen. Auch für die Wittwen und Waisen der deutschen Bühnenangehörigen wäre nunmehr durch Gründung dieser segensreichen Institution gesorgt. Die Anstalt hat ihre eigene, von der allgemeinen Pensionscasse getrennte Verwaltung. Der Sitz ihres Directoriums ist in Weimar. Die opferfreudigsten Verfechter der schönen Sache waren Intendant Baron von Cramm, Borchers, Otto Devrient, Savits, Dr. Krückl u. A.

Schließlich besprach und acceptirte die Dresdener Versammlung ein Localverbandsstatut, welches die Normen festsetzte, auf Grund welcher die einzelnen Localverbände thätig sein sollten.

Die Genossenschaft deutscher Bühnenangehöriger ist eine so eigenartige Erscheinung im Genossenschaftswesen, daß es mir hier vergönnt sein mag, ihre Organisation, sowie die Grundzüge ihrer Pensionsanstalt in aller Kürze etwas näher zu beleuchten. Der Paragraph 1 des Genossenschaftsstatuts mag hier vollständig Platz finden. Er lautet: „Die Genossenschaft deutscher Bühnenangehöriger hat die Fortentwickelung des deutschen Theaters, sowie die Sicherung und Hebung der geistigen und materiellen Interessen der deutschen Bühnenangehörigen zum Zwecke, namentlich den Mitgliedern nach den Bestimmungen des Pensionsstatuts eine Pension zu gewähren.“

Es ist wohl nothwendig, darauf hinzuweisen, daß die Genossenschaft mit nur geringen Ausnahmen in weiterem Sinne Alles umfaßt, was auf und an der Bühne thätig ist. Die Mitglieder haben das Recht der activen und passiven Wahl für die Verwaltung. Den weiblichen Mitgliedern stehen dieselben Rechte zu, nur können sie weder in die Genossenschaftsleitung, noch in die Localausschüsse gewählt werden.

Der erste Factor der Genossenschaft ist die Delegirtenversammlung, welche alljährlich im December stattfindet. Die Zahl der Delegirten richtet sich nach der Zahl der Wähler, welche demselben Lokalverbande angehören. Je fünfzig Mitglieder wählen aus ihrer Mitte einen Delegirten.

Die eigentliche Verwaltung während des Genossenschaftsjahres liegt in den Händen des „Centralausschusses“. Dieser besteht aus einem ersten Präsidenten, einem zweiten Präsidenten, einem Generalsecretär und einem Generalcassirer. Außerdem gehören zum Centralausschuß noch drei Mitglieder, deren Jedes die Verwaltung eines bestimmten Ressorts übernimmt. Es sei hier bemerkt, daß sämmtliche Aemter der Genossenschaft – mit Ausnahme der statutarisch zu bezahlenden Ressortämter – Ehrenämter sind, die unentgeltlich versehen werden müssen. Der Centralausschuß muß seine Protokolle, Abschlüsse etc. der Delegirtenversammlung zur Bestätigung vorlegen.

Der Verwaltungsrath der Pensionsanstalt untersteht dem Centralausschuß. Er besteht aus 1) dem ersten Präsidenten der Genossenschaft; 2) einem bezahlten, cautionspflichtigen Verwaltungsdirector; 3) einem bezahlten, cautionspflichtigen Cassirer; 4) einem Rechtskundigen und 5) aus drei resp. vier Mitgliedern der Genossenschaft. Die Redaction des Genossenschaftsblattes, dessen Abonnement mit einer Ausnahme für alle Mitglieder obligatorisch ist, und die Leitung der Theateragentur sind einem bezahlten Beamten übergeben.

Wir kommen nun zu der Institution der Localausschüsse. Dieselben sind für den glatten Geschäftsgang außerordentlich wichtig. Der Localausschuß ist das vermittelnde Glied zwischen dem Centralausschuß und den Genossenschaftern der einzelnen Localverbände. Er besteht aus drei resp. fünf Mitgliedern, und zwar aus einem Obmann, einem Cassirer, einem Schriftführer und, bei größeren Localverbänden, aus zwei Beisitzern.

Jede Bühne, an welcher sich wenigstens fünf Genossenschaftsmitglieder befinden, constituirt einen Localverband. Die Mitglieder des Localverbandes wählen den Localausschuß. Das ist der Verwaltungsapparat der Genossenschaft.

Die Allgemeine und die Wittwen- und Waisen-Pensions-Anstalt sind ja die greifbarsten Wohlthaten der so schön gelungenen Vereinigung. Da steht nun zunächst fest, daß nur ein Genossenschaftsmitglied Mitglied der Pensionsanstalt werden kann.

Die Beitragspflicht umfaßt: 1) das Eintrittsgeld, je nach Wahl der Pensionskategorie zu ein, drei, fünf und acht Thalern normirt, und 2) die Bezahlung der Pensionsbeiträge gemäß der gewählten Kategorie. – Die Höhe der einst zu beziehenden Pension ordnet sich in vier Kategorien. Die Wahl einer derselben ist völlig freigestellt. In der ersten Kategorie zahlt das Mitglied jährlich sechs Thaler Beitrag und erwirbt dadurch eine jährliche Pension von hundertfünfzig Thalern.

Die zweite Kategorie zahlt jährlich zehn Thaler und erhält eine jährliche Pension von zweihundert Thalern.

Die dritte Kategorie zahlt jährlich zwanzig Thaler und erhält eine jährliche Pension von dreihundertdreiunddreißig und ein Drittel Thalern.

Die vierte Kategorie endlich zahlt jährlich vierzig Thaler und erhält eine jährliche Pension von sechshundert Thalern. Uebertritte aus einer Classe in die andere sind unter gewissen, der Casse vortheilhaften Bedingungen gestattet. Die Casse hat, vom Tage ihrer Gründung – 1. December 1871 – gerechnet, zehn Sammeljahre, während welcher keine Pension gezahlt wird.

Die Bedingungen der Pensionsfähigkeit sind: 1) zehnjährige Mitgliedschaft, respective zehnjähriges Zahlen der Beiträge, 2) erwiesene Dienstuntauglichkeit und 3) das zurückgelegte sechszigste Lebensjahr. Wer dieses Jahr erreicht hat, muß seine Pension erhalten, sobald er es beantragt. Das Vermögen der Anstalt wird gebildet: durch den während der ersten zehn (Sammel-) Jahre angesammelten Grundstock und durch die nach den ersten zehn Jahren eingebrachten Werthe. Der Grundstock darf nach zehnjährigem Bestande der Anstalt nicht mehr erhöht werden. Die ständigen Einnahmequellen der Anstalt bestehen: 1) in den Zinsen des unantastbaren Grundstockes; 2) in den Zinsen der übrigen Capitalien; 3) in den Pensionsbeiträgen der Mitglieder; 4) in den Erträgen einer Abgabe von ein Procent derjenigen Gastspiele aller Mitglieder, die nicht auf Engagement stattfinden; 5) in dem Ertrage der freiwillig zum Vortheile der Anstalt gegebenen Vorstellungen, Concerte, Matineen etc.; 6) in den Geschenken an die Anstalt und 7) in dem Ertrage der Strafgelder, Freibilletsteuer etc.

Die außerordentlichen Einnahmen können selbstverständlich bei der Genossenschaft deutscher Bühnenmitglieder enorme Summen bringen. Den Genossenschaftern ist ja die Veranstaltung von Vorstellungen, Concerten etc. zu Gunsten ihrer Pensionscasse vermöge der von ihnen ausgeübten Kunst so leicht gemacht. Mit Dank und Anerkennung muß hier hervorgehoben werden, daß der deutsche Bühnenverein auf Anregung seines Präsidenten, des Generalintendanten der königlichen Schauspiele, Herrn von Hülsen, Excellenz, in Berlin beschlossen hat. an jeder Vereinsbühne alljährlich ein Benefiz zu Gunsten der Pensioncasse zu veranstalten. Auch Kaiser Wilhelm hat auf Antrag des Herrn von Hülsen huldvoll bewilligt, daß die kaiserlichen Theater in Berlin, Hannover, Cassel und Wiesbaden alljährlich eine Benefizvorstellung zum Besten der Casse geben. Schließlich mögen noch einige Notizen über den gegenwärtigen Status des Ganzen folgen. Die letzte Uebersicht des Vermögens der Genossenschaft wurde aufgestellt am 27. August 1874 und bringt folgende Zahlen:

Activa:
225,297 Thlr. 6 Gr. - Pf.
Passiva:
49,428 Thlr. 116 Gr. 4 Pf.
Vermögen:
175,868 Thlr. 24 Gr. 8 Pf.

Davon sind über 100,000 Thaler in sicheren ersten Hypotheken veranlagt; außerdem circa 30,000 Thaler in sicheren Papieren, als preußisch consolidirte Anleihe, Berliner Pfandbriefe etc. Die Mitgliederzahl reicht nahe an 7000, gewiß eine stattliche Summe. Das in Berlin in der Charlottenstraße 85 belegene Haus, welches Eigenthum der Genossenschaft ist und einen Werth von 61,000 Thalern hat, enthält die Kanzleien für alle Zweige der Verwaltung.

Die Genossenschaft darf hoffen, nach Ablauf ihrer zehn Sammeljahre ein Vermögen von einer Million zu besitzen. – Jeder, der noch Freude hat am Wohlergehen des Nächsten, wird mit angenehmen Gefühlen auf diese Vereinigung blicken. Und gar die Tausende, die dem deutschen Theater von Herzen zugethan sind, sie werden sich dieses Triumphes der Selbsthülfe herzlich freuen. Das Fundament eines schönen, monumentalen Baues ist mit ausdauernder Begeisterung gelegt worden, und die Mauern sind zu schon stattlicher Höhe emporgewachsen. [97] Gottes Segen möge das Gebäude unter Dach und Fach bringen! Seine Vollendung bedeutet für Tausende Glück und Wiedergeburt, seine vorzeitige Zertrümmerung würde Niemand zum Segen gereichen. Es ist eine neue Institution, und sie wird der Erfahrung ihr Lehrgeld bezahlen müssen. Was auch die zünftigen Versicherungsmänner, die Feinde und Neider der Pensionsanstalt sagen mögen – Aehnliches war noch nicht da, und das hier Geschaffene kann also nicht nach den hergebrachten Maßstäben gemessen werden. Wenn auch nicht alle Hoffnungen, die in rosiger Glorie ausstrahlten, sich erfüllen sollten – aus einer Hoffnung ist schon eine Errungenschaft geworden: die deutschen Schauspieler haben sich endlich einmal selbst gefunden; das Gefühl der Zusammengehörigkeit ist in ihnen wach geworden, und sie sind im Begriffe, innerhalb des deutschen Bürgerthums ohne Ausnahme selbst gleichberechtigte und tüchtige Staatsbürger zu werden. Daß ihnen diese Errungenschaft nicht wieder geraubt werde, dafür mögen sie selbst in erster Linie sorgen. Aber auch das wohlwollende Interesse aller Freunde der deutschen Bühne darf und wird ihnen dazu nicht fehlen. Für gute Dinge kann man immer ein Herz haben, und es ist fürwahr ein gutes Ding um die „Genossenschaft deutscher Bühnenangehöriger“. –

Arno Hempel.