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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum: 1873
Erscheinungsdatum: 1873
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: commons
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[89]

No. 6.   1873.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 16 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Glück auf!
Von E. Werner.


(Fortsetzung.)


Herr Wilberg hatte von Neuem Gelegenheit, sich über Ulrich’s „abscheuliches Betragen“ zu ärgern, denn dieser stand noch immer unbeweglich da, die Stirn finster zusammengezogen, die Lippen fest aufeinandergepreßt, kurz mit dem Ausdrucke jenes starren Widerstandes, mit dem er sich einst beim Eintritt in den Salon gewaffnet. Man sah es ja, daß er den Haß gegen die junge Gemahlin seines Chefs erst förmlich niederkämpfen mußte, aber diesmal siegte doch seine bessere Natur. Herr Wilberg beobachtete es ganz deutlich, wie bei dem ersten Tone jener Stimme ihn die Scham über sein Benehmen durchzuckte, wie sie ihm glühend roth bis an die Stirn emporstieg und sogar seiner Haltung das Feindselige, Trotzige nahm. Jedenfalls war auch die vorhergegangene Strafpredigt nicht ohne Wirkung geblieben, wie hätte sonst dieser eisenköpfige Hartmann, dem nichts mit Güte oder Gewalt abzuzwingen war, sich auf eine bloße Frage hin in stummem Gehorsam gefügt, wie jetzt, wo er in’s Haus ging und bereits nach Verlauf von einigen Minuten mit dem Tuche in der Hand wieder zurückkam.

„Hier, gnädige Frau.“

Eugenie steckte das Tuch zu sich, auf das sie nicht den geringsten Werth zu legen schien.

„Und nun, Herr Wilberg, da ich Sie hier finde, können Sie mir wohl die beste Auskunft geben. Ich habe zum ersten Male den Weg hier entlang genommen und finde die Brücke, die zum Parke führt, durch ein Gitter geschlossen. Ist es nicht zu öffnen, und muß ich den Umweg zurück durch die ganzen Werke nehmen?“

Sie wies auf die nur wenige Schritte entfernte Brücke, die über einen kleinen Graben führte, der den Park nach dieser Seite hin abschloß, und die in der That durch ein Eisengitter gesperrt war. Herr Wilberg befand sich in Verzweiflung. Das Gitter war wirklich verschlossen; man wollte den Park damit für die Arbeiter, deren Wohnungen zum Theil auf dieser Seite lagen, unzugänglich machen, aber der Gärtner hatte den Schlüssel, Willberg wollte eilen, fliegen, um ihn herbeizuschaffen, wenn die gnädige Frau sich entschließen könnte, so lange zu warten, bis –

„O nicht doch!“ unterbrach ihn Eugenie, ein wenig ungeduldig. „Dann hätten Sie ja zwei Mal den Umweg zu machen, den ich vermeiden will, und das Warten möchte doch etwas zu lange dauern. Ich ziehe es vor, umzukehren.“

Wilberg wollte das nicht zugeben, er bat und beschwor die gnädige Frau, ihm doch das Glück dieses Ritterdienstes zu gönnen, als er mitten in seiner wohlgesetzten Rede durch ein lautes Krachen unterbrochen wurde.

Ulrich hatte sich inzwischen dem Gitter genähert und es mit beiden Händen erfaßt. Er schüttelte die Eisenstangen jetzt mit solcher Gewalt, daß Schloß und Riegel ächzten. Als sie dennoch nicht sofort nachgaben, flog ein zorniges Aufleuchten über die Züge des jungen Arbeiters; ein energischer Fußtritt brach den letzten Widerstand des allerdings nicht mehr ganz neuen Verschlusses – die Thür sprang auf.

„Um Gotteswillen, Hartmann, was machen Sie denn!“ rief Wilberg erschrocken. „Sie verderben ja das ganze Schloß! Was wird Herr Berkow sagen!“

Ulrich gab ihm keine Antwort. Er stieß die Thür vollends auf und wandte sich dann ruhig zurück.

„Der Weg ist offen, gnädige Frau.“

Eugenie sah nicht halb so bestürzt aus wie der junge Beamte, als sie den so ungestüm geöffneten Weg betrat; sie lächelte sogar.

„Ich danke Ihnen, Hartmann, und was das verdorbene Schloß betrifft, Herr Wilberg, so machen Sie sich keine Sorge deswegen, ich übernehme die Verantwortung. Aber da die Thür einmal offen ist – wollen Sie nicht auch den kürzeren Weg durch den Park nehmen?“

Welch ein Anerbieten! Herr Wilberg eilte nicht, er stürzte, er flog an die Seite der gnädigen Frau und zermarterte in der Eile sein Gehirn, um nun auch sogleich auf ein möglichst interessantes und geistreiches Gesprächsthema zu stürzen, aber er war gezwungen, zunächst ein sehr prosaisches zu beginnen, da Eugenie den Kopf zurückwandte, wieder mit jenem ernsten, nachsinnenden Blick, der schon einmal vergebens versucht hatte, das widerspruchsvolle und ihr völlig räthselhafte Wesen jenes Mannes zu durchdringen.

„Eine wahre Berserkerkraft hat dieser Hartmann und eine Berserkerwuth dazu! Zertrümmert er da ohne Weiteres Schloß und Riegel, nur –“

„Nur um mir einen bequemeren Weg zu bahnen,“ ergänzte Eugenie mit leiser Ironie auf ihren Begleiter blickend. „Nicht wahr, Herr Wilberg, einer so gewaltsamen Höflichkeit hätten Sie sich nicht schuldig gemacht?“

Herr Wilberg protestirte eifrig gegen eine solche Zumuthung. Wie die gnädige Frau denn glauben könne, er werde sich so ungestüm an fremdem Eigenthum vergreifen, noch dazu in ihrer [90] Gegenwart, nimmermehr! Aber die gnädige Frau hörte dieser Versicherung mit auffallender Zerstreutheit zu, und es gelang ihm während des ganzen Weges nicht, ihre Aufmerksamkeit zu fesseln, so viele Mühe er sich auch damit gab.

Hartmann hatte das Gitter wieder angelehnt und war langsam nach dem Hause zurückgekehrt. Vor der Thür desselben aber blieb er stehen und blickte unverwandt nach dem Parke hinüber, in dessen Alleen die beiden Gestalten soeben verschwanden. –

„Ich dächte, Ulrich, wenn Du einmal Nein gesagt hättest, so bliebe es dabei!“

Der junge Mann wandte sich hastig um und ein finstrer Blick glitt über Martha hin, die an seiner Seite stand.

„Was geht das Dich an?“ fragte er unfreundlich.

„Mich? Nichts! Schau nicht so finster d’rein, Ulrich; Du bist mir böse, weil ich die gnädige Frau an das Tuch erinnert habe, aber es gehört ihr doch nun einmal, und was willst Du denn auch mit dem zarten weißen Dinge anfangen? Du kannst es ja nicht einmal anrühren, wenn Du von der Arbeit kommst, – angesehen hast Du es freilich genug.“

Es lag ein leiser, aber doch unverkennbarer Hohn in der Stimme des Mädchens, und auch Ulrich mußte ihn herausfühlen, denn er fuhr heftig auf.

„Laß’ mich in Ruhe mit Deinem Spotten und Deinem Spioniren! Ich sage Dir, Martha –“

„Nun, nun, was giebt es denn da draußen? Zankt Ihr Euch etwa?“ tönte die Stimme des Schichtmeisters dazwischen, der jetzt gleichfalls in die Thür trat.

Ulrich kehrte sich grollend ab, aber er schien keine Lust zu haben, den Streit fortzusetzen, während Martha, ohne dem Oheim eine Antwort zu geben, an ihm vorüber in’s Haus eilte.

„Was hat denn das Mädchen?“ fragte der Schichtmeister, verwundert ihr nachsehend, „und was war denn das zwischen Euch beiden? Hast Du sie wieder einmal rauh angelassen?“

Ulrich warf sich mit einer trotzigen Bewegung auf die Bank nieder.

„Ich lasse mir nicht vorhalten, was ich thun und lassen soll, am wenigsten von der Martha!“

„Nun, die thut Dir doch gewiß nichts zu wehe!“ meinte der Vater ruhig.

Mir nicht? Warum gerade mir?“

Der Schichtmeister sah seinen Sohn an und zuckte die Achseln. „Höre Junge, hast Du keine Augen im Kopfe, oder willst Du es nicht wissen? Freilich, Du hast Dich ja niemals um die Frauenzimmer gekümmert, und da ist’s am Ende kein Wunder, wenn Du sie ganz und gar nicht begreifst.“

„Was soll ich denn begreifen?“ fragte der junge Mann aufmerksam werdend.

Der Vater nahm die Pfeife aus dem Munde und blies eine Rauchwolke vor sich hin. „Daß Dich die Martha gern hat!“ erwiderte er lakonisch.

„Die Martha? Mich?“

„Ich glaube wahrhaftig, er hat es noch nicht gewußt!“ sagte der Schichtmeister mit aufrichtiger Verwunderung. „So etwas muß ihm erst sein alter Vater sagen! Aber das kommt davon, wenn man die Nase immer in Dinge steckt, die einem nur den Kopf wirr machen! Weiß Gott, Ulrich, es wäre Zeit, daß Du endlich einmal all den anderen Geschichten den Abschied gäbest und eine ordentliche Frau nähmest, die Dich auf bessere Gedanken bringt.“

Ulrich blickte nach dem Parke hinüber und seine Augen nahmen wieder den starren, düsteren Ausdruck an, wie vorhin.

„Du hast Recht, Vater,“ sagte er langsam, „es wäre Zeit!“

Der Alte ließ vor Ueberraschung beinahe die Pfeife fallen. „Junge, das ist das erste gescheite Wort, was ich von Dir höre! Bist Du endlich zu Verstande gekommen? Ja, freilich ist es Zeit! Du kannst längst eine Frau ernähren und Du findest weit und breit keine hübschere, bravere, gescheitere, als die Martha. Wie froh ich wäre, wenn aus Euch beiden ein Paar würde, das brauche ich Dir doch nicht erst zu sagen. Ueberlege Dir die Sache einmal!“

Der junge Mann war aufgesprungen und ging heftig auf und nieder. „Vielleicht wär’s das Beste! Ein Ende muß doch einmal gemacht werden, es muß! das habe ich heut erst wieder gesehen, also – je eher, je lieber!“

„Was hast Du denn? Womit soll ein Ende gemacht werden?“

„Nichts, Vater, nichts. Aber Du hast ganz Recht, wenn ich erst eine Frau habe, dann weiß ich auch, wo ich mit meinen Gedanken hingehöre – Du glaubst also, daß die Martha mich gern hat?“

„Geh hin und frage sie selbst!“ rief der Schichtmeister lachend. „Meinst Du denn, daß ich das Mädchen noch im Hause hätte, wenn sie einen Anderen wollte? Der fehlt es wahrhaftig nicht an Freiern! Ich weiß genug, die sie möchten, und der Lorenz giebt sich nun schon seit Jahr und Tag vergebene Mühe. Er hat noch immer kein Ja bekommen; Du bekommst es noch heute, wenn Du willst, verlaß Dich darauf!“

Ulrich hörte gespannt zu, aber trotz dieser für ihn doch so schmeichelhaften Erklärung war nicht viel von Glück oder Befriedigung auf seinem Gesichte zu lesen. Er sah aus, als zwinge er mit Gewalt irgend ein rebellisches Etwas nieder, das ihn nicht zum Entschluß kommen lassen wollte, und es war auch etwas Wildes, Krampfhaftes in dem jäh aufflammenden Entschluß, mit dem er sich jetzt zum Vater wandte.

„Nun gut, wenn Du meinst, daß ich keinen Abschlag bekomme, so – so will ich mit der Martha sprechen.“

„Jetzt gleich?“ fragte der Schichtmeister betroffen. „Aber, Ulrich, man freit doch nicht so über Hals und Kopf, wenn man eine Viertelstunde vorher noch keine Idee davon gehabt hat! Ueberlege Dir die Sache doch erst.“

Ulrich machte eine ungeduldige Bewegung. „Wozu das lange Abwarten! Ich muß wissen, woran ich bin. Laß mich hinein, Vater!“

Der Vater schüttelte den Kopf, aber er hatte viel zu große Furcht, der so plötzlich gefaßte Entschluß könne seinem Sohne wieder leid werden, um ihn ernstlich zurückzuhalten. In seiner Herzensfreude kümmerte es ihn wenig, wenn die so sehnlichst gewünschte Verbindung in etwas ungewöhnlicher Art zu Stande kam; er beschloß im Gegentheil, ganz ruhig hier draußen zu bleiben, damit die jungen Leute drinnen ungestört mit einander fertig werden könnten, denn er kannte Ulrich genug, um zu wissen, daß eine unzeitige Einmischung seinerseits jetzt alles verderben würde.

Der junge Mann war inzwischen rasch, als wolle und dürfe er sich auch nicht eine Minute Zeit zum Besinnen gönnen, durch den Hausflur geschritten und hatte die Thüre der Wohnstube geöffnet. Martha saß am Tisch, die sonst so fleißigen Hände müßig im Schooße; sie schaute nicht auf, als er eintrat, und schien sich auch nicht darum zu kümmern, daß er dicht neben ihrem Stuhle stehen blieb; desto besser sah er, daß sie geweint hatte.

„Trägst Du es mir nach, Martha, daß ich vorhin wieder einmal aufgefahren bin? Es thut mir leid – was siehst Du mich so an?“

„Weil es das erste Mal ist, daß Dir das leid thut! Du hast sonst wenig darnach gefragt, wie ich’s nehme – so laß es auch heut.“

Der Ton klang kalt und abweisend genug, aber Ulrich ließ sich dadurch nicht zurückscheuchen. Die Enthüllungen des Vaters mußten trotz alledem doch mächtig auf seine störrische Natur gewirkt haben, denn seine Stimme klang ungewöhnlich milde, als er entgegnete:

„Ich weiß, daß ich ein ganzes Theil schlimmer bin, als die Anderen, aber ich kann’s nun einmal nicht ändern. Du mußt mich schon nehmen, wie ich gerade bin, und vielleicht machst Du auch noch etwas Besseres aus mir.“

Das Mädchen hatte schon beim ersten Ton befremdet aufgeblickt, und in seinem Gesicht mußte wohl etwas Ungewöhnliches liegen, denn sie machte eine heftige Bewegung, um aufzustehen. Ulrich hielt sie fest.

„Bleib’ hier, Martha! Ich habe mit Dir zu reden; ich wollte Dich fragen – nun, viel Worte kann ich nicht machen, und das braucht’s ja auch nicht zwischen uns. Wir sind Geschwisterkinder, sind seit Jahren zusammen in einem Hause; Du wirst am besten wissen, was Du von mir zu halten hast, und Du weißt auch, daß ich Dich immer gern gehabt habe, trotz alles Streitens – willst Du meine Frau werden, Martha?“

Die Werbung kam so gewaltsam, so stürmisch und heftig heraus, wie es in dem Wesen des Freiers lag. Er athmete tief auf, als sei mit dem entscheidenden Worte auch eine Last [91] von seiner Brust herunter. Martha saß noch immer unbeweglich vor ihm; ihre sonst so blühende Gesichtsfarbe war einer tiefen Blässe gewichen, aber sie schwankte und zögerte auch nicht einen Moment lang, als sie ein leises, freilich halb ersticktes Nein hervorstieß.

Ulrich glaubte nicht recht gehört zu haben. „Nicht?“

„Nein, Ulrich, ich will nicht!“ wiederholte das Mädchen tonlos, aber fest.

Der junge Mann richtete sich beleidigt auf. „Nun, dann freilich hätte ich die ganze Rede sparen können! Der Vater hat sich also geirrt und ich dazu. Nichts für ungut, Martha!“

Durch die kurze Abweisung in seinem Mannesstolze arg verletzt, war er im Begriff, die Stube zu verlassen, als ein Blick auf Martha ihn zwang zu bleiben. Sie hatte sich erhoben und mit beiden Händen die Lehne des Stuhles gefaßt, als müsse sie sich daran halten. Kein Wort der Erwiderung oder der Erklärung kam über ihre Lippen, aber diese Lippen bebten so heftig und in dem bleichen Gesichte zuckte ein so unnennbares Weh, daß Ulrich eine Ahnung überkam, sein Vater könne trotz alledem Recht haben.

„Ich glaubte, Du hättest mich gern, Martha!“ sagte er mit leisem Vorwurf.

Sie wandte sich mit einer heftigen Bewegung weg von ihm und verbarg das Gesicht in den Händen, aber er hörte einen Laut, der wie mühsam unterdrücktes Schluchzen klang.

„Ich hätte es mir denken können, daß ich Dir zu rauh, zu wild bin. Du fürchtest Dich davor und meinst, es könnte nach der Heirath nach schlimmer damit werden – an dem Lorenz wirst Du freilich einen besseren Mann haben, der Dir in allen Stücken den Willen thut.“

Das Mädchen schüttelte den Kopf und sie kehrte ihm jetzt auch langsam das Gesicht wieder zu. „Ich fürchte mich nicht vor Dir, wenn Du auch oft rauh und wild bist. Ich weiß, Du kannst nicht anders, und ich hätte Dich genommen, wie Du warst, und vielleicht gern genommen. Aber so will ich Dich nicht, Ulrich, wie Du jetzt bist, wie Du bist seit dem Tage, wo – die gnädige Frau herkam.“

Ulrich zuckte zusammen; eine flammende Röthe schlug auf einmal in seinem Gesichte auf. Er wollte auffahren, wollte ihr heftig Schweigen gebieten und brachte doch keine Sylbe über die Lippen.

„Der Oheim meint, Du kümmertest Dich um Niemanden, weil Du ganz andere Gedanken im Kopfe hättest,“ fuhr Martha immer erregter fort, „ja wohl, ganz andere Gedanken! Um mich hast Du Dich auch nie gekümmert, und jetzt kommst Du auf einmal und willst mich zur Frau haben! Du brauchst wohl Jemand, der Dir die ‚Gedanken‘ forttreibt, nicht wahr, Ulrich? Und dazu ist Dir die nächste Beste recht, dazu bin ich Dir gut genug? Aber so weit ist’s denn doch noch nicht, daß ich dazu tauge. Und wenn ich Dich lieb gehabt hätte mehr als Alles in der Welt, und wenn es mir an’s Leben ginge, daß ich von Dir lassen muß – lieber den Lorenz, lieber jeden Anderen jetzt, nur Dich nicht!“

Es war ein Ausbruch furchtbarer Leidenschaftlichkeit bei dem sonst so ruhigen Mädchen. An dem Sturme, den er in ihr entfesselt, hätte Ulrich empfinden können, wie tief er ihr im Herzen saß, vielleicht empfand er es auch wirklich, aber das nahm die Wolke nicht von seiner Stirn und nicht den flammenden Schein, der dunkler wurde bei jedem ihrer Worte. Er hatte keine Erwiderung darauf, und als sie jetzt in ein lautes Weinen ausbrach, da stand er stumm neben ihr, ohne ein Wort des Trostes oder der Beruhigung. So vergingen einige Minuten in qualvollem Schweigen. Martha lag mit Kopf und Armen über den Tisch hingeworfen. Man hörte nur ihr krampfhaftes Schluchzen und dazwischen das einförmige Ticken der alten Wanduhr. Endlich beugte sich Ulrich zu ihr hinab; seine Stimme war nicht mehr rauh und heftig, aber auch nicht milde; es lag in ihr nur ein dumpfes Schmerzgefühl.

„Laß gut sein, Martha! Ich dachte, es sollte besser werden, wenn Du mir hülfest; vielleicht wäre es auch nur schlimmer geworden, und Du hast ganz Recht, wenn Du es darauf hin nicht mit mir wagen willst. So bleibt es denn beim Alten mit uns Beiden.“

Er ging ohne weiteren Abschied; nur an der Schwelle blieb er noch einmal stehen und sah nach dem Mädchen zurück. Sie hob den Kopf nicht, und er ging rasch vollends hinaus.

„Nun?“ fragte eifrig der Schichtmeister, der ihm draußen entgegen kam. „Nun?“ wiederholte er langsamer, denn das Gesicht seines Sohnes sah nicht aus wie das eines glücklichen Bräutigams.

„Es war umsonst, Vater!“ sagte Ulrich tonlos. „Die Martha will mich nicht.“

„Will Dich nicht? Dich nicht?“ rief der Alte in einem Tone, als ob ihm das Unglaublichste von der Welt gemeldet werde.

„Nein! Und nun quäle sie nicht erst noch mit vielen Fragen und Redereien darüber; sie wird wohl wissen, weshalb sie mir einen Abschlag gegeben hat, und ich weiß es auch, also nützt der Dritte nichts dazwischen. Und nun laß mich gehen, Vater; ich muß fort.“

Heftig, als wolle er jeder ferneren Erörterung ausweichen, eilte der junge Mann davon; der Schichtmeister faßte mit beiden Händen seine Pfeife und kam fast in Versuchung, sie auf den Boden zu schmettern, um seinem Aerger Luft zu machen.“

„Versteh’ sich einer auf die Frauenzimmer! Ich hätte meinen Kopf gelassen, daß das Mädel ihn lieb hat, und jetzt schickt sie ihn mit einem Nein fort und er – ich dachte doch nicht, daß es dem Jungen so nahe gehen würde. Er sah ja ganz verstört aus, und wie toll läuft er davon; aber der steht mir im Leben nicht Rede, soviel kenne ich ihn, und die Martha eben so wenig.

Der Schichtmeister begann heftig in dem Gärtchen auf und ab zu laufen, bis seine Wuth einer mehr resignirten Stimmung Platz machte. Was war denn auch am Ende dagegen zu machen? Mit Gewalt zusammen thun konnte man doch die Beiden nicht, wenn sie nun einmal nicht wollten, und es nützte nichts, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, warum sie nicht wollten. Mit einem schweren Seufzer nahm der Alte Abschied von seinem gescheiterten Lieblingsplane; erzwingen ließ sich so etwas ja nicht.

Er stand noch in trüben Gedanken an der Gartenthür, als er den jungen Herrn Berkow den Weg entlang kommen sah, der an seinem Häuschen vorüber nach der hinteren Seite des Parkes führte. Arthur schien besser mit den Zugängen desselben vertraut zu sein, als seine Gemahlin. Er zog bereits einen Schlüssel aus der Tasche, der jedenfalls zu dem vorhin so gewaltsam geöffneten Schloß paßte. Der Schichtmeister grüßte tief und ehrerbietig, als der junge Erbe vorüberkam, der in gewohnter Theilnahmlosigkeit kaum einen Blick seitwärts warf, und mit einer vornehm nachlässigen Bewegung des Kopfes, die wahrscheinlich einen Dank ausdrücken sollte, im Begriff stand, weiter zu gehen. Es zuckte schmerzlich in den Zügen des alten Mannes; er stand noch immer mit seinem abgezogenen Käppchen in der Hand und sah ihm mit einem stillen traurigen Blicke nach, der zu sagen schien: „So also bist Du geworden!“

Ob Arthur diesen Blick bemerkte oder ob es ihm jetzt erst einfiel, daß er ja den alten Freund und Gefährten seiner Kinderjahre vor sich habe, er blieb plötzlich stehen.

„Sieh da, Hartmann! Wie geht es Ihnen?“

In seiner matten, gleichgültigen Weise streckte er ihm die Hand hin und schien etwas befremdet, als sie nicht sofort ergriffen wurde, aber dem Schichtmeister war eine solche Vertraulichkeit seit Jahren nicht zu Theil geworden; er zögerte sie anzunehmen, und als er es endlich dennoch that, geschah es so scheu und vorsichtig, als fürchte er, die feine weiße Hand könne in seiner harten Faust Schaden leiden.

„Ich danke! Mir geht es ja soweit gut, Herr Arthur – um Vergebung: Herr Berkow wollte ich sagen.“

„Bleiben Sie nur bei dem Arthur,“ sagte der junge Mann ruhig. „Sie sind mehr daran gewöhnt, und ich höre es auch lieber von Ihnen als den anderen Namen. Sie sind also zufrieden, Hartmann?“

„Gott sei Dank, ja, Herr Arthur. Ich habe, was ich brauche. Ein bischen Kummer und Sorge giebt es ja in jedem Hause; ich habe sie nun grade wegen meiner Kinder – aber das ist einmal nicht anders.“

Der Schichtmeister sah mit Verwunderung, daß der junge Herr näher trat und beide Arme auf das Holzgitter legte, als beabsichtige er ein längeres Gespräch.

„Mit Ihren Kindern? Ich dachte, Sie hätten nur einen einzigen Sohn?“

[92] „Ganz recht, meinen Ulrich! Ich habe aber noch ein Schwesterkind im Hause, die Martha Ewers.“

„Und die macht Ihnen Sorge?“

„Bewahre!“ rief der Schichtmeister eifrig. „Das Mädchen ist so brav und gut wie nur irgend eine, aber ich hatte mir so gedacht, es könnte aus ihr und dem Ulrich ein Paar werden, und –“

„Und der Ulrich will wohl nicht?“ unterbrach ihn Arthur mit einem eigenthümlich raschen Aufblick der sonst so müden Augen.

Der Alte zuckte die Achseln. „Ich weiß nicht! Hat er wirklich nicht gewollt oder hat er es nur verkehrt angefangen, genug, es ist aus zwischen ihnen. Und das war noch meine letzte Hoffnung, daß er eine ordentliche Frau bekäme, die ihm den Kopf zurecht setzt.“

Es war seltsam, daß die doch gewiß sehr einfachen und uninteressanten Familiengeschichten des alten Bergmannes den jungen Herrn nicht zu langweilen schienen; er gähnte nicht einmal, was ihm sonst gewöhnlich passirte, wo er sich keinen Zwang aufzuerlegen brauchte, und sein Gesicht verrieth sogar ein gewisses Interesse, als er fragte:

„Ist Ihnen denn der Kopf nicht recht, so wie er ihn jetzt trägt?“

Der Schichtmeister sah den Fragenden scheu von der Seite an und dann zu Boden.

„Nun, Herr Arthur, Ihnen brauche ich doch das nicht erst zu sagen. Sie werden wohl schon genug über den Ulrich gehört haben.“

„Ja, ich erinnere mich; mein Vater sprach mir davon. Ihr Sohn ist nicht gut angeschrieben bei den Herren drüben, Hartmann, ganz und gar nicht!“

Der Alte stieß einen Seufzer aus. „Ja, ich kann’s nicht ändern! Er folgt mir nicht mehr, hat mir eigentlich nie gefolgt. Er mußte immer seinen Kopf für sich haben und ihn überall durchsetzen. Ich habe den Jungen ein ganz Theil mehr lernen lassen als die Anderen, vielleicht mehr als ihm gut war; ich dachte, er sollte schneller vorwärts kommen, und er ist ja auch schon Steiger und bringt’s wohl auch noch bis zum Obersteiger, aber von dem Lernen ist doch das ganze Unglück hergekommen! Da kümmert er sich um alle möglichen Geschichten, will alles besser wissen, sitzt die ganze Nacht über den Büchern und ist bei seinen Cameraden alles in allem. Wie er es anfängt, überall der Erste zu sein, das weiß ich nicht, aber er war noch ein kleiner Bube, da hatte er sie schon sämmtlich unter der Fuchtel, und jetzt ist das ärger als je. Was er sagt, das glauben sie blindlings; wo er steht, da stehen sie allesammt, und wenn er sie in die leibhaftige Hölle hineinführte, sie gingen mit, wenn er nur voran wäre. Das ist aber ganz und gar nicht gut, zumal hier auf unseren Werken nicht.“

„Warum grade bei uns nicht?“ fragte Arthur, während er wie in tiefen Gedanken mit dem Schlüssel Figuren auf das Holz des Gitters zeichnete.

„Weil’s die Leute doch hier gar zu schlimm haben!“ platzte der Schichtmeister heraus. „Seien Sie nicht böse, Herr Arthur, daß ich Ihnen das so in’s Gesicht sage, aber es ist einmal so. Ich kann ja nicht klagen; mir ist es von jeher über die Gebühr gut gegangen, weil Ihre verstorbene Mutter meine Frau gern hatte – aber die Anderen! Das arbeitet und plagt sich Tag für Tag und schafft doch kaum das Nothwendigste für Frau und Kind. Es ist, weiß Gott, ein schweres Brod und ein saures Brod, aber arbeiten müssen wir ja Alle, und die Meisten thäten es ja auch herzlich gern, wenn ihnen nur ihr Recht würde, wie aus den anderen Werken. Aber hier drückt und preßt man sie noch um jeden Groschen von ihrem kargen Lohn, und in den Schachten unten sieht es so schlimm aus, daß Jeder beim Einfahren erst sein Vaterunser betet, weil er immer denken muß, die Geschichte stürzt ihm einmal über dem Kopfe zusammen. Aber es ist ja nie Geld zum Ausbessern da, und wenn Einer einmal in Noth und Elend ist, dann ist auch kein Geld da, und dabei müssen sie sehen, wie die Hunderttausende nur immer so nach der Residenz geschickt werden, damit –“

Der Alte hielt plötzlich inne und schlug sich im wahren Todesschrecken auf den vorwitzigen Mund. Er hatte sich so in den Eifer hineingesprochen, daß er ganz und gar vergessen hatte, wer vor ihm stand; erst die tiefe Röthe, die bei den letzten Worten in dem Gesichte des jungen Mannes aufstieg, brachte ihn zur Besinnung.

„Nun?“ fragte Arthur, als er schwieg. „Sprechen Sie doch weiter, Hartmann! Sie sehen ja, daß ich zuhöre.“

„Um Gotteswillen!“ stotterte der alte Mann in tödtlicher Verlegenheit, „ich meinte das nicht so, ich hatte ganz vergessen –“

„Wer die Hunderttausende gebraucht hat! Sie sollen sich jetzt nicht entschuldigen, Hartmann, sondern ungescheut aussprechen, was Sie mir sagen wollten. Oder glauben Sie, daß ich bei meinem Vater den Angeber machen werde?“

„Nein!“ sagte der Schichtmeister ehrlich. „Das thun Sie ganz gewiß nicht. Sie sind nicht wie Ihr Herr Vater, bei dem hätte mich das vorwitzige Wort den Dienst gekostet. Nun, ich meinte nur, das Alles setzt böses Blut bei den Leuten. Herr Arthur“ – er trat ihm mit halb schüchterner, halb zutraulicher Bitte einen Schritt näher –, „wenn Sie sich doch einmal um die Sachen kümmern wollten! Sie sind ja der Sohn des Herrn Berkow und werden später das Alles hier erben; es geht doch Keinen näher an als Sie!“

„Ich?“ sagte Arthur mit einer Bitterkeit, die zum Glück seinem ungeübten Zuhörer völlig entging; „ich verstehe nichts von dem, was hier auf den Werken Brauch und Nothwendigkeit ist; das ist mir von jeher völlig fremd geblieben.“

Der alte Mann schüttelte traurig den Kopf. „Du lieber Gott, was ist da viel zu verstehen! Dazu brauchen Sie nicht erst die Maschinen und die Schachte studirt zu haben. Sie brauchen die Leute nur anzusehen und anzuhören, wie Sie mich jetzt anhören, aber freilich, das thut ja Keiner. Wer klagt, wird fortgeschickt, und dann heißt es gleich ‚wegen Widersetzlichkeit‘, und ein armer Bergmann, der deswegen entlassen ist, findet schwer ein anderes Unterkommen. Herr Arthur, ich sage Ihnen, es ist ein Elend; und das ist’s, was der Ulrich nicht mit ansehen kann, was ihm das Herz abfrißt, und wenn ich zehn Mal gegen seine Ideen rede und predige, im Grunde hat er ja doch Recht; so kann es nicht bleiben. Nur wie er das durchsetzen will, das ist gottlos und sündlich; das wird ihn noch in’s Unglück bringen und die Anderen dazu. Herr Arthur“ – dem Schichtmeister standen die bitteren Thränen in den Augen, als er diesmal ohne alles Zögern die Hand des jungen Mannes ergriff, die noch auf dem Gitter lag –, „ich bitte Sie um Gotteswillen, lassen Sie das nicht so fortgehen! es ist nicht gut, auch für Herrn Berkow nicht. Auf den anderen Werken giebt es ja jetzt auch überall Streit, aber wenn es bei uns einmal losbricht, dann gnade uns Gott, dann wird’s fürchterlich!“

Arthur hatte während der ganzen Rede stumm vor sich hingesehen; jetzt hob er das Auge und richtete einen langen finsteren Blick auf den Sprechenden.

„Ich werde mit meinem Vater sprechen,“ sagte er langsam. „Verlassen Sie sich darauf, Hartmann!“

Der Schichtmeister ließ die ergriffene Hand wieder fallen und trat zurück. Er hatte hier, wo er sein ganzes Herz ausgeschüttet, doch wohl eine andere Wirkung erwartet, als diese karge Verheißung. Arthur richtete sich empor und wandte sich zum Gehen.

„Noch Eines, Hartmann! Ihr Sohn hat mir neulich das Leben gerettet, und es hat ihn wohl gekränkt, daß er kein Wort des Dankes darüber hörte. Ich lege wenig Werth auf das Leben überhaupt, möglich, daß ich deshalb den geleisteten Dienst zu gering anschlug, aber ich hätte das Versäumte nachgeholt, wenn“ – der junge Erbe zog die Augenbrauen zusammen, und seine Stimme gewann einen scharfen Klang – „wenn Ihr Ulrich nicht eben Der wäre, der er ist. Ich habe keine Lust, meine Anerkennung vielleicht in derselben Weise zurückgewiesen zu sehen, wie dies neulich meinem Beauftragten gegenüber geschah. Für undankbar möchte ich trotzdem nicht gehalten werden; sagen Sie ihm, ich lasse ihm danken, und wegen des Uebrigen werde ich mit meinem Vater Rücksprache nehmen. Leben Sie wohl!“

Er schlug den Weg nach dem Parke ein. Der Schichtmeister sah ihm trübe nach, und ein schwerer Seufzer kam über seine Lippen, als er leise vor sich hin sagte: „Gebe Gott, daß es etwas hilft – ich glaube es nicht!“

(Fortsetzung folgt.)


[93] 

Heerdenruf der Lappländerin am Abend.
Nach der Natur aufgenommen von Emma Eckwall aus Stockholm.

[94]

Erinnerungen aus dem Indianeraufstand in Minnesota.[1]

1. Der Ausbruch.

Es war im Sommer des Jahres 1862. Wie ein schwerer, unheimlicher Druck lag es auf dem ganzen Lande der Vereinigten Staaten von Amerika. Wie konnte es auch anders sein? Schon so viel Bürgerblut war in der großen Rebellion der Südstaaten gegen die Union geflossen, und trotzdem loderte der Brand des Aufruhrs fast heller als je; schon so viele der Besten des Landes beweinten Söhne und Gatten und Väter und Freunde, die fern von der Heimath in südlicher Erde ein unbekanntes Grab gefunden hatten; und jetzt wurden sie schon wieder aufgefordert, das Liebste und Theuerste sich vom Herzen zu reißen und es auf den Altar des Vaterlandes niederzulegen. Dennoch geschah es, schnell und ohne Murren; aber daß gar Mancher seufzend den wolkenbehangenen Himmel des Vaterlandes anschaute, und bekümmert, ja wohl ungeduldig auf den Aufgang der Siegessonne wartete, wer konnte dies auch dem redlichsten Patrioten verdenken?

Das kleine Städtchen am Minnesota-Flusse, in welchem ich damals lebte, hatte ebenfalls sein freiwilliges Contingent treulich gestellt; am zehnten August hatten sich etwa ein Dutzend kräftiger Männer, meist Deutsche, von uns verabschiedet und waren am folgenden Tage nach Fort Snelling, dem Rendez-vous-Platze des Regiments, aufgebrochen.

In diesen düstern Tagen machte ich mich auf, um ein nothwendiges Geschäft bei der Indianer-Agentur am oberen Minnesota, das sich nicht länger aufschieben ließ, in Ordnung zu bringen; zugleich dachte ich durch die kleine Reise mich etwas zu zerstreuen und mein Gemüth von dem auf demselben lastenden Druck zu befreien. Mein Weg führte mich meist am Minnesotafluß entlang, theils durch schönes hügeliges Waldland, theils durch grüne „rollende“ Prairie, häufig durch kleine Städtchen und Ansiedelungen, anmuthig am steilen Ufer des Flusses oder im Schooße des herrlichen Laubwaldes gelegen, streckenweise auch durch Gegenden, die noch der fleißigen Hand des Ansiedlers harrten. Auf’s Neue trat mir die überraschende Schönheit und Fruchtbarkeit dieses gesegneten Landes entgegen, in welchem es auch dem Aermsten möglich ist, durch Fleiß und Ausdauer sich eine glückliche und behäbige Existenz zu schaffen, am eignen Herd sein eigner Herr zu werden und durch fast nichts in diesem Glück gestört zu werden, als durch des Menschen eigenen bösen Willen.

Am Sonnabend Abend, den 10. August, erreichte ich die „Untere Agentur“.

Zum besseren Verständniß des Nachfolgenden ist es nothwendig, eine kurze Auseinandersetzung der Indianerverhältnisse im Westen der Vereinigten Staaten einzuschalten.

Es ist bekannt, daß die Ureinwohner Nordamerikas von der fortschreitenden Civilisation immer mehr nach Westen gedrängt wurden, bis endlich die meisten Stämme oder deren Ueberreste den „Vater der Ströme“ überschritten hatten, und sich in die unermeßlichen Ebenen zwischen dem Mississippi und dem Felsengebirge neue Jagdgründe suchten. Aber auch dies genügte dem weißen Manne nicht. Der mächtige Strom war ihm keine Grenzscheide zwischen Civilisation und Barbarei. Hinüber zog er mit Büchse und Pflug; neue kraftvolle Staaten und Territorien bildeten sich in märchenhafter Geschwindigkeit am Westufer des Mississippi, und der rothe Mann mußte seinen ruhelosen Fuß weiter setzen. Viele indianische Stämme hatten indeß doch durch die vielfache Berührung mit ihren Bedrängern etwas gelernt und entschlossen sich, den ewigen hoffnungslosen Krieg mit denselben aufzugeben und sich der allbezwingenden Civilisation zu fügen.

So entstanden Verträge verschiedener Stämme mit der allgemeinen Regierung in Washington. Letztere wies ihnen große und meist äußerst fruchtbare Landstriche, sogenannte „Reservationen“, an, die gewissermaßen ihr Eigenthum wurden, wofür sie dann ihre Ansprüche auf das übrige Land, welche sie als ihre Jagdgründe beansprucht hatten, aufgaben. Innerhalb dieser ihrer Reservationen wurde ihnen ihre eigene Gerichtsbarkeit (selbst das Recht über Leben und Tod) gelassen, die sie unter ihren Häuptlingen ausüben; sie bequemten sich theilweise zum Ackerbau, wozu die Regierung ihnen jeglichen Vorschub leistete, sie mit allen dazu nöthigen Werkzeugen, ja selbst mit Häusern versorgte, und ihnen außerdem bedeutende Jahrgelder, theils in baarem Gelde, theils in Lebensmitteln und sonstigen Bedürfnissen, auszuzahlen sich verpflichtete. Die Oberleitung dieses schwierigen Regierungszweiges hat das Indianerbureau in Washington, welches in allen Reservationen Agenten anstellt, Schulen und Kirchen unterhält, selbst die Händler und Handwerker controlirt, kurz die Indianer, principiell wenigstens, als unmündige Kinder betrachtet, deren Aufsicht das Recht und die Pflicht der Regierung ist. Diejenigen Indianerstämme, welche zur Zeit der hier erzählten Ereignisse den südwestlichen Theil Minnesotas bewohnten, gehörten sämmtlich dem großen, kriegerischen Stamme der Sioux oder Dacotas an. Ihre schöne und große, durch mehrere Verträge ihnen zugewiesene Reservation lag an den oberen Wassern des Minnesotaflusses, welcher, an der Westgrenze des Staates entspringend, zuerst eine Strecke von ungefähr einhundertfünfzig (englischen) Meilen in südöstlicher Richtung durchströmt, dann bei dem Städtchen Mankato in einem rechten Winkel nach Nordost abbiegt und sich endlich bei Fort Snelling, sechs Meilen oberhalb St. Paul, in den Mississippi ergießt. Derselbe nimmt zwischen seinen Quellen und Mankato von Süden her hauptsächlich drei Flüßchen auf, den „Yellow Medicine“, „Red Wood“ und „Big Cottonwood“. Zwischen diesen Flüßchen längs dem Südufer des Minnesotaflusses streckte sich die Reservation fast hundert Meilen lang und zehn Meilen breit hin. Die Indianer wurden gewöhnlich in die „Oberen und Unteren Banden“ eingetheilt, lebten zum Theil in Dörfern, trieben ein wenig Ackerbau und hatten wenigstens dem Namen nach die christliche Religion angenommen; zum Theil aber trieben sie sich in noch ungebrochener Wildheit, von der Jagd und dem Raube lebend, unstät auf den weiten Ebenen als Nomaden umher, ein faules, blutdürstiges Gesindel. Erstere wurden kurzweg „civilisirte Indianer“, letztere „Blanket Indians“ (wegen der wollenen Decken, die ein Hauptstück ihrer Bekleidung ausmachen) genannt. Zwei Agenturen waren errichtet worden; die eine, die „Obere Agentur“, am Zusammenflusse des Yellow Medicine mit dem Minnesota-Flusse, die andere, die „Untere Agentur“, zehn Meilen südöstlich vom Einfluß des Red Wood in den Minnesota. An diesen Plätzen befanden sich die Regierungsgebäude, die Wohnungen der Beamten, Waarenhäuser und Kaufläden, Schmieden und andere Werkstätten, Ziegelbrennereien und dergleichen. Hier versammelten sich jährlich die „Banden“, um ihre Jahrgelder in Empfang zu nehmen und alle sonstigen Geschäfte mit den Agenten abzumachen; hier war natürlich auch der Hauptumsatzplatz für die privilegirten Händler. Als sich in den letzten Jahrzehnten die Einwanderung nach Minnesota außerordentlich mehrte, und die schönen Ländereien, besonders östlich und südlich von der Reservation, sich mit Ansiedlern bevölkerten, wurde zu deren Schutze das Fort Ridgley angelegt, an der östlichen Ecke der Reservation, zwölf Meilen von der „Unteren Agentur“. Eine Strecke weiter südöstlich am Minnesota liegt das in weitern Kreisen bekannte, von deutschen Turnern gegründete, blühende Städtchen New-Ulm. So viel zur Orientirung in Bezug auf die Localität. –

Ich erreichte die „Untere Agentur“, wie schon bemerkt, am Abend des 10. August. Der Agent, Major G., befand sich gerade an diesem Platze, und ich verbrachte den nächsten Tag, Sonntag, auf’s Angenehmste in seiner Gesellschaft, so wie in der des Doctor H. und des Herrn R., eines würdigen Missionars, der dreißig Jahre seines Lebens mit unermüdetem Eifer für die Civilisation und Christianisirung der Sioux gearbeitet hatte. Der Abend vereinigte uns in Major G.’s freundlicher Wohnung; nachdem, wie natürlich damals überall, die Unterhaltung sich zuerst um die bedrohte Lage des Vaterlandes bewegt hatte, wandte sie sich allmählich auf die Indianer und deren Verhältnisse im gegenwärtigen Augenblicke.

[95] „Ich kann es nicht begreifen, Major,“ wandte ich mich nach einer Pause an den Agenten, „daß Sie hier oben so ruhig sein können, nachdem fast alle waffenfähigen Weißen in die neuen Regimenter eingetreten sind und die an sich nie starke Besatzung des Forts auf kaum hundert Mann reducirt worden ist. Fürchten Sie nicht, daß die Indianer dies zu Unordnungen und Raufereien aller Art benutzen werden?“

„Ihre Befürchtungen, mein lieber Herr,“ erwiderte der Agent, „mögen scheinbar nicht ganz unbegründet sein; doch glaube ich zuversichtlich, daß die Indianer sich ruhig verhalten werden; die gewöhnlichen Demonstrationen und auch wohl Drohungen abgerechnet, an die wir schon längst gewöhnt sind, wenn die Zeit der Vertheilung ihrer Jahrgelder herbeirückt. Da giebt’s immer mehr oder weniger Lärm, Unzufriedenheit mit den Agenten, besonders unter den ‚Blanket Indians‘, wenn sie sehen, daß die ‚Civilisirten‘ manche Vortheile genießen, oder Klagen über die Händler, von denen sie leider nur zu oft betrogen werden. Aber der Sturm legt sich in der Regel bald, und in einigen Wochen ist von der Aufregung wenig oder nichts mehr zu spüren.“

„In Bezug auf den letztern Punkt haben die Indianer auch Ursache zu klagen,“ fiel hier der Missionar, Herr R., ein. „Ueberhaupt müssen Sie zugeben, Major, daß sich unsere ganzen Indianerschwierigkeiten mehr oder weniger zurückführen lassen auf die schmähliche Behandlung, die sie seit ihrer Berührung mit den Trägern der Civilisation von denselben zu erdulden gehabt haben. Wer gab dem weißen Manne das Recht, seinem rothen Bruder das Land zu rauben, das derselbe seit Jahrhunderten besessen? wer das Recht, ihn mit den Waffen in der Hand von dem geheiligten Boden seiner Vorfahren, von den geweihten Grabstätten seiner Väter zu vertreiben? Womit kann unsere Race sich rechtfertigen gegen die Anklage, daß sie zugleich mit den Segnungen der Civilisation dem Indianer auch alle ihre Laster nicht nur nahe gebracht, sondern förmlich aufgedrungen hat? Wer brachte ihm das Feuerwasser, das seine ohnehin wilde Natur unbezähmbar macht? Wer betrog ihn in Handel und Wandel, im Großen wie im Kleinen? und wer entgegnete ihm, wenn er klagte und Recht suchte, mit Hohn und Verachtung? Derselbe, der vorgab, ihn erheben, ihn besser machen zu wollen, und auf den der einfache Sohn der Wildniß mit Verachtung und endlich mit Haß und Wuth blicken lernte. Und das Alles hat die Regierung gewußt, all’ dem hat sie zugesehen, ohne einen ernstlichen Versuch gemacht zu haben, dem Uebel abzuhelfen und vor Allem gegen untreue Beamte mit unnachsichtlicher Strenge zu verfahren. Ich weiß, Major, daß Sie mir Recht geben müssen, um so mehr, da Sie, seit Sie mit der Agentur betraut sind, mit so unermüdlichem Eifer und so seltener Treue Ihr schweres Amt zum wahren Wohle der Indianer verwaltet und schon so viel gethan haben, um alles Unrecht wieder gut zu machen.“

„Und wofür unser guter Major seinen Lohn einst auf gut Indianisch ausgezahlt bekommen wird,“ fiel hier der Doctor lachend ein. „Und Ihnen, lieber R., wünsche ich nur, daß Ihre idealen Theorien nicht einmal auf allzu grausame Weise zerstört werden mögen. Sie müssen nämlich wissen,“ fuhr er fort, indem er sich gegen mich wandte, „daß die Rothhäute in unseres würdigen Freundes Augen nun einmal seine Brüder sind, von denen er nicht lassen will, auch wenn sie sich noch so sehr gegen die Aeußerungen seiner Liebe sträuben. Da sind wir nun in dem Punkte beständig auf dem Kriegspfade gegen einander. Ich bin der unumwundenen Ansicht, daß der Weiße und die Rothhaut nicht nebeneinander existiren können; eine von beiden Racen muß untergehen; dies ist eine Naturnothwendigkeit. Und wer soll da siegen? Der Weiße, der mit all’ seinen Fehlern doch nun einmal der Träger der Cultur ist, oder der Wilde, der sich nicht civilisiren lassen will, der, von Natur wild, blutdürstig, treulos und unzähmbar, seinem sogenannten Unterdrücker ewige Rache geschworen hat, und der darum, wie die reißenden Thiere der Wildniß, je schneller je lieber ausgerottet werden muß? Erst wenn die Rothhaut verschwunden ist, wird der redliche fleißige Pionnier der Frucht seiner sauren Arbeit sich in Frieden freuen können.“

„Ich leugne keineswegs die Anschuldigungen, welche Herr R. gegen die Weißen erhebt,“ erwiderte der Major; „sie sind leider nur zu wohl begründet. Ebenso stimme ich mit unserem Doctor darin überein, daß beide Racen auf die Dauer nicht nebeneinander bestehen werden, sondern daß die rothe eventuell verschwinden wird. Aber freilich behaupte ich, daß die Feindseligkeiten zwischen beiden nicht zu vermeiden sind, sondern auf einer, wie der Doctor auch sagt, Naturnothwendigkeit beruhen. Als vor mehr als zweihundert Jahren europäische Cultur dies Land betrat, fanden die neuen Ansiedler ein Geschlecht vor, das zwar manche mildere Züge der menschlichen Natur zeigte, im Ganzen genommen aber ein trauriges Bild der Rohheit und Versunkenheit der wildesten Mitglieder der großen Völkerfamilie darbot. Die edeln und großartigen Eigenschaften, die dem Indianer von unwissenden oder unwahren Poeten und Romanschreibern zugeschrieben worden sind, existirten und existiren nicht. Sie finden auf die Indianer als Volk gar keine Anwendung; der Indianer befindet sich so ziemlich auf der niedrigsten Stufe der Barbarei. Aus dieser so ganz verschiedenen Culturstufe beider Racen entwickelte sich der Conflict zwischen Cultur und Barbarei, zwischen Intelligenz und Unwissenheit, oder was hier wenigstens im Grunde dasselbe, ist, zwischen Recht und Unrecht. Und hier behaupte ich: wären in diesem Conflicte auch nie andere Waffen als die des Geistes gebraucht worden, wäre auch nie ein Tropfen Blut geflossen, das Resultat würde doch dasselbe sein. Die niedrige Race muß entweder, feindlich kämpfend, vor der höheren zurückweichen, oder wenn sie unter dieselbe sich beugt, als eine durch Sitten, Gebräuche und Einrichtungen verschiedene Menschenrasse verschwinden, indem sie sich allmählich auf friedliche Weise mit der höheren amalgamirt. Und hier liegt die Grundursache aller der blutigen Kämpfe zwischen dem Europäer und dem Indianer: es ist die eingefleischte und unausrottbare Feindschaft der Wilden gegen die Reform.“

„In diesem Kampfe,“ fuhr der Redende fort, „hat der weiße Mann das Recht auf seiner Seite. Das Gebot Gottes an den Menschen, ‚die Erde zu füllen und sie sich unterthan zu machen‘, ist zugleich ein Naturgesetz. Hier stand nun auf der einen Seite der Träger der Cultur, bereit, überall, wo er seinen Fuß hinsetzte, dies Gesetz zu erfüllen; auf der andern Seite der Barbar, der von jeher der Ausführung desselben widerstanden hatte. Der Indianer, im jahrhundertelangen Besitze eines herrlichen Continents, hatte nichts gethan, denselben aus dem Zustande einer unwirtlichen Wildniß zu erheben, oder sich selbst aus der Rohheit eines faulen Jagd- oder blutigen Kriegslebens herausbringen; er hatte sich seiner Aufgabe unfähig gezeigt und dadurch seinen Besitztitel verwirkt. Der Weiße kam, bereit, jenes Gesetz zu erfüllen, und in dieser Bereitschaft lag sein Recht, das Land in Besitz zu nehmen und es der Civilisation zu öffnen, den des segenbringenden Pfluges harrenden Boden zu unterjochen und das Land mit Licht und Recht, mit Frieden und Wohlstand zu erfüllen, es zu einem Paradiese umzuwandeln, in welchem Millionen eine Zufluchtsstätte finden und in dem die Freiheit ihren hehren Tempel errichten sollte. Diese erhabene Aufgabe gab und giebt uns das Recht, den zügellosen Wilden, der sich nicht beugen will, in Grenzen zu bannen, ihn unschädlich zu machen; und das Bewußtsein von diesem Rechte, das der Letztere, wie ich glaube, wenigstens dunkel hat, wirkt auf seine unbeugsame Natur wie ein Stachel, der ihn immer auf’s Neue zum Widerstande anspornt, bis er endlich in dem ungleichen Kampfe untergeht. Dies ist meine Ansicht von der Sache. Zufällige Anstöße mögen immerhin die einzelnen Ausbrüche von Feindseligkeiten hervorgerufen haben; in jenem Grundconflict zwischen Cultur und Barbarei, zwischen Recht und Unrecht liegt die tiefere Ursache. Wäre dieser nicht da, so würden, trotz aller verkehrten Behandlung in einzelnen Fällen, alle Schwierigkeiten längst beseitigt worden sein.“

„So sprechen Sie also dem Indianer die Fähigkeit ab, seine Natur zu ändern und sich der Civilisation zu unterwerfen?“ bemerkte der Missionär.

„Im Ganzen genommen, ja,“ antwortete der Major; „ich glaube, die Erfahrungen der meisten, welche die Natur desselben kennen, stimmen darin überein, daß die Indianer als Volk nie die ersten Bedingungen der Civilisation erfüllen werden: ihr unstätes Leben aufzugeben und sich an die Scholle zu binden, aus rohen Jägern ruhige Ackerbauer oder Handwerker zu werden, und daß sie also auch nie fähig werden können, Bürger eines freien Culturstaates zu werden. Was ihre Christianisirung betrifft, so denke ich, lieber Herr R., daß Ihre eigene dreißigjährige Erfahrung [96] Ihnen die beste Antwort auf diese Frage geben wird. Glauben Sie wirklich an einen endlichen Erfolg?“

„Ich hoffe wenigstens, daß das, was bisher erreicht worden ist, der Anfang größerer Erfolge sein wird, besonders, wenn eine bessere und gerechtere Politik der Regierung, wie sie hier wenigstens von Ihnen begonnen worden ist, unseren Bemühungen hülfreich unter die Arme greifen wird.“

„Und ich halte ehrlich gestanden,“ fiel der Doctor hier ein, „Ihre bekehrten und civilisirten Indianer für abgefeimte Heuchler, die nur, um besser bedacht zu werden, die Frommen und Gezähmten spielen. Rock und Hose statt des ‚Blanket‘, ein hoher Cylinder statt der Adlerfedern und ein paar himmelhohe Vatermörder um das blutdürstige Gesicht gesteckt, machen noch keinen civilisirten Indianer, geschweige denn einen Christen. Ich fürchte manche von diesen Wölfen in Schafskleidern mehr als die Wilden; und, passen Sie auf, auf welcher Seite bei einem etwaigen Ausbruch sie sich befinden werden! – A propos, Major! haben Sie kürzlich ‚Little Crow‘ (die kleine Krähe) gesehen? Er ist mir in der letzten Zeit verdächtig vorgekommen.“

„Ich sah ihn am vergangenen Donnerstag; er war grade beschäftigt, den Keller seines neuen Hauses auszugraben, und ich versprach ihm die nöthigen Bretter und Steine zu schicken, sobald er sie brauchen werde; er schien mit allem einverstanden und sehr zufrieden zu sein. Ich glaube nicht, daß wir ihm grade jetzt zu mißtrauen brauchen.“

„Ich habe schon so manches von diesem Little Crow gehört,“ unterbrach ich den Major, „ist er wirklich von solcher Bedeutung, wie man häufig hört?“

„Little Crow,“ erwiderte der Major, „ist als einer der ersten Häuptlinge der Sioux an und für sich schon von Einfluß unter den Indianern; dieser Einfluß wird aber noch bedeutend vermehrt durch seine entschiedenen Talente. Er ist äußerst verschlagen, klug berechnend und, was ihm besonders viel Ansehen verschafft, von großer, ja hinreißender Beredsamkeit. Er war schon einmal als Abgesandter der Sioux in Washington und kennt unsre Verhältnisse sehr genau. Alles dies macht ihn zu einem nicht ungefährlichen Gegner, der nie aus den Augen gelassen werden darf. Denn daß er im Herzen ein Feind der Weißen ist, davon bin ich fest überzeugt.“

„Haben Sie nichts von der Versammlung gehört, die vor vierzehn Tagen nicht weit von Little Crow’s Wohnung stattgefunden haben soll?“ fragte der Doctor. „Und nehmen Sie dazu die Demonstration am folgenden Tage an der ‚Oberen Agentur‘; sollte nicht beides in Verbindung mit einander stehen?“

„Ich glaube, Sie sehen zu schwarz, Doctor,“ erwiderte der Major; „ich habe genaue Erkundigungen eingezogen, kann aber nichts anderes daraus machen, als daß es einer der gewöhnlichen Tänze war, mit denen die Wilden uns häufig beglücken, wenn sie Lebensmittel zu irgend einem Feste erbetteln wollen. Uebrigens hat Little Crow damit nichts zu tun gehabt, und die nächtlichen Versammlungen sind alte Geschichten, die gewöhnlich weiter nichts zu bedeuten haben.“

„Und hat Philander nichts Verdächtiges bemerkt?“ fragte Herr R.

„Philander,“ versetzte der Major, „ist so ruhig wie je, und wenn er ruhig ist, denke ich, können wir’s auch sein. Philander Prescott,“ fuhr der Major, gegen mich sich wendend, fort, „ist unser alter Dolmetscher, der schon fünfundvierzig Jahre unter den Sioux gelebt hat, selbst eine Indianerin zur Frau hat und ihre Sprache so vollkommen spricht, wie einer von ihnen selbst. Bei seiner intimen Vertrautheit mit ihrem ganzen Wesen ist er uns von unschätzbarem Werth. Wie gesagt, wenn der nichts merkt, können wir uns ruhig schlafen legen.“

In diesem Augenblick öffnete sich die Thür und einer der Arbeitsleute trat ein.

„Was giebt’s, John?“ fragte der Major.

„Nichts Besonderes gerade, das ich wüßte,“ antwortete der Mann, „aber einer von den Ziegelbrennern sagt, er hätte ein paar Indianer sagen hören, daß einige von Schakopee’s Bande in Acton gewesen wären und Websters und Jones und ihre Frauen und Kinder erschossen hätten. Ich kann’s aber nicht glauben. Heute Morgen soll es passirt sein, und Acton ist über dreißig Meilen von hier. Wird wohl nur wieder einmal eine Indianer-Lüge sein, wie so oft.“

„In Acton? und jetzt schon die Nachricht davon hier? kann ja gar nicht möglich sein!“ rief der Doctor.

„Möglich wohl, aber nicht sehr wahrscheinlich,“ meinte der Major, „jedenfalls werden wir morgen hören, ob etwas Wahres daran ist. Im schlimmsten Falle sind wir immer noch zahlreich genug, um uns zu schützen, falls wirklich etwas vorfallen sollte; außerdem ist das Fort in der Nähe und Hülfe in einigen Tagen von unten herauf leicht zu bekommen. Beunruhigen Sie sich nur nicht, meine Herren, durch dieses Gerücht und schlafen Sie deshalb ruhig! Uebrigens ist es schon spät geworden; sie werden mich daher entschuldigen, daß ich mich zurückziehe. Ich wünsche Ihnen allen eine gute Nacht.“

Wir brachen auf, und in kurzer Zeit lagen die Bewohner der „Unteren Agentur“ in tiefem friedlichen Schlafe. –

Die Nacht vom 17. auf den 18. August war dunkel und schwül. Die weite Prairie breitete sich schweigend aus unter ihren schwarzen Fittigen. Während im fernen Süden der Donner der Schlacht hallte und Weiße mit Weißen im brudermörderischen Kampfe rangen, – hier schien Alles tiefste Ruhe zu athmen; der weiße und der rothe Mann schlummerten hier im Frieden nebeneinander. Der Farmer ruhte nach heißer Tagesarbeit sanft mit Weib und Kind im wohnlichen Blockhause; nur hier und da mochte die Mutter oder die Gattin die schlaflosen Augen zum Himmel aufheben im heißen Gebete für den bedrohten Sohn oder Gatten, oder die Braut in schreckhaften Träumen die Arme ausstrecken nach dem fern kämpfenden Geliebten. Kaum Einer unter Hunderten ahnte, daß der blutigste Verrath in nächster Nähe auf seine Beute lauerte; kaum Einer, daß das Scalpirmesser und das Beil schon geschliffen seien, um die unschuldigen Opfer teuflischer Wuth zu Hunderten zu fällen.

Sechszehn Meilen oberhalb der „Unteren Agentur“ ergießt sich ein Bach, Riu Creek, in den Fluß. In den dichten Ufergebüschen begann es lebendig zu werden. Dunkle Schatten huschten lautlos in der schweigenden Nacht hin und her und sammelten sich an der einsamsten Stelle des einsamen Thales. Die schauerliche Versammlung bestand aus wilden Gestalten, theils halb nackt, mit bunten Farben bemalt, das struppige Haar mit Federn geschmückt, theils in europäische Kleidung gehüllt, in der sich die wüsten Gesichter mit den thierischen Zügen nur um so widerlicher ausnahmen, alle bewaffnet mit Büchse, Scalpirmesser und Tomahawk. Endlich waren Alle gekommen. Der Kriegsrath der Sioux saß da, in unheildrohendes Schweigen gehüllt.

Nach einer langen Pause erhob sich ein großer, starkgebauter Indianer, wie ein Weißer gekleidet, aber mit häßlichem, tigerartigem Gesicht und düsteren, blutgierig funkelnden Augen. Es war Little Crow, der berühmte Häuptling der Sioux, der die List der Schlange, den Blutdurst des Tigers und zugleich die Beredsamkeit des großen Volksredners in sich vereinigte. Wer hätte in dem „civilisirten“ Indianer, der noch am Morgen andächtig dem Gottesdienste in der „Unteren Agentur“ beigewohnt hatte und ruhig und still mit den anderen christlichen Indianern nach Hause gegangen war, den wilden, nach Blut lechzenden Häuptling geahnt, der sich jetzt erhob, um als das anerkannte Haupt der großen, in’s tiefste Geheimniß gehüllten Verschwörung die letzten Befehle zum allgemeinen Blutbade zu geben! In den tiefen, gurgelnden Kehllauten der Siouxsprache begann er seine Rede:

„Männer meines Stammes! Die Stunde ist gekommen, auf die wir so lange gewartet haben. Die Stunde der Rache für den rothen Mann ist da! Jahrelang haben wir die Bleichgesichter getäuscht. Wir haben die neuen Gebräuche, die unsere Väter nicht kannten, angenommen. Wir haben zu ihrem großen Geiste gebetet. Wir haben uns vor dem ‚Großen Vater‘ in Washington gebeugt. Wir haben ihr Geld genommen und ihnen dafür unsere Jagdgründe gegeben. Wir haben Alles nur gethan, um sie zu täuschen. Sie glauben, der rothe Mann sei zahm geworden und habe die Kraft und den Mut verloren, für sein Recht zu kämpfen; sie glauben, sie können ihn mit Füßen treten. Wir lachen über ihre Dummheit. Sie kennen den rothen Mann nicht; aber seine Rache sollen sie bald fühlen. Lange habt Ihr geduldig gewartet; Ihr habt weisem Rate gehorcht und habt die Kugel in der Büchse gehalten und das Messer im Gürtel. Jetzt ist die Zeit da, auf die wir gewartet. Der Große Vater in Washington hat alle seine jungen weißen [97] Krieger weggerufen; sie sind Alle auf den Kriegspfad gegen ihre weißen Brüder gegangen. Sie haben nur Weiber und Kinder und alte Männer zurückgelassen. Jetzt kann der rothe Mann seine alten Jagdgründe wiedernehmen. Wir wollen Alles nehmen, was uns gehört; wir wollen die Bleichgesichter tödten und ihre Häuser verbrennen. Wir wollen nichts schonen, denn sie haben uns nicht geschont. Dann wird der rothe Mann wieder der Herr des Landes sein bis an das große Wasser.“

Little Crow setzte sich. Tiefes Schweigen folgte seiner Rede. Nach einer Weile erhob sich Inkpaduta (der rothe Punkt), ein alter Indianer von abschreckender Häßlichkeit, der vor fünf Jahren mit seiner Bande eine Reihe scheußlicher Mordthaten begangen hatte und seitdem als Geächteter im fernen Westen umhergestreift war. „Die keine Krähe hat wahr gesprochen,“ sagte er, „die Stunde ist da, wo wir Rache nehmen können, und wir wollen’s thun; kein Bleichgesicht soll leben, wo der Fuß des rothen Mannes hinkommen kann; ihr Blut soll fließen wie die Wasser des Minnesota!“

„Die kleine Krähe ist ein weiser Häuptling und ein großer Krieger,“ sprach Cut Nose (die geschlitzte Nase), ein riesiger Wilder im vollen Kriegerschmuck, die Adlerfedern im aufgebundenen Haar. „Die kleine Krähe hat eine kluge Zunge und sieht weit wie Manito; sie muß uns sagen, wohin wir gehen sollen, die Bleichgesichter zu tödten, und wir wollen ihr folgen.“

Ein dumpfes Beifallsgemurmel durchlief bei diesen Worten die unheimliche Versammlung. Dann erhob sich Little Crow nochmals und sprach:

„Die kleine Krähe will Euch führen, und Ihr sollt Scalpe genug haben, Eure Wigwams zu schmücken, und Blut genug, Euch satt zu trinken. Morgen, wenn die Sonne aufgeht, sammelt Ihr Euch bei der Agentur und fallt über die Weißen her, ehe sie aus dem Schlafe sind. Die Häuser verbrennen wir. Dann zerstreut Ihr Euch nach allen Richtungen und tödtet und verbrennet Alles. Beim Fort sammelt Ihr Euch wieder; wir wollen es überwältigen und verbrennen; es sind nur wenig weiße Krieger drinn. Darauf ziehen wir durch’s ganze Minnesotathal hinunter, tödten die Männer und nehmen die Weiber und Kinder fort als Gefangene. Die treiben wir weit nach Westen; dann können uns die Bleichgesichter nichts thun, denn sie lieben ihre Weiber und Kinder. Und jetzt an’s Werk! Die Nacht ist bald dahin; dann kommt der Tag der Rache!“

Little Crow hatte seine letzten Befehle gegeben; schweigend, wie sie gekommen, verschwanden die dunkeln Gestalten in der dunkeln Nacht.

(Schluß folgt.)




Meine Schuljahre.
Von Gottfried Kinkel.
(Geschrieben Winter 1849–50 im Gefängniß zu Naugardt.)
II.

Mein Verhältniß zu den vorgenannten und zu allen übrigen Lehrern, deren ich heute noch mit Dank und Liebe mich erinnere, ist stets ein klares gewesen, und sie Alle haben später, da ich als College in ihren Kreis eintrat, ihren ehemaligen Schüler mit Herzlichkeit zum Genossen aufgenommen. Das Gesetz habe ich immer geachtet, und ihr Wille war mir an Gesetzes Statt. Selbst auf die Gefahr hin, von einem oder dem andern Mitschüler darum gehaßt oder verachtet zu werden, habe ich den Lehrern stets auf ihre Fragen die reine Wahrheit entgegengebracht und darf wohl sagen, daß sie nicht viele Schüler gehabt haben, die ihnen ergebener und gehorsamer gewesen sind als ich.

An dieser Stelle will ich eines überaus barbarischen Gebrauches gedenken, welcher unter den Bonner Gymnasiasten seit grauer Vorzeit sich fortgepflanzt hatte; denn da er in unserm Geschlechte ausstarb, bin ich ihm doch seine Leichenrede schuldig. Auf den höhern Schulen giebt es zwischen sämmtlichen Classen keine so tief einschneidende Kluft, als zwischen Tertia und Secunda. Bis in jene Classe wird der Junge als Lümmel betrachtet und behandelt; der Secundaner aber hat Ehrgeiz und Selbstgefühl. Man redete ihn wenigstens zu meiner Zeit noch mit Sie an; Knabenspielereien hörten auf, weil Einer sie dem Andern als unpassend verwies; in den häuslichen Studien wurde eine größere Freiheit verstattet. Wie nun auf den Universitäten die Füchse gehänselt werden, so war es in Bonn auch Gymnasiastensitte, die Pforte zu den obern Classen den Eintretenden etwas mit Dornen zu verzäunen. In jedem Schulsaal steht ein Schrank mit mehreren Gefächern, zu dem ein besonders braver Schüler den Schlüssel anvertraut erhält; er dient zum Aufbewahren von Karten, Kreide, Schwämmen und andern Schulutensilien. Hin und wieder sperrte man auch Maikäfer hinein, die dann aus einer kleinen Oeffnung hervorkrochen und durch ihr Gesumse in langweiligen Lehrstunden uns ein wenig aufmunterten. Nun war es unverbrüchlicher Grundsatz, daß jeder neu eingetretene Untersecundaner einmal oben auf diesem Schranke sitzen müsse; das war gleichsam das Maurerzeichen seiner Aufnahme in die Classe. Hätten wir bei unserm Aufsteigen aus der Tertia gutwillig diesem Gebrauche uns unterworfen, so würde er vielleicht sofort verschollen sein, allein wir setzten unsererseits eine Ehre darin, demselben so lange wie möglich uns zu entziehen, und der galt unter Allen für den tapfersten Helden, der zuletzt auf den Schrank hinauf mußte. Denn einmal kam es an Jeden: die Obersecunda hätte sich eher Mann für Mann in den Carcer sperren lassen, als dies einem von uns geschenkt. In der Regel wurde das Opfer voraus bestimmt. Waren die Lehrstunden zu Ende, so drängten sich ein paar Obersecundaner an den Bezeichneten heran und hinderten ihn, hinter dem Lehrer her zu entschlüpfen; alsdann faßten ihn zwanzig Fäuste und hebelten ihn oft mit wunderbarer Behendigkeit auf den neun Fuß hohen Kasten herauf. Auch mir war mein Tag bestimmt; beim Ausgang sah ich ein paar Geierkrallen nach mir sich öffnen; entsetzt rückwärts blickend sprang ich in die Thür und stürzte auf den Professor Schopen, der noch nicht heraus war, aber durch diesen Prellstoß einen Schritt weit auf den Gang geworfen wurde. Erstaunt sah er sich um, da er gerade von mir keine solche Ungezogenheit erwartete, aber ein Blick auf mein erschrecktes Gesicht und auf meine Verfolger belehrten ihn, daß ich nicht die erste Ursache gewesen war, und mit Lachen amnestirte er mich. Für diesmal entschlüpfte ich unter seinem Schutz, aber bald darauf erreichte auch mich das Geschick, und fast mit Lebensgefahr sprang ich von der Höhe des Schrankes wieder herunter. Nun waren aber ein paar äußerst starke Burschen bei unserer Partei, mit denen die Gegner so schnell nicht fertig wurden. Einen Sträubenden so hoch in die Luft zu heben, war immer eine Aufgabe, die Schweiß und oft noch mehr kostete; denn wenn der Gefangene oben erst festsaß und seine Peiniger nicht blitzschnell zurücksprangen, so konnte er mit seinen Absätzen höchst ungemüthlich auf ihre Hirnkasten und Nasenbeine einwirken. Jene noch nicht bezwungenen Helden stellten uns nun vor, daß die Obersecunda nur deshalb unfehlbar ihren Zweck erreiche, weil sie stets zusammenhalte, während bei uns der Einzelne sich immer aufzusparen suche. So kam auch zwischen uns ein Schutzbündniß zu Stande. War der Kampf nun bisher eine Art Carlistenkrieg gewesen, wo der einzelne Reisende festgehalten und zur Auszahlung eines Lösegeldes gezwungen wird, so boten wir uns jetzt eine offene Schlacht auf dem Blachfelde, und diese hub auch wirklich eines Morgens um elf Uhr im Schulsaale an. Der Streit war lang und grimmig. Es fehlte auch an Zuschauern nicht, denn die ganze Prima trat zu uns ein und sah wie Achill’s Myrmidonen in thatloser Bewunderung diesem homerischen Schlachtgewühle zu. In der That trennte erst Blut die Kämpfenden. Doch hätten wir am folgenden Morgen das Werk neu angehoben; allein einer der Primaner verrieth uns. Der Classenlehrer stellte eine sehr scharfe Untersuchung an, und die theils vollzogenen, theils angedrohten Strafen waren so streng, daß selbst der vom Alterthume geweihete Brauch gegen sie nichts mehr vermochte. Damit war denn die Kette der Ueberlieferung einmal zerrissen. Es gab nun Untersecundaner, die nicht auf dem Schranke gesessen hatten, und als wir im folgenden Jahre Pfleger der Sitte hätten werden sollen, da gaben wir sie freiwillig [98] auf. Von jenem denkwürdigen Tage an ist im Jesuitengebäude zu Bonn der Staub im ungestörten Besitze des Secundaschrankes geblieben, und kein Gymnasiastenrock hat ihn je wieder weggefegt.

Eine schöne Sitte bestand an unserer Schule; es waren die sogenannten Excursionen, für welche man regelmäßig einen oder zwei helle Sommertage bestimmte. In der Regel wurden dazu je zwei Classenlehrer vereinigt. In Begleitung mehrerer Classenlehrer ging es hinaus in’s schöne Rheinland, auf’s Siebengebirge, in das stille Waldthal von Heisterbach oder durch die vordere Eiffel in das felsendüstere Thal der Ahr. Hier schlossen sich im Wandern die innigsten Schulfreundschaften, und auch die Lehrer, die an diesen Tagen vertraulich mit uns plauderten, umfaßten wir mit doppelter Herzlichkeit. Allerdings gab es für jene dabei immer einige Verantwortlichkeit und zuweilen auch Verdruß; ein paar Jungen verliefen sich und waren nicht wiederzufinden, oder es blieb eine Gesellschaft loser Vögel in irgend einer Schenke kleben und kam mit einem Spitz zur Colonne zurück, oder der erhitzte Schwarm fiel unaufhaltsam über kaltes Brunnenwasser her. Aus solchen und ähnlichen Gründen, denke ich, ist später dieser Brauch in Vergessenheit gerathen; ich selbst aber habe ihn als Schüler noch mehrmals zu meinem höchsten Vergnügen mitgemacht. Besonders eine zweitägige Fahrt nach Altenahr, wo wir die Nacht auf einem gemeinsamen Strohlager campirten und in der Finsterniß die verrücktesten Eulenspiegeleien aufstellten, hat sich tief in meine Erinnerung gegraben; an sie schloß sich nämlich ein erster Versuch zu einem längern Gedichte, wovon ich hernach erzählen will.

Ich verdanke also meinen Lehrern an dieser Schule sehr Vieles; allein ich will auch nicht leugnen, daß unser Gymnasium an denselben Fehlern litt, die alle gelehrten Schulen Deutschlands an sich haben. Diese Fehler sind nicht so sehr Schuld der Lehrer wie des Systems, das so lange von Staatswegen befolgt worden ist. Am auffallendsten war mir, als ich später tiefer in die Wissenschaft eindrang, der Schlendrian, womit namentlich die älteren Lehrer auf Wegen uns fortstolpern ließen, die längst von der Forschung als unbrauchbar verschüttet waren. Grimm’s deutsche Grammatik war doch schon zehn Jahre erschienen, als unsere sämmtlichen Deutschlehrer in sie noch keinen Blick gethan hatten. Zu den schönsten und charakterfrischesten Eigenschaften unserer Sprache gehört die starke Flexion so vieler Zeitwörter; unserm Director aber, der in Secunda Deutsch gab, war sie ein Dorn im Auge, und er meinte, es sei richtiger, „ich haute“ als „ich hieb“ zu sagen, weil letzteres ja eine Unregelmäßigkeit sei! So schrieb und druckte er auch überall „Zeichnenclasse“ und „Zeichnenunterricht“, obwohl er freilich nicht „Schreibenstube“, sondern „Schreibstube“ sagte. Statt dem Unterricht eine vernünftige Grammatik zu Grunde zu legen, quälte man uns ein Jahr lang mit der allerlangweiligsten Satzlehre.

Von deutscher Literatur haben wir vollends keine Ahnung bekommen. Das Nibelungenlied war damals schon seit fünfzig Jahren wieder auf der Welt; wir lasen auf der Schule den ganzen Homer und den halben Virgil durch, aber von dem ebenbürtigen Epos, das unseres Volkes Stolz ist, haben wir dort auch nicht ein einziges Mal nur den Namen aussprechen hören. Das ist freilich stark, allein ob es jetzt auf vielen höheren Schulen besser steht? Ich denke nicht, denn das Uebel sitzt zu tief in der Universitätsbildung unserer Philologen. Die deutsche Sprache und Literatur ist das Stiefkind unserer examinirenden Professoren, und da sie selber davon nichts verstehen, fordern sie von künftigen Jugendlehrern in diesem Fache keine Gründlichkeit. Der Student aber, wenigstens der vom gewöhnlichen Schlage, hört und lernt nur die Fächer, in denen er geprüft wird, und kommt so als ein Gelehrter in den alten Sprachen, als ein Barbar in seiner Muttersprache an die Jugend heran, die er bilden soll. Das Lehrercollegium theilt den deutschen Unterricht wie eine unbequeme Last unter sich und schlägt mit Stilübungen, Declination und Durchmachen einer der ungründlichsten Grammatiken die dafür bestimmten Stunden todt. Daß gar der Schüler in die lebende Literatur eingeführt, daß sein Sinn auf das Gediegene und Haltbare derselben gerichtet würde, davon ist vollends keine Rede und auch hier gehen die Universitäten mit erbärmlichem Beispiel vorauf. Unser ganzer Schulunterricht hinkt hinter dem Leben her. Wer wagt denn noch mit ernsthafter Miene Ramler’s oder Gleim’s politische Gedichte mit Herwegh, Freiligrath oder auch nur mit Geibel zu vergleichen? Wer leugnet, daß ein Capitel in Heine’s Wintermärchen sämmtliche Bände von Rabener’s Satiren in die Höhe schnellt? Oder wird nicht Alles, was Geßner gelaicht hat, von dem einen Bodensee-Idyll Mörike’s in farbloses Gallert umgesetzt? Und doch stehen Ramler, Rabener und Geßner unwandelbar in den gebräuxten Collegienheften unserer Universitätsprofessoren, deren letzte Pagina die Namen der Gebrüder Schlegel trägt. So geht es freilich unsern Gelehrten in allen andern Artikeln auch, und dies ist schuld daran, daß das Leben der Gebildeten und des Volkes längst über unser Universitätsniveau hinausgewachsen ist. Wenn man ästhetische und literarische Rohheit aufsuchen will, braucht man in Bonn keine Laterne anzuzünden.

Ueberhaupt mangelte in unserm Unterricht das Verständniß des Schönen und Künstlerischen vollständig. Niemals hat man uns in der Geschichte auf die Fortschritte der Dichtung oder der bildenden Künste aufmerksam gemacht, nie ein modernes Gedicht mit uns gelesen oder eine der tiefern Tragödien Goethe’s erläutert. Das Geringste, was man doch wohl auch von einem gebildeten Frauenzimmer verlangt, ist Kenntniß der Dichtungsarten; uns, die künftigen Gelehrten, hat Niemand darin unterrichtet, was ein Sonett sei, und doch ist dies für Jedermann wichtiger, als horazische Versmaße, wie wir mußten, nachrechnen zu können. Von Kenntniß der eigentlich deutschen Metrik war natürlich niemals die Rede.

Gewiß die gründlichste Seite unserer Schulbildung war die Einführung in’s classische Alterthum. Allein, daß uns dasselbe heimisch und theuer geworden wäre, daran fehlte doch noch viel. Die Sprachkenntnisse galten zu sehr als Hauptsache, der tiefe Lebensgehalt des Alterthums wurde uns nicht enthüllt. Es durfte freilich nicht sein; denn über das Alterthum kann man keinem Jüngling die Augen öffnen, ohne ihm zugleich die Wurzel jener unvergleichlichen Geistesgröße in der republikanischen Staatsform aufzudecken – und welcher Lehrer hätte das vor der Julirevolution gewagt? Weil aber das uns fehlte, verstanden wir auch die antiken Sitten nicht und nahmen an all jenem Geisterkampf keinen Antheil vom Herzen aus; ja selbst die Schriftsteller der Kaiserzeit ließen uns kalt. Den Höhepunkt hellenischer Kunstpoesie erstiegen wir niemals, denn nicht eine einzige jener unsterblichen Tragödien des Aeschylus oder Sophokles haben wir auf der Schule vorgenommen. Die Oden des Horaz lasen wir gerne; aber die Satiren, in denen er gerade so überaus fein und eigenthümlich ist, waren uns zum Ekel. Cicero’s Reden, die ich jetzt mit Erstaunen studire, galten uns damals nur als ein Magazin für schöne Phrasen, mit denen wir unsere lateinischen Aufsätze aufstutzten. Hätte man uns aber ein farbenklares Bild davon gegeben, wie die römische Republik daran unterging, daß sie den reformirenden Socialismus in den Gracchen erstickte, dann später die Verzweiflung des Proletariats in Catilina, Spartacus und den Seeräubern krampfhaft sich zu Tode zuckte, wie Clodius sterben mußte, weil er den Riesengedanken einer gesetzlichen Sclavenemancipation in tollkühner Seele trug – dann hätten wir auch in Cicero den antiken Thiers begriffen und seine catilinarischen Reden oder die Vertheidigung von des Clodius Meuchelmörder Milo mit Verachtung und zornfunkelndem Auge gelesen!

Nun aber hat erst eigene Erfahrung mich die Alten lieben gelehrt. Den Horaz verstand ich zum ersten Mal in seinem Tibur selbst

„an der Albuner hallender Grotte“ –

den Ovid in seinen Liebesgedichten, als ich ebenfalls in leidenschaftlos-behaglicher Liebe ausruhte, den Virgil aber, den ernsten, geduldigen Tröster bei jugendlichem Tode, als ich im Kerker vom Zorn meiner Sieger die tödtliche Kugel erwartete, die mich auf der Höhe meiner Kraft fällen sollte.

Sind wir Jünglinge aber dafür desto bewußter in die moderne Welt eingeführt worden? Ach, in dieser war ich vollständig blind, als ich die Universität bezog! Denn um in ihr heimisch zu werden, bedarf es der modernen Geschichte, welche die Grundlage jeder vernünftigen Politik sein muß. Diese aber war und ist vom Schulunterricht streng ausgeschlossen. Die Schule führt den Jüngling nur bis zum dreißigjährigen Kriege, also an die Schwelle der eigentlich unser zu nennenden Welt. Von da erheben sich die großen Revolutionen modernen Charakters: die englische, die amerikanische, die französische und die beginnende [99] Weltrevolution von 1848 – ein den Schulcollegien nicht beliebtes Thema. Wie der Rhein im Sande, so verläuft die Gymnasialgeschichte in der Mark Brandenburg: ihr breiter Strom mündet in die enge Geschichte Preußens aus.

In der That wird damit auch der nächste Zweck erreicht; die Julirevolution, welche in mein letztes Schuljahr fiel, hat mich vollständig unberührt gelassen, und von der politischen Weltlage hatte ich gar kein Gefühl. Freilich fehlt dafür später, wenn nun doch das moderne Weltmeer mit seinem sonnenwarmen Wellenschlag den Eisberg überspült, alle und jede Widerstandskraft, und aus den zahmen Gymnasiasten von 1831 ist mehr als Einer zum rothen Republikaner von 1849 geworden.

Es ist freilich wahr: wenn die Schule, auch die beste, allein uns erzöge, so blieben wir allzumal Tröpfe. Das Leben und unser eigen Herz nehmen uns glücklicherweise stets von Neuem in die Privatstunde und üben im Silentium uns auf ein besseres, als das Schulpensum ein. So ging es auch mir: neben der arbeitsamen Schulwelt blühte mir eine anmuthige Innenwelt in einem kleinen Kreise guter und herzlicher Menschen auf.

Ich habe bereits erzählt, daß der jüngste Sohn des Büchelerschen Hauses, in welchem ich Wohnung und Kost hatte, bald nach meinem Eintritt in’s Gymnasium die Universität bezog. Seiner Aufsicht wurde ich nunmehr übergeben und bewohnte mit ihm zwei artige Mansardstuben, aus denen man weit über den Münsterplatz und in benachbarte Gärten blickte. Joseph Bücheler ist einer der besten und treuesten Menschen, die ich je gekannt habe: ein Charakter von ungetrübter Biederkeit, an dem niemals ein falscher und bösartiger Zug hervortrat. Er selbst war keine lebhaft erregbare Natur, und eben die Charakterverschiedenheit bewirkte, daß wir beide uns so sehr lieb gewannen. Mein Talent erkannte er an und erzeigte mir die Ehre, mich nicht wie ein Kind, was ich doch am Ende noch war, sondern wie einen Gleichaltrigen zu behandeln, was ich ihm denn mit grenzenloser Anhänglichkeit und gefälligster Folgsamkeit vergalt. Zwischen uns hat daher wohl nie eine verkümmerte oder verbitterte Stimmung bestanden, dergleichen doch sonst unvermeidlich zu sein pflegt, wo der Erzieher nur wenige Jahre vor dem Zögling voraus hat. Joseph war Mediciner. Von allen Studenten sind die Mediciner am fleißigsten, die Juristen am faulsten: denn Jene führt ihr Fach auf den Gebieten der Naturwissenschaft, der Anatomie und Physiologie unmittelbar an’s Praktische, an’s Sammeln, Untersuchen und Selbstsehen, während den Juristen bei dem gänzlichen Mangel an Redeübungen ihr Recht ein blos gelehrter und trockener Stoff bleibt, den sie erst spät im wirklichen Gerichtsgebrauch flüssig machen können. Auch mein Freund entwickelte sofort eine rüstige Thätigkeit. Eine Pflanzensammlung wurde angelegt, Schädel und Beinknochen wurden mit Prügelgefahr aus dem Beinhäuschen zu Dottendorf entwendet und ein anatomischer Atlas angeschafft, wo man Venen und Arterien durch blaue und rothe Färbung bezeichnete. In allen diesen Dingen half ich mit, denn ein jeder Enthusiasmus, auch der wissenschaftliche, entzündet den Knaben. In’s Leben der Natur und des menschlichen Körpers that ich hier eigentlich die ersten Blicke. Ich dictirte meinem Freunde Abends, wenn etwa ein versäumtes Colleg nachzuschreiben war: eine Semiotik, die zu hören er nicht Gelegenheit hatte, habe ich ihm so fast ganz aus dem Hefte eines Bekannten in die Feder gegeben, und manches ist dann von diesem medicinischen Dilettiren bei mir hangen geblieben. Auch wo ihm in seinem Fache oder beim Lateinschreiben ein sprachlicher Scrupel aufstieß, konnte ich zuweilen helfen, da ich in die Sprachen tiefer als er eingedrungen bin. Dafür nahm er sich nun treulich meiner Erziehung an, schliff eine Masse von Vorurtheilen weg, die meine klösterlich abgesperrte Jugend mir angebildet hatte, und that mein Auge für die wirkliche Welt auf. Ich war ja auf gutem Wege, ein beschränkter, eigensinniger und kränklicher Gelehrter zu werden, mein Gesicht und meine Brust durch Ueberarbeitung zu verderben und der Schwindsucht rettungslos zu verfallen, wenn ich in der Treibhaushitze, wie zu Oberkassel, fortgeschanzt hätte. Davon hat Bücheler durch eine einzige Zurechtweisung mich befreit. Wie er an allem Volksthümlichen seinen Spaß hatte, sagte er eines Tages für sich den rheinischen Kinderreim auf:

Schneck, Schneck, komm eraus,
Et setz ene Deev an dingem Haus,
Dä süff dir all die Melch aus!

Ich hatte das nie gehört und lachte über die albernen Verse hell auf. Da sagte er: „Junge, jetzt siehst Du, was Du für ein Kerl bist. Latein kann er, Griechisch kann er, Hebräisch kann er, aber ‚Schneck, Schneck‘, das kennt er nicht. Nun bist Du doch wohl tausend Mal an Kindern vorbeigegangen, die eine Schnecke wollten aus ihrem Hause kriechen sehen und das Liedchen singen, und hast nie darauf gehört. Junge, tue Deine Ohren offen! Thue Deine Augen offen und beobachte, statt daß Du ewig in Dich hineinträumst!“ Diese polternd und halb ärgerlich ausgestoßenen Worte wirkten auf mich wie ein luftreinigendes Gewitter: nicht mein Vater, nicht meine Mutter, keine Lehrer noch Bücher haben so rasch und praktisch mir eine neue Lebensrichtung gegeben, als Joseph Bücheler mir mit der großen Lehre gab: Beobachte! Von diesem Augenblick an sprang ich aus dem Schwärmer in den Forscher, aus dem gedankenlos Studirenden in den Dichter herüber. Beobachten wurde mir jetzt die höchste Lebenskunst, die ich an Menschen, an der Natur, an mir selber unablässig übte – und ich glaube auch in diesem Hauptstudium des Dichters gute Fortschritte gemacht zu haben. Erst von diesem Tage an lebte mir die Welt, erschlossen sich mir die Pforten der Kunst. Das Kleinste, an dem ich sonst in kindischem Wissensdünkel vornehm vorbei ging, wurde mir wichtig; mit den äußeren Sinnen ging mir gleichzeitig das Herz auf zur Mitempfindung mit Allem, was da lebt und webt, und aus Farbe, Linie und Ton sprudelten mir frische Quellen des Genusses. Diesen Sinn der Beobachtung im Kinde zu wecken, das ist mir von jener Stunde an als die oberste Pflicht des Erziehers erschienen: die meisten Unglücklichen sind deshalb unglücklich, weil in ihnen dieses Vermögen nicht zum Leben gekommen ist.

Blicke ich in meine Bildungsgeschichte zurück, so finde ich, daß ich weit mehr durch Frauen als durch Männer gefördert worden bin. Sie waren es, die den Trieb und Ehrgeiz geistigen Fortschrittes in mir wach riefen, mich von jeder Rohheit oder maßlosen Leidenschaft reinigten und das Unbestimmte meiner Gedanken und Gefühle zu festen Ueberzeugungen und Entschlüssen ausprägten. Auch sind die Frauen die Musen meiner Dichtung gewesen: ich habe kaum ein Lied geschrieben, das ich nicht zunächst einer Freundin bestimmte. Und so waren auch mir die Frauen stets hold und haben klug und wohlwollend meine Erziehung vollendet.

Meine erste Freundin sollte ich gleichfalls Joseph Bücheler verdanken. Unfern dem Hause des Gerichtsvollziehers, auf dem mit dem sonderbaren Namen Butterweck bezeichneten Hügel, bewohnte ein alter Hauptmann ein kleines und bescheidenes Quartier. Er lebte, und gewiß oft mit Sorgen, von seiner Pension und von Portraits berühmter Zeitgenossen, die er in Steindruck herausgab. Ihm führte die Wirthschaft eine junge Verwandte, Fräulein Karoline von R., die aus Lothringen stammte, aber ihrem Blut und Wesen nach durchaus eine Französin war. Ein dunkler Teint mit leuchtenden braunen Augen, eine anmuthig leichte Gestalt mit dem feinsten, schwebendsten Fuße, vor Allem aber eine südliche Lebendigkeit der Bewegung und Sprache gaben ihr etwas Fremdartiges, das sie im Vergleich mit deutschen Mädchen über alle Maßen anziehend machte; es fehlte, glaub’ ich, auch der überaus gefährliche Reiz des feinsten Schnurrbärtchens nicht, der den Töchtern der Garonne und des Ebro einen doppelt lockenden Mund giebt. Am hinreißendsten war sie beim Federballspiel, das sie leidenschaftlich liebte, eine Uebung, wie gemacht dazu, ihren schlanken und wunderbar behenden Bau im reizendsten Linienspiel und ihr lebhaftes Auge im fröhlichsten Feuer des Aufmerkens zu zeigen.

Durch die Hauswirthin des Hauptmanns waren die Bücheler’schen Söhne mit diesem und seiner Nichte bekannt geworden, und grade der Jüngste konnte sein Herz nicht retten. Ich glaube, daß er schon als Gymnasiast das Fräulein geliebt hat, und so ereignete sich hier der in der Herzensgeschichte unserer Tage seltene Fall, daß ein junger Mann seine Liebe zu einer Dame, die noch dazu älter war als er, durch Gymnasium, Universität und Examen bis in die Praxis hindurchgetragen, also nach wenigstens achtjähriger Treue in eine glückliche Ehe umgewandelt hat, denn glücklich waren meine beiden Freunde, als ich sie vor vielen Jahren in Düsseldorf besuchte, wo Bücheler jetzt als praktischer Arzt in stiller, edler Thätigkeit für das Wohl der Armuth lebt. Ein älterer Jüngling hätte in diesen Bund [100] als Zeuge nicht mit eintreten dürfen: ich als erst heranreifender Knabe konnte es. Die Liebenden verschwiegen natürlich ihr Verhältniß streng. Ich selbst platzte wohl einmal mit der Frage heraus: „Nicht wahr, Joseph, Du hast das Fräulein lieb?“ Als er mir aber auswich, da wußte ich genug, und von da an that ich keine lästige Frage mehr und drängte mich auch niemals ungerufen in eine stille Liebesstunde hinein. Dies Zartgefühl bei meinen noch jungen Jahren und meinem sonst ungeschlachten Wesen gewann mir des Fräuleins Gemüth, und sie nahm sich meiner gütig und herzlich an.

Mit jener neckenden Freundlichkeit, die alle Unterweisung so eindringlich macht, lehrte sie mich meinem rasch aufgeschossenen schlottrigen Körper etwas Haltung geben, gewöhnte mir platte und unzierliche Ausdrücke ab und verwickelte mich in Gespräche


Franz Ziegler.


und Disputationen, die mich zwangen, ihren klugen Augen und Gründen meinen besten Scharfsinn entgegenzusetzen. Bei ihr, die fromm, aber nicht bigott war, lernte ich zuerst meiner Vorurtheile gegen die katholische Confession mich schämen, vor der ich in der Jugend theils Scheu, theils Verachtung eingesogen hatte; auch die frische Begeisterung wirkte bei mir darauf ein, mit der manche Studienfreunde Joseph’s das System des damals in Bonn lehrenden berühmten Hermes als die nie zu erschütternde Versöhnung des Denkens mit der Offenbarung priesen und auf der Kanzel verbreiteten. Dabei passirten freilich oft wunderliche Zusammenstöße.

An einem Winterabende war ich nebst Joseph und einem seiner älteren Brüder zu einer kleinen Gesellschaft beim Hauptmann eingeladen, wo man heiter und ohne Umstände mitaß, was eben die Hausküche bot. Ein Lieblingsgericht, ich glaube Hasenpfeffer, wurde aufgetragen, und Alles war in fröhlicher Thätigkeit, als mir plötzlich eine unserer häufigen Controversen durch den Kopf fuhr. Wie ich denn dazumal bei meinem jungen raschen Blute äußerst vorschnäppig mit dem Munde war, platzte ich unbedacht mit den Worten heraus: „Aber es ist ja Fastenzeit; wir haben ja heute Mittag Alle Fleisch gegessen; wie dürft Ihr Katholiken denn heute Abend wieder Fleisch essen?“ Mit dieser überraschenden Frage (denn Keiner hatte an die Uebertretung des Kirchengebots gedacht) brachte ich eine jähe Pause der Eßarbeit hervor.

Der gleichmüthige Joseph sagte. „Das ist auch wahr; aber beichten muß ich’s nun doch“ – und aß ruhig weiter.

Das Fräulein erklärte, sie sei wegen ihrer Kränklichkeit vom Fastengesetz frei. Der ältere Bücheler aber, der etwas hitzig war, wandte seinen Verdruß auf mich und fragte mich in hellem Zorn: „Konntest Du Junge damit nicht warten, bis ich ruhig fertig war?“

Darüber entstand dann ein so herzliches Gelächter, daß der Zornige selbst einstimmte, die Gabel wieder ergriff und gleichfalls in Frieden seinen Teller abaß. So geht’s freilich vielen Menschen; sie haben den Beichtvater sehr gern nach begangener Sünde; aber wenn er die Sünde noch verhüten könnte, da kommt er ihnen ungelegen wie ein böses Gewissen.

Am schönsten wurde mein Verhältniß zu jenem Liebespaar, als Karoline mit ihrem Oheim auf’s Land in das benachbarte Kessenich zog, wo Joseph sie täglich besuchte und mich gern mitnahm, wenn ich meine Schularbeiten früh genug fertig hatte. Da der Hauptmann kränkelte, war ich gleichsam der Ehrenwächter bei den Spaziergängen, die wir fleißig auf die benachbarten Dörfer unternahmen. Dort setzten wir uns in die Baumgärten der ländlichen Wirthshäuser, tranken neuen Wein und aßen Kirmeßweck dazu, wie am Rhein der Gebrauch ist. Hernach lief und spielte ich mit dem Fräulein in Feld und Wiese, und mit unserer Raschheit neckten wir ihren etwas schwerfälligen Liebhaber. Auf dem Rückwege gab es zuletzt das allerfröhlichste Geplauder, dem ihre köstliche französische Lebhaftigkeit einen unbegreiflichen Zauber verlieh. In dieser Gesellschaft durfte ich so ganz Kind sein und bleiben, und doch reifte hier mein Verstand und meine Weltkenntniß rascher als über allen Büchern. Ich dachte nicht daran, an den oft wüsten Gesellschaften meiner Mitschüler theilzunehmen, von denen einzelne zum Kartenspiel auf ihren Stuben zusammenkamen oder Schenken in verborgenen Ecken der Stadt besuchten; denn wie viel glücklicher war ich bei jenen guten, innigen Menschen! Nur dieser liebenswürdigen Französin verdanke ich die Leichtigkeit, mit der ich trotz späterer jahrelanger Zurückgezogenheit von der gebildeten Welt wieder in Frauenkreise einzutreten vermochte.




Das Meisterstück im Magdalenenthurme zu Breslau.


Meine vorjährige Studienreise in den Karpathen führte mich auch über Breslau. Auf dem Rittergute eines Freundes, kaum eine Stunde von der alten Reichsstadt entfernt, hatte ich auf kurze Zeit Quartier aufgeschlagen und fand von dort aus oft Gelegenheit, mir den ehemaligen Bischofssitz Wratislaw, die „Pforte des Ruhmes“, anzusehen. Wenn ich früh hineinfuhr, schwammen die zahlreichen Thürme mit ihren goldenen Knäufen im blauen Dufte frischer Morgenluft; über den Saaten höher und höher schwebend, stimmten die Lerchen ihre Frühandacht an und in deren Lieder mischten sich von ferne in frommem Baß die ehernen Stimmen der Glocken vom ehrwürdigen Dome, von St. Elisabeth, Maria Magdalena und den vielen anderen Kirchen und Klöstern.

Einer meiner ersten Besuche und auch der letzte in Breslau galt der Armen-Sünderglocke im Magdalenenthurme. Ich wollte die große Glocke mit eigenen Augen sehen, von der Wilhelm Müller so ergreifend in seiner Ballade „Der Glockenguß zu Breslau“ erzählt.

Wer kennt nicht die Sage, welche durch den Dichter so

[101] 

Die Armen-Sünderglocke im Magdalenenthurme zu Breslau. Nach der Natur aufgenommen von Robert Aßmus.

[102] populär geworden, die Sage von dem Meister und dem Lehrbuben? Der Meister war davon gegangen und hatte den Burschen bei der Feuerwacht allein gelassen:

„Doch hüte dich und rühre
Den Hahn mir nimmer an,
Sonst wär’ es um dein Leben,
Fürwitziger, gethan!“

Da tritt die Versuchung mächtig an den Knaben heran:

Der Bube steht am Kessel,
Schaut in die Gluth hinein:
Das wogt und wallt und wirbelt
Und will entfesselt sein,

Und zischt ihm in die Ohren,
Und zuckt ihm durch den Sinn,
Und zieht an allen Fingern
Ihn nach dem Hahne hin.

Er fühlt ihn in den Händen,
Er hat ihn umgedreht –
Da wird ihm angst und bange,
Er weiß nicht, was er thät,

Und läuft hinaus zum Meister,
Die Schuld ihm zu gesteh’n,
Will seine Knie’ umfassen
Und ihn um Gnade fleh’n.

Doch wie der nur vernommen
Des Knaben erstes Wort,
Da reißt die kluge Rechte
Der jähe Zorn ihm fort.

Er stößt sein scharfes Messer
Dem Knaben in die Brust;
Dann stürzt er nach dem Kessel,
Sein selber nicht bewußt.

Vielleicht, daß er noch retten,
Den Strom noch hemmen kann: –
Doch sieh’, der Guß ist fertig,
Es fehlt kein Tropfen d’ran.

Da eilt er abzuräumen
Und sieht und will’s nicht seh’n,
Ganz ohne Fleck und Makel
Die Glocke vor sich steh’n.

Der Knabe liegt am Boden,
Er schaut sein Werk nicht mehr:
Ach, Meister, wilder Meister.
Du stießest gar zu sehr.

Er stellt sich dem Gerichte,
Er klagt sich selber an;
Es thut den Richtern wehe
Wohl um den braven Mann.

Wie er zur Richtstätte geführt wird – „denn keiner kann ihn retten, und Blut will wieder Blut – erbittet er statt des Gnadenschmauses das Läuten der Glocke auf seinem letzten Gange.

Der Meister hört sie klingen
So voll, so hell, so rein;
Die Augen gehn ihm über,
Es muß vor Freude sein. –

Ich habe schon viele Thürme bestiegen, die Münster von Ulm, Regensburg, Freiburg, Straßburg, Metz, Mailand und verschiedene andere, aber in keinem fand ich eine derartig dunkle, defecte Treppe wie im Magdalenenthurme zu Breslau. Eine Sünderstiege zur Sünderglocke!

Jeder der beiden Thürme enthält fünf Stockwerke bis zum Aufsatz des Helmes. Droben auf dem Kirchenboden standen und lagen alte, aus Holz geschnittene Crucifixe und Heilige, die sich über ihre dunkle, spinnenbelebte Umgebung wundern mögen, nachdem sie Jahrhunderte lang unter dampfendem Weihrauch Andächtige knieend vor sich gesehen. Denn wahrscheinlich stammen dieselben noch aus jener Zeit, als katholischer Gottesdienst in der Magdalenenkirche abgehalten wurde. Wir wollen bei dieser Gelegenheit ein gutes Wort für die frommen Heiligen einlegen und bitten den evangelischen Kirchenvorstand der Magdalenenparachie, jene Holzsculpturen dem Breslauer Museum schlesischer Alterthümer zu überweisen, dessen Sammlungen ohnedies klein sind. Dort dürften sie besser aufgehoben und eher gesehen werden, als in dem Dämmerlicht des Kirchenbodens.

Vom fünften Stockwerke aus führt eine Brücke in freier Luft von einem Thurm zum anderen. Auch sie ist sehr beschädigt und morsch. Der Wind jagte in jener Höhe so wild an uns vorüber, daß wir uns ängstlich am Geländer hielten, wie weiland Heinrich Heine am Ilsensteine im Harz, und nur einen Blick in die Tiefe der Stadt hinabwarfen.

Der Thurmwächter stieß die Thür zum Glockenhause des südlichen Thurmes auf. Heulend pfiff der Wind durch die Schalllöcher, und vom Zuge erschüttert sang gleich einer Aeolsharfe in langen, klagenden Tönen die große Sünderglocke, und mit ihr sangen die anderen kleineren Glocken.

Ich begann die Sünderglocke zu zeichnen. Der Thurmwächter verließ mich. Da saß ich denn, mutterseelenallein in schwindelnder Höhe vor der berühmten Glocke. Gewaltiges Balkenwerk hält dieselbe in der Krone, deren Rippen künstlich verziert sind, fest. Ein riesiger Reserveklöppel liegt unter ihr, wohl aus Vorsicht für den Fall, daß einmal der Klöppel springen könne.

Die Sünderglocke ist eine der ältesten Glocken Breslau’s. Nach Menzel’s topographischer Chronik von Breslau, deren freundliche Mittheilung ich der dortigen Stadtbibliothek verdanke, wurde jene im Jahre 1386 von Michael Wilden im Ohlau’schen Zwinger gegossen. Sie wiegt hundertdreizehn Centner und trägt folgende Inschrift:

Maria ist der Name mein, Selic musen alle die seyn, die meinen lout horen oder vornemen spate ader fru die sprechen Gote dem Hern ezu amen. O Rex Gloriae veni cum pace amen. Anno Domini MCCCLXXXVI fusa est haec campana in die Alexii.

Die Schrift auf der Glocke ist erhaben, die Buchstaben in gothischer Mönchsschrift sind außerordentlich correct und künstlerisch ausgeführt. Unter der Sentenz befindet sich ein ebenfalls relief gearbeitetes keines Crucifix.

Die Chronik erzählt keine Sylbe von jenem Vorfall, den Wilh. Müller in seiner Ballade behandelte, so genau jene sonst berichtet. So viel geht aber aus ihr klar hervor, daß jener Glockengießer der bekannten Sünderglocke der oben genannte Michael Wilden und das Jahr ihres Entstehens, wie die Inschrift sagt, 1386 ist.

Vielleicht, daß eine Sage, welche sich an die große Glocke der Elisabethkirche knüpft und die in der Chronik erwähnt wird, im Laufe der Jahrhunderte mit jener der Magdalenenglocke zusammenfloß. Nach jener Sage soll der Hauptbeförderer des Glockengusses für die Elisabethkirche, Sebald Sauermann, der Erste gewesen sein, dem die große Glocke im Jahre 1507 zu Grabe läutete.

Bis zum Jahre 1526 wurden die beiden Glocken zu Elisabeth und Magdalene bei Ausführung eines Delinquenten wechselweise geläutet; alsdann aber beschloß der Rath, beim letzten Gange eines armen Sünders nur die große Glocke zu läuten. Der erste Verbrecher, dem man zur Hinrichtung läutete, war ein Schreiber, Johann Beer aus Glogau.

Aus den Schalllöchern des Glockenhauses genießt man eine entzückende Aussicht auf die Stadt und die weiteren Umgebungen bis zum Riesengebirge hinaus, der Wald- und Bergheimath Rübezahl’s. Vor uns in unmittelbarer Nähe erhebt sich aus der Tiefe die sechshundertjährige Elisabethkirche, welche ebenfalls protestantisch ist. Das ganze weitverzweigte Straßennetz von Breslau liegt vor uns. Aus der Thurmhöhe ist der alterthümliche Eindruck, den Breslau gewährt, ein ganz überraschender, das Panorama ungleich großartiger, als von der gefeierten Liebichshöhe in Breslau.

Ich kletterte noch auf schmaler Holzstiege in die Laterne des Thurmes zum Thurmwächter empor und hatte bis dahin im Ganzen zweihundertundsiebenzig Stufen erstiegen. Der gute Mann saß trotz der Augusthitze im dicken Schafspelze und – schnarchte. Als ich stärker auftrat, fuhr er plötzlich empor und starrte mich an. Er sah so verblüfft drein, daß ich die Geisterbeschwörungsformel „Alle guten Geister loben Gott den Herrn!“ hersagte, und da kam er denn lachend zu sich.

Auch ein Stillleben! dachte ich, aber anders als das von Gabriel Max gemalte. Ein ganz enges Stübchen, mit alten werthlosen Kupferstichen und Bildern ausstaffirt, dann einige Fragmente alter Vasen, alte Schusterleisten und Modelle zierlicher Damenstiefelchen aus der Zopfzeit mit hohen spitzen Absätzen, und oben an der Wand des Stübchens die Feuerlaterne und große Feuerfahnen.

Ich fragte den Thurmwächter, ob er oft Besuch von Fremden bekäme.

„Ach nein,“ antwortete er, „bis zur Sünderglocke steigen wohl Manche herauf, allein bis zu mir kommen nur Wenige, trotzdem die Aussicht von der Laterne des Thurmes doch noch um Vieles schöner ist als von dem Glockenhause. Wenn ich nur eine Abbildung oder eine Beschreibung der Armensünderglocke hätte, dann würden die Fremden wohl häufiger zu mir heraufkommen.“

Er war hocherfreut, als ich ihm versprach, Beides zu schicken, und so wird wohl diese Nummer der Gartenlaube hoch oben im Wächterstübchen des Magdalenenthurmes dem alten, kleinen Inventarium beigefügt werden, zum Nutz und Frommen des Thürmers.
R. A.



[103]
Ein neuer Feind.

Es wird nicht außerhalb des Kreises der Gartenlaube liegen, auf einen nahenden Feind aufmerksam zu machen, welcher die wichtigste Nahrfrucht Deutschlands, die zugleich die Basis mehrerer Industriezweige bildet, nämlich die Kartoffel, auf das Ernstlichste bedroht. Längst hatte die Kartoffelpflanze in Nordamerika mit zwei Feinden zu kämpfen, welche Blattwerk und zarte Sprossen derselben auffraßen und die Ernte zerstörten, es waren dies zwei der Cantharidenfamilie angehörige Blasenkäfer, Lytta atrata s. vittata, und Cantharis viniaria. Ihrer konnte man noch Meister werden. Nun aber hat ein Insect, Doryphora decemlineata, der Colorado-Kartoffelkäfer, sich gezeigt, welches den Kartoffelbau geradezu zu vernichten droht. Ist dieser Hartflügler (Coleoptera) erst auf seinem Wanderzuge an der atlantischen Küste angelangt, schwärmt er in den Straßen der dortigen Seestädte, so wird er sich auf Schiffen niederlassen und unvermerkt nach Europa verbreiten, und wehe dann dem Kartoffelbau! Man muß die Legionen dieses Insects und seiner überaus gefräßigen Larven selbst gesehen und gegen diese Pest gekämpft, deren Vertilgung versucht, betrieben haben, um sich eine Vorstellung von der Gefahr machen zu können. Bei dem zähen Leben des Insects, bei der Langlebigkeit des ausgebildeten Käfers, scheint mir seine Verschleppung in ferne Länder außer allem Zweifel.

In den Felsengebirgen hauste dies Insect, welches sich von den Blättern einer dort vorkommenden wilden Kartoffelart, Solanum rostratum s. carolinense nährte. sobald nun die ersten Kartoffeln (Solanum tuberosum) am Fuße der Felsengebirge auf vereinzelten Stellen gebaut wurden, überfiel sie das Insect. Je mehr die Bodencultur sich westlich erstreckte, desto mehr rückte dieser Feind gegen Osten vor und breitete sich aus. Im Jahre 1859 war er bereits bis hundert Meilen westlich von Omaha City in Nebrasca eingetroffen. 1861 zeigte er sich in Iowa. 1864 und 1865 hatte er nicht nur in Missouri seine Verwüstungen begonnen, sondern war bereits über den Missisippi in Illinois eingedrungen, überall seine verheerenden Colonien zurücklassend. Im Jahre 1868 hatte er bereits Indiana, 1870 Ohio und die Grenzen von Canada erreicht, zeigte sich da und dorten in Pennsylvanien und New-York, und bereits wird sein Eintreffen in Massachusetts berichtet. Im Jahre 1871 bedeckten Schwärme desselben den Detroit-River in Michigan, überschritten den Erie-See auf schwimmenden Blättern, Spähnen, Brettern, Schindeln und Holzstücken und nahmen in kurzer Zeit die Gegend zwischen den Flüssen St. Clair und Niagara in Besitz, und man wird sie bald in den Straßen von New-York, Boston etc. ebenso schwärmend finden, wie in St. Louis, und dann ist die Fahrt des Insects aus den Seehäfen über den Ocean außer Zweifel. Und da es den rauhesten Winter hier ebenso ungefährdet übersteht, als Mairegen und Gewitter und den damit verbundenen Temperaturwechsel, so wird es auch in dem Klima Deutschlands sich heimisch fühlen.

Die Verheerungen des Insects sind um so gewaltiger, als es sich zahllos vermehrt und mehrere Bruten im Laufe des Jahres, von Ende April oder Mai (je nach der Milde des Jahrgangs) sich folgen. Kaum ist die Kartoffelpflanze der Erde entsprossen, so zeigt sich auch das in der Erde überwinterte Insect. Das Weibchen legt zwischen siebenhundert und zwölfhundert orangegelbe Eier in Klumpen von zwölf bis dreißig Stück an die untere Seite der Blätter. Je nach der Witterung kriechen die Larven innerhalb fünf bis sechs Tagen aus, beginnen ihr Werk der Zerstörung und setzen es gegen siebzehn Tage fort, worauf die Larve sich in der Erde verpuppt, und nach zehn bis vierzehn Tagen beginnt der ausgebildete Käfer die Paarung, und das Eierlegen beginnt auf’s Neue. Besonders günstige warme Witterung kürzen obige Zeitperioden ab. So folgen sich nach den bisherigen Beobachtungen drei Bruten. Die letzte überwintert, wie gesagt, in der Erde. Von der Gefräßigkeit des Insects, besonders seiner Larven, kann nur der sich eine Vorstellung machen, der es gesehen. In wenigen Tagen ist das Kartoffelfeld nur noch eine trostlose Wüste von Stengeln, welche bald verdorren; die Ernte ist dahin.

Man hatte sich der eiteln Hoffnung hingegeben, daß diese Pest nur durchwandern, aber sich nicht einbürgern würde; man wurde in der Hoffnung bestärkt, als nach einem heißen Sommer und Herbst und anhaltender Dürre im folgenden Jahre sich die Zahl zu vermindern schien; allein der Staats-Entomologe von Missouri wies nach, daß die Verminderung nur darin ihren Grund habe, daß manche Larven durch das zusammenbacken des Bodens bei der Hitze zu Grunde gingen, allein genug übrig blieben.

Voll all’ den zahlreichen Mitteln zur Bekämpfung dieser Pest zeigte sich nur ein einziges erfolgreich, nämlich das Bestäuben der Pflanzen mit dem höchst giftigen Pariser Grün (aus Kupferoxyd und Arsenik). Allein abgesehen von der Gefahr der Vergiftung durch Einathmen des tödtlichen Giftstaubes, erhoben sich ernstliche Bedenken gegen die Imprägnirung des Bodens mit diesen tödtlichen Substanzen, und von Washington angestellte Versuche haben gezeigt, daß diese Besorgnisse nicht unbegründet sind. So blieb nichts übrig, als Tag für Tag Eier, Larven und Käfer abzulesen und zu vernichten. Aber selbst dieses erheischt große Vorsicht. Der Saft des zerquetschten Insects und seiner Larven erzeugt Blasen auf der Haut und Geschwüre. Bringt man es in eine wunde Stelle, so entstehen bösartige, leicht in Brand übergehende Entzündungen; bringt Jemand das Gift in die Augen, so ist das Auge auf’s Allerhöchste gefährdet.

Wenn ich mir nun die weiten, viele tausend Acker großen Kartoffelfelder Deutschlands von dieser Pest heimgesucht denke und mir die Mühe des täglichen Ablesens der Eier, Larven, Käfer dazu vorstelle, so kann ich mich eines Grauens nicht erwehren. Hier in der Union spielt die Kartoffel weitaus nicht die Rolle wie dort; für die Südstaaten vertritt ohnehin die Batate und Yamswurzel deren Stelle.

Die folgende Abbildung stellt das Insect, seine Eier und Larven dar.

Die Eier a sind von tief orangegelber Farbe. Die kleinen Larven b erscheinen auf den ersten Anblick schwärzlich und nehmen bald eine dunkelrothe in Orange spielende Färbung an. Die größeren Larven 1b 2b sind von einer zwischen orange oder rothgelb und Fleischfarbe spielenden Farbe; e ist die vergrößerte linke Flügeldecke, f das Bein des Käfers, d er selbst in natürlicher Größe. Der Grund der Flügeldecken ist rahmgelb, fünf schwarze Streifen zieren jede Flügeldecke; der dritte und vierte Streifen (von außen herein gezählt) vereinigen sich am hinteren Ende.

Das Insect, zierlich in Bau und Färbung, läßt beim ersten Anblick nicht ahnen, welch tückischen Verderber wir in ihm vor uns haben. Seine Verwüstungen beschränken sich nicht auf die Kartoffel. In deren Ermangelung fällt es über alle Solaneen vom gemeinen Nachtschatten bis zur Eierpflanze (Solanum melongena), Tomato oder Liebesapfel (Sol. Lycospersicum), Judenkirsche (Physalis viscosa) etc. her, und unzweifelhafte Berichte aus Nord-Illinois und Wisconsin setzen uns in Kenntniß, daß es, so unglaublich es uns auch anfangs erschien, in Kraut-(Kohl-) Pflanzungen (cabbage) ebenso gehaust habe wie auf den Kartoffelfeldern.

Möge dieser Kartoffelfluch von Deutschland abgewendet werden!

Smfd. im Staate Illin., December 1872.
Fr. H.
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Blätter und Blüthen.


Auf den Fjellen Lapplands. (Mit Abbildung, S. 93.) Auf meiner vorjährigen Sommerreise durch Lappland hatte ich es eines Nachmittags gewagt, ohne die bewährte Leitung meines Führers, Enar Laïti, den ich in dem Flecken Roknäs zurückgelassen, von Dorf zu Dorf landeinwärts zu wandern. Zwischen Morästen und Wäldern, Seen und ansteigenden Hügeln hinschreitend, sah ich mich plötzlich vom rechten Wege abgeirrt. Unvermuthet lagen vor mir die steil aufragenden Felsenausläufer des lappländischen Gebirges, der sogenanntem „Nordischen Alpen“, mit ihren tiefen Schluchten, spärlich bewaldeten Kuppen und zerrissenen Felsformationen; hinter mir aber dehnte sich eine endlose Fläche jener Sümpfe und seichten Gewässer aus, an welchen Lappland so reich ist. Schon brach der Abend herein, und Nebel dampften aus den Wassern. Was thun? Sollte ich auf morastigen Wegen den Rückweg wagen zu meinem Führer Enar Laïti? Sollte ich den Schritt vorwärts lenken in die zerklüftete Felsenwildniß des Gebirges? Ich wählte das Letzte. Vielleicht, daß ich auf menschliche Wohnungen treffe! Frischer Muth, heiterer Sinn und alle guten Dinge waren mit mir – nur Eines nicht: die Gunst des Schicksals; denn immer wilder wurde das Gebirge, immer unwirthlicher wurden die Wege und immer tiefer sank die Sonne. Schon machte ich mich mit dem Gedanken vertraut, in irgend einer Schlucht die Nacht über campiren zu müssen, unter mir als Matratze den felsigen Boden, über mir als Decke die Nebel. Horch! da scholl es von der Höhe, wie der langgezogene Ton eines schweizer Hirtenhorns.

Das war ein Zeuge menschlicher Nähe. Von Hoffnung belebt, blickte ich aufwärts, auf der Felsenhöhe den Urheber des mich in der Einöde so freundlich lockenden Klanges zu entdecken. Vergebens! der dichte Nebel beschränkte den Blick. „Aber vorwärts!“ rief ich mir zu, „wo Menschen sind, da muß auch ein Obdach sein!“ Und mühsam begann ich von Fels zu Fels die steile Naturtreppe hinanzuklimmen. Wiederum erscholl das Horn. Höher kletterte ich, immer höher. Plötzlich – überraschendes Ziel der halsbrecherischen Reise! – stand vor mir auf der Höhe des Felsens ein blühendes Hirtenmädchen. Mit lang über die Schultern herabhängenden Haaren, die rothe Mütze auf dem Kopfe, in schlichtem blauen Rocke und derben Schuhen, das Roth der Gesundheit auf den Wangen, war sie ein echtes lappländisches Landmädchen, nur von schönerer, edlerer Gesichtsbildung als die meisten ihrer Schwestern, welche in Zügen und Mienen den mongolischen Typus ihrer Race nur selten verleugnen. Noch hielt sie das Hirtenhorn, dessen Ruf vorhin an mein Ohr geklungen, in der Hand, und als sie, meinen Gruß freundlich und sicher erwidernd, so stramm und fest, so keck und naturfrisch dastand, da erschien sie mir als eine Auserwählte ihres Stammes.

In der Sprache ihres Landes, deren ich ein wenig mächtig bin, redete ich sie an, und schnell flogen Fragen und Antworten hinüber und herüber.

Katin hieß sie, wie ich bald erfuhr, und war die Tochter des Rennthierbesitzers Aslac Wasala, der in einem nahen Dorfe ansässig war. Den Tag über hatte sie die väterliche Heerde im Felsengebirge geweidet und bei dem sich neigenden Abende in’s Horn gestoßen, die zerstreuten Schutzbefohlenen zu sammeln. Es ist ein eigenartiges Instrument, dieses Horn der lappländischen Hirten. Aus Holz schlicht und derb, aber nicht ohne eine gewisse Kunstfertigkeit gedrechselt, besteht es, wenn ich nicht irre, meistens aus zwei gleich langen Hälften, welche ohne ein anderes Bindemittel durch eine Art Rohrholz, mit dem sie gemeinschaftlich umwunden werden, zusammengefügt sind.

Katin stieß wieder in’s Horn. Da kamen sie alle zu Hauf, die flinken rüstigen Rennthiere; aus Schluchten und Klüften stiegen sie vom Thale herauf und sammelten sich um die Herrin, daß sie zur Nacht sie in’s gastliche Dorf führe.

„Die glücklichen Thiere! sie haben ein Heim – aber ich armer verirrter Wanderer –“ sprach ich halb scherzend und halb im Ernst.

Da begann Katin mit heller Stimme: „Der fremde Herr wird bei dem Vater schlafen im kühlen Zelte. Katin wird den fremden Herrn führen.“

Und sie führte mich. Nach einem nicht gar langen Wege über die unwirthlichen Fjellen (schwachbewaldete Berge, deren Spitzen auch im Sommer mit Schnee bedeckt sind), auf welchen uns die Rennthiere in Heerden begleiteten, standen wir vor dem auf dem Fjellrücken gelegenen Zelte Vater Aslac’s. Eine Schaar bellender Hunde, auf Katin’s Zurufe bald besänftigt, sprang uns entgegen. Vor dem Zelte spielende Kinder, durch meinen Anblick in Schrecken versetzt, stürzten hinein.

Wir traten ein. Mit echt nordischer Gastfreundschaft wurde ich von der Familie, aus Vater und Mutter mit sechs Kindern bestehend, empfangen. Ich sah mich um in der seltsamen Behausung. Das Tuch des Zeltes bestand aus einem Stoffe von Halbwolle (wadmal) und war mit vielem Geschick über Birkenzweige gespannt. In der Mitte des Zeltes befand sich ein Herd; ein Divan von Rennthierhäuten war ringsherum an den Zeltwänden angebracht; derselbe diente gleichzeitig als ein höchst origineller Aufbewahrungsort der heterogensten Dinge; denn unter den Rennthierhäuten lagen in buntestem durcheinander Fischergeräthe, Schlitten, Kleider, getrocknetes Rennthierfleisch, Käse, Kaffee, Kartoffeln, Branntwein etc.

Die Unterhaltung war bald im Fluß. Vater Aslac erzählte mir von dem Leben der Lappen, und nachdem wir ein höchst originelles Mahl eingenommen – es bestand aus Rennthierfleisch, aus Kaffee (nicht etwa mit Zucker, sondern mit Salz) und aus „Kask“ (Kaffee mit Branntwein) und mundete mir natürlich sehr wenig – legte sich die ganze Familie, theils auf Rennthierpelzen, zur Ruhe, und bald schnarchte es aus allen Ecken des engen Zeltes. Auch mir wurde ein weiches Lager bereitet – ich sank in tiefen Schlaf.

Am andern Morgen in der Frühe war ich wach, verabschiedete mich von meinem gastfreundlichen Wirthe, Aslac Wasala, und seiner Familie, schenkte der freundlich blickenden Katin einige Goldmünzen zu ihrem Sonntagsschmuck – für Goldmünzen geht der Lappe durch’s Feuer – und trat in der kühlen Morgenluft den Rückweg nach Roknäs an.

„Du grundgütiger Himmel! Lieber Herr, Du lebst noch?“ rief Enar Laïti, mein treuer Führer, mir entgegen, als ich in Roknäs ankam. „Ich glaubte Dich längst ertrunken in den Sümpfen Samelands. Welche gute Fee hat Dich gerettet?“

„Katin!“


Ein Bürgermeister ohne Furcht und Tadel. (Mit Portrait, S. 100.) Den wir mit dieser Würde ehren, der lebt noch und hat am dritten Februar seinen siebzigsten Geburtstag gefeiert: Franz Ziegler, der Cato des preußischen Abgeordnetenhauses gegen das Ministerium Mühler kaum glaublichen Andenkens. Sein Leben fiel in die aufsteigende deutsche Zeit, deren erste Stufen 1840 und 1848 waren. Als Bürgermeister von Brandenburg, das, weil sein Geburtsort Warchau in der Nähe lag, ihn zu den Seinigen zählte, kam er als deutscher Volksbote in die Paulskirche. Später, im heimischen Parlament, stand er von allen Steuerverweigerern als der Einzige da, der für seine Beharrlichkeit büßen mußte; als Hochverräther und Aufrührer angeklagt, traf ihn die ganze Reihe der dafür vorhandenen Strafen: Amtsentsetzung, Verlust der Nationalcocarde, Festungshaft und selbst, nachdem letztere überstanden war, noch einjährige Verbannung aus Brandenburg. Und als der Landflüchtige sich in seiner Noth nach Berlin wandte, wurde er abgewiesen. Das waren gar hübsche Zeiten für die glückliche Reaction. Ziegler griff zur Schriftstellerfeder. Hatte er früher die Frage: „Wie ist dem Handwerkerstande zu helfen?“ beantwortet und das Volk über die sociale Reform des Abgabenwesens, über die Fabrik-Creditgesellschaft und dergl. Gegenstände belehrt, so veröffentlichte er von 1860 an mehrere poetische Werke, wie Landwehrmann Krille“, „Der Bettler vom Capitol“ (abgedruckt in der Gartenlaube 1864, Nr. 27), „Nondum“ etc., die ihn dem Volke auch als kernigen märkischen Dichter zeigten. In sein eigenstes Lebenselement gerieth der nun schon alte Ziegler erst wieder, als ihn das Vertrauen seiner Mitbürger in Breslau 1864 wieder in das preußische Abgeordnetenhaus und 1867 in den Reichstag des Norddeutschen Bundes wählte. Hier war er, wie bereits bemerkt, der Sturmvogel, welcher das Sinken des Mühler’schen Ministerschiffs lang voraus anzeigte, ehe es geschah.

Wenn wir dem Mann hiermit öffentlich unsern Gruß zurufen und ihm zum siebzigsten Geburtstag gut und lang Heil wünschen, so wird es sich wohl ziemen, auch des Wahlkreises in Ehren zu gedenken, welcher einem solchen Kämpfer seinen Sitz im Volkshause sichert: es ist der 7. Regierungs-Bezirk Breslau, Stadt Breslau, westlicher Theil.


Wilhelm Müller. Unser in Nr. 24 des vor. Jahrg. der Gartenlaube angeregtes „Literarisches Geheimniß“ hat durch Briefe und sonstige Mittheilungen mannigfache Ergänzungen und Aufklärungen erfahren, aus denen wir, namentlich auf Grund einiger Notizen des Herrn G. Riefstal in Berlin, Nachfolgendes mittheilen.

Wilhelm Müller wohnte in den letzten Jahren seines Aufenthaltes zu Berlin, ehe er nach Charlottenburg übersiedelte, Neue Jakobsstraße Nr. 3. Er lebte dazumal und bis zu seinem Tode, der am 20. April 1866 erfolgte, mit einem Fräulein v. Bonin in einem wahlverwandtschaftlichen Freundschaftsbunde. Als wir ihn in gedachter Wohnung sprachen, trat er uns, einen höchst abgetragenen Ueberzieher als Schlafrock umgeworfen, entgegen. Er war ein Bibliomane, und man fand ihn regelmäßig auf allen Bücherauctionen, wie er denn auch bei Antiquaren oft zu finden war. Als einst aus einer Ausgabe der Uhland’schen Gedichte das Dienstmädchen einzelne Blätter entfernt hatte, während sie das Buch selbst in den Holzkorb geworfen, waren er und seine Freundin untröstlich, und ihr Schmerz legte sich erst, als, durch Verwendung eines befreundeten Bücherauctionators, die fehlenden Blätter von Cotta wieder ergänzt waren. Nach Aeußerungen des Fräulein v. Bonin war W. Müller den 18. März (alten Stils) 1790 zu Petersburg als Sohn des Bauraths v. Müller geboren. Er verließ Rußland eines Duells wegen. Die Eltern lebten in glänzenden Verhältnissen, wie denn auch unser W. Müller nicht in ärmlichen Verhältnissen gestorben ist. Sein Vermögen – er hatte sich zuletzt in Charlottenburg ein Haus gekauft, in dem er mit besagtem Fräulein lebte – sollen, nachdem auch die Bonin gestorben, ferne Verwandte geerbt haben, während nach anderer Lesart es milden Stiftungen vermacht wurde. Hat es mit dem Duell seine Richtigkeit, so ist die Annahme, daß der Name Wilhelm Müller ein angenommener sei, nicht gänzlich ausgeschlossen, wie denn auch seine trüben und düsteren Lebensschicksale nirgends in Abrede gestellt werden. Schließlich sei auch noch seiner Lebensbilder, „Rußland und seine Völker aus Gegenwart und Vergangenheit“, gedacht, eines Werkes, das nicht gänzlich vergessen sein sollte.
F. Brunold.




Zur Beachtung!

Auch heute, wenn wir nicht abermals eine Beilage opfern wollen, fehlt es uns an Raum, die zahlreich eingegangenen Liebesgaben für unsere unglücklichen Ostseebrüder zu quittiren. Wir hoffen unsere Pflicht in nächster Nummer erfüllen zu können und bemerken vorläufig, daß wir vor einigen Tagen abermals an

das Unterstützungs-Comité in Stralsund 500 Thaler
und das Provinzial-Comité in Stettin 500 Thaler
absenden konnten. Unsere Sammlung hat heute den Betrag von 5000 Thalern bereits überschritten.
Die Redaction der Gartenlaube.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

  1. In Folge der neuen Massen-Angriffe der Modoc-Indianer an der Südseite des Tulasee’s und anderer Stämme, namentlich aber der Thatsache, daß dieselben sich gegen die Truppen der Regierung siegreich behauptet haben, richten sich die Blicke der gebildeten Welt wiederum auf die Indianer Amerika’s und ihre Stellung zu den Culturvölkern des neuen Erdtheils. Wir nehmen hieraus Veranlassung, obigen für diesen Gegenstand höchst interessanten Artikel eines in Amerika lebenden Deutschen hiermit der Oeffentlichkeit zu übergeben.
    Die Red.