Die Gartenlaube (1872)/Heft 14
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No. 14. | 1872. | |
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.
Wöchentlich 1½ bis 2 Bogen. Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.
An einem trüben Februarmorgen vorigen Jahres ward ich, da meine Kopfwunde ziemlich geheilt war, aus dem Mainzer Lazareth entlassen und begab mich mit militärischem Urlaub in meine Heimath Berlin, um meinen noch angegriffenen Körper mütterlicher Pflege anzuvertrauen und neue Kräfte zu sammeln, ehe ich zum Regimente nach Frankreich zurückkehrte. Der Hausarzt verordnete mir vor allen Dingen Ruhe und gestattete mir täglich nur eine Stunde auszugehn. Das behagte mir in den ersten Tagen ganz wohl; dann aber begann mich die Langeweile zu plagen, zumal die meisten meiner Bekannten jenseit des Rheins waren, und also fast jeder Freundesbesuch, der mir die Zeit hätte kürzen können, ausblieb. Mißmuthig lag ich eines Vormittags auf dem Sopha und studirte gähnend die endlosen Beilagen der „Vossischen Zeitung“: erst die Familienanzeigen, in denen sachgemäß auch die Verlobungen, die Vermählungen, dann die Entbindungen und schließlich, weil nichts mehr übrig bleibt, die Todesfälle folgen; hieran schlossen sich die Ankündigungen öffentlicher Vergnügungen, daran die Course, Notizen über verlorene und gefundene Gegenstände, und so hatte ich mich schließlich zu den „Personen, die eine Beschäftigung suchen“ durchgearbeitet. Diese interessirten mich eigentlich am wenigsten, obwohl ich, genau genommen, selbst zu ihnen gehörte, als mein gleichgültiger Blick durch die folgende Annonce gefesselt ward: „Eine zuverlässige Wahrsagerin, die aus der Hand, aus Karten und aus Kaffeegrund prophezeit, und deren Vorherverkündigungen stets eintreffen, wohnt Rosengasse Nr. 52 zwei Treppen hoch und ist täglich von Morgens neun Uhr bis Nachmittags fünf Uhr in Geschäftsangelegenheiten zu sprechen.“ Hinterdrein folgten noch drei oder vier Inserate ähnlichen Inhalts. Lachend las ich dieselben meiner Mutter vor, die Liebessocken strickend am Fenster saß; aber sie verrieth keine Verwunderung, da ihr die Sache längst nicht mehr neu war. Sie belehrte mich vielmehr, daß seit dem Beginn des Krieges, der ja immer den Aberglauben befördere, diese neue Geschäftsbranche en vogue sei, zumal gerade die besseren oder vielmehr die wohlhabenderen Stände derselben ihre Gunst zugewandt hätten. Einzelne dieser Wahrsagerinnen erfreuten sich, versicherte meine Mutter, solchen Zuspruchs, daß oft gleichzeitig mehrere Equipagen vor ihren Häusern hielten.
Die Neugier reizte mich, und ich äußerte die Absicht, eine jener Damen zu besuchen, um mir die Zeit zu vertreiben.
„Du brauchst nicht weit zu gehen,“ erwiderte meine Mutter, „wenige Häuser von uns entfernt wohnt eine der angesehensten ihres Faches; biege um die nächste Straßenecke links und steige im dritten Hause zwei Treppen hoch: da findest Du die neue Pythia.“
Ich kleidete mich an und ging hin. Es war ein sogenanntes „herrschaftliches“ Haus, das mir der Portier auf einen Zug mit der Hausglocke öffnete. Flur und Treppen waren mit Teppichen belegt, das Geländer der letzteren von Mahagoniholz; auf den Simsen der buntfarbigen Fenster standen hohe, frischgrünende Dracänen und Farren. Als ich zwei Treppen hinaufgestiegen, zog ich die Glocke vor einem Entreezimmer, das durch eine Glaswand vom Flur abgeschlossen war; ich bemerkte nichts Auffälliges, als daß auf dem Porcellanschilde unter dem Glockenzuge kein Name geschrieben stand. Eine ältliche Dienerin, deren Gesicht mir merkwürdiger Weise bekannt erschien, ohne daß ich mich doch besinnen konnte, wo ich es gesehen, öffnete und führte mich, als ich mein Begehren ausgesprochen, in ein mäßig großes, elegant ausgestattetes Zimmer, dessen innere Einrichtung von dem gewählten Geschmack der Besitzerin zeugte. Ich hatte kaum Zeit gehabt mich genauer umzuschauen, als sich eine Seitenthür öffnete, und eine schlanke Dame von etwa dreißig Jahren in einfachem, aber modischem schwerseidenem Kleide hereintrat. Ich sah sie einen Augenblick an und – stand sprachlos vor Erstaunen. Kannte ich doch diese majestätische Gestalt, dieses feine, aristokratische Antlitz, diese großen dunklen Augen, deren seelenvollen Blick Niemand, der ihn einmal im Leben geschaut, vergessen konnte.
„Sie sind –“ stammelte ich.
„Leopoldine von Krey,“ erwiderte die Dame, über deren blasses Angesicht eine helle Röthe flog, während um den feingeschnittenen Mund der Ausdruck bittern Schmerzes zuckte. Sie warf sich in einen Fauteuil und bedeckte ihr Gesicht mit den zarten, weißen Händen, während sie tief aufathmete und schluchzte. Aber fast eben so schnell, als dieser Ausbruch inneren Leidens über sie gekommen war, ermannte sie sich, richtete sich auf und sagte, während sie sich mit dem Tuche die Augen trocknete:
„Entschuldigen Sie, Herr Assessor, die Heftigkeit meiner Bewegung, die durch Ihr plötzliches und unerwartetes Erscheinen hervorgerufen ward – bitte, nehmen Sie Platz!“
Ich setzte mich ihr gegenüber; ehe ich aber noch fragen konnte, begann sie gefaßt folgendermaßen:
„Ja, ich bin Leopoldine von Krey, jene einst so glücklich gepriesene, so hochgefeierte Tochter des Commerzienrathes Pohl, [218] bin die einst vielbeneidete Gemahlin des Bergraths von Krey, bin die – Wahrsagerin, die Sie suchen! Kaum zwei Winter sind verflossen, seit Sie in Köln in meinen Salons die fashionable Welt zu Concerten und Bällen versammelt sahen; Hunderte umdrängten mich und trachteten nach einem freundlichen Lächeln von mir, und jetzt –“
„Aber,“ warf ich, mit Mühe nach Worten ringend, ein, „wie war diese Umwandlung Ihres Schicksals möglich? Ihr Gatte war in einträglichem Amte, wohlhabend, angesehen; Sie selbst besaßen ein beträchtliches Vermögen –“
„Mein Mann,“ erwiderte sie mit tonloser Stimme, „ist todt. Er starb im vergangenen Frühjahr und ließ mich mit zwei Kindern trostlos zurück. Am Tage nach seinem Tode ward Alles in unserer Wohnung gerichtlich versiegelt und wenige Stunden nachher erfuhr ich, daß ich – eine Bettlerin sei. Alphons, dessen unruhiges Wesen mir seit Monaten aufgefallen war, ohne daß mir die Ursache davon zum Bewußtsein gekommen wäre, hatte hoch und unglücklich gespielt: erst hatte er sein Vermögen angegriffen, darauf, als dieses verloren, das meinige. Mein guter Vater hatte ihn richtiger als ich beurtheilt und im Heirathsvertrage meine Zukunft sichern wollen; aber auf meine dringenden Bitten hatte er Abstand davon genommen, die Gütertrennung aussprechen zu lassen. Er war, wie Sie sich erinnern werden, wenige Wochen nach unserer Hochzeit gestorben; so stand ich nach dem Tode meines Mannes allein da!“
„Aber Ihre Verwandten,“ rief ich aus, „die Freunde Ihrer Familie –“
„Meine Verwandten!“ erwiderte sie bitter, „unsere Freunde! Alle zogen sich von mir zurück; kaum, daß man mich, wenn ich einen Besuch machen wollte, annahm! Sie, der vertrauteste Freund meines Mannes, hatten ein Jahr vorher schon Köln verlassen, und ich kannte Ihren Aufenthaltsort nicht. Aber selbst wenn ich Sie während der im Juli beginnenden Kriegswirren hätte ausfindig machen können, so würde ich nach den Erfahrungen, die ich in Köln gemacht, mich wohl kaum an Sie gewandt haben: ich hatte das Vertrauen zu den Menschen verloren. Wir sind Alle Egoisten!“
„Aber wie kamen Sie nach Berlin?“ fragte ich, da mir der Muth fehlte, ihr zu widersprechen.
„Als alle Angelegenheiten meines Gatten geordnet, unser Haus und die kostbare Einrichtung desselben verkauft und mit dem Erlös die letzten Schulden bezahlt waren, verließ ich Köln, wo ich bei jedem Schritte auf der Straße neuen Demüthigungen ausgesetzt war, und begab mich mit meinen Kindern hierher, da ich glaubte, hier in der Stille unbekannt leben und mir außerdem zu der unzureichenden kleinen Wittwenpension, die ich beziehe, durch eigene Thätigkeit so viel hinzu erwerben zu können, um meinen Kindern eine genügende Erziehung zu geben.“
„Da trafen Sie die Verhältnisse bei Beginn des Krieges freilich übel genug für Ihre Zwecke!“ schaltete ich ein.
„Ich versuchte zuerst mein Glück mit Clavierunterricht,“ erzählte sie weiter. „Galt ich doch für eine Meisterin auf dem Clavierflügel! Aber obwohl ich mich in einem halben Dutzend Zeitungen anpries, so fand ich doch nur wenig Beschäftigung: anfangs glaubte ich, ohne Unbescheidenheit einen Thaler für die Stunde fordern zu können; nach wenigen Wochen begnügte ich mich mit eben diesem Honorar für zwölf Stunden. Und doch mehrte sich die Zahl der Schülerinnen nicht! Darauf ging ich in ein Tapisserie- und Stickereigeschäft – Sie erinnern sich vielleicht noch meiner Fertigkeit in Arbeiten dieser Art. Man gab mir einen kaum angefangenen Teppich, den ich möglichst schnell vollenden sollte; ich arbeitete fünf Tage daran vom frühen Morgen bis zur Mitternacht, daß mir die Augen schmerzten, schließlich bekam ich anderthalben Thaler als – Lohn!“
Nach kurzer Pause fuhr sie fort: „Meine Gesundheit fing an zu leiden. Ach! übermäßige Anstrengung, Gram und Noth sind selbst schon drei böse Krankheiten, wir hatten kaum den nothdürftigsten Lebensunterhalt; da hörte ich eines Tages – es war in der Mitte des November –, daß eine Nachbarin vom ‚Wahrsagen‘ lebe und ein reichliches Auskommen habe. Armuth macht nachdenkend, und ich überlegte, daß ich vielleicht auch Talent zu diesem Geschäft haben dürfte. Da entschloß ich mich nach hartem Kampfe – um meiner Kinder willen, bei Gott! nicht um meinetwillen, Herr Assessor –, mein Glück zu versuchen und kündigte in den Zeitungen an, eine erfahrene Frau in der und der Straße verstehe die Zukunft vorherzusagen. In wenigen Tagen hatte ich so viel verdient, um eine bessere Wohnung miethen, Kleidung für mich und die Meinigen anschaffen zu können; wie Sie sehen,“ schloß sie mit Bitterkeit, „die Thorheit meiner Mitmenschen macht mich wohlhabend, meine Kinder hungern nicht mehr, und ich erfreue mich jetzt wenigstens wieder des Scheines jenes Wohlstandes, in dem ich einst wirklich lebte!“
Sie hielt inne und sah mich mit einem fragenden Blick an, gleich als erwarte sie von mir ein Urtheil über ihre Handlungsweise, und ihr Auge ward trüber und trüber, da ich nachdenkend schwieg. Was konnte ich ihr auch sagen! Mit steigendem Interesse, mit tiefem Mitgefühl hatte ich ihren Worten gelauscht; mein Herz sprach für sie, und doch durchzuckte mich eine widrige Empfindung, daß diese hochgebildete Frau auf die Thorheit der Menschen speculire, um ihren Lebensunterhalt zu gewinnen. In diesem Augenblick trat durch die Thür eines Nebenzimmers ein kleines vierjähriges Mädchen von auffallender Schönheit und eilte schüchtern in den Schooß der Mutter, als es den Besuch erblickte. Frau von Krey drückte einen Kuß auf die Stirn des Kindes, und indem sie ihm die blonden Locken streichelte, führte sie es wieder hinaus. Dann sagte sie mit zitternder Stimme: „Nicht wahr, ich mußte für die Meinigen sorgen?“
„Gewiß, gewiß!“ stotterte ich. „Aber doch, gnädige Frau, sollte ich meinen, daß auch der beste Zweck einen Betrug, geschweige denn einen auf stets erneuten Betrug begründeten Beruf nicht zu rechtfertigen vermag!“
Bei dem Worte „Betrug“ zuckte ihr Körper zusammen. „Ist das nicht ein hartes Wort?“ sagte sie, und mit lebhafterer Stimme fuhr sie zu ihrer Vertheidigung also fort: „Bin ich denn wirklich eine Betrügerin? Erinnern Sie sich nicht mehr, wie häufig Sie in Köln an mir das Talent bewunderten, mir bei Begegnung mit Fremden aus ihren Gesichtszügen, ihrer Art sich zu bewegen, aus wenigen anscheinend gleichgültigen Aeußerungen derselben schnell ein scharfbegrenztes Bild des innern Menschen zu entwerfen, und überraschte es Sie nicht oft, wenn ich aus der äußern Erscheinung über die mir unbekannten Erlebnisse derselben Folgerungen zog? Ist es doch nur die unbegrenzte Liebe zu meinem Alphons gewesen, die mich gegen die Schwächen desselben blind machte; hundert Mal habe ich mir seit einem Jahre gesagt, daß ich bei ruhiger Beobachtung vom ersten Tage unserer Ehe an seine unglückselige Neigung zum Spiel hätte entdecken müssen! Was thue ich jetzt anders, als daß ich jenes Talent, mit dem ich einst meine Gäste unterhielt, zu meinem Vortheil benutze? – Da kommt ein siebenzehnjähriges Mädchen in eleganter Toilette, furchtsam und scheu, um mich über ihre Zukunft zu befragen. Ich weiß nach zwei Minuten, ohne daß sie selbst es mir sagt, daß sie die Tochter eines reichen Bankiers ist; ihre Aengstlichkeit sagt mir, daß sie ohne Erlaubniß des Vaters kommt; daß sie aber überhaupt kommt, verräth mir, daß sie liebt, heimlich hinter dem Rücken der Angehörigen liebt! Sie zieht den Handschuh von der kleinen zitternden Hand, um aus den Linien derselben sich wahrsagen zu lassen. Ich sage ihr, ihr Herz sei nicht mehr frei. Sie erröthet. Ich füge hinzu, der Geliebte sei ein trefflicher Mann. Sie hebt den gesenkten Blick, und ein Lächeln des Glücks, der Verklärung fliegt über ihre Züge. Ich lobe seinen edeln Charakter, der frei von jeder Selbstsucht sei. Liebt denn ein siebenzehnjähriges Mädchen jemals, ohne den Gegenstand ihrer Liebe in ihrer Phantasie mit den idealsten Eigenschaften des Herzens zu schmücken?! Schon hat sie Vertrauen zu mir gefaßt, und dreister geworden behaupte ich, ihre Angehörigen wüßten nichts von ihrer Herzensneigung und würden dieselbe, wenn sie sie erführen, mißbilligen. Und das leise Zittern ihrer Hand verräth mir, auch ohne daß sie einen Laut zur Antwort giebt, daß meine Vermuthungen mich nicht täuschen. Wenn ich ihr nun sage, sie müsse zurückhaltend und vorsichtig gegenüber dem Geliebten sein, sie solle Vertrauen zu demjenigen Mitgliede ihrer Familie haben, das sie am meisten verehre, und demselben Mittheilung machen, dann werde sie zwar in der nächsten Zeit viel Kummer haben, ihr Leben sich aber schließlich glücklich gestalten etc., – nun, wie betrüge ich denn da? oder [219] versündige ich mich etwa mit diesem vernünftigen Rathe an dem jungen Mädchen? Sie kommt zu mir, um Hoffnung zu kaufen, und ihr wird das von mir, was sie wünscht; ich verspreche ihr nicht den Besitz des Geliebten, sondern ich prophezeie ihr nur im Allgemeinen reiches Lebensglück, falls sie verständig handle und ach von thörichten und übereilten Schritten fern halte. Und habe ich nicht ein Recht, ihr dies zu versprechen? Ich sehe wahrlich nicht ein, wie in diesem meinen Thun etwas Unmoralisches liege!“
Sie schwieg, um an dem Ausdrucke meines Gesichts zu prüfen, welchen Eindruck ihre Vertheidigungsrede auf mich gemacht; doch schien sie wenig befriedigt von ihrer Wahrnehmung, denn noch ehe ich meinen Empfindungen Ausdruck gegeben, sagte sie: „Ich sehe, daß ich Sie nicht überzeugt habe.“
„Gewiß nicht!“ antwortete ich. „Ich bewundere wahrlich den Verstand, mit dem Sie verfahren, und glaube gern, daß Ihr Herz zu edel ist, um durch Ihre Prophezeiungen thörichte Wünsche und tadelnswerthe Hoffnungen bei Denen zu nähren, die Ihren – Rath in Anspruch nehmen; aber gestehen Sie sich nicht selbst ein, daß die Art und Weise, wie Sie denselben ertheilen, darauf berechnet ist, zu täuschen, indem Sie nach Manier des Charlatans mit einer angeblich geheimen Kunst prunken, da Ihre Weissagung doch nichts als das Product des gesunden Menschenverstandes ist?“
„Giebt es einen Kaufmann,“ fragte sie dagegen, „giebt es einen Arzt, der frei ist von – Charlatanerie? Ja, ich möchte fast fragen, welcher Stand ist das überhaupt? Und andererseits, wenn der Bauer den Uhrmacher oder den Telegraphisten für einen Schwarzkünstler hält, weil er ihr Thun nicht begreift und ihnen geheime Wunderkräfte zuschreibt, sind sie deshalb Charlatans?“
Ich war mir augenblicklich nicht klar darüber, wie ich diese Spitzfindigkeiten, deren Werthlosigkeit ich doch zu empfinden glaubte, zu widerlegen vermöchte, während mir zugleich meine Theilnahme für die schwergeprüfte Frau, für die mein Herz vor Jahren feurig geschlagen, verbot, sie durch meine Bedenken zu beunruhigen und auf’s Neue zu erregen, nachdem sie vielleicht mühsam die Einwendungen des eignen Herzens zur Ruhe gebracht. Deshalb brach ich, zumal ihre Mittheilungen über den Tod ihres mir nahestehenden Gatten mich tief ergriffen hatten, die Unterredung, die für beide Theile peinlich zu werden begann, ab und kehrte, nachdem ich versprochen, ihrer Aufforderung, sie bald zu besuchen, in den nächsten Tagen nachzukommen, nach Hause zurück, um meiner Mutter das seltsame Abenteuer, das ich erlebt, mitzutheilen.
Am folgenden Tage lag ich im Fieber; doch siegte meine gute Constitution schnell über den leichten Rückfall in die Krankheit, und nach Verlauf einer Woche ging ich auf’s Neue zu Frau v. Krey, um mein ihr gegebenes Versprechen zu erfüllen. Die Zwischenzeit hatte mir Muße gewährt, über mein zukünftiges Verhalten ihr gegenüber nachzudenken. Ich war entschlossen, die Erneuerung des streitigen Punktes zu vermeiden, im Uebrigen ihr in jeder Beziehung meinen Rath und, so weit es meine beschränkten Mittel mir gestatteten, meine Hülfe anzubieten. Als ich ihr gemeldet worden, kam sie mir bis zur Thür entgegen, reichte mir ihre Rechte und sagte mit sichtlicher Freude: „Wie brav ist es, daß Sie wiederkommen, da wir doch im Widerspruch mit unseren Anschauungen geschieden sind! Nun weiß ich doch, daß ich noch Ihre Achtung besitze: Sie wissen nicht, wie bang ich gewartet habe, ob auch Sie die Wittwe des Jugendfreundes aus der Liste Ihrer Bekanntschaften streichen würden.“
Ich nahm Platz, entschuldigte mein Ausbleiben durch mein Unwohlsein und versicherte, daß mein erster Ausgang seit jenem Tage, wo ich sie gesehen, mich zu ihr geführt habe. Sie wiederholte den Ausdruck ihrer Freude, und ihr Gesicht zeigte zum ersten Male hierbei nicht jenen Zug fast trotzigen Schmerzes, der mir jüngst einen so tiefen Eindruck gemacht hatte. Dann fragte sie nach meiner Wunde, meinen Erlebnissen im Felde, und ich mußte ihr viel erzählen. Als ich geendet, lenkte sich das Gespräch auf ihre letzten Tage in Köln, und die Zeit verrann mir bei der geistreichen Frau so schnell, daß ich, als ich nach der Uhr gesehen, erschreckt aufsprang und um Verzeihung für die lange Dauer meines Besuches bat.
„Aber Sie stören mich ja nicht,“ erwiderte sie, „denn es ist jetzt nicht gerade die Zeit, wo meine geschäftlichen Constitutionen stattfinden; bleiben Sie noch einen Augenblick, und ich erzähle Ihnen ein kleines Abenteuer, das ich vor drei bis vier Tagen gehabt.“
Ich nahm wieder Platz und sie begann:
„Es war um die Visitenstunde Nachmittags, als meine alte Dienerin, die mich schon als Kind gepflegt und auch in der Zeit der höchsten Bedrängniß in treuer Anhänglichkeit nicht verlassen hat, mir einen Rittergutsbesitzer Bärwald meldete, der die ‚Wahrsagerin‘ zu sprechen wünschte. Ich ging, nachdem die Lampe angezündet, aus dem Kinderzimmer hier herein und fand einen etwas sonderbaren Herrn vor, der, wie es schien, von einem stattlichen Diner kam, so daß ich in einem Anfluge von Besorgniß die Thür zum Nebenzimmer nicht schloß, um nöthigen Falles rufen zu können. Aber meine Aengstlichkeit war unbegründet, denn mein Anblick, den sich der gute Pommer wohl ganz anders vorgestellt hatte, verblüffte ihn dermaßen, daß er selbst gänzlich außer Fassung gerieth und kaum im Stande war, seinen Wünschen in zusammenhängenden Worten Ausdruck zu geben. Doch verstand ich so viel, daß er, der seit mehreren Jahren die Residenz nicht besucht, auf seinem einige Meilen von Stolpe gelegenen Gute in der Zeitung meine Annonce gelesen und, da seine Vorfahren stets viel von Prophezeiungen gehalten, sich entschlossen habe, hierher zu reisen, um sich von mir Auskunft über den günstigen oder ungünstigen Erfolg eines für ihn außerordentlich wichtigen Unternehmens zu holen. Ich gerieth in die peinlichste Verlegenheit. Dieser einfache, aber offenbar keineswegs natürlichen Scharfsinnes entbehrende Mann verlangte keine allgemein gehaltene Prophezeiung, sondern eine kurze und bestimmte Antwort auf eine Frage, die er mitzutheilen sich auf’s Sorgsamste hütete. ‚Denn,‘ sagte er, ‚sind Sie eine richtige Prophetin, so wissen Sie die Frage, um die es sich handelt, auch ohne daß ich sie Ihnen sage.‘
In meinem Herzen gab ich ihm, der an Einsicht so viele vornehme Größen der Residenz übertraf, vollkommen Recht, und da ich es nicht über mich gewinnen konnte, auf’s Gerathewohl hin ihm ein Ja oder Nein zu antworten, das ihn möglicher Weise für die Zeit seines Lebens unglücklich machen konnte, so war ich nahe daran, aus der Rolle zu fallen und auf die Gefahr hin, von ihm verspottet zu werden, meine Unkenntniß der Zukunft einzugestehen, als mir mein altes Talent zur Hülfe kam, und ich, während ich anscheinend seine Hand studirte, folgende Betrachtungen anstellte. Dieser Mann, der etwa vierzig Jahre zählt und, abgesehen von einer gewissen ländlichen Schwerfälligkeit und dem Mangel großstädtischer Tournüre, in Nichts den wohlhabenden und gebildeten Menschen vermissen läßt, der die Gegenstände, die in seinem Gesichtskreise liegen, klar und scharfsinnig beurtheilt, wird niemals so thöricht sein, die ungewohnte Reise in die Hauptstadt zu unternehmen, um sich über Angelegenheiten, die seinen landwirthschaftlichen Beruf oder ein industrielles Unternehmen betreffen, wahrsagen zu lassen. Denn über Pläne, die auf ersteren Bezug haben, zu urtheilen, ist er selbst Mannes genug, und auf letzteren läßt er sich, wenn er nicht fähig ist, ihre Rentabilität selbst zu prüfen, nicht ein: dazu ist er zu klug. Es handelt sich mithin bei Herrn Bärwald nicht um ein Geschäft, sondern um eine Familienangelegenheit wichtigster Art. Ist er aber verheirathet oder nicht? Er trägt keinen Trauring; aber dies Zeichen kann trügerisch sein, selbst bei einem pommerschen Gutsbesitzer. Aber er ist scheu und unbeholfen mir gegenüber; er hat also wenig oder keinen Umgang mit Damen. Der Anhängsel an seinem Ueberzieher ist abgerissen, ein kleines Stückchen ragt über den Kragen heraus. Das kann freilich erst heute im Hôtel geschehen sein, so daß die Frau es noch nicht hat repariren können. Das Stückchen Chemisette, das die Weste blicken läßt, ist fein und kostbar, aber nicht weißgebleicht; es ist kein Zweifel: seinem Hause mangelt die Hausfrau. Er besitzt etwas Embonpoint, liebt also die Bequemlichkeit; nichts desto weniger sitzt er kerzengerade mir gegenüber auf dem Stuhle, ohne sich anzulehnen: Herr Bärwald ist also nie verheirathet gewesen, denn verheirathete Männer lassen sich meist in diesem Punkte den Damen gegenüber gehen, Herr Bärwald ist Junggeselle.
Diese Gedanken gingen mir im Fluge durch den Kopf; ich überlegte weiter. Will er einen Neffen adoptiren, eine Schwester, Cousine oder verwittwete Schwägerin in’s Haus nehmen? will er heirathen? Herr Bärwald hat sich heute, obwohl es nicht regnet, einen feingeschnitzten Regenschirm gekauft, denn die kleine [220] Marke mit der Preisnotirung sitzt noch daran; der Hut ist gleichfalls neu; er kommt vom Friseur, denn das Haar ist kurz verschnitten und auf dem Rockärmel liegen noch zwei Härchen; und siehe da, nachdenklich streicht er mit der Hand längs der Wange: ei, mein lieber Herr Bärwald, Sie haben bisher einen Vollbart getragen, den Sie sich nachdenklich zu streichen pflegten; Sie haben sich den Vollbart abschneiden lassen – den Vollbart, den schönen, leider wohl etwas struppigen Vollbart: das thut kein Rittergutsbesitzer, wenn er nicht eine Passion für Zahnschmerzen hat, es sei denn, er gehe auf Freiersfüßen; mein Herr Bärwald, Sie wollen wissen, ob Sie heirathen sollen. Das ist in der That eine kritische Frage, besonders wenn man vierzig Jahr alt ist, wo die Junggesellen anfangen, ein gewisses Mißtrauen gegen ihre Anlage zu guten Ehemännern zu fassen. Und da Sie trotz Ihrer Klugheit hierüber nicht in’s Klare kommen können, so machen Sie es wie viele Männer von Geist, die an keinen Gott, aber an Gespenster glauben, Sie werfen sich dem Fatalismus in die Arme und erinnern sich rechtzeitig, daß Ihre Vorfahren bei wichtigen Gelegenheiten Zigeunerinnen und andere Hexen befragt haben. Ich hörte nach diesen Resultaten meines Nachsinnens mit der Betrachtung seiner breiten, wohlgenährten Hand auf und sprach mit strengem Ernst:
‚Nur bei vollständigem gegenseitigen Vertrauen und festem Glauben an das glückliche Gedeihen des Vorsatzes kann er zur That, die Segen bringt, werden.‘
Er schwieg einen Moment nachdenklich; dann sagte er: ‚Ich habe um ein Ja oder Nein gebeten.‘
‚Aber das Orakel antwortet nicht mehr und nichts Anderes,‘ erwiderte ich und wiederholte meinen Ausspruch.
Herr Bärwald wiegte den Kopf hin und her, dann meinte er: ‚Dunkel wie der delphische Spruch in Jacobs’ griechischem Lesebuch, den ich als Quartaner übersetzt habe. Aber ’s ist richtig: gegenseitiges Vertrauen – fester Glaube! da muß ich doch selber entscheiden, ob das da ist.‘
Damit beruhigte er sich und empfahl sich mit einigen Dankworten, nachdem er in zartfühlender Weise, die ich ihm kaum zugetraut, ein reiches Honorar heimlich auf die Sophalehne gelegt hatte.“
Als Frau von Krey so weit erzählt hatte, unterbrach ich ihren Bericht und rief: „Bewunderungswürdig, gnädige Frau! wahrlich, Ihr Scharfsinn und Ihre Beobachtungsgabe ist beneidenswerth; und ich werde bei ernster Veranlassung nicht unterlassen, Sie um Ihre Prophezeiung zu bitten!“
Mit feinem Lächeln erwiderte sie: „Wie? Sie tugendhafter Mann wollen mich selbst zum Betruge, zur Ausübung meines auf stets erneutem Betruge basirenden Berufes auffordern? Doch – lassen wir das: hören Sie weiter! Am folgenden Tage, zur selbigen Stunde, ja ich könnte fast sagen, zu derselben Minute, erschien Herr Bärwald auf’s Neue. Diese Pünktlichkeit gefiel mir; auf solche Menschen kann man sich in jeder Beziehung verlassen. Er redete mich mit dem Titel ‚gnädige Frau‘ an, während er mich Tages vorher ‚Madame‘ genannt hatte, und ich schloß daraus, daß ihm mein Orakelspruch gefallen habe und ich in seiner Achtung gestiegen sei. Seine Worte bestätigten diese Voraussetzung.
‚Sie haben mir,‘ sagte er, ‚gestern eine Antwort gegeben, deren Werth ich, je länger ich darüber nachdenke, um so mehr erkenne und die mich bereits in der fraglichen Angelegenheit zu einer bestimmten Entscheidung geführt hat. Ich hätte mich also heute Morgen getrost auf den Zug setzen können, um auf der Stettiner Bahn nach Hause zurückfahren zu können. Aber es ist merkwürdig, daß mir jede Neigung dazu fehlte; ich hatte das Bedürfniß, Sie noch einmal zu sprechen, um noch eine Frage an Sie zu richten.‘
Ich machte ihm eine leichte Verbeugung und wartete, daß er mir dieselbe mittheilen sollte. Aber – und Sie werden mir zugestehen, Herr Assessor, bei einem Bärwald ist das sehr merkwürdig – er stellte diese Frage nicht, sondern fing im Gegentheil an zu plaudern, zuerst von seinem Aufenthalte in Berlin, dann von seiner Heimath. Ich wußte gar nicht, wie mir geschah. Vergaß er denn ganz, daß er nicht einer Dame von Stande eine Visite machte, sondern bei der Wahrsagerin, der Hexe saß? Und als nach einer Stunde ein neuer Besuch gemeldet wurde, stand er eilig auf, hat wegen seines längern Verweilens um Entschuldigung, versprach wiederzukommen, um seine Frage zu stellen, und – fort war er.“
„Sonderbar!“ rief ich aus. „Und ist er wiedergekommen?“
„Gestern, genau um dieselbe Zeit,“ erwiderte Frau v. Krey. „Und er hat wieder ganz allerliebst geplaudert, mir mit prächtigem Humor von seiner Junggesellenwirthschaft und dem gemüthlichen Verkehr mit den Nachbarn und seiner Studentenzeit – er ist eine Zeitlang in Bonn gewesen – erzählt, so daß ich mich trefflich unterhalten habe. Aber die Frage hat er auch gestern nicht vorgebracht.“
Sie hatte den letzten Satz kaum beendet, als die Dienerin die Thür öffnete und einen Besuch meldete: „Herr Rittergutsbesitzer Bärwald!“
„Lupus in fabula,“ dachte ich, „der kommt wie gerufen.“ Ich wollte gehen; Frau v. Krey aber bat mich, noch zu bleiben.
„Treten Sie, bitte, in’s Nebenzimmer; ich werde die Thür nicht ganz schließen. Es wäre mir lieb, wenn Sie ihn sähen. Sie brauchen nicht zu fürchten, dort lange verharren zu müssen, denn ich werde ihn heute nicht lange behalten.“
Ich folgte ihrem Wunsche und sah durch die Thürspalte einen Mann eintreten, der in der That durch seine Erscheinung Interesse erregen konnte. Er war von mehr als Mittelgröße und von breiten Schultern. Zu dem kräftigen Gliederbau paßte der große Kopf mit dem gebräunten Antlitz und den klaren, munteren, lichtgrauen Augen, über denen sich struppige Brauen wölbten. Soweit war die Erscheinung der Typus eines kräftigen, kerngesunden Landwirths und ließ auf eine tüchtige, derbe innere Natur schließen, die die reale Welt mit kluger Umsicht anschaut und sich in ihr so wohl fühlt, daß sie keinen Hang nach Beschäftigung mit idealen Aufgaben empfindet und selbst die für feiner organisirte Naturen unentbehrliche Erholung bei Kunstgenüssen und wissenschaftlicher Lectüre verschmäht. Betrachtete man nun aber die Züge dieses Antlitzes genauer, so bemerkte man mit Verwunderung, daß weder der schmalen, leicht gebogenen Nase die Feinheit mangele, noch den leicht geschwungenen Lippen jene leise eingeprägten, ausdrucksvollen Linien, welche zarte Empfänglichkeit selbst für schwächere seelische Eindrücke und jenen seltenen Humor verrathen, den einzig und allein eine durch selbstständiges Denken erworbene, tiefere Lebensauffassung zu verleihen vermag. Und diesem steinern Ausdrucke des Gesichts entsprach die hohe, gewölbte Stirn, die denn doch noch auf ganz andere Gedankenkreis hinter sich schließen ließ, als die eines einfachen Landwirths zu sein pflegen. Herr Bärwald war jedenfalls, abgesehen von seiner gutmüthigen Tüchtigkeit, nebenbei ein Original, und ich begriff leicht, wie gerade diese Persönlichkeit auf die menschenverachtende, leidengeprüfte Frau v. Krey einen offenbar nicht unbedeutenden Eindruck hatte hervorbringen können.
Er nahm auf die Aufforderung der Letztern schon fast wie ein alter Bekannter Platz und zwar in der Weise, daß ihm deutlich anzumerken war, wie wohl er sich auf diesem Platze fühlte. Mochte er nun die Absicht haben, nach Art seiner beiden letzten Besuche die Unterhaltung zu führen, oder nicht, Frau v. Krey kam ihm, der noch immer etwas schwerfällig und unbeholfen erschien, kurz zuvor, indem sie sagte: „Herr Bärwald, Sie wollten mir noch eine Frage vorlegen; darf ich bitten, dieselbe zu stellen?“
Er ward sehr verlegen, der gute Herr. „Ja wohl,“ stotterte er, „ja wohl; deshalb komme ich ja – natürlich!“ Aber dieses „natürlich“ klang höchst unnatürlich, und wenn ich mich nicht völlig getäuscht, so möchte ich behaupten, daß eine leise Röthe über sein Gesicht flog. Er empfand wohl selbst den komischen Eindruck, den er in diesem Augenblicke machte, denn um seine Mundwinkel zuckte es wie leiser Spott über sich selbst, als er halblaut vor sich hinmurmelte: „Ja, fragen, wenn ich nur wüßte, wie?“ Dann besann er sich kurze Zeit, rückte etwas unruhig den Körper auf dem Stuhle zurecht und begann darauf: „Gnädige Frau, Sie sind klug“ (in Frau v. Krey’s Auge blitzte es wie ein Gefühl freudiger Genugthuung). „Sie sind klug und einsichtsvoll. Sie haben mich kennen gelernt, und ich habe mich Ihnen gegenüber gezeigt, wie ich bin, denn Sie haben mir tiefen Respect eingeflößt. Sehen Sie, bitte, nicht in meine Hand; sehen Sie mir in’s Gesicht, sehen Sie den ganzen Menschen an, und dann antworten Sie mir ehrlich und offen auf die Frage, die ich Ihnen heute, nachdem ich in Folge Ihres neulichen Ausspruchs
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meine beabsichtigte Verlobung mit der siebenzehnjährigen Tochter eines meiner Nachbarn und Freunde aufgegeben, vortragen werde. Also offen und ehrlich, Frau Priesterin des Apollo: bin ich überhaupt dazu bestimmt und fähig, ein ordentlicher Ehemann zu werden, oder nicht?“
Meine Ohren hörten gespannt auf diese Worte des Herrn Bärwald; meine Augen aber ruhten unverweilt auf Frau v. Krey’s Antlitz, das trotz aller Selbstbeherrschung, die diese Dame in so hohem Maße besaß, der Reihe nach die Gefühle der Verwunderung, der Genugthuung und der holdesten Befangenheit wiederspiegelte. Arme Pythia! Jetzt nimm all Deinen liebenswürdigen Scharfsinn, alle Deine bewunderungswürdige Beobachtungsgabe und Menschenkenntniß zusammen; da wird eine Frage gestellt, wo Du nicht blos den Fragenden, nein, auch Dich beobachten und Dein Inneres erforschen mußt, denn die Antwort berührt nicht blos seine, sondern auch Deine ganze Zukunft. Wohl hast Du nicht geahnt, als Du im Vertrauen auf Deine geistige Kraft diesen gefährlichen Beruf ergriffst, daß Du nun schließlich Dir selbst Glück oder Unglück Deines Lebens prophezeien müssest! Wie sehr setzt Dich diese Frage schon in [222] Verlegenheit; wie röthet Dir jetzt schon echt weibliche Scham das bleiche Antlitz, und doch – wenn er wenigstens nur weitersprechen wollte! wenn Du nur nicht antworten müßtest!
Frau v. Krey hatte den Blick zur Erde geheftet; erst nach langer Pause hob sie ihn langsam und schaute mit dem großen, offenen Auge dem ängstlich auf Antwort harrenden Manne in’s Gesicht. Und langsam und ernst, klar und rein wie Glockenton klangen auf’s Neue die Worte aus ihrem Munde, die er schon einmal vernommen hatte: „Nur bei vollständigem gegenseitigen Vertrauen und festen Glauben an das glückliche Gedeihen des Vorsatzes kann er zur That, die Segen bringt, werden.“
Ich sah, wie Herr Bärwald ihr Hand ergriff; wollte er die Rollen vertauschen und jetzt ihr weissagen? und Frau v. Krey ließ ihm diese Hand und hörte, halb vorgebeugt, mit niedergeschlagenen Augen auf die Worte, die er mit leiser Stimme, aber tief erregtem Gefühl ihr zuflüsterte. Da schlich ich mich lautlosen Schrittes durch das Zimmer, in dem ich mich befand, zu der mir gegenüberliegenden Thür, öffnete sie unhörbar und eilte durch die Küche zum Ausgang der Wohnung, um das Paar allein zu lassen.
Ich glaube, er hat noch viel gefragt und sie noch viel geantwortet! Warum sollte ich auch das Ende abwarten? Der Geist des Wahrsagens war nun auch über mich gekommen, und ich konnte das Ende selber prophezeien.
Etwa acht Tage später erhielt ich von Frau v. Krey ein Billet, worin sie mir ihre Verlobung mit dem Rittergutsbesitzer Bärwald mittheilte und mich aufforderte, sie in ihrer neuen Wohnung, die sie noch für die kurze Zeit ihres Aufenthalts in Berlin gemiethet, zu besuchen. Ich eilte zu ihr und ward von ihr nicht minder mit Freundlichkeit als mit heiterem Frohsinn empfangen. Sie erzählte mir, wie sie ihrem Verlobten an jenem Tage ihre ganzem Lebensgeschichte mitgetheilt und, als er trotzdem um ihre Hand angehalten, ihm nicht die Besorgniß verhehlt, daß irgend einmal der Zufall ihren bisherigen seltsamen Beruf, zu dem die Noth sie gezwungen, in den Kreisen seines Umgangs zur Sprache bringen und ihn in Verlegenheit setzen könnte. Er hatte ihr aber lachend geantwortet, daß er selbst zuerst es erzählen werde, daß er eine Prophetin geheirathet, und wenn dann die Leute nicht aus Respect vor der Rache der Hexe sich hüten würden, sie zu lästern, so sei er der Mann dazu, ihr bei aller Welt Achtung zu verschaffen. Gleich darauf erschien ihr Bräutigam; sie stellte mich ihm vor, und es entspann sich schnell zwischen uns eine lebhafte Unterhaltung, in der er sich als einen geist- und kenntnisreichen Mann von vielem und geübtem Nachdenken offenbarte, der auf seinem fernen pommerschen Herrensitz die langen Mußestunden des Winters mit eifrigen literarischen Studien verkürzte und für die politischen Aufgaben der Zeit nicht minder als für die Entwicklung der Naturwissenschaften reges Interesse zeigte. Um so unbegreiflicher erschien es mir, daß ein Mann von solcher Bildung habe nach Berlin reisen können, um eine Wahrsagerin über seine Verlobung mit einem Backfisch um Rath zu fragen, und ich konnte nicht umhin, ihm dies zu sagen und ihn zu bitten, mir das Räthsel zu lösen.
Er antwortete mir unbefangen, er fände dabei eigentlich nichts Wunderbares. „Sie haben,“ sagte er, „sicherlich oft, wenn Sie sich in der unbehaglichen Lage befanden, einen Schritt zu thun, der Ihnen vielfache Vortheile bot, über dessen Richtigkeit Sie aber trotzdem Zweifel hegten, die Erfahrung gemacht, daß kein sicheres Mittel denselben zu prüfen existirt, als daß man sich auf Reisen unter fremde Menschen begiebt und dann aus der Ferne, gleichsam aus der Vogelperspective, die Dinge betrachtet, über die man in der Nähe keinen richtigen Ueberblick gewinnen konnte. Dies war wohl auch bei mir der Hauptgrund für meine Reise, und ich war kaum vierundzwanzig Stunden in Berlin gewesen, als ich bereits Abneigung gegen mein ursprüngliches Heirathsproject empfand, und diese Abneigung vermehrte sich nicht nur durch meine Bekanntschaft mit Frau v. Krey, sondern auch durch den trefflichen Orakelspruch, durch den mir das Mißliche meines ursprünglichen Planes klar wurde. Fragen Sie nun aber, warum ich mich entschloß, hier zu einer Wahrsagerin meine Zuflucht zu nehmen, so war das nichts Anderes, als was so Viele in der Unentschlossenheit thun, wenn sie die Knöpfe auf Ja oder Nein abzählen. In Wahrheit wirft man sich gar nicht damit dem Fatalismus in die Arme, sondern folgt seiner Weisung nur in dem Falle, daß dieselbe mit unserm stillen, uns selbst noch unklaren Wunsche übereinstimmt.“
„Ei, ei!“ sagte Frau v. Krey lächelnd und mit dem Finger drohend zu ihrem Bräutigam. „Da scheint mir ja das unbedingte Vertrauen und der feste Glaube an meine Befähigung schon vor der Hochzeit geschwunden zu sein.“
Herr Bärwald ergriff ihre Hand, küßte sie und erwiderte: „An Ihre übernatürliche Prophetengabe habe ich nie geglaubt und glaube ich auch jetzt nicht, aber mein unbedingtes Vertrauen auf Sie und meinen festen Glauben, daß Sie mich glücklich machen werden, will ich und werde ich nicht aufgeben.“
Deutsche Kraft und Energie errangen unserer Nation jene künstlerische Herrschaft, vor welcher sich alle übrigen Länder der Erde beugen und deren siegende Gewalt in der alten und neuen Welt gern und willig anerkannt wird. Gewiß ist die allseitig gewürdigte Bedeutung der deutschen Tonkunst zunächst den tiefen productiven Naturen zu danken, welche aus dem Reichthum ihrer Ideen die köstlichsten Schätze wählten und mit diesen ihre Zeit und die Nachwelt beschenkten. „Seid umschlungen, Millionen!“ tönte es aus Beethoven’s „Harmonien“, die mit Zaubermacht während der erschütterndsten Kämpfe das Land durchbrausten und die Feier des Friedens in hehren Klängen verherrlichten. Ueber Land und Meer drang der Ruf und immer weiter zog sich der Kreis, in welchem die Musik Beethoven’s und seiner Vorgänger das Scepter führt.
Zu dieser Ausdehnung des deutschen Kunstreichs haben aber auch nicht wenig die musikalischen Wandervögel beigetragen, welche überall Land und Leute durch ihren Gesang annectirten, wo sie erschienen, denen sich das fremde Gemüth willig unterwarf, sobald die deutschen Weisen ertönten, und deren Singen unwiderstehlich zur Verehrung hinriß für die Tonkunst unseres siegreichen Volkes.
Auch dieses Jahr sind wieder einige von den bewunderten Wandervögeln über das Salzwasser geflogen, um für die deutsche Musik neue Lorbeern zu sammeln, und sehnsüchtig wartet man in der Heimath auf die Rückkehr, damit das eigene Nest nicht in Unordnung gerathe, sondern die gebührende Pflege erhalte. Die Musen- und Meßstadt Leipzig befindet sich gegenwärtig in solcher Lage, weil einer ihrer kostbarsten Singvögel, nachdem er erst in der Schweiz dort kaum jemals gesehene Triumphe eingesammelt hat, jetzt englisch spricht und in Großbritannien mit dem ganzen Zauber des herrlichen Organs die mit seltener musikalischer Ausdauer begabten englischen, schottischen und irländischen Seelen umstrickt. Zunächst in den philharmonischen Concerten und in den Aufführungen des Krystallpalastes zu London erringt Minna Peschka-Leutner, die gefeierte Leipziger Gewandhaus- und Bühnensängerin, neben der großen, unvergleichlichen Pianistin Frau Clara Schumann und dem Geigerkönig Joachim Sieg auf Sieg, und dort weiß man bereits, daß diese Vermittlerin Mozart’scher Musik den höchsten Gipfel künstlerischer Ausbildung erreicht hat, welchem eifersüchtige Kritteleien niemals die Krone rauben können. Längst hat man in Deutschland die Größe und Bedeutung dieser Künstlerin erkannt, deren Vielseitigkeit, mustergültige Technik, riesenhafter Fleiß und bewundernswerthe kräftige Natur alle Aufgaben und Anstrengungen überwanden, welche die rheinischen Musikfeste, die größten Concertinstitute in den hervorragendsten Städten, sowie die angesehenen Bühnen unseres Vaterlandes von ihr forderten. Bald wurde sie zu Sololeistungen für die neunte Symphonie Beethoven’s, bald zur Uebernahme der schwierigsten Partien in Händel’schen Oratorien berufen. Rastlos war sie in Concerten für wohlthätige Zwecke thätig, an dem einen Orte durch staunenerregende Coloratur-Arien die Freunde musikalischer Technik enthusiasmirend, an dem andern durch sinnige Einfachheit und gewinnende Lyrik das Herz rührend.
[223] Wenn sie in Mozart’s „Zauberflöte“ als „Königin der Nacht“, zu welcher Reproduction gegenwärtig keine Parallele zu finden ist, das Publicum in jubelnde Begeisterung versetzt hatte, so entfaltete sie bald darauf als reizende Regimentstochter die ganze Anmuth ihres schelmischen, neckischen Spieles und warf mit unvergleichlicher Gewandtheit lange Scalenketten, Triller, Arpeggien vom kleinen F und Ges zum dreigestrichenen F und Ges hinauf, mithin in einem Umfange, der überhaupt zu den größten Seltenheiten gehört und den nur etwa die „geläufige Gurgel“ der Mademoiselle Cavalieri oder das Organ der „Bastardella“ – wie Mozart sich ausdrückte – aufzuweisen hatte.
Leicht und graciös in ihren Bewegungen, sauber und geschmackvoll in der musikalischen Phrasirung, begabt mit einer äußerst vollen und kräftigen Stimme, welche der Künstlerin im Ausdruck der Rache, wie ihn eine Eglantine in Weber’s „Euryanthe“ zu produciren hat, oder bei Wiedergabe der ernsten Lyrik, wie sie zur Charakteristik der Constanze in Mozart’s „Entführung“ verlangt wird, oder zur Durchführung einer feinen Komik in der Rolle der „Susanne“, kurz welche ihr in allen tragischen und heiteren Situationen so fügsam gehorcht, daß man der Künstlerin fast „überpäpstliche Unfehlbarkeit“ zusprechen möchte, besitzt diese Zierde der Leipziger Bühne dennoch eine angeborene Bescheidenheit, welche auch wohl als Grundursache ihrer künstlerischen Größe anzusehen ist. Schon als Kind soll ihr dieselbe eigen gewesen sein, und man erzählt sogar, daß nur die frühzeitig hervorgetretene Liebe zur Musik jene an Stärke übertraf.
Da der Vater selbst als Tonkünstler von Beruf und zwar als Mitglied der Capelle des Hoftheaters in Wien den ersten Unterricht überwachen konnte, so blieb natürlich die gute Grundlage der sorgsamen Jugenderziehung eine ebenmäßige, so daß man in späterer Zeit nur auf dem gediegenen Fundamente fortzubauen nöthig hatte, zumal sie als Tochter des Violinisten v. Leutner vor allen Dingen fleißig und strebsam, aber niemals, so zu sagen, mit einem „süßen Leben“, mit der „schönen, freundlichen Gewohnheit des Daseins“ zufrieden sein wollte.
Den Lehren der Mutter Schwester Leonore Friedlowsky und des Capellmeisters Heinrich Proch verdankte das siebenzehnjährige Mädchen ihre ersten Erfolge 1856 als Agathe und Alice auf dem Breslauer Stadttheater, wonach sie jedoch bald von Rosenketten gefesselt durch ihre Verheirathung mit Dr. med. Peschka kennen lernte, daß erst das deutsche Weib die Kunst so recht verstehen und sie von ganzer Seele lieben könne. Von Frau Bochkeltz-Falconi unterrichtet, schwang sich Minna Peschka-Leutner zu einer Künstlerin ersten Ranges empor, und sie verschmähte es dabei auch nicht, sich als tüchtige Hausfrau um Haus und Herd zu kümmern. Das sind ja die wahren Vertreterinnen der Kunst, welche über der Virtuosität niemals die echte Weiblichkeit vergessen, sondern diese in das künstlerische Leben hineintragen; – vergessen wir jedoch nicht, daß das Schooßkind der Leipziger, welches am 25. October 1839 das Licht der Welt in Wien erblickte, jetzt in England weilt, und nicht blos Deutschland, sondern auch „England erwartet, daß Jeder seine Pflicht thut“, und diese besteht für uns gegenwärtig darin – zu schließen.
Die Zeit der Erfindungen und namentlich der die Nationen einander nähernden Erfindungen ist noch durchaus nicht vorüber, und da ist denn in der That gar nicht abzusehen, welche Gestalt die Zustände der menschlichen Gesellschaft nach tausend Jahren haben werden. Welche Veränderungen aber auch sich vollziehen mögen, ein Element wird, weil es unsterblich ist, noch ebenso mächtig sein wie heute: der Humbug. Civilisation und Humbug sind unzertrennlich, und da wir nie und nimmermehr zum Naturzustande zurückkehren werden, so wird der Humbug das die Menschenwelt regierende Princip bleiben, so lange es eben Menschen giebt.
Entstanden ist der Humbug bekanntlich in Nordamerika und dort ist er denn auch am echtesten zu Hause. Ich denke nicht daran, eine ausführliche Geschichte dieses nordamerikanischen Humbugs zu schreiben; ich hätte dieselbe vor zwanzig Jahren anfangen müssen, um sie vollenden zu können; ich will nur eine in Deutschland noch seltene Specialität leicht skizziren und schließlich eine besonders charakteristische Repräsentation desselben auf meine Stahlfeder spießen.
Ohne weitere Vorrede: Die amerikanischen Damen sind entschlossen, sich von den Fesseln zu befreien, in welche die selbstsüchtigen Männer, die einst die Gesetze der Republik und der Gesellschaft überhaupt machten, das weibliche Geschlecht geschlagen haben. Sie sind nicht mehr mit ihrer indirecten, gewissermaßen heimlich ausgeübten Herrschaft zufrieden; sie wollen keine der Schwachheit des stärkeren (!) Geschlechtes abgerungene Concessionen, sie wollen gleiche staatliche und gesellschaftliche Rechte, und da sie damit das nicht verlieren, „was ihnen der liebe Gott gegeben hat“ und was ihnen bis dahin die große im Stillen ausgeübte Herrschaft erwarb, so ist es klar, daß sie damit umgehen, uns Männer in die Stellung zu zwingen, welche sie bis dahin einnahmen. Wenn Semiramis, Elisabeth von England, Katharina von Rußland und Maria Theresia von Oesterreich Kaiserinnen sein konnten, deren Ruhm den der meisten männlichen Kaiser überstrahlt; wenn noch in unserer Zeit die unschuldige Isabella und die treffliche Victoria Königinnen sein können: warum soll nicht ein Weib, warum soll nicht Victoria Woodhull Präsident der Vereinigten Staaten werden? – So fragen die Amerikanerinnen und Victoria Woodhull bewirbt sich ernsthaft um diese Stelle. Doch von ihr nachher. Sie ist gerade das Specimen, welches ich zu näherer Betrachtung den Lesern der Gartenlaube vorführen will.
Die Frauen, welche in Amerika für die Gleichstellung (die Heuchlerinnen!) beider Geschlechter in erster Linie fechten, theilen sich in drei Classen: Journalisten, Lobbyisten und Lecturers. Man muß mir fremde Ausdrücke verzeihen; für ausländische Begriffe findet sich nicht immer gleich ein inländisches Wort. Nennen wir doch auch die Cigarre noch immer Cigarre und nicht Glimmstengel. Wer in England einen Namen gewinnen will, muß nach London gehen, wie der Franzose nach Paris geht. Das London und Paris der Amerikaner ist New-York, das denn auch von Kämpferinnen für die Rechte der Frauen wimmelt, die mit der Feder, oder ihrem angeborenen Schwert, der Zunge, oder anderen von Gott gegebenen Gaben in dieser Richtung hin wirken. Mit der Feder arbeiten die zahlreichen Journalistinnen, mit der Zunge die Lecturers und mit „den anderen Gaben Gottes“ wuchern die Lobbyistinnen. Die letzteren will ich zuerst abfertigen, denn sie gehören eigentlich nicht in die Classe, von der ich hauptsächlich reden will.
Lobby nennt man die Zimmer im Parlamentshause, in welchen sich Leute aufhalten, die irgend welches Geschäft mit den Deputirten oder Senatoren haben. Damen, welche das Geschäft als Lobbyistin ergreifen, müssen sehr hübsch, sehr gewandt und vor allen Dingen nicht zu tugendhaft sein. Sie halten sich weniger in New-York als in Washington auf, wo sie, gegen gute Bezahlung, schwache Senatoren oder Abgeordnete des Hauses, oder galante Minister, oder den Präsidenten selbst für ihre Clienten interessiren und deren Wünsche durchsetzen. Ihr Geschäft ist ein sehr einträgliches und ich kenne eine Dame, der man als Honorar fünfzehntausend Dollars anbot, und die es zurückwies, indem sie sagte: „Auf solche kleine Geschäfte lasse ich mich nicht ein. Fünfzehntausend Dollars! Das brauchen meine Kinder jährlich für Schuhe!“ –
Die achtungswerthesten Schriftstellerinnen und Journalistinnen in New-York gehören einer geschlossenen Gesellschaft an, die einen griechischen Namen führt – es klingt wie „Ceroses“, doch will ich dafür nicht bürgen – und in der Männer niemals und weibliche Gäste auch nur mit Vorsicht zugelassen werden. Diese Gesellschaft hat ihre Statuten, regelmäßige Versammlungen und parlamentarischen Apparat. In ihr werden die Rechte der Frauen discutirt und Beschlüsse gefaßt, die indessen nie zu praktischer Ausführung kommen. Die Blaustrümpfe, meistens unfreiwillige Jungfrauen in reiferen Jahren, erschöpfen sich hier in Zornausbrüchen [224] gegen die bösen tyrannischen Männer, die ihrerseits sich dadurch rächen, daß sie die Gesellschaft und ihr Treiben lächerlich machen. Das öffentliche Organ der Gesellschaft ist die von Baddy Stanton redigirte „Republik“, in welcher der auch in Europa bekannte halbverrückte Francis Train Artikel über die Prostitution schrieb, welche Husarenunterofficiere und selbst Kammerherren hätten roth machen können,
Viele der Schriftstellerinnen sind zugleich auch Lecturers, das heißt, sie machen aus dem Halten von öffentlichen Vorträgen ein oft sehr einträgliches Geschäft. Es giebt nämlich im Norden von Nordamerika fast keine Stadt, in der nicht eine Art von literarischer Gesellschaft existirt, welche sich bestrebt, die geistigen Bedürfnisse der Bewohner zu befriedigen, zu welchem Zwecke solche Lecturers für eine bestimmte Anzahl Vorträge engagirt werden. Weibliche Lecturers machen indessen nur Glück, wenn sie entweder sehr hübsch, sehr dreist, oder besonders excentrisch entweder in ihrem Aeußern oder in ihren Vorträgen sind.
Eine der geachtetsten und achtungswürdigsten Damen dieser Art ist eine über siebenzig Jahre alte Quäkerin, Lucretia Mott, eine ebenso talentvolle als eifrige Vertheidigerin der Rechte der Frauen. Sie spricht ausgezeichnet, klar und verständig und stets aus dem Stegreif, da sie von ihrem Gegenstande vollständig durchdrungen ist.
Zu den interessantesten Erscheinungen unter diesen weiblichen Lecturers gehört Anna Dickenson, ein hübsches und gescheidtes Mädchen, welche sehr besuchte politische Vorlesungen schon während des Bürgerkriegs hielt. Diese Vorlesungen sind so beliebt, daß sie nicht selten tausend Dollars für den Abend erhält und für Jahre voraus engagirt ist. – Anna Dickenson war ein ganz armes Mädchen aus Philadelphia, die einen ungeheuren Drang hatte, sich zu belehren. Um die Vorlesungen von Wendell Philipps besuchen zu können, der über die Sclavenemancipation so beredt sprach, fegte sie in den Straßen die Trottoirs, wodurch sie das Eintrittsgeld verdiente.
Miß Midy Morgan ist eine der interessantesten Erscheinungen von New-York. Sie ist eine Jungfrau von über sechs Fuß Größe, welche sich immer in höchst excentrischer Weise kleidet, so daß alle Leute in den Straßen stehen bleiben und ihr lächelnd nachsehen. Sie ist eine Irländerin, die viel gereist ist und mehrere Sprachen geläufig spricht. Sie ist Redacteur der Agricultur-Abtheilung der New-Yorker „Times“, einziges weibliches Glied des Ackerbau-Vereins und auch des Jockey-Clubs und versteht mehr von Pferden als irgend ein anderes Mitglied dieses Clubs. Sie ist in der That eine hippologische Autorität und mit König Victor Emanuel in einer Pferdeverbindung, das heißt, sie besorgt ihm Pferde für seinen Privatgebrauch. Obwohl sie persönlich für Vermehrung der Welt nicht gesorgt hat – sie ist übrigens keine Feindin der Ehe –, so ist sie desto eifriger bemüht, die Vermehrung der Thiere zu befördern. Sie hat in der That eine Farm, auf welcher Rindvieh, Pferde, Schafe etc. gezüchtet werden. Alle Viehhändler und Viehtreiber kennen und respectiren sie wegen ihres gesunden Menschenverstandes und praktischen Sinnes. Sie hat auch interessante Vorlesungen, zum Beispiel über Italien, gehalten und zeigt durch ihr Leben und ihre Thätigkeit in ganz praktischer Weise, daß man den Wirkungskreis der Frauen nicht blos auf das Haus und die Mutterpflichten zu beschränken braucht.
Wenn ich deshalb auch keineswegs wegwerfend oder spottend auf die wohlberechtigten Freiheitsbestrebungen – anders kann ich es gar nicht nennen – der Frauen sehe, so hindert das durchaus nicht, daß ich herzlich über Thorheiten lache, die bei dieser Bewegung zu Tage treten. Wer nur irgend Sinn für Humor hat, kann sich dessen gar nicht wehren, und wenn ich mich über exaltirte, närrische Emancipationsapostelinnen lustig mache, so bin ich überzeugt, daß vernünftige Damen das ebenfalls thun.
Der Närrinnen und Humbugs giebt es nun unter den Emancipations-Priesterinnen eine große Menge, und zur Erbauung der Leser der Gartenlaube will ich hier die Biographie von Victoria Woodhull geben, welche als Candidatin für die Präsidentschaft der Vereinigten Staaten auftritt und jetzt Haupt der Banquiersfirma „Woodhull, Clafflin und Compagnie“ und gegenwärtig der größte Humbug Amerikas ist, was in der That etwas sagen will.
Gegen Niemand sind Zeitgenossen undankbarer, als gegen Propheten, Religionsstifter und Reformatoren, und gerade diejenigen sind am lautesten und bittersten in ihrem Spott, mit welchen sie es am besten meinem und die sie aus irgend welcher geistigen Knechtschaft erlösen wollen. Victoria Woodhull, die Prophetin der freien Liebe – welche Louise Aston übrigens schon 1848 predigte – die Verfechterin der Frauenrechte, welche ihre Eingebungen direct aus der andern Welt erhält, die sich nicht durch weichliche Scham und andere irdische Erbärmlichkeiten abhalten läßt, ihren gepredigten Grundsätzen gemäß zu leben: sie auch hat die bittere Erfahrung zu machen, daß man sich nicht ungestraft auf den Prophetenstuhl setzen kann und daß noch immer die Menschheit es liebt, „das Strahlende zu schwärzen und das Erhabene in den Staub zu ziehen“.
Während aber gerade Weiberzungen den Ruf der Prophetin zerfetzen und flachköpfige männliche Spötter ihnen beistehen, hat endlich ein allgemein geachteter Mann, ein frommer, ein religiöser Mann es unternommen, für die Verhöhnte und Geschmähte in die Schranken zu treten, und wenn Spötter behaupten, daß er dafür gut bezahlt sei, so ist das sicherlich eine Lüge. Theodor Tilton, der Herausgeber der religiösen Zeitschrift „Golden Age Tracts“ (Goldne-Zeitalter-Tractate), hat in derselben der Welt die wahre Biographie der Prophetin gegeben und sie mit seinem frommen Lichte beleuchtet. Mit dieser Beschämung erkennt man seinen Irrthum und stellt Victoria Woodhull an die Seite der heiligen Therese, der heiligen Katharina von Genua, der heiligen Clara, der heiligen Katharina von Siena, der heiligen Agnes, Paula, Brigitta, Rosa von Lima und anderer gleichfalls von Ketzern verkannter Frauen, deren in den Legenden der römischen Kirche enthaltene Lebensgeschichte, wie ein Ei dem andern, der von St. Tilton geschriebenen ähnlich sieht und gewiß und wahrhaftig denselben Glauben verdient.
Victoria ist das siebente von den zehn Kindern von Roxana und Buckman Clafflin und in dem Orte Homer im Staate Ohio am 23. September 1838 geboren. In diesem Jahre wurde Königin Victoria von England gekrönt und die Eltern nannten das Kind nach ihr Victoria, es sich nicht träumen lassend, daß dies kleine Mädchen einst nach einer erhabeneren Stelle streben würde, als es der Thron von England ist.
Der Vater war ein verdorbener Advocat, der sich mit Landspeculationen befaßte, die ihm eine Zeitlang trefflich glückten; allein ehe noch Victoria drei Jahre alt war, verlor er sein ganzes Vermögen und setzte sich wie ein Bettler in den Staub der Verzweiflung. Die Mutter, die in ihrem ganzen Leben nicht lesen lernte, war die verwöhnte Erbin einer der reichsten deutschen Familien in Pennsylvanien; leider weiß ich ihren Mädchennamen nicht.
Armuth sucht Trost in den Armen der Religion. Roxana Clafflin hatte indessen schon in ihrer üppigen Jugend religiöse Talente; der fromme Biograph nennt sie zu meinem Erstaunen eine religiöse Närrin, die, ohne daß sie es selbst wußte, eine Spiritualistin war, noch ehe man diesen Namen erfunden hatte, und schon vor Victoria’s Geburt an Visionen und Träumen litt.
Der Vater, obwohl kälter und verbissener, war auch ein Spiritualist, doch habe ich ihn stark in Verdacht, den Geist in flüssiger Gestalt zu lieben. „Er schätzte Witz und Epigrammenkürze in eines Schnapses kraftdurchhauchter Würze“, würde Sallet von ihm gesagt haben.
Als Armuth in das Haus kam, nahm die Religion beider Eltern eine sehr düstere Färbung an. Viele behaupten, daß der Vater verrückt wurde. Er rannte oft ohne Zweck und Ziel fünf, sechs Meilen in die Welt hinein und kam mit blutenden Füßen todtmüde nach Hause. Die Mutter, in deren Kopf es niemals richtig war, wurde ganz verrückt. Tiefe Melancholie, dick wie ein Seenebel, umhüllte die Seelen Beider. Man kann sich das Familienleben in diesem Hause denken. Manchmal floß die Mutter von Zärtlichkeit gegen ihre Kinder über, sie herzte und küßte sie wie toll und bat Gott stundenlang mit heißen Thränen sie zu schützen, und zu andern Zeiten quälte und schlug sie ihre Kinder, bis sie Krämpfe bekamen, was ihr eine teuflische Freude zu machen schien, denn sie schlug in die Hände und schrie vor Lachen. Dieselben Lippen, die stundenlang beteten, fluchten zur Abwechselung ebenso inbrünstig.
Der Vater war einseitiger. Er hatte keine Anfälle von Zärtlichkeit. Er hatte stets frische Ruthen im Wasser liegen und [225] hieb damit seine zehn Kinder zusammen wie kalt Eisen. Manchmal nahm er auch, was ihm gerade in die Hand kam, sei es ein Scheit Holz oder eine Handsäge. Kam er spät Abends vom Geist ergriffen nach Hause, so prügelte er seine Kinder aus dem Schlaf, und Heulen und Zähneklappen tönte durch die Nacht. Das Haus war eine Hölle. Einer der Jungen hielt es nicht aus; als er dreizehn Jahr alt war, lief er davon und wurde ein Seemann.
Die Folgen solcher Erziehung blieben nicht aus. Die zehn Kinder lebten unter einander wie so viele Hunde und Katzen; wurden sie nicht von den Eltern geprügelt, so prügelten, kratzten und bissen sie sich untereinander. Die ganze Brut war verrückt; nur bei Victoria und ihrer Schwester Tennie nahm diese Verrücktheit eine mildere Form an.
Victoria war ein lebhaftes, intelligentes Kind. Ihre ganze Schulzeit erstreckte sich nicht über drei Jahr, zwischen ihrem achten und elften Jahr; allein sie lernte mit wundervoller Leichtigkeit. Las sie eine Seite einmal, so konnte sie dieselbe auswendig. Sie war der Liebling sowohl der Lehrer als der Mitschüler, immer bereit und erfreut, Andern gefällig zu sein.
Während ihrer Schulzeit lebte sie bei einer verheiratheten Schwester, die bereits eine zahlreiche Familie hatte und der sie als Aschenbrödel diente. Sie machte Feuer, sie wusch und bügelte, buk Brod, hieb Holz, bearbeitete den Garten, besorgte Ausgänge, sorgte für die Kinder, kurz that Alles. Vom ersten Hahnenschrei bis zum Abend hieß es fortwährend Victoria! Victoria! und die „kleine Dampfmaschine“, wie sie genannt wurde, that Alles mit fröhlichem Gesicht und war Jedermanns Liebling. Nur in dem Hause ihrer Eltern behandelte man sie mit herzloser Grausamkeit.
Was Victoria vollbrachte, ging natürlich nicht mit natürlichen Dingen zu. So viel wird jeder Leser bereits vermuthet haben, und es wird denselben daher zufrieden stellen, wenn ich bestätige, daß es nicht mit natürlichen, das heißt nicht mit irdischen Dingen zuging. Schon in ihrem dritten Jahre hatte Victoria mit der Geisterwelt in Verbindung gestanden. Zu jener Zeit starb nämlich Rachel Scribner, ihre Amme, ein junges Frauenzimmer von fünfundzwanzig Jahren, und ihre abscheidende Seele nahm die Victoria’s unter den Arm. Während dieser Zeit lag das Kind, nach Aussage der Mutter, drei Stunden lang wie todt da. Die Geister zwei früh gestorbener Schwestern waren stets bei ihr und die Kleine sprach mit ihnen, wie Kinder mit ihrer Puppe zu reden pflegen.
Als sie zehn Jahre alt war und an der Wiege eines kranken Kindes saß, erzählt Victoria, kamen zwei Engel, drängten sie sanft bei Seite und fächelten das kranke Kind mit ihren Händen, bis dessen Gesicht frisch und rosig erschien. Die plötzlich eintretende Mutter fand zu ihrem Erstaunen die kleine Pflegerin wie in einer Verzückung, mit dem Gesicht nach oben gerichtet, auf dem Boden liegend, während das Kind in der Wiege frisch und gesund war.
Der spiritus familiaris Victoria’s, der sie seit frühester Kindheit am häufigsten besuchte, war indessen ein stattlicher Mann in reiferen Jahren in altgriechischer Kleidung. Er verschwieg lange seinen Namen, aber prophezeite ihr einstweilen, daß sie in der Welt große Auszeichnung erlangen, daß sie aufhören werde arm zu sein und daß sie einst in einem stattlichen Hause leben werde; daß sie in einer Stadt mit vielen Schiffen großen Reichthum erlangen, daß sie eine Zeitschrift herausgeben und endlich die Herrscherin ihres Volkes werden würde. Wie er heiße, das versprach der spiritus familiaris ihr erst später zu sagen.
Von ihrem zwölften bis zu ihrem vierzehnten Jahre litt sie schwer an Fieber und Rheumatismus und war körperlich sehr elend. Ein gewisser Dr. Canning Woodhull wurde zu Rathe gezogen und seiner Geschicklichkeit gelang es, das junge Mädchen herzustellen. Warum das der spiritus familiaris nicht selbst besorgte, weiß ich nicht. Dr. Woodhull war ein Taugenichts von der leichtesten Sorte; er hatte das Leben bis auf die Hefe durchgekostet und nichts Gewöhnliches konnte ihn reizen. Im Hause der Clafflins scheint man von dem Privatcharakter des Doctors nichts gewußt oder denselben übersehen zu haben, da sein Vater ein sehr geachteter Richter und sein Onkel Mayor (Bürgermeister) von New-York war.
Der blasirte Doctor fand Gefallen an dem vierzehnjährigen Mädchen, und als er ihr einst in der Straße begegnete, sagte er: „Du kleines Dingelchen sollst mit mir zum Picnic gehen“, zu einem Picnic nämlich, welches zur Feier des 4. Juli stattfinden sollte.
Die Mutter gab die erbetene Erlaubniß, aber der Vater knüpfte sie an die Bedingung, daß sie erst so viel Geld verdienen müsse, ein Paar Schuhe zu kaufen. Sie legte sich einen Aepfelvorrath an und erfüllte die Bedingung durch vortheilhaften Verkauf derselben. Bei der Rückkehr von dem Fest sagte der Doctor plötzlich zu Victoria: „Mein kleines Kätzchen, sag’ Deinen Eltern, daß ich Dich zur Frau haben will.“ Die Eltern waren froh ein Kind los zu werden und Victoria, die anfangs gar nicht wußte, wie ihr geschah, ließ sich auch durch die Aussicht verlocken, vermittelst der Ehe mit dem Doctor den elterlichen Mißhandlungen zu entgehen. Die Hochzeit fand vier Monate später statt.
Das scheint eine wunderbare Ehe gewesen zu sein. Victoria entdeckte bald, daß sie einen unverbesserlichen Taugenichts und Gewohnheitssäufer geheirathet hatte. Sie erfuhr unter andern erbaulichen Dingen, daß ihr Mann am Tage ihrer Hochzeit eine Geliebte aus dringenden Gründen aufs Land geschickt hatte und daß er beständig die Gesellschaft der berüchtigtsten Frauenzimmer besuchte. Gefoltert von Eifersucht schlich sie ihm oft nach, wurde ungesehen Zeuge seiner Nichtswürdigkeiten, betete für seine Besserung und consultirte ihre Geister; allein vergebens: das Unglück dieser Ehe war dazu bestimmt, sie auf den richtigen Weg zu bringen; die Geister mischten sich nicht ein.
Fünfzehn Monate nach ihrer Hochzeit, sie wohnte damals in einem kleinen Häuschen in Chicago, mitten im Winter, gebar sie mit Hülfe ihres halb betrunkenen Mannes ihr erstes Kind, worauf sich der Vater weder um dieses noch die schwache Mutter bekümmerte, bis sich Beider eine mitleidige Nachbarin annahm.
Als sie von einem Besuch in ihrem elterlichen Hause zurückkehrte, erhielt sie die kränkendsten Beweise von der Liederlichkeit ihres Mannes, der sie einen ganzen Monat lang fast ohne Geld allein ließ, während er mit einem Frauenzimmer, das er für seine Frau ausgab, in einem fashionablen Boardinghause lebte, und ging mitten im Winter dorthin, im leichten Kattunkleide, in Gummigaloschen ohne Strümpfe und Schuhe, da sie dieselben nicht besaß. So erschien sie plötzlich vor der beim Mittagessen versammelten eleganten Gesellschaft des Boardinghauses und erzählte ihre leidenvolle Geschichte. Die empörten Gäste zwangen das schamlose Frauenzimmer, ihre sieben Sachen zu packen und die Stadt zu verlassen, während der Doctor wie ein begossener Hund in sein Haus zurückkehrte.
Zu dem Allen kam bei Victoria noch der Schmerz, daß ihr Kind unheilbar blödsinnig war.
In der Hoffnung, ihren Mann auf bessere Wege zu bringen, veranlaßte sie ihn, mit ihr nach Californien zu gehen. Er blieb aber auch dort ein Lump und Beide verkamen beinahe im Elend. Als sie in St. Francisco waren, sah Victoria in der Zeitung, daß in einem Tabaksladen ein Cigarrenmädchen gesucht werde. Sie wurde sogleich angenommen; allein die kaum sechszehnjährige Frau war die groben Scherze der Kunden nicht gewöhnt; sie zitterte und erröthete fortwährend und schon am Abend des ersten Tages sagte ihr Principal: „Meine kleine Dame, Sie sind nicht, was ich brauche, Sie sind zu zimperlich; ich muß Jemand haben, der etwas derber ist.“ Als er mit Erstaunen vernahm, daß sie Gattin und Mutter sei, begleitete er sie zu ihrem Manne, in welchem er einen Bruder Freimaurer entdeckte, was ihn veranlaßte, Victoria ein Zwanzig-Dollar-Goldstück zu schenken.
Victoria versuchte es nun, als Nähterin sich und ihren Mann zu unterhalten, und wurde als solche mit der Schauspielerin Anna Cogswell bekannt. Als sie derselben ihre Noth klagte, rieth ihr die Künstlerin, ebenfalls Schauspielerin zu werden. Sie folgte dem Rath, gefiel und schon sechs Wochen nach ihrem ersten Auftreten verdiente sie zweiundfünfzig Dollars die Woche.
Als sie eines Abends in den „Corsikanischen Brüdern“ auf der Bühne beschäftigt war, hörte sie plötzlich eine Stimme, die ihr zurief: „Victoria, komm nach Hause.“ Sie verfiel augenblicklich in somnambulen Zustand, sah ihre kleine Schwester Tennie in einem gestreiften Kattunkleid neben ihrer Mutter stehen und ihr mit dem Zeigefinger winken. Sobald sie von ihrer plötzlichen Verzückung erwachte, stürzte sie von der Bühne, ohne sich umzukleiden, nach Hause in ihr Hotel, packte sogleich [226] ihre Sachen und befand sich am nächsten Morgen mit Mann und Kind an Bord des nach New-York gehenden Dampfers. Als sie endlich in Columbus (Ohio) ankam, wo ihre Mutter sich damals aufhielt, hatte Tennie denselben Anzug an, den sie in der Vision gesehen, und bei näherem Befragen erfuhr sie, daß zur Zeit derselben die Mutter zu ihrer Schwester gesagt hatte: „Liebe, sende Deine Geister zu Victoria, sie nach Hause zu holen.“
Auf der Reise war Victoria oftmals in magnetischen Schlaf verfallen und nun geboten ihr die Geister nach Indianopolis zu reisen, dort als ein „Medium“ aufzutreten und Patienten anzunehmen. Ihr Geschäft glückte dort und in Terre-Haute über alle Erwartung. Sie curirte Lahme, machte Taube hörend, entdeckte die Räuber, welche eine Bank bestohlen hatten, löste physiologische Probleme, kurz verrichtete ganz wunderbare Dinge, von denen wohl aber das wunderbarste ist, daß sie bis zum Jahr 1869 siebenhunderttausend Dollars verdiente. Ihr Einkommen in einem Jahr belief sich auf hunderttausend Dollars und einmal nahm sie in einem Tage fünftausend ein.
Um diese Zeit löste denn auch endlich der spiritus familiaris sein Victoria schon vor so vielen Jahren gegebenes Wort. Er warf das Geheimniß von sich, welches seine Person bis jetzt umgeben hatte, er nannte seinen Namen. Victoria hielt sich nämlich damals gerade in Pittsburg auf, und während sie an einem Marmortisch saß, erschien ihr der spiritus familiaris plötzlich und schrieb mit englischen Buchstaben auf den Marmor den Namen „Demosthenes“. Die Schriftzüge waren erst schwach, wurden dann aber so hell, daß sie das ganze Zimmer mit Glanz erfüllten. Die Erscheinung, mit der sie sonst so vertraut war, erschreckte sie diesmal; der Geist des Demosthenes, das war außer Spaß! Unter Zittern hörte sie die Offenbarungen und Befehle des Geistes. Er gebot ihr, nach New-York zu gehen, wo sie Nr. 17 Great Jones Street ein für sie vollkommen eingerichtetes Haus finden werde. Sie erstaunte sehr und gehorchte, obwohl sie bis dahin nicht die Absicht gehabt hatte, nach dem Mekka des Humbugs zu wallfahrten. Sie erstaunte aber noch mehr, als sie in das bezeichnete Haus trat und darin Alles ganz genau so eingerichtet fand, wie es ihr der Geist offenbart hatte. In großer Verwirrung lenkte sie ihre Schritte nach dem Bibliothekzimmer, streckte ihre Hand nach dem ersten besten Buch aus, und als sie gleichgültig nach dem Titel blickte, überlief sie eine ehrfurchtsvolle Gänsehaut, als sie las „Die Reden des Demosthenes“. Seit jener Zeit thut sie gar nichts, als was ihr Demosthenes eingiebt, mit dem sie fast täglich Berathungen hält. Zu diesem Zwecke sitzt sie noch heute – wenn das Wetter nicht gar zu schlecht ist – auf dem flachen Dache ihres stattlichen Hauses auf Murray Hill. Der große griechische Redner giebt ihr auch alle die Reden ein, mit welchen sie noch heute die New-Yorker in Erstaunen setzt, und auch die natürlich, welche sie vor einigen Monaten hielt und deren allgemeiner Inhalt auch in allen deutschen Blättern veröffentlicht war.
Daß sie nur ein blödsinniges Kind hatte, schmerzte sie indessen damals tief, und als bei einer zweiten Niederkunft ihr halbbetrunkener Mann sie wiederum auf das Brutalste behandelte, war ihre Geduld endlich nach elfjährigen Leiden erschöpft; sie beantragte in Chicago Scheidung und erlangte sie.
Ehe das geschah, ereignete sich ein Wunder. Ihr blödsinniger Sohn war krank. Als sie von einem Besuch ihrer Patienten zurückkehrte, hörte sie, daß der Knabe seit zwei Stunden todt sei. „Nein,“ rief sie, „er darf nicht todt sein!“ Sie entblößte ihre Brust und drückte den erkalteten Körper ihres Kindes gegen denselben. So blieb sie sieben Stunden in magnetischer Verzückung. Als sie daraus erwachte, war das Kind in Schweiß und lebte. Sie glaubt fest, „daß der Geist Christi über der leblosen Gestalt brütete und einem bekümmerten Weibe zu Liebe das Wunder des Lazarus wiederholte.“
Als Victoria in St. Louis war, consultirte sie wegen seiner Gesundheit Oberst James H. Blood, Commandeur des sechsten Missouri-Regiments, der nach dem Kriege zum Stadt-Auditor von St. Louis gewählt und zugleich auch Präsident der Spiritualisten-Gesellschaft dort wurde. Oberst Blood war ebenfalls „der gesetzliche Theilhaber einer moralisch getrennten Ehe“, das heißt auf deutsch: er lebte getrennt von seiner Frau, ohne von ihr geschieden zu sein.
Kaum sah der eine Humbug den anderen, als der weibliche – Madame Woodhull – in magnetische Verzückung verfiel und in derselben dem überraschten Obersten offenbarte, daß ihr zukünftiges Schicksal mit dem ihrigen werde durch die Ehe verbunden werden. So wurden sie auf der Stelle „durch die Mächte der Luft“ miteinander verlobt. Man sagt, daß außer dieser luftigen Ceremonie auch eine irdisch gesetzlich bindende stattgefunden habe, daß die Ehe aber mit gegenseitigem Einverständniß nach den vom Gesetz des Staates Illinois erforderlichen Formen wieder aufgelöst sei. Ich denke, es kommt nicht viel darauf an. – Nach dem Beispiel berühmter Schauspielerinnen behielt sie indessen den Namen, unter welchem sie Berühmtheit erlangt hatte, und nannte sich und nennt sich noch Mrs. Woodhull.
Als das seltsame Paar, etwa ein halbes Jahr nach seiner würdigen Vermählung, in Cincinnati war, wurden Beide einst um Mitternacht geweckt und ihnen mitgetheilt, daß im Burnet-House ein Dr. Woodhull vom Delirium tremens befallen sei, der in lichten Momenten von der Frau geredet habe, von der er geschieden worden sei und die er zu sprechen wünsche.
Oberst Blood holte den Unglücklichen sogleich aus dem Hôtel ab und das spirituelle Ehepaar behielt den an zu viel Spiritus zu Grunde gegangenen Ex-Ehemann sechs Wochen bei sich; dann versah man ihn mit einigen Hundert Dollars und schickte ihn in eine andere Stadt, ihm indessen bedeutend, daß er stets als Hausfreund willkommen sein werde. Von dieser Erlaubniß machte der arme Trunkenbold stets Gebrauch, wenn sein Geld zu Ende war, und Mrs. Woodhull lebte oft und lange mit ihren zwei Quasi-Männern zusammen. Obwohl ihr solch nobles Betragen hoch angerechnet werden sollte, hat es im Gegenteil Veranlassung zu der scandalösesten Verleumdung gegeben, was Mrs. Woodhull jedoch nicht bewogen hat, ihn, dessen Namen sie trägt, in seinem Unglück zu verstoßen.
Um eine frühere Prophezeiung zu erfüllen und einen himmlischen Auftrag ausführend, gründete Mrs. Woodhull 1869 eine Bank und ein Journal, erstere unter der Firma „Woodhull, Clafflin u. Comp. Makler, 44 Broad-Street, New-York“ und die Zeitschrift wurde „Woodhull u. Clafflin’s Wochenschrift“ genannt.
Mrs. Woodhull errichtete dies Geschäft in Compagnie mit ihrer Schwester, unterstützt durch einen reichen, wohlbekannten Herrn, Commodore Vanderbilt, und man kann sich denken, welches Aufsehen die „weiblichen Makler“ erregten und wie man sich darüber lustig machte. Das Comptoir war stets voll Neugieriger und die Blätter waren gefüllt mit Carricaturen und mehr oder weniger witzigen Artikeln. Das Journal ist ein Sammelsurium des absurdesten Zeuges, welches Geister, die Verfasser der verschiedenen Artikel, nur zusammenstoppeln können, und selbst Herr Tilton, der bezahlte Bewunderer der neuen Prophetin, kann sich nicht enthalten, den mitarbeitenden Geistern etwas mehr Geist und Methode zu wünschen.
Oberst Blood ist nach seiner eigenen Aussage ein Kosmopolit oder eigentlich ein Radicaler von der radicalsten Sorte und Verehrer der Internationalen. Dreimal die Woche um elf oder zwölf Uhr Nachts, so schreibt er an einen Freund, halten Victoria und er Parlament mit den Geistern, von denen Beide Alles gelernt haben, was sie wissen. Victoria fällt in magnetischen Schlaf, während welches ihr Schutzgeist Besitz von ihrer Seele nimmt und durch ihre Lippen Gedanken und Rathschläge ausspricht, welche der Oberst niederschreibt und die ohne weitere Correctur abgedruckt werden. Auf diese Weise hat Victoria ihre gegenwärtige Stellung als Politiker und Nationalökonom erworben.
Als sie im December 1869 in tiefem Schlafe lag, setzte sich ihr griechischer Schutzgeist an ihr Bett und schrieb auf eine Rolle das merkwürdige Document, welches nun in der Geschichte als das „Memorial der Victoria Lady Woodhull“ bekannt ist. Die Worte waren so deutlich geschrieben, daß Victoria sie nicht nur lesen, sondern sogleich ihrem immer wachsamen Secretär und Vicegemahl dictiren konnte. Das Document war eine Petition an den Congreß, in welcher für die Frauen als „Bürger der Vereinigten Staaten“ das Stimmrecht verlangt wird.
Oberst Blood schien das Manifest so verrückt, daß er es für den Streich eines übelgesinnten Geistes hielt, und als dasselbe am Morgen einigen Freunden gezeigt wurde, unter denen sich ein bekannter Jurist befand, machten alle dessen Logik und Schlußfolgerungen lächerlich. Mrs. Woodhull nahm aber ihren treuen Demosthenes in Schutz, der sie noch nie im Stiche gelassen habe, [227] und reiste mit dessen Meisterstück nach Washington. Vor dem „Juristischen Comité“ des Congresses entschuldigte sie ihre Petition in einer Rede, der ersten, die sie öffentlich – im Capitol – hielt. Man kann sich denken, welches Aufsehen dieser ungewöhnliche Vorfall machte. Die Galerien waren gedrängt voll. Ob sie wie Demosthenes redete, weiß ich nicht; allein es gelang ihr, einige Senatoren und Congreßleute zu interessiren. Als das Comité ungünstig über die Petition berichtete, sicherte sich Mrs. Woodhull den Beistand einiger einflußreicher Damen in New-York, unter ihnen die schon früher genannte Lady Stanton, Paulina Wright-Davis, Isabelle Beecher-Hooker, Susan B. Anthony und andere eifrige Advocatinnen der Frauenrechte, und deren vereinigtem Einflusse gelang es, einen Minoritätsbericht von der Commission zu erlangen, welcher vom General F. Butler von Massachusetts und dem Richter Loughridge von Iowa unterzeichnet war. Die Unterschrift Butler’s erlangt zu haben, war ein bedeutender Erfolg, denn derselbe ist ein sehr einflußreicher, wenn auch mehr gefürchteter als geachteter Mann, dessen Name im großen Bürgerkriege von den Südländern nur mit Verwünschungen genannt wurde, obwohl er ihnen im Felde als General niemals Schaden that. Wenn daher Mrs. Woodhull daraus große Hoffnung schöpfte, so war sie dazu vollkommen berechtigt.
Fußend auf dem nach ihrer Ansicht in der Verfassung begründeten Stimmrechte der Frauen und um die Aufmerksamkeit der letzteren mehr zu erwecken, kündigte sie sich als Candidat für die Präsidentschaft der Vereinigten Staaten an und schrieb zugleich eine Reihe von Artikeln über Politik und Finanzen, die im „New-York Herald“ erschienen und seitdem unter dem Titel „The Principles of Government“ („Die Grundsätze der Regierung“) in einem Bande erschienen sind. Ich habe die Artikel leider nicht gelesen und kann daher über ihren Werth nicht urtheilen. Da sie indessen eigentlich „Demosthenes“ zum Verfasser haben, der ein mit der Zeit fortgeschrittener Geist zu sein scheint, so können sie wohl nicht ganz verrückt sein.
Die „Victoria League“, eine geheime, gewissermaßen jakobinische Gesellschaft, als deren Präsident Commodore Vanderbilt vermuthet wird, hat die Candidatschaft der Mrs. Woodhull angenommen und sie förmlich als ihren Candidaten anerkannt.
Victoria ist jetzt vierunddreißig Jahre alt, und wenn auch keineswegs schön, so ist sie doch äußerlich eine mehr angenehme als unangenehme Erscheinung. Sie ist von mittlerer Größe, weder zu stark noch zu mager, leicht und elastisch in all’ ihren Bewegungen, wahrscheinlich in Folge ihrer körperlichen Uebungen. Sie kann reiten wie ein Indianer, klettern wie ein Turner, schwimmen, rudern, Billard spielen und tanzen und ist, was sich bei den Amerikanern nicht sehr häufig findet, eine sehr ausdauernde Fußgängerin.
Sieht man ihr Portrait von der linken Seite, so erblickt man ziemlich regelmäßige Linien eines römischen Gesichts; von der andern Seite gesehen erscheinen diese Linien unregelmäßiger. Das Gesicht von vorn gesehen ist ziemlich breit mit vorstehenden Backenknochen und nicht angenehmen Linien an der Nase. Sie hatte sehr volles dunkles Haar; da sie jedoch mit dem Frisiren desselben täglich zu viel Zeit verlor, hat sie es abgeschnitten und trägt es nun wie ein Mann. – Der Ausdruck ihres Gesichts ist ein sehr veränderlicher. Zu Zeiten sieht dasselbe stumpf, gewöhnlich und selbst unangenehm aus, während es manchmal wieder den Ausdruck annimmt, den man an Fanatikern bemerkt. Ich glaube, daß sie die Mimik ziemlich in ihrer Gewalt hat und ihre kurze theatralische Laufbahn nicht ganz ohne Nutzen für sie war. – In der Unterhaltung ist sie anfangs zerstreut und stockend, äußert sich aber fließender, wenn der Gegenstand sie erregt.
Ihre politischen Ansichten sind die eines radicalen Demokraten, und in socialer Hinsicht bekennt sie sich zu ähnlichen Grundsätzen, wie sie von John Stuart Mill[WS 1] und Elisabeth Lady Stanton gelehrt wurden, nämlich zu denen, die man gewöhnlich als die der „freien Liebe“ bezeichnet. Sie hat dieselben erst kürzlich, das heißt vor einigen Monaten, in einer Rede mit wunderbarer Deutlichkeit ausgesprochen, und die deutschen Blätter berichteten darüber mit Empörung. Sie erklärt die Ehe, wenn die beiderseitige Liebe aufhöre, für Prostitution und moralisch aufgelöst, und beansprucht das Recht, neue Verbindungen einzugehen, sobald sie das Herz schließt.
Da unser ganzer Staat auf die Familie, die Ehe, gegründet ist, so liegt es auf der Hand, daß eine radicale Aenderung im Staats- und gesellschaftlichen Leben stattfinden müßte, wenn je die Principien der Mrs. Woodhull zur allgemeinen Geltung kämen. Ich bin selbstverständlich weit entfernt, als ein Advocat dieser Theorien oder der Mrs. Woodhull auftreten zu wollen, die ich, was ihre Person anbetrifft, für einen Erz-Humbug halte, wie ihn eben nur die eigenthümlichen Verhältnisse Amerikas hervorbringen und dulden können; allein diese Theorien enthalten eine Saat, die im Laufe der Zeit ganz gewiß Früchte tragen wird, und insofern sind sie und deren Trägerin der Aufmerksamkeit denkender Menschen wohl würdig.
Obwohl Mrs. Woodhull sich nun stark mit Politik und Finanzwesen befaßt, so ist das nur eine Erweiterung ihrer Thätigkeit; ihr Verkehr mit der Geisterwelt dauert nach ihrer und Oberst Blood’s Behauptung fort. Demosthenes ist immer noch ihr Schutzgeist; allein sie will auch zwei Mal der Erscheinung Christi gewürdigt worden sein, wie das ja auch von unzähligen Heiligen der römischen Kirche in den von derselben bestätigten Legenden und Heiligsprechungsbullen behauptet wird. Zur heiligen Rosa von Lima kam Christus an einem Palmsonntag und verlobte sich mit ihr. Nähte die Heilige, so setzte sich Christus auf ihr Nähkissen und scherzte mit ihr. So steht’s in der Bulle des unfehlbaren Papstes.
Freilich ist Mrs. Woodhull keine Heilige und nicht einmal eine Gläubige; sie leugnet die Göttlichkeit Christi und hält ihn nur für einen Menschen, so hoch sie ihn auch verehrt. In die Kirche geht sie niemals. Wenn sie betet und mit der andern Welt in Verbindung treten will, dann steigt sie, wie schon gesagt, auf das Dach ihres Hauses.
Die Laufbahn dieser jedenfalls merkwürdigen Person ist noch nicht beendet. Die Furchtsameren ihres Geschlechtes selbst unter ihren Anhängern entsetzen sich darüber, daß sie den Muth hat, praktisch auszuführen, was sie lehrt, obwohl Andere behaupten, daß sie, abgesehen von ihrem eigenthümlichen Verhältniß mit Oberst Blood, ein Leben führt, was man gemeinhin ein streng moralisches nennt. Wir wollen diese Verfechterin der Frauenrechte und Prophetin der freien Liebe nicht aus dem Auge verlieren und den Lesern der Gartenlaube darüber berichten, wenn ihre Laufbahn in eine neue Phase tritt.
Große Hunde zu besitzen, ist bekanntlich jetzt eine immer mehr verbreitete Liebhaberei oder Mode bei den Männern geworden, und zwar eine Mode, gegen die sich weniger einwenden läßt, als gegen die meisten Moden der Damen. Jedenfalls darf es kein Wunder nehmen, daß die Leonberger Hunde, welche von Herrn Essig „erfunden“ worden sind, nun auch in andern Orten als ihrer eigentlichen Heimath wachsen, und einem solchen Seitenzweig wollen wir uns jetzt widmen.
Cäsar und Stiefel, das sind die Namen der beiden Hunde, welche auf dem größeren Bilde und zwar genau in ihrem Größenverhältniß dargestellt sind, und da Gerechtigkeit über Alles geht, so soll die Besprechung ihrer auch das gleiche Verhältniß in Acht nehmen und mit dem Leonberger Cäsar beginnen. Brieflich hatte ich schon vom Besitzer Cäsar’s, dem Fabrikbesitzer H. Bergmann in Waldheim – einem Orte, der bekanntlich seinem Zuchthause eine nicht unbedeutende Berühmtheit verdankt – erfahren, daß Cäsar mit noch vielen andern Hunden den Hof seines Herrn bewohnte, bei einem Besuche von Herrn und Hund in Leipzig wurde später meine Fahrt nach Waldheim verabredet und endlich auch ausgeführt. Denn, wie ein selbst in seinem Ursprungslande, dem Königreich Sachsen, nicht einmal sehr bekanntes Sprüchwort sagt: „Wer Nichts riskirt, kommt nicht nach Waldheim.“ Ich riskirte denn die Fahrt. Welch prächtiger Anblick aber bot sich mir bei meiner Ankunft im Hofe des Herrn Bergmann!
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Gleich einem Rudel wilder Thiere bewegten sich die Hunde durcheinander; alle löwengelb von Farbe, Cäsar, außer durch seine Größe hervorragend, noch ausgezeichnet durch das lebhaftere Gelb und die glänzend schwarze Endfärbung seines lockigen seidenweichen Haares; Minka, die Hündin, dem Riesen Cäsar an Größe und Färbung zwar nachstehend, dafür aber, wie das ihrem Geschlecht geziemt, elegant in der Form und von weit größerer Behendigkeit und Schnelligkeit, während die drei jungen halberwachsenen Hunde, welche vorläufig, wenn ich nicht irre, noch ohne Namen herumliefen, sich in jener Uebergangsperiode von der Kindheit zur Reife befanden, in welcher der Mensch oft recht unleidlich ist, die aber hier weder Hunde noch Umgebung genirte.
Was gleich beim ersten Anblick dieser Thiere so sehr ansprach, war, daß dieselben ganz frei in dem ziemlich geräumigen menschenbelebten Hofe herumliefen und sich bewegen konnten, ein Umstand, der gar nicht unwichtig für die vortheilhafte Entwicklung des Charakters und Körpers sein kann. Ein Hund an der Kette ist in vielen Fällen unvermeidlich, immerhin bleibt es aber ein sehr mäßiger Genuß, ein schönes, großes Thier dieser Art an einer Kette zu sehen, wo es von seinen Gliedern nicht entfernt den eigentlichen Gebrauch machen kann. Wie herrlich dagegen war es zu sehen, wenn wir nach unsrer Arbeit auf die Anhöhen um Waldheim stiegen, die fünf Hunde mit uns, und diese nun im fortwährenden Jagen und Hetzen über den Schnee dahinsetzten, Cäsar immer als Führer an der Spitze und ihm nach die Meute der Anderen! Manchmal, wenn gerade die Alten mit ihren langbehaarten Schweifen dem Auge zunächst waren, glichen sie einem Rudel Wölfe, welches auf der Spur eines Wildes dahinjagte,
[229][230] während andere Male, wenn man die Jungen mit ihren noch kurzhaarigen Schweifen am nächsten sah, die ganze Gruppe an eine Löwenfamilie erinnerte, wie sie in alten Zeiten über die schneebedeckten Gebirge Griechenlands geeilt sein mögen.
Cäsar ist von seinem Besitzer selbst gezogen worden und wird im Juli dieses Jahres drei Jahr alt; seine Farbe, ein lebhaftes Löwengelb, mit schwarzen Haarspitzen auf der oberen Mitte des Körpers, und weiß an Kehle, Wangen, Bauch und Innenseite der Beine, wurde schon angedeutet.
Cäsar hat eine Rückenhöhe von siebenundsiebenzig Centimeter, Schulterhöhe von zweiundachtzig Centimeter, Stirnhöhe von hundert Centimeter, von der Schnauze bis zur Schwanzwurzel hundertvierundvierzig Centimeter, ganze Länge bis zum Schwanzende zweihundertsieben Centimeter. Sein Gewicht beträgt sechsundsiebenzig Kilo gleich hundertzweiundfünfzig Pfund. Er erblickte das Licht dieser schnöden Welt mit noch zwölf anderen Geschwistern zugleich; es war dies aber noch nicht das Höchste, denn ein anderes Mal hat dieselbe Hündin siebenzehn Junge geworfen, ein so seltener Fall, daß der Besitzer ihn in aller Form vom dortigen Thierarzt bescheinigen ließ. Unter dreizehn scheint es Minka überhaupt nicht zu thun. Cäsar ist von allen Jungen der früheren Würfe der einzige im Besitz seines Herrn gebliebene und hat dadurch eine große Anhänglichkeit an denselben und dessen Familie, aber ebenso an Minka gewonnen, und Beispiele davon werden noch angeführt werden.
Das System, nach welchem Herrn Bergmann die Aufzucht solch schöner Hunde gelungen, ist nach seinen Mittheilungen im Wesentlichen folgendes. Selbstverständlich sind natürlich „gute Eltern“, wie der Berliner sagt, eben so ein trocknes, vor der Witterung geschütztes Lager, gutes regelmäßiges Füttern, Kämmen, Baden. Das Wichtigste davon ist aber eine richtige Quantität des Futters. So bekommt z. B. die Hündin, wenn sie tragend ist, so viel Milch und Fleisch, als sie nur will, nach dem Wurfe aber mehr Suppe aus Milch, Mehl und Brod und erst nach acht Tagen allmählich wieder Fleisch. Die Jungen bekommen schon nach der dritten Woche rohes Fleisch, aber nur in großen Stücken auf ein Bret genagelt oder in einen flachen hölzernen Napf, wo dann die kleine Gesellschaft mit Eifer ihre ersten Kauübungen anstellt und, wenn Milch zugegossen wird, auch selbst saufen lernt. Durch das Kauen saugen die Jungen den Fleischsaft aus dem Fleisch und zahnen leichter. Wenn sie allein fressen, nach der vierten Woche, bekommen sie außer Milch täglich drei Mal klein gehacktes Fleisch bis zur achten Woche, von da an nur zwei Mal täglich Futter und zwar früh Brodsuppe und dann Fleisch, soviel sie wünschen, und Mittags Fleisch, nur nicht bei heißer Witterung. Außerdem muß das Fleisch stets mager sein, und müssen alle Knochen vermieden werden, da sich an denselben die Hunde die Zähne verletzen und später wegen Verdauungsbeschwerden krank werden, ganz wie der Mensch. Das Fleisch ist fast immer Pferdefleisch, ausgenommen wenn auch ein andres Stück Vieh gefallen ist. Der Futternapf wird stets nach der Fütterung weggenommen, und Abends wird nie gefüttert, weil sonst die Hunde für die Nacht zu träge und nicht wachsam genug sind. Das ist die Art, auf welche Herr Bergmann es erzielt hat, daß ihm von allen seinen selbstgezogenen Hunden nie einer krank geworden ist. Kostspielig ist sie allerdings, denn im vorigen Jahre z. B. verzehrten ihm fünf Hunde neunhundert Liter Milch, viertausendachtzig Pfund Fleisch, zweitausendfünfzig Pfund Brod, dreihundert Pfund Mehl, sechszig Pfund Salz. Von diesem Jahre an werden sie natürlich Alles nach Kilos vertilgen.
„Bildung muß sein!“ Und so sollte denn unser Cäsar sich diese zu seiner Schönheit auch noch aneignen und wurde im Frühling des vorigen Jahres zu einem alten Jäger in einer andern Stadt, welcher sich seit vielen Jahren mit Hundedressur beschäftigt und schon Hunderte von Hunden dressirt hat, in die Lehre gegeben. Aber schon nach drei Tagen kam, nicht etwa der Hund, wie man denken wird, sondern der Dressirer, und bat den Herrn Cäsar’s, doch mit ihm zu kommen, da sich das Thier nicht bändigen lasse und ganz wüthend sei. So war es auch. Cäsar hatte allen Bildungsversuchen des ihm Fremden mit fletschenden Zähnen Hohn gesprochen, hatte sich nicht anrühren, am allerwenigsten strafen lassen. Sein Herr fand das Thier, welches in der ganzen Zeit nicht gefressen hatte, ganz erregt, legte es an eine Kette, aber nach seinem Fortgehen schallte noch eine Viertelstunde lang das jammernde Geheul des in seiner Hoffnung auf Befreiung getäuschten Thieres hinter ihm her. Sieben Wochen lang wurden die Versuche der Dressur fortgesetzt, aber ohne allen Erfolg, und als nun sein Herr sich endlich entschloß, ihn abzuholen, schien das Thier ganz stumpf, folgte zwar, aber doch ganz theilnahmlos dem Wagen und erholte sich erst nach Monaten wieder zu seiner früheren Lebhaftigkeit. Man könnte streiten, ob diese Geschichte für oder gegen den Werth des Hundes spricht, für eine edle Anhänglichkeit an seinen Herrn spricht sie jedenfalls, und diesem muß er dadurch nur werther geworden sein. Uebrigens hat Cäsar nach der Hand durch seinen Herrn in wenigen Wochen Alles gelernt, was dieser wünschte.
Es ist schon angedeutet worden, daß durch das freie Zusammenleben dieser Hunde sich ihre Körperschönheit sowohl wie ihre Charaktereigenthümlichkeit und ihre Klugheit viel freier entwickeln kann, als bei Hunden in minder freier Lage. Freilich so gescheidt wie Unsereiner werden sie niemals, aber eben weil wir Menschen im Bewußtsein unseres großen Verstandes einen Vergleich mit Thieren in dieser Beziehung kaum der Mühe werth halten, sind wir dann um so mehr verwundert, wenn wir durch unerwartete Fälle doch immer wieder dazu genöthigt werden. So war z. B. einst Minka von ihrem Herrn aus irgend einem Grunde in ihren Lattenzwinger, der sonst blos ihr Schlafgemach war, eingesperrt worden, und doch empfand sie gerade damals große Sehnsucht nach ihrem Cäsar, der die goldene Freiheit unbeengt genoß. Sie lag mit starkem Lederhalsband an einer Kette, um ihr Entweichen nach etwaigem Durchbeißen der Latten zu verhindern. Aber trotzdem liefen am andern Morgen die beiden Hunde frei und in traulichster Einigkeit im Hofe herum. Die nähere Besichtigung zeigte, daß Cäsar die Latten von außen, Minka sie hingegen von innen durchgebissen hatte, und nachdem so Cäsar Zutritt gewonnen, hatte er zum Schluß das Halsband Minka’s noch durchgefressen und ihr zur ersehnten Freiheit verholfen.
Von ihren Zähnen machen überhaupt diese Hunde, um ihre Privatzwecke zu erreichen, einen sehr ausgiebigen Gebrauch und welche Kraft sie dabei entwickeln, mag Folgendes beweisen. Das für die Hunde bestimmte Fleisch wurde früher in einem Raum auf dem Hofe aufbewahrt, welcher durch eine Lattenthür verschlossen war. Mehrere beobachtete Versuche seitens der Hunde, die Latten durchzufressen, wurden zwar bestraft, trotzdem waren eines natürlich schönen Morgens die Latten zerbissen und das Fleisch verschwunden. Dies wiederholte sich mehrere Male und die Thiere lagen dann stets früh wie todt da, so hatten sie sich vollgefressen. Nun wäre das an sich eine ganz hübsche Beobachtung gewesen, und wenn die Hunde ihrem Herrn mehr wegfraßen, als sie sollten, so hätte man schließlich auch hier sagen können: „Er hat’s, er kann’s, wohl bekomm’s ihm, Amen!“ Aber die Sache war doch weder in der Ordnung, noch den Thieren gesund, und so wurde denn nun eine vollkommene Holzthür eingesetzt, und der schlaue Hausmann hing obendrein das Fleisch noch in einem Korb an die Decke, und rieb sich vergnügt die Hände. Aber trotzdem, und diese Energie der Hunde ist erstaunlich, war am andern Morgen die Thür offen, der Korb lag leer am Boden, die Hunde aber lagen um so voller im Hofe. Die Thiere hatten die Schlagleiste abgerissen, so die Thür aufgesprengt, hatten vom Hackeklotz aus, auf welchen der Hausmann beim Aufhängen des Fleisches gestiegen war, den Korb ausgehoben und heruntergeworfen. Jetzt wurde das Fleisch vier Treppen hoch hinter einer Doppelthür verwahrt, aber auch hier wurden die Schlagleisten durchgebissen, die Thür also abermals gesprengt und das Fleisch geholt, bis zuletzt Nichts übrig geblieben ist, als das Fleisch hinter einer überall mit Eisenblech beschlagenen Thür aufzubewahren.
Diese Neigung zu Diebereien ist besonders stark bei Minka, wenn sie tragend ist oder Junge hat. Wenn man z. B. als Gattin des Besitzers eine Kalbskeule zu russischem Salat bestimmt und zum Abkühlen in ein Zimmer des Erdgeschosses gestellt hat, ohne daß vielleicht die Thür fest genug geschlossen ist, so kommt Minka am hellen Tag gleich einer Katze in die jetzt leere Stube geschlichen, packt die kaum hingestellte, also noch heiße Keule des Kalbes, entflieht mit ihr, und wenn einige Minuten danach die vortreffliche Keule vermißt wird, und Minka nicht blos an den Pfotenabdrücken, sondern auch auf der Flucht als Dieb erkannt worden ist, so liegt sie doch ganz harmlos in ihrer Hütte. Alles [231] Suchen nach dem wesentlichen Bestandtheil zum russischen Salat bleibt vergebens, und erst Abends wird Minka erwischt, wie sie eben den Rest der verflossenen Kalbskeule verzehrt. Sie hatte dieselbe sofort nach dem Raube im Garten vergraben und mit großer Weisheit die Zeit der Aufregung erst vorübergehen lassen.
Man wird vielleicht sagen: „das sind schlechtgezogene Hunde,“ aber erstens sind es nicht meine Hunde, und andererseits wäre erst noch der Beweis zu liefern, ob es überhaupt möglich ist, Hunden solche Unarten abzugewöhnen, wenn man ihnen einmal so viel persönliche Freiheit läßt, wie es hier der Besitzer auf Grund eigner Erfahrung zur schöneren Entwickelung der Thiere für gerathen hält. Wenn man jeden Hund in der Nacht an der Kette hält, auch am Tage ihn nicht ohne directe Aufsicht läßt, so kommen solche Sachen natürlich nicht vor, aber nicht weil der Hund besser gezogen ist, sondern weil es ihm eben unmöglich ist, zu sündigen (was ja auch bei’m Menschen eine sehr billige Tugend ist), und es ist selbstverständlich, daß bei einem Thier die ihm eigenthümlichen Instincte, und der Hund ist doch ein Raubthier, sich um so mehr entwickeln werden, je mehr ihm die natürliche Freiheit gelassen wird. Mir ist ein solcher Hund viel interessanter als eine gutgezogene willenlose Schlafmütze, die den Charakter, zu dem sie eigentlich verpflichtet ist, fortwährend verleugnet.
Die gemeinschaftlichen Spaziergänge mit den Hunden in’s Freie habe ich schon erwähnt. Für die Hunde, natürlich alle ohne Halsband und Maulkorb, also in makelloser Kopf- und Halsbehaarung, ist dies ein Hauptgenuß, um so größer aber der Schmerz, der ihre Seele durchbebt, wenn ihnen einmal beim Ausgange des Herrn das Hofthor verschlossen bleibt. Unendliches Heulen und Bellen erschallt, alle richten sich am Gitter auf, oder springen an demselben mit verzweifelten Sätzen empor, bis der Herr ihren Augen entschwunden ist oder ein menschliches Rühren fühlt und Gewährung winkt. Geht aber dann das Thor auf, so fliegen gleich abgeschossenen Pfeilen die Thiere hervor, der sich zuerst durchdrängende Cäsar voran, aber bald überholt von der schlanken Minka, und hinter ihnen mit fröhlichem Geheul die Jungen. Höchlich muß man sich dann in Acht nehmen, von den überfreudig heransetzenden Hunden nicht umgeworfen zu werden, besonders wenn, wie zur Zeit meiner Anwesenheit, Glatteis ist. Durch solche öftere Begleitung ist natürlich bei den Hunden die Vorstellung des selbstverständlichen Mitgehens bei jedem Gange entstanden, und sie suchen daher, sowie sie ihren Herrn vermissen und auf irgend eine Art aus dem Hofe herauskommen, denselben schleunigst, nicht etwa durch bloße Deputation, sondern in ganzer Masse, auf und finden ihn stets, sei es im Schulexamen, Gerichtssaal, Rathhaus etc., was gewiß sehr interessant, aber nicht immer angenehm sein mag. Auch auf stundenweit entfernte Orte folgen sie der Spur ihres Herrn, suchen ihn der Reihe nach in jedem Orte, wo er sich aufgehalten, und freuen sich dann ganz unmenschlich, wenn sie ihn endlich gefunden, mag auch die Toilette, in der sie sich z. B. bei schlammigem Wege ihrem Herrn vorstellen, andere Gefühle bei demselben hervorrufen.
Es war vergessen worden zu erwähnen, daß, als Minka die besagten siebenzehn Jungen bekam, dieselben alle binnen drei Tagen starben. Das Geheul des armen Thieres dabei soll herzzerreißend gewesen sein, den Korb, in welchen die todten Thierchen zunächst gelegt worden, spürte sie wieder auf und trug dieselben alle wieder auf ihrem Lager zusammen, um Wiederbelebungsversuche mit ihnen anzustellen. Nur mit List konnten sie ihr wieder genommen werden, aber das letzte davon hat sie zwei Tage lang im Maule herumgetragen, es überall, wo Herr und Herrin gerade waren, vor deren Füße gelegt, aber – es doch nicht anrühren lassen, selbst ihrem Herrn zeigte sie dann die Zähne, der einzige derartige Fall. Dieses letzte Junge ist zuletzt spurlos verschwunden, und wahrscheinlich von der Mutter vergraben worden.
Nun wollen wir uns aber einmal dem kleinen Stiefel zuwenden, der auf dem Bilde einen so geringen Raum einnimmt und deshalb auch hier nur wenig Text beanspruchen darf. „Stiefel muß sterben,“ heißt es in dem alten, ebenso kurzen als rührenden und – wahren Volksliede; denn Stiefel ist in der That bereits todt, und wenn auch bei seiner Kleinheit die Lücke, die er in der Welt zurückläßt, nicht sehr bedeutend sein wird, so ist es doch schade um das kleine immer ängstliche Kerlchen, welches, wenn ich nicht irre, sein Herr, der Herr Sulry in Waldheim, immer im Rock bei sich trug, weil das Hündchen damals, im Winter, sonst gewiß stets Schnupfen gehabt hätte. Auf dem Bilde, welches ich für Herrn Bergmann malte und von welchem der Holzschnitt eine Copie ist, ist er natürlich nur des Gegensatzes wegen angebracht worden, und es ist begreiflich, daß sein Portrait schneller fertig wurde, als das Cäsar’s.
Oft muß man die Frage hören: „Halten denn die Thiere ruhig zum Malen?“ Antwort: Nein, leider niemals nach Wunsch, aber es ist immer noch ein himmlisches Arbeiten, wenn man ein Hausthier malt, was man sich halten oder anbinden lassen kann, und was in gewissem Grade doch pariren muß, als wenn man in zoologischen Gärten oder Menagerien Thierstudien macht. Hier bei Cäsar, dem sein Herr vom Beginn der Arbeit bis zum Schluß in seinem Modellstehen als so recht eigentlicher „Beistand“ half, war es eine Lust, das Thier zu malen, denn da er fortwährend seinem Herrn Wurst aus der Hand fressen konnte, allerdings aus der fast geschlossenen Hand, damit er nicht zu schnell satt wurde, so fand sich Cäsar sehr bald in sein dankbares Amt, und lag manchmal schon bereit vor der Thür, wenn wir zur Arbeit ankamen.
Ich sage ausdrücklich „wir“, denn man muß in der That eine so ernste Bestrebung, den Maler beim Malen eines Thieres zu unterstützen, als eine wirkliche Arbeit betrachten, ja es kann unter Umständen eine Anstrengung werden. Dies war wenigstens der Fall, als es sich darum handelte, die Kopfstudie, welche noch als Holzschnitt in dieser Nummer abgedruckt ist, zu malen. Es war dabei die Aufgabe, Lebhaftigkeit in Haltung und Auge zu bringen, und bei dem Umstande, daß solche große Hunde sehr von der Hitze leiden und sich immer legen wollen, um Kühlung vom Boden zu haben, war dies eine ziemliche Schwierigkeit. Wurst wollte er nicht mehr, auch hätte Füttern nichts geholfen, da es sich um den Kopf von vorne handelte. Wie halfen wir uns also? Herr Sulry, Stiefel’s Besitzer, der glücklicherweise anwesend war und viele Thierstimmen vortrefflich nachahmen konnte, stellte sich hinter die geschlossene Thür des Nebenzimmers, pochte und polterte mitunter an dieselbe, ahmte das Heulen eines gebissenen Hundes, das Bellen eines andern, kurz, verschiedene für Cäsar interessante Thierstimmen nach, so daß Cäsar nothgedrungen seine Aufmerksamkeit dem Leben hinter der Thür zuwandte und einigemal sogar aus seiner sitzenden Stellung, die wir ihm aufgezwungen hatten, aufspringen wollte. Freilich, lange durfte ein Ton nicht wiederholt werden, denn er merkte sehr bald den Schwindel, aber im Wesentlichen führte doch die Sache zum Zweck. Das Thier in der sitzenden Stellung zu erhalten, war dabei die Aufgabe seines Herrn, und da sich Cäsar an diesen zuletzt mit seinem ganzen Gewicht anlehnte, so athmete ich bei meiner Theilnahme für menschliches Leiden selbst auf, als wir Alle mit dieser Studie fertig waren.
Indem ich im Begriff bin, diese Zeilen zu schließen, lese ich, daß in diesem Jahre durch einen zusammengetretenen Verein in Dresden eine große Hundeausstellung veranstaltet werden soll, und erinnere mich dabei, daß schon damals der Besitzer Cäsar’s eine Einladung von Dresden bekam, sich an der Veranstaltung dieser Ausstellung zu betheiligen. Er wird dies ohne Zweifel thun, und so wird mancher Leser der Gartenlaube Gelegenheit haben, Herrn Cäsar noch von Angesicht zu Angesicht zu sehen und zu bewundern. Allerdings ist es zweifelhaft, ob er da noch im Fell so schön sein wird, wie in der Winterszeit, ein prachtvolles Thier wird er aber immer noch sein, und es wäre schon möglich, daß ein noch größeres Gebot als das bereits einmal geschehene von siebenhundertundfünfzig Rubel (etwa siebenhundert Thaler) auf ihn gemacht würde.
Es ist bekannt, daß die Leonberger Hunde in der Regel gegen kleine Kinder höchst duldsam sind, und sich insbesondere von den Kindern ihres Herrn Alles gefallen lassen. Auch mit den kleinen Knäbchen des Herrn Bergmann ließ sich dies beobachten. Komisch war es übrigens anzusehen, wenn das kleinere der Kinder, einundeinviertel Jahr alt, neben Cäsar stand, und mit seinem Kopfe bei weitem noch nicht an den Rücken des mächtigen Thieres reichte. An einen Schlitten angespannt ziehen die Hunde denselben mit den Kindern und wohl auch ihrem Herrn in sieben Minuten nach einem eine halbe Stunde entfernten Ort. Liegen die [232] Kinder im Freien auf den Hunden und schlafen, so rühren diese sich nicht, zeigen aber jedem sich nahenden Fremden die Zähne. Und wird ihnen von den Kindern vielleicht einmal zu übel mitgespielt, so gehen sie ruhig in eine andere Ecke, ohne ein Zeichen des Unwillens. Das sind zwar oft und überall vorkommende Sachen, aber sie helfen das Bild von dem hier geschilderten interessanten Hundeleben vervollständigen, und darum durften sie auch hier zum Schlusse nicht fehlen.
Jetzt endlich sah Lucie Benedict an, aber es war ein Ausdruck der Todesangst in diesem Blick, und doch galt ihr Flehen in diesem Augenblick nicht dem Bruder. Nicht die Verweigerung, die Gewährung der Bitte war es ja, die sie fürchtete. Wäre er jetzt befremdet zurückgetreten, hätte er gesagt: „Ich kann nicht, mein Fräulein, mir fehlt jede Macht dazu“ – ihr eignes Leben und Bernhard’s Freiheit hätte sie hingegeben für das eine Wort aus seinem Munde, aber dies Wort kam nicht, er sah sie an, nur einen Moment lang, dann wandte er sich plötzlich ab und – schwieg.
Lucie wußte genug! Sie schlang den Arm um den noch aufrecht stehenden Stamm des gestürzten Heiligenbildes und lehnte halb bewußtlos das Haupt an das feuchte Holz. Einige Secunden vergingen so, sie standen so nahe bei einander und doch gähnte eine Kluft zwischen ihnen, tiefer als jene, in der Ottfried den Tod gefunden. Ueber ihnen der graue Himmel mit den jagenden gährenden Wolkenmassen, um sie her die rauschenden Tannenwipfel und tief unten der Fluß mit seinem dumpfen Brausen.
Erst Benedict’s Stimme rief das junge Mädchen wieder zur Besinnung zurück, er stand jetzt neben ihr.
„Ich will nicht fragen, wer Ihnen das Geheimniß verrathen hat, das Sie wissen müssen, um so mit mir zu sprechen, aber Sie kamen zur rechten Zeit. Zittern Sie nicht so angstvoll um den Bruder, Lucie, seine Gefahr ist zu Ende mit meinem Schweigen! Hätte ich gewußt, daß der Verdacht sich auf einen Unschuldigen richtet, es wäre längst gebrochen. Ich habe jetzt nichts mehr zu schonen.“
Lucie ließ die Stütze fahren und richtete sich empor. „Sie kennen also – den Thäter?“
Es folgte eine secundenlange Pause. „Ja!“ sagte er endlich schwer.
„Und Sie werden ihn nennen?“
„Ich werde!“
„Ich danke Ihnen!“ Sie wandte sich um und wollte gehen, aber es war jetzt zu Ende mit ihrer Kraft. Die Last war auch zu schwer für das junge Wesen, das bis vor wenig Tagen noch kaum gewußt hatte, was Schmerz sei, sie schwankte und war im Begriff zu sinken, doch in demselben Moment war Benedict auch schon an ihrer Seite und fing sie in seinen Armen auf.
„Lucie!“
Sie zuckte zusammen bei der Berührung seiner Hand, als habe die Spitze eines Messers sie getroffen; ihre ganze Gestalt bebte krampfhaft in seinen Armen und doch entzog sie sich ihnen nicht.
„Lucie, verdammst Du mein Schweigen? Es war das letzte Opfer, das ich Jenen brachte! Der Orden befahl und ich gehorchte, aber jetzt werde ich reden, und brächte das Wort mir auch zehnfaches Verderben. Ich habe den Muth, die ganze Wuth des Klosters herauszufordern, aber ich ertrage es nicht, daß Du, Du Dich so von mir wendest!“
Mitten durch die starre Härte seines Wesens brach wieder der Ton der alten Weichheit, brach ein Strahl heißer, leidenschaftlicher Zärtlichkeit, und der Ton, der Blick, sie scheuchten Alles weg, was so drohend zwischen ihnen stand; stumm, bebend noch, aber mit dem Ausdruck unendlicher Hingebung legte Lucie das Haupt an seine Schulter und sah zu ihm auf – er las es jetzt auch in diesen Augen, daß er nicht mehr gehaßt wurde.
Er hatte nichts von dem berauschenden Glück der Liebe, dieser Augenblick, wo sich zwei Herzen endlich fanden. Wohl wollte es aufglühen in den Zügen des jungen Priesters, aber eine Eiseshand schien dort Alles niederzuhalten und das liebliche Antlitz, das zu ihm emporblickte, war bleich wie der Tod. Und dennoch, für den Moment versank alles Andere um sie her, selbst die düstere Felsenkluft mit den unheimlich zischenden Wellen und ihrem gespenstigen Drohen. Fern und ferner verklang jenes Zischen und Tosen und endlich löste es sich auf in das leise melodische Rieseln einer Quelle. Die starren Felsen wichen zurück und statt ihrer umrauschte sie wieder der sonnige Wald, umdufteten sie die weißen Blüthen. Der Waldeszauber von damals hatte doch Recht behalten, die unsichtbaren Fäden, welche er gesponnen, hielten fest für alle Ewigkeit, selbst diese furchtbare Stunde hatte nicht vermocht, sie zu zerreißen.
Langsam ließ Benedict das junge Mädchen aus den Armen, nur ihre Hand behielt er noch fest in der seinigen. Der Moment des Traumes war vorüber und der drohende Ernst der Gegenwart forderte gebieterisch sein Recht.
„Ich kann Sie nicht sofort begleiten, ich muß zurück zum Pfarrer Clemens, aber heute Abend noch bin ich in E. und morgen ist Ihr Bruder frei. Fürchten Sie nicht, daß mich etwas zurückhalten könnte, ich weiß jetzt, wo allein meine Pflicht liegt.“
Lucie erwiderte nichts, es giebt Minuten wo selbst die Kraft zum Leiden fehlt, und die ihrige hatte sich in dieser letzten Viertelstunde erschöpft, sie folgte ihm willenlos, als er, ihre Hand noch immer festhaltend, sie zu dem Gehöfte hinunterführte, wo der Bauer ihnen bereits entgegentrat.
„Ambros, ich kann mich darauf verlassen, daß Du die Dame sicher bis zu ihrem Wagen zurückbringst?“
„Keine Sorge, Hochwürden, ich stehe ein für das junge Fräulein.“
Benedict ließ ihre Hand fahren. „So leben Sie wohl!“
Die Gegenwart des fremden Mannes verbot jedes fernere Abschiedswort, gleich darauf befand sich Lucie an seiner Seite und trat mit ihm den Rückweg an.
Nach einer Weile wandte der Bauer sich um. „Der Herr Caplan scheint große Sorge zu haben, wie wir hinabkommen,“ sagte er gutmüthig, „er steht noch immer und schaut uns nach!“
Lucie blieb gleichfalls stehen und folgte der Richtung seines Armes. Da stand die hohe Gestalt noch immer auf der Höhe, neben dem zerschmetterten Heiligenbilde, ihr unverwandt nachschauend, und von den Schultern flatterte der verhängnißvolle dunkle Mantel, dessen Falten jetzt dem Winde preisgegeben waren. Morgen war Bernhard frei, er hatte es ihr versprochen – aber um welchen Preis!
Am nächsten Morgen erschien ein junger Geistlicher, der schon am Abend vorher spät in E. angelangt war, vor dem dortigen Gefängnisse und verlangte den in Untersuchungshaft befindlichen Gutsherrn von Dobra zu sprechen. Das Benedictinergewand und die Abzeichen des hochverehrten Stiftes, welche er trug, öffneten ihm sofort alle Thüren. Man befürchtete nur, daß sich Günther schwerlich bereit finden lassen werde, einen katholischen Priester zu empfangen; wider Erwarten aber willigte er sofort ein, als ihm Pater Benedict genannt ward, und diesem, der, wie man glaubte, im Auftrage des Prälaten kam, gelang es auch, ein ungestörtes Alleinsein mit dem Gefangenen durchzusetzen.
Die Unterredung war lang und inhaltvoll gewesen, man sah es an dem Gesicht Günther’s, das seinen sonst so ruhigen gleichgültigen Charakter völlig verleugnete, es sprach ein unverhülltes Grauen, zugleich aber auch eine tiefe Bewegung daraus, als er dem jungen Priester die Hand reichte und einfach sagte: „Ich danke Ihnen!“
Benedict’s Züge waren unbewegt geblieben, stumm und düster nahm er den Dank in Empfang und wandte sich dann zum Gehen, Bernhard hielt ihn zurück.
„Sie wollen nach dem Stifte?“
[233] „Zum Prälaten! Er vertraut bei alledem noch meinem Schweigen, ich mag es nicht heimlich, nicht hinterrücks brechen, er soll wissen, was er von mir zu erwarten hat. Sie haben mein Bekenntniß, haben es schriftlich für alle Fälle, machen Sie davon Gebrauch zu Ihrer Rettung, wenn man etwa Lust zeigen sollte, mich – verschwinden zu lassen.“
„Und warum stellten Sie es dann nicht zuerst in den Schutz der Gerichte?“ fragte Günther rasch.
Ein Ausdruck des Hohnes überflog Benedict’s Züge. „Weil ich weiß, wie weit die Macht unseres Stiftes reicht! Der Prälat würde den ersten Wink erhalten! Ich ziehe es denn doch vor, ihm freiwillig gegenüberzutreten, als ihm als ‚geisteskrank‘, wie es heißen würde, ausgeliefert zu werden. Hier giebt es nur ein Mittel, die vollste Oeffentlichkeit und das Zeugniß von Hunderten. Und müßte ich auch die Kirche entweihen mit meiner Anklage, die Schuld fällt auf Jene, die mir keinen andern Ausweg übrig ließen.“
Er wandte sich von Neuem der Thür zu, Günther hielt ihn zum zweiten Male zurück.
„Der Prälat ist ein ehemaliger Graf Rhaneck?“
„Der Bruder des Majoratsherrn.“
„Und wann sahen Sie diesen zum letzten Male?“
Das Auge des jungen Priesters sank zu Boden. „An der Leiche seines einzigen Sohnes!“ entgegnete er tonlos.
„Seines einzigen? Er hatte zwei Söhne!“
Benedict schüttelte den Kopf. „Graf Ottfried besaß keinen Bruder, so viel ich weiß.“
„Sie können es auch nicht wissen, Bruno!“ sagte Günther plötzlich fest und scharf. „Man hat es gerade Ihnen von jeher auf das Sorgfältigste verhehlt.“
„Woher kennen Sie meinen früheren Namen?“ fragte Benedict befremdet aufblickend. „Wir sind einander nie begegnet, bevor ich in den Orden trat.“
Günther umging die Antwort. „Sie sind dem Grafen Rhaneck befreundet?“ fragte er seinerseits.
„Ich verdanke ihm Alles, meine Erziehung, meine Ausbildung; er nahm sich des armen Knaben an –“
„Des armen Knaben!“ unterbrach ihn Jener bitter. „Sie waren nicht arm, Bruno, wenigstens von Vaters Seiten nicht, und Sie brauchten dem Grafen nicht zu danken für das, was er Ihnen gab. Anklagen hätten Sie ihn sollen, wegen des armseligen Almosens, mit dem er den Diebstahl wieder gut machen wollte, den er an dem Namen und Recht seines ältesten Sohnes beging!“
Benedict fuhr mit dem Ausdruck des vollsten Entsetzens zurück. „An mir?“
„An Ihnen, Bruno Rhaneck! Ihnen allein gebührte die Stellung, die Graf Ottfried in der Welt einnahm.“
Der junge Priester stand da, wie vom Blitze getroffen, jeder Blutstropfen war aus seinem Antlitz gewichen, plötzlich schlug er beide Hände vor das Gesicht und sank wie vernichtet in einen Stuhl.
Günther war zu ihm getreten und wartete schweigend einige Minuten lang den Ausbruch der Erschütterung ab, endlich legte er die Hand leise auf seine Schulter.
„Und Sie fragen mich nicht nach Ihrer Mutter?“ sagte er vorwurfsvoll.
Benedict ließ die Hände sinken, das Antlitz war noch so farblos als vorhin.
„Ich weiß, daß es von jeher nur eine Gräfin Rhaneck gab,“ entgegnete er dumpf, „und daß diese meine Mutter nicht ist. Ersparen Sie es mir, die meinige – verachten zu müssen.“
Günther’s Stirn umwölkte sich. „Werfen Sie Ihre Verachtung nach einer anderen Seite, die Mutter verdient sie nicht! Vor Gott war sie die einzig rechtmäßige Gemahlin, Sie waren der einzig legitime Sohn des Grafen; Ihrem Oheim, dem Prälaten, gebührt das Verdienst, den Altar, den er in seinem Glauben vertritt, in einem anderen verleugnet und das Band zerrissen zu haben, das dort geknüpft ward. Jetzt freilich würde ihm nicht mehr gelingen, was er damals mit dem Gesetze in der Hand vollbrachte.“
Benedict sprang auf, aber die dumpfe Verzweiflung in seinen Zügen machte jetzt einer anderen, drohenderen Empfindung Platz.
„Meine Eltern waren – vermählt?“
„Ja! Aber werden Sie erst ruhiger, Bruno, so können Sie mich ja weder fassen noch verstehen.“
Die Ermahnung war nothwendig, aber sie nützte nichts, Benedict rang vergebens mit seiner furchtbaren Aufregung, er vermochte nicht ihrer Herr zu werden. Günther trat ihm beschwichtigend näher.
„Ich fragte Sie schon einmal nach Ihrer Herkunft, nach einer Aehnlichkeit, die mir auffiel. Ich wußte, woher sie stammte, aber ich wollte wissen, ob auch Sie eine Ahnung davon hätten. Ihre Antwort zeigte mir, daß es nicht der Fall sei, damals mochte ich Ihnen mein Geheimniß nicht aufdringen, den jungen Mönch, den ich fanatisch begeistert wähnte für seinen Beruf, hätte es nur unglücklich gemacht, jetzt habe ich keinen Grund mehr zu schweigen. Wollen Sie mich hören?“
Der junge Priester entzog ihm heftig seine Hand und machte rasch einen Gang durch das Gemach. Als er zurückkehrte, war die Ruhe, äußerlich wenigstens, erzwungen, er blieb dicht vor Günther stehen.
„Ich höre!“
„Vor etwa vierundzwanzig Jahren,“ begann dieser, „machte mich der Zufall zum Zeugen eines Duells. Ich half, das Opfer desselben in seine Wohnung bringen und erlebte dort eine herzzerreißende Scene, die Verzweiflung einer jungen Frau, die mit dem Todten ihren einzigen Schutz und Beistand auf Erden verlor. Der Arzt, der jenem Zweikampfe beigewohnt, nahm sich später der ganz Verlassenen an und gewährte ihr eine Zuflucht in seinem Hause. Dort sah ich sie öfter und dort erfuhr ich schließlich auch die Namen und die näheren Umstände, die in den betreffenden Kreisen kein Geheimniß waren.“
Benedict hörte schweigend zu, ohne durch einen Laut oder eine Bewegung die Erzählung zu unterbrechen, aber sein Auge hing unverwandt an den Lippen des Sprechenden.
„Damals war Graf Rhaneck noch keineswegs der voraussichtliche Majoratserbe,“ fuhr dieser fort. „Als jüngster Sohn des Hauses war er größtentheils auf seine eigene Laufbahn angewiesen, und aus diesem Grunde in die Armee unseres Staates übergetreten, um schneller Carrière zu machen. Er lernte ein achtzehnjähriges Mädchen kennen, eine Waise aus bürgerlicher protestantischer Familie, die bei ihrem Bruder, einem Arzte, lebte, der mit angestrengter Thätigkeit sich und die Schwester erhielt. Der junge Officier mit seiner bestechenden Persönlichkeit und seinen glänzenden Eigenschaften errang bald genug den Sieg, aber er wußte, daß er die Geliebte nur als Gattin besitzen konnte, und er war jung und leidenschaftlich genug, sie auch wirklich zum Altare zu führen. Seine ahnenstolze, streng katholische Familie durfte natürlich von diesem Schritt nichts wissen, der ihr bei der Entfernung auch leicht zu verbergen war, und da ein katholischer Priester sich geweigert hätte, die Ehe einzusegnen, so vollzog ein protestantischer Geistlicher, dessen Bedenken man zu besiegen gewußt hatte, die Trauung, welcher nur der Bruder der Braut und ein Freund desselben als Zeugen beiwohnten. Es mögen dabei wohl manche von den Förmlichkeiten, welche die Gesetze damals noch bei einer Verbindung zwischen dem hohen Adel und dem Bürgerthum, zwischen Katholik und Protestantin, zwischen den Angehörigen verschiedener Staaten verlangten, unterblieben sein. Man scheute vermuthlich das Aufsehen, die Streitigkeiten mit den Priestern, mit der Familie; Absicht war es wohl nicht, einer solchen Niederträchtigkeit möchte ich den Grafen denn doch nicht zeihen. Genug, man ließ es bei der einfachen kirchlichen Trauung bewenden, der jungen Frau war es genug, daß die Hand des Geistlichen sie am Altar ihrem Gatten vermählte, diesem schien es genügend, und die Ehe dauerte ungefähr ein Jahr lang.
Da plötzlich starb der älteste Bruder des Grafen, der Majoratserbe, der zweite war bereits im Kloster, und Titel und Güter der Familie fielen so dem jüngsten zu, der sofort nach Rhaneck berufen wurde. Die drei Monate, welche er dort zubrachte, wurden verhängnißvoll für drei Menschenleben. Er wagte es nicht, seine Vermählung dem Vater einzugestehen, und vertraute sich dem Bruder an. Der Prälat, von seinem Standpunkte aus, sah in dieser Ehe eines Rhaneck mit einer Bürgerlichen, eines Katholiken mit der Protestantin ein Verbrechen; er ist eine eiserne, mitleidslose Natur, ich habe es gesehen bei unserer ersten Begegnung. In der Minute, in welcher er von der Verbindung [234] erfuhr, war auch ihr Todesurtheil gesprochen. Ob und welche Kämpfe es gegeben, ob man Bitten, Drohungen oder Ueberredung angewendet, mag dahin gestellt bleiben; genug, die Familie siegte, der Graf trennte sich von seiner Gemahlin und diese erhielt zugleich mit der Nachricht, daß er seine Ehe für nichtig erkläre, das Anerbieten einer Entschädigung, wenn sie freiwillig zurücktrete. Beides kam von der Hand des Prälaten, Graf Ottfried hatte denn doch nicht die Stirn gehabt, sein Weib in solcher Weise zu beschimpfen.“
Benedict schwieg noch immer, nur in seinem Auge glühte es seltsam und unglückverheißend: was er auch empfinden mochte bei diesen Aufschlüssen über das Geschick seiner Mutter, Weichheit war diese Empfindung sicher nicht.
„Ich will Ihnen die ausführliche Beschreibung dessen, was nun folgte, ersparen,“ sagte Günther rascher, denn er mochte wohl fühlen, daß seine Erzählung einer Folter gleichkam. „Die Gräfin vertheidigte vergebens ihr und ihres Sohnes Recht, sie mußte jetzt das Vertrauen büßen, das sie einst in argloser Liebe dem Gatten entgegengetragen. Der Graf und der Prälat siegten, denn sie hatten den Buchstaben des Gesetzes für sich. Die einseitig protestantische Trauung ward nicht anerkannt, die ohne Einwilligung der Familie geschlossene, im Auslande vollzogene Ehe für nichtig erklärt, und der Spruch der Gerichte raubte der Mutter und ihrem Kinde Namen und Ehre. Ihr Bruder hatte bis zum letzten Augenblicke dafür gekämpft, jetzt schlug er das Einzige in die Schanze, was ihm noch übrig blieb, sein Leben. Er forderte den Grafen und dieser stellte sich ihm; aber die Hand des Arztes wußte nur schlecht mit Pistolen umzugehen, er fehlte.“
„Und Graf Rhaneck?“
„Der Graf – schoß den Bruder seines Weibes nieder!“
Es entstand eine Pause, aber Bernhard trat plötzlich auf den jungen Priester zu und legte, wie in erwachender Besorgniß, die Hand auf dessen Arm.
„Wischen Sie den Zug da weg von Ihrer Stirn, Bruno!“ sagte er ernst, „er verheißt immer nur Unglück oder Verbrechen. So, gerade so sah Ihr Vater aus, als Ihr Oheim von seiner Hand fiel. Dem geübten Schützen wäre es ein Leichtes gewesen, den Gegner nur zu verwunden; aber dieser Rhaneck’sche Zug stand auch auf seiner Stirn, und er forderte gebieterisch den Tod Dessen, der ihn öffentlich einen Schurken genannt. Hüten Sie sich vor dieser Ader Ihres Geschlechts; es ist das Einzige, was Sie von ihm ererbt haben, aber Sie kann auch Ihnen zum Verhängniß werden.“
Benedict fuhr langsam mit der Hand über die Stirn. „Fürchten Sie nichts! Sie soll sich gegen dies Geschlecht wenden, so wahr – so wahr ich meine Mutter an ihm zu rächen habe! Es hat auch ihren Tod auf dem Gewissen, nicht?“
„Sie überlebte den doppelten Schlag nicht lange. Das Kind wurde von dem Vater in Anspruch genommen. Er hatte jenem zwar Alles geraubt, worauf ihm die Geburt ein heiliges Recht gegeben; aber ihm ließ man nichtsdestoweniger das Recht, den Knaben seiner Heimath und dem Glauben, in dem er auf Wunsch der Mutter getauft war, zu entreißen, um ihn den Händen seines Bruders zu übergeben und endlich in’s Kloster zu stecken. Die Kirche forderte wohl diese Sühne für jene ‚Vereinigung‘, und die ‚Priesterweihe‘ sollte den letzten Rest des ‚Ketzerblutes‘ tilgen, das es gewagt hatte, sich mit dem Rhaneck’schen zu vermischen.“
„Sie sollen dies Blut kennen lernen! Noch Eins – was Sie mir sagten, ist nicht nur gehört, sondern verbürgt?“
„Ich stehe für jedes Wort ein, das ich gesprochen, wenn es sein muß, mit meinem Schwur.“
„So haben Sie Dank für Ihre Mittheilung. Mein Entschluß war vorher gefaßt, aber Sie nehmen ihm das Schwerste. Das Gefühl der Dankbarkeit machte mich immer noch feig den Beiden gegenüber; jetzt weiß ich, daß der Haß Recht behalten hat, der sich immer und immer in mir gegen sie aufbäumte, weiß, wer hier zu richten hat – ich gehe zum Prälaten.“
Als Singlehrer. Es war wenige Tage nach der Schlacht von Rézonville, als wir in einem elenden Dorfe auf der Straße bivouakirten. Das war eine traurige Nacht, vielleicht die traurigste im ganzen Feldzuge. Da lagen die Jungen vom Achtzehnten auf der von Schmutz und Regen überlaufenden Straße, stumm und düster vor sich hinstarrend. Kein Lied, kein Lachen, nicht einmal ein munteres Wort hörte man in der weiten Runde. Stumm hockten sie um die rothglühenden Feuer herum, die mit größter Mühe dem anhaltenden Regen gegenüber ihre Existenz fristeten.
Was fehlte ihnen denn, diesen strammen Burschen? Hatten sie nicht gesiegt? Ja, aber im Magen saß Einer, den ihr Alle kennt, oder nein – nicht kennt, es ist Meister Hunger. Wo ist der Soldat, den ein solcher Angriff nicht stutzig macht oder nicht aus der guten Laune bringt?
Ich lehnte an einem Eckposten, sah ziemlich griesgrämig vor mich hin und dachte – dachte an die so oft verleumdete Bohnensuppe in der Garnison. „Himmel, tausend Franzosen für einen einzigen Löffel voll!“ fluchte ich vor mich hin, als ein schwarzhaariger Franzosenjunge an mir vorüberschlüpfen wollte. „He, Junge, wohin?“
Zitternd stand er still und begann nach einem Augenblicke, fast mit weinerlicher Stimme:
„Allzumal getrunken, allzumal geküßt,
Allzumal ’s Madel an’s Herz fest geschließt (geschlossen).“
Alles brach plötzlich in’s größte Gelächter aus, Alles drängte sich um den Kleinen. Man forderte ihn von allen Seiten auf, weiter zu singen. Doch er schwieg beharrlich. Der arme Junge konnte sonst kein Wort Deutsch. Ich suchte mein bischen Französisch zusammen und examinirte ihn nun. Da erzählte er mir schluchzend, daß ihn ein preußischer Reitersoldat mit blauer Uniform und hohen Stiefeln das Liedchen gelehrt habe, und weil ich ihn so rauh angerufen, wollte er mir doch eine deutsche Antwort geben.
Am andern Tage rückten wir in’s Quartier. Ich und sechszehn Cameraden, wir bekamen eine mit Stroh belegte Stube angewiesen. In dem Hause war Niemand als ein altes, ziemlich boshaftes Mütterchen mit einem etwa vierzehn Jahre alten Mädchen, wahrscheinlich ihrer Enkelin. Mein Erstes, was ich in dem trocknen Quartiere zu thun wußte, war, dem etwas sehr scheuen Mädchen Singstunde zu ertheilen. Ich plagte mich manche liebe Stunde mit dem Dinge herum, bis ich ihm das Verschen:
Bald gras’ ich am Neckar,
Bald gras’ ich am Rhein,
Bald hab’ ich ein Schätzchen,
Bald hab’ ich auch keins –
eingeprägt hatte. Ich sagte ihr, wenn sie das Verschen singe, thue ihr kein Preuße etwas zu Leide.
Am Abend kam die Alte zu mir und bat mich ziemlich umständlich, sie doch auch etwas Deutsch zu lehren, da sie gern einen Soldaten, der sie geärgert habe, bei dem Hauptmann verklagen möchte. Ich lehrte sie nun:
„Ich bin ein altes Weib
Und kann schön tanzen,
Du mit dem Bettelsack,
Ich mit dem Ranzen.“
Kaum hatte sie es gelernt, als sie noch in der Nacht dem Herrn Hauptmann, der in einem Nachbarshause Quartier genommen hatte, auf den Leib rückte.
Der Hauptmann hatte einige Officiere zu sich geladen, die alle auch nicht in der besten Stimmung waren. Da drang die Alte ungestüm und aufgeregt in die Stube und rief, nachdem sie um Gehör gebeten hatte:
„Ich bin ein altes Weib
Und kann schön tanzen,
Du mit dem Bettelsack,
Ich mit dem Ranzen.“
Man denke sich das Gelächter. Doch wäre für mich die Sache am Ende kaum so glatt abgelaufen, wären wir nicht am andern Morgen im Eilmarsche weiter gezogen.
Die Deutschen in Valparaiso. Chili’s Hauptseehandelsstadt bebeherbergt Fremde aller Zungen, darunter auch deutsche und französische, und darum schlug selbst bis an das ferne Gestade des stillen Oceans der Krieg der beiden Nationen in Europa seine Sturmwellen. Leider ist auch dort das Bild der französischen „Revanche“ für die Niederlagen daheim ein sehr unerquickliches, aber ebenso wenig erhebend ist die von der deutschen Vertretung geübte Nachgiebigkeit gegen das übermüthige Gebahren der Franzosen. Hören wir, was in einem unterm 8. Januar d. J. von acht deutschen Landsleuten (je zwei Herren Brandt und von der Burg, sowie die Herren Renken, Dancke, Linau und Rademacher) an die Redaction der Gartenlaube gerichteten Schreiben darüber mitgetheilt ist.
Am 11. December 1870 feierte der Chef eines dortigen Handelshauses, Herr Garbe, seine silberne Hochzeit. Zur Verherrlichung des Tages hatten dem Hause befreundete Schiffscapitäne ein Flaggenschiff hinter Herrn Garbe’s Waarenlager gelegt. Da aber am Abend vorher die Nachricht von der Schlacht bei Sedan in Valparaiso angekommen war, so erklärte der Befehlshaber des dort stationirten französischen Kriegsschiffes die deutschen Flaggen für Siegeszeichen und drang bei dem chilenischen Intendanten, dem höchsten Regierungsbeamten der Stadt, auf die sofortige Beseitigung derselben. Von diesem Anspruch wurde eiligst der deutsche Consul in Kenntniß gesetzt, der auch nichts Eiligeres zu thun hatte, als durch seinen Secretär Koch Herrn Garbe die schleunigste Entfernung der Flaggen [235] befehlen zu lassen. Um nicht seinem Familienfest sehr mögliche Störungen zu bereiten, gab Herr Garbe dem Verlangen ohne Widerstand nach.
Man sollte nun denken, die eine Rücksicht wäre – unter gebildeten Nationen – der anderen werth. Anders dort. Plötzlich gefällt es einem Buchhändler in der belebtesten Straße der Stadt, der Calle del Cabo, ein Schmähbild auf Kaiser Wilhelm, den Reichskanzler und Moltke auszuhängen. Empört über die Verhöhnung, die man damit sich vor der hiesigen und anderen fremden Bevölkerung gegen die Deutschen erlaubt, forderten diese nun ihren Generalconsul Pius auf, die Beseitigung des Schmähbildes zu veranlassen. Diesmal war’s jedoch etwas Anderes. „Carricaturen seien straffrei,“ hieß es – „wer etwas auf sich halte, müsse solche Sachen mit Stillschweigen übergehen,“ wurden die deutschen Bürger belehrt und ihnen ihr verrathenes Gelüste, das Schmähbild dem Reichskanzleramt zu übersenden, mit der Deutung verwiesen, daß dazu denn doch erst „die Vermittelung des Ministerresidenten in Santiago“ gehöre.
So müssen denn die Deutschen den französischen und sonstigen Hohn über sich ergehen lassen und die Faust in der Tasche machen, fast wie zu des seligen Bundestags Zeiten.
So weit die Mittheilung. Wir gestehen, daß auch wir hier ein großes Gewicht auf die französische Carricaturen-Kinderei nicht legen – ein um so größeres jedoch auf die Erscheinung, daß der Deutsche draußen sich als Deutscher fühlt, und aus Ehrgefühl für das Reich nicht die geringste Unbill mehr dulden will.
Dieses Gefühl sollte allerdings von Reichswegen gepflegt werden, und ebendeßwegen ist es ebenfalls ein Aergerniß der Deutschen in Chili, daß in der Hafenstadt Concepcion, wo sehr tüchtige deutsche Männer wohnen, noch jetzt der deutsche Consul ein Engländer ist.
Die deutsche Tagespresse im französischen Krieg. Niemand kann unserer Presse den Vorwurf machen, daß sie während unseres großen Krieges nicht ihre Schuldigkeit gethan habe. Von ihrer Rührigkeit in der Benutzung aller zugänglichen Quellen, und ihrer Sorge, durch eigene Berichterstatter die gerechten Ansprüche ihrer Leser möglichst rasch befriedigen zu lassen, zeugten damals alle Zeitungen von Bedeutung selbst und zeugen jetzt die zahlreichen Berichtsammlungen in selbstständiger Buchform. Auffällig war es allerdings gleich vom Beginn des Krieges an, daß die englischen Correspondenzen rascher und mit augenscheinlich reicherem Material in die Oeffentlichkeit gelangten, als die meisten deutschen, und man war von manchen Seiten geneigt, die Schuld dieser das erregte Nationalgefühl verletzenden Erscheinung irgend welchem Mangel an Beweglichkeit, Sachkenntniß und dergleichen der Deutschen zuzuschreiben. Jetzt, wo der ganze Krieg hinter uns liegt, braucht auch die wahre Ursache nicht mehr verschwiegen zu werden: es ist dies die Bevorzugung der englischen Berichterstatter vor den deutschen, und zwar mit sehr wenigen Ausnahmen letzterer. Während die meisten deutschen Journalisten sich hinsichtlich ihrer Ausgaben nach ihrem deutschen Deckchen strecken mußten, trat der englische mit Hülfe seiner Mittel als großer Herr auf und wurde als solcher behandelt. Ihm öffneten sich die Hauptquartiere und selbst die herrschaftlichen Tafeln, er konnte seine Berichte aus den ersten Quellen schöpfen und überall hoch zu Roß selbst dabei sein, während dem deutschen die schwere Aufgabe zufiel, die Gelegenheit zum Beobachten sich erst mühsam zu erringen, wenn nicht das Glück ihn in diesem oder jenem höheren Officier einen Protector finden ließ. Diejenigen, welchen dies gelang, stehen im Werthe ihrer Berichte ebenbürtig neben ihren englischen Collegen und hinsichtlich ihrer historischen Treue wohl auch über ihnen.
Zu diesen Bevorzugten gehört A. Zehlicke, der Kriegsberichterstatter der Schlesischen Zeitung, der seine Berichte jetzt ebenfalls zusammengestellt hat zu einem Werke: „Von Weißenburg bis Paris. Kriegs- und Siegeszug der deutschen Heere in Frankreich 1870–1871“. Wenn ihm auch von der höchsten Armeeleitung keinerlei Berücksichtigung zu Theil wurde, so kamen ihm doch nicht wenige höhere Officiere mit Freundlichkeit entgegen, und namentlich hatte er sich bei den Baiern der anerkennenswerthesten Förderung in seinem schweren Berufe zu erfreuen. Und es bewährte sich abermals, daß die Presse ihre Wohlthäter am würdigsten zu belohnen weiß. Die Kämpfe der Baiern haben in dem vorliegenden Werke eine an Vollständigkeit, Klarheit und Wärme so musterhafte Darstellung gefunden, wie sie ihnen von keiner andern Seite mit größerer Gewissenhaftigkeit zu Theil geworden ist. Uebrigens hat der Verfasser seine Berichte durch die vorliegende Verarbeitung zu einem Buch nicht nur zu einer Quelle für die Geschichte, sondern selbst zu einem gediegenen Stück Geschichte dieses Krieges gemacht.
Wilhelm Bauer’s Pensionat ist eine Unmöglichkeit geworden. Trotz der erfreulichen Theilnahme, die sich abermals für ihn und seine Bestrebungen und Leistungen erwiesen, muß er auch diesen letzten Versuch, durch völlige Preisgebung seiner Erfindungen an treue und tüchtige Schüler der Submarine die Nutzbringung derselben zu retten und sich dem Vaterland verdient zu machen, für immer aufgeben, weil seine Gichtkrankheit zu unerbittlich am Rest seiner Kräfte zehrt und der Körper dem noch rastlos fortschaffenden Geist jeden Dienst versagt.
So übernehmen wir denn die traurige Pflicht, den „Aufruf für W. Bauer’s Pensionat“ auf des armen Kranken Wunsch hiermit zurückzunehmen. Abermals spielt vor unseren Augen ein so groß angelegtes Schicksal sich in einem tragischen Ausgang ab. Wer hätte bei dem Wagniß, das ihn im Kieler Hafen lebendig auf dem Meeresgrund begrub, und seiner wunderbaren Rettung, wer bei dem deutschen Triumph, den die ganze Nation bei der Hebung des „Ludwig“ aus dem Bodensee mitfeierte, wer noch bei dem Gelingen der Geschoßwirkung in der Tiefe des Starnbergersees an den so frühen Schluß der Thaten einer Manneskraft gedacht, die unverwüstlich erschien? Mögen Alle, die an seinen Ehren sich einst mitgefreut, jetzt auch dem Unglücklichen ihre Theilnahme nicht versagen. Seine Ehre bleibt immerdar auch eine deutsche Ehre!
In Chicago bilden, wie ein Geschäftsfreund uns schreibt, noch immer die Branderlebnisse der Einzelnen unerschöpfliche Stoffe der Unterhaltung. Man braucht nur zwischen den Leuten auf den Straßen und Plätzen zu horchen, immer kommt man mit einem neuen Vorrath von Schreckniß- und Rettungsvariationen nach Hause. Eine Haupteigenthümlichkeit besteht darin, daß fast alle Flüchtenden von den Ihren getrennt und erst nach Tagen und Wochen vom Zufall wieder zusammengeführt worden sind. Die Scenen auf der Prairie, wo gegen fünfzigtausend Menschen übernachteten, spotten aller Beschreibung: weder Essen noch Trinken, kein Obdach, dazwischen Niederkünfte und Sterbefälle, Verzweifelnde und Betrunkene, Aufopferungen und Diebstähle, Alles durcheinander!
Die ungeheuere Brandstätte ist bereits zu Zweidrittel von Schutt und Brandtrümmern aufgeräumt und schon Anfang Februar standen über zehntausend Holzhäuser in Reih’ und Glied da. Diese rasche Bauerei hatte ihre besondere Bewandtniß. Im Stadtrath schwebte nämlich eine Verordnung, kraft welcher überhaupt in Chicago keine Holzhäuser mehr gebaut werden sollten. Um das zu umgehen, machten die Deutschen sich am Sonntag in aller Frühe an die Arbeit und bauten mit so tüchtigen und zahlreichen Kräften, daß am Abend Tausende von Gebäuden dastanden. Während des Sonntags durfte kein Verhaftsbefehl gegen sie ausgeführt werden, und eine fertige Thatsache läßt sich nicht so geschwind wieder wegdisputiren. Aber eine solche Arbeit würde trotz aller Kräfte dennoch unmöglich gewesen sein ohne die praktische amerikanische Einrichtung, daß man alle Theile eines Hauses, von dem Dachziegel und von Thür und Fenster bis zum Fußboden und Treppe, fix und fertig und in außerordentlichen Vorräthen zu kaufen bekommt. Man braucht die Bestandtheile eben nur zusammenzustellen, und das fördert.
Ein Architekt hat, wie er unserm Gewährsmann selbst versichert, für dieses Frühjahr den Bau von sieben (englischen) Meilen Front Bau- und Sandsteinhäuser in Contract. Mehr als drei Jahre werden nicht vergehen, so ist Chicago aus seiner Asche auferstanden und prächtiger als zuvor, – nur werden großentheils andere Leute in den Palästen wohnen, als Diejenigen, welche die Brandstätte verlassen haben.
Ein tapferer deutscher Jagd- und Kriegsmann in Nordamerika wird von seinen alten Eltern in Deutschland gesucht. Der junge Mann kann in Amerika bei seinen Leistungen, Unternehmungen und Verbindungen unmöglich so verschollen sein, daß, wenn nicht er selbst, doch auch nicht eine Spur seines Schicksals sollte aufgefunden werden können. Richard Gantzer aus Tochheim an der Elbe im Anhaltischen segelte am 13. April 1861 nach Baltimore ab und arbeitete auf einer Farm in der Nähe von St. Louis, bis der Bürgerkrieg ausbrach, der ihn in das Heer der Union zog. Er diente erst unter dem General Sherman, dann unter Grant; unter ihm hatte er auch sein Officierexamen bestanden. Nach Beendigung des Kriegs wollte er seine Eltern in Deutschland mit einem Besuche erfreuen; statt seiner kam aber die Nachricht, daß er sich in Canada angekauft habe. Seine dortige Farm verpachtete er jedoch ebenso rasch, um seiner Jagdlust in Afrika zu fröhnen. Die Küste dieses Erdtheils vor Augen scheiterte das Schiff, er selbst ward gerettet und von einem andern Schiffe nach Amerika zurückgebracht. Hier verkaufte er seine Farm, heirathete eine Amerikanerin, die Tochter eines Ohio-Steamercapitains, der eine große Plantage auf Aash-Hand, einer Insel an der Ohio-Mündung, besitzt, und siedelte nach Paducah in Kentucky über. Sein letzter Brief ist am 10. September 1866 von Moundlitz aus geschrieben.
Ein Apostel der Wahrheit: Vater Uhlich ist todt! Wenige Wochen nachdem sein dreiundsiebenzigster Geburtstag in der Mitte seiner freien Gemeinde zu Magdeburg, die ihn zugleich als eben Genesenden von schwerer Krankheit begrüßte, freudig gefeiert worden war, ist der alte tapfere Kämpfer für immer vom Kampfplan geschieden. Heil ihm! Er hat noch am Lebensabend das Morgenroth einer neuen deutschen Zeit gesehen, ja, sein brechender Blick fiel noch auf das beginnende Ermannen des Staats gegen die Uebergriffe der finsteren Mächte, denen derselbe so lange zur Unterdrückung der lichtstolzen Geister den Arm geliehen. Wahrlich, die Sünden, welche die nun beseitigte geistliche Ministerherrschaft allein gegen Uhlich verbrochen, reichten hin, sie vor der vorwärtsstrebenden Welt zu richten. Sie haben ihm sein freies Amt schwer gemacht, sie haben ihn oft und tief gedrückt, aber nimmer zu beugen vermocht, aus jeder Verfolgung ging er als Sieger hervor. So bescheiden er selbst im Leben war, jedem persönlichen Hervorheben fremd, so hoch wird man den Mann ehren, nun er todt ist und die Gerechtigkeit daran geht, die Summe seines Wirkens zu ziehen. Er gehört zu Deutschlands großen Todten.
Ein sechsundachtzigjähriger Schill’scher in Noth. Es wird uns ein Ausschnitt der Königsberger Hartung’schen Zeitung zur Aufnahme eines Artikels zugesandt, welcher erzählt, daß in Allenburg der Schill’sche Veteran Moske lebe, der, früher Rittmeister beim Landsturm, im Jahre 1870 die Chausseegeldhebestelle in Neumühl bei Allenburg mit der Pension von zusammen sechs Thalern monatlich, abzüglich drei Thaler fünf Silbergroschen für Miethe, Classen- und Gewerbsteuer, quittirt habe. Man wünscht nun, daß dem bedürftigen Heldengreise der Abend seines Lebens verschönt werde. Das ist gewiß ehrenwerth, – aber ist’s denn nicht eine Schande für die ganze Provinz Ostpreußen, daß sie überhaupt den vielleicht Aeltesten und Letzten von Schill’s Corps so lange mit einer solchen Pension hat hungern lassen? Und wenn man endlich an seine Pflicht denkt, soll der Klingelbeutel wieder durch ganz Deutschland und womöglich „so weit die deutsche Zunge klingt“ läuten? Wann wird man sich endlich schämen, für jede kleine Localnoth die große Vaterlandsglocke in Bewegung zu setzen?
[236] Sieben verlorene Männer. Ein schwerer Schicksalsschlag hat in unserem Kriege gegen Frankreich vier Familien zu Annweiler in der Rheinpfalz betroffen. Dem Landmann Johannes Schulz kam bei den unaufhörlichen Truppen- und Proviantdurchzügen der Gedanke, für die Seinen auch einen Vortheil aus dem Kriege zu ziehen. Er verband sich zum Zweck einer gemeinsamen Proviantfuhr mit noch sechs anderen Annweilerer Männern, Namens Knöll, Vater und zwei Söhne, Liset und Sohn und Joseph Groß. Diese beluden zwei einspännige Wagen mit Lebensmitteln und Wein und fuhren damit am 10. Januar 1871 wohlgemuth ab. Sie wollten über Zweibrücken nach Metz hin. In Zweibrücken wurden alle Sieben noch gesehen, – und dann nie wieder! Männer und Geschirre sind spurlos verschwunden. Vom Amt Bergzabern aus stellte man Nachforschung nach den Vermißten an, aber vergeblich. Der eine Schlag hat vier Familien so gut wie vernichtet, neun Wittwen und Waisen sind übrig geblieben, die unglücklichste von Allen, Frau Knöll, die den Gatten und zwei blühende Söhne verloren, ist der Geistesnacht verfallen. – Unser Sieg war groß, aber wie theuer er in Tausenden von Familien erkauft wurde, darüber geht die Geschichte mit ihren weiten Schritten hinweg.
Marlitt’s „Haideprinzeßchen“ ist bereits durch verschiedene Uebersetzungen ausgezeichnet worden. Die erste Uebertragung, eine französische, erschien in Paris und zwar gleichzeitig in einer Zeitschrift und als Buch, die zweite, eine englische, ohne Genehmigung der Verfasserin und des Verlegers in Philadelphia, die dritte in London und die vierte, ebenfalls eine englische, wird soeben in der Tauchnitz’schen „Collection of german authors“ vorbereitet. Eine Buchausgabe der deutschen Originalausgabe wird im Herbst dieses Jahres in der Verlagshandlung der Gartenlaube erscheinen.
Sammlungen der Gartenlaube. Nachdem wir bereits früher an unsere abgebrannten Landsleute in Chicago zweitausend Thaler Unterstützungsgelder abgesandt, waren wir letzte Woche wieder in der glücklichen Lage, noch tausend Thaler folgen lassen zu können, und schon sind abermals Beiträge eingegangen. Auch für den Nationaldank an Feuerbach werden wir in diesen Tagen nahezu zweitausend Thaler nach Nürnberg abschicken.
B. Sch. in W–r. Wir wollten Ihnen erst schriftlich antworten. Leider aber kommt der Fall, daß bei Anerbietungen von Manuscripten – namentlich solchen, die aus Frauenhänden kommen – statt an unser Urtheil, an unser Mitleidsgefühl appellirt wird, so häufig vor, daß wir endlich gern einmal die Gelegenheit ergreifen, uns hierüber öffentlich und deutlich auszusprechen. Wir glauben Ihrer Versicherung, daß die Rücksendung Ihrer Arbeit Sie „namenlos unglücklich“ gemacht hat; wir beklagen es, wenn Sie darin eine „Grausamkeit“ sehen, „die fast derjenigen gleichkommt, die einem Verhungernden das letzte Stück Brod verweigert.“ Können wir uns aber bei der Entscheidung über die Annahme oder Nichtannahme von Manuscripten von den Regungen des Gefühls und der Barmherzigkeit leiten lassen? Nein! die einzige Rücksicht, die wir hier nehmen dürfen, geht darauf, daß wir unseren Lesern, unseren Abonnenten tüchtige und würdige Lectüre bieten. Diese versprechen wir ihnen, diese erwarten sie. Und glauben Sie nur nicht, daß diese einzige „Ausnahme“, die wir zu Ihren Gunsten machen sollen, wirklich die einzige wäre und bleiben würde. Klagen und Bitten, wie sie Ihr letzter Brief enthielt, kommen – aber fast nur von Frauen und Mädchen – uns dutzendweise zu, und ihnen gegenüber kann, wenn wir unser Journal nicht aus lauter Mitgefühl absichtlich zu Grunde richten wollen, unsere einzige Rettung nur die sein, um so fester an unserem Princip zu halten, um so treuer das Interesse unserer Leser im Auge zu haben und um so bestimmter auch für die Zukunft lediglich unser eigenes bestes Urtheil über die Brauchbarkeit oder Unbrauchbarkeit einer Arbeit entscheiden zu lassen.
K. in Mgdbg. Für Ihre Bedürfnisse können wir Ihnen nur eine Zeitschrift, „Die Gegenwart“ von Paul Lindau empfehlen, das erste kritische Wochenblatt in Berlin, welches gleichzeitig über politische, literarische, künstlerische und gesellschaftliche Tagesfragen längere und eingehendere Besprechungen bietet. Da es dem Redacteur bei Gründung seines Blattes gelang, tüchtige und anerkannte Federn zu gewinnen, die es verstanden, die schwer zugängliche Kritik in anmuthige Formen zu kleiden, so war es bei dem reichen Material, welches Berlin bietet, selbstverständlich, daß man der neuen Wochenschrift ein günstiges Prognostikon stellen konnte, was sich denn auch nach Ablauf des ersten Vierteljahrs vollständig erfüllt hat. „Die Gegenwart“ findet, wie wir hören, vielfache Verbreitung und Anerkennung und Lindau hat genug redactionelle Gewandtheit und Verbindungen, um sich diese raschgewonnene Gunst zu erhalten. Mit verständnißvoller Umsicht weiß er sein Terrain auszubeuten Während andere Revuen, u. A. die ganz vortreffliche Freytag-Dove’sche[WS 2] Wochenschrift „Im Neuen Reich“, meist einen allgemeinen Charakter documentiren, legt Lindau, der selbst eine spitze und pikante Feder führt, den Accent seiner Kritik mehr auf Berliner Verhältnisse und Zustände, ohne gerade die übrigen ganz zu vernachlässigen. Eine stattliche Reihe bewährter und durch ihre bisherigen Leistungen anerkannter Mitarbeiter giebt dem Blatte eine scharf ausgeprägte Autorität und läßt – wenn die Kritik weiter in so frischer freisinniger Weise gehandhabt wird – noch viel Fesselndes und Ansprechendes erwarten. Von allen Revuen ist somit die Lindau’sche die einzige, welche neben den politischen und socialen Tagesfragen die Hauptströmungen in den Gebieten der Malerei, plastischen Kunst, Theater und Musik mit aufmerksamem Auge und eingehenden Artikeln verfolgt, und schon deshalb dürfte „Die Gegenwart“ alle Ihre Ansprüche erfüllen.
Karl J–i–ke. in Berlin. Sie thun ja ungeheuer gebildet, und das Alles, weil Sie auf Janke’s deutsche Nationalbibliothek abonnirt sind! Leider haben Sie sich durch dieselbe irre führen lassen; die Novelle „Der Todte von St. Anna’s Capelle“ ist bekannter Weise nicht vom Verfasser der berühmten Erzählung „Zwischen Himmel und Erde“, sondern von einem seiner Zeit zu Reichenbach in Schlesien lebenden Assessor, welcher unter dem Namen Otto Ludwig diese und noch eine zweite Novelle schrieb. Dieser Umstand hatte denn auch die – wie sich nach der Hand herausstellte – ungerechtfertigte Aufnahme der Erzählung „Der Todte von St. Anna’s Capelle“ in die oben erwähnte deutsche Nationalbibliothek zur Folge. Uebrigens hat der Reichenbacher Erzähler vermuthlich aus derselben Quelle geschöpft, welche auch Dr. R. Haas, der Verfasser unserer Skizze, für sich benutzte, nämlich aus Visini’s Beiträgen zur Criminalwissenschaft.
P. J. in Valencia. Wir haben Ihre Zusendung mit Dank erhalten, müssen sie aber, so hübsch sie geschrieben ist, doch ablehnen, da das Motiv nicht bedeutend genug erscheint. Vielleicht schicken Sie uns gelegentlich etwas Anderes.
O. B. in W., Missouri. General v. Stiehle ist am 14. August 1823 zu Erfurt geboren, hat auch dort das Gymnasium besucht, und soll – nach Aussage eines seiner Schulcameraden – vom Erfurter Gymnasium aus in das Cadetten-Corps getreten sein. – Seine Vorname ist Gustav.
L. Mf. in Nürnberg. Ihr Wunsch ist schon längst erfüllt. In Nr. 41 vom Jahrgang 1869 der Gartenlaube finden Sie eine eingehende Charakteristik des eben verstorbenen Patrioten Mazzini aus der Feder Ludmilla Assing’s.
Fr. H. in L. Wir danken Ihnen für Ihre Mittheilung, die uns in der That überrascht hat; denn wir selbst hatten nicht die geringste Ahnung, daß wir neulich mit Nr. 12 der Gartenlaube die eintausendste Nummer unseres Blattes ausgegeben haben. Außer der „Illustrirten Zeitung“ in Leipzig hat unseres Wissens bis jetzt kein illustrirtes Journal in Deutschland diese Nummernhöhe erreicht.
gingen wieder ein: Sammlung des Akadem. philosoph. Vereins in Berlin 25 Thlr. 20 Ngr.; J. u. R. W. in Wildenbruck 2 Thlr.; Bruck in Saar-Union (Elsaß) 1 Thlr.; F. 1 Thlr.; A. Waldheim 1 Thlr.; eine Gesellschaft im Casino zu Mühlheim 15 Thlr.; aus Bobenstein 2 Thlr.; Schultzky in Berlin 15 Ngr.; aus Klein-Krähwinkel 1 Thlr.; Ludwig Steinhagen in Hamburg 7 Thlr.; Dr. E. Franck in Berlin 5 Thlr.; D. in Bürgel 2 Thlr.; A. V. in Diez und A. Z. in Bleialf[WS 3] 10 Thlr.; Dr. C. Waitz in Meran 5 Thlr.; Karl Frantz in Berlin 10 Thlr.; „Krach-Club“ in Bürgel 1 Thlr. 15 Ngr.; C. B. in Ach 8 Thlr.; „Gewerbe-Verein“ in Reichenau 1 Thlr. 20 Ngr.; aus Biedenkopf 1 Thlr.; Dr. Zimmermann in Mühlhausen 10 Thlr.; durch die Buchhandlung von Ricker in Petersburg 10 Thlr.; Richter in Davos 5 Thlr. 10 Ngr.; Expedition der „Volkszeitung“ in Berlin 7 Thlr.; D. H. in Detmold 1 Thlr.; „Bürger-Resource“ in Hirschberg 3 Thlr.; „Humanist“ in Görlitz 3 Thlr.; C. B. in Westpreußen 3 Thlr.; R. B. und G. W. in Hannover 5 Thlr.; G. in Potsdam 1 Thlr.; Buckauer „Mittwochs-Club“ 3 Thlr.; Dr. Ernst Hagen, der 93jährige Pastor, 10 Thlr.; Georg Knedick in Karlsbad 3 Thlr.; v. Diezolski in Goldberg 5 Thlr.; S. M. in Berlin 5 Thlr.; Theod. Schultz in Hamburg 1 Thlr.; Sammlung in Windsheim 10 Thlr.; C. Ms. in Remscheid 1 Thlr.; Rud. Kowarck in Berlin 1 Thlr.; Grischow in Grivitz 5 Thlr.; deutsch-katholische Gemeinde in Rüdesheim 3 Thlr.; Karl Hebbinghaus in Berlin 5 Thlr.; Sieverts in Homburg 2 Thlr.; Prof. J. L. in München 10 Thlr.; M. K. in Berlin 1 Thlr.; A. Jäger in Jonsdorf 2 Thlr.; J. W. 1 Thlr.; Bühl in Langenbielau 1 Thlr.; George in Dresden 1 Thlr.; Gräfin v. Z. in Unter-Neuberg 3 Thlr.; eine Gesellschaft Soester Primaner 3 Thlr.; G. B. in Posen 25 Thlr.; Präsident v. E. in Oldbg. 10 Thlr.; G. A. G. in Düsseldorf 3 Thlr.; Busse in Berlin 2 Thlr.; H. v. Jaroczinsky in Danzig 1 Thlr.; gesammelt durch Dr. F. in Markoldenburg 10 Thlr.; Otto Blumberg in Berlin 10 Thlr.; Alfred und L. Schücking in Washington 10 Thlr.; aus Mainz 20 fl. rh.; aus Ludwigshafen 5 fl. rh.; W. in Dippoldiswalde 1 Thlr.; Frz. Schröder in Berlin 1 Thlr.; Schwabe in Bl. 1 Thlr. mit den Worten:
Edler Lichtspender! ich glaube,
Selbst in der Gartenlaube
Säh’s nicht so hell und gemüthlich aus,
Wenn nicht Deines Geistes Quellen,
Die Feuerbäche, die hellen,
Geströmt wären rings in’s Land hinaus.
Für Deine himmlischen Spenden
Verehrt Dich Dein Volk und wir senden
Dir unsern Dank und Segen in’s Haus.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ vergl. Berichtigung (Die Gartenlaube 1872/28)
- ↑ Vorlage: Freytag-Dowe'sche
- ↑ Vorlage: Blüalf