Die Edda (Simrock 1876)/Ältere Edda/Grimnismâl
König Hraudung hatte zwei Söhne: der eine hieß Agnar, der andere Geirröd. Agnar war zehn Winter, Geirröd acht Winter alt. Da ruderten Beide auf einem Boot mit ihren Angeln zum Kleinfischfang. Der Wind trieb sie in die See hinaus. Sie scheiterten in dunkler Nacht an einem Strand, stiegen hinauf und fanden einen Hüttenbewohner, bei dem sie überwinterten. Die Frau pflegte Agnars, der Mann Geirröds und lehrte ihn schlauen Rath. Im Frühjahr gab ihnen der Bauer ein Schiff und als er sie mit der Frau an den Strand begleitete, sprach er mit Geirröd allein. Sie hatten guten Wind und kamen zu dem Wohnsitz ihres Vaters. Geirröd, der vorn im Schiffe war, sprang ans Land, stieß das Schiff zurück und sprach: fahr nun hin in böser Geister Gewalt. Das Schiff trieb in die See, aber Geirröd ging hinauf in die Burg und ward da wohl empfangen. Sein Vater war eben gestorben, Geirröd ward also zum König eingesetzt und gewann große Macht.
Odhin und Frigg saßen auf Hlidskialf und überschauten die Welt. Da sprach Odhin: „Siehst du Agnar, deinen Pflegling, wie er in der Höhle mit einem Riesenweibe Kinder zeugt; aber Geirröd, mein Pflegling, ist König und beherrscht sein Land.“ Frigg sprach: „Er ist aber solch ein Neiding, daß er seine Gäste quält, weil er fürchtet es möchten zu viele kommen.“ Odhin sagte, das sei eine große Lüge; da wetteten die Beiden hierüber. Frigg sandte ihr Schmuckmädchen Fulla zu Geirröd und trug ihr auf, den König zu warnen, daß er sich vor einem Zauberer hüte, der in sein Land gekommen sei, und gab zum Wahrzeichen an, daß kein Hund so böse sei, der ihn angreifen möge. Es war aber eine große Unwahrheit, daß König Geirröd seine Gäste so ungern speise; doch ließ er Hand an den Mann legen, den die Hunde nicht angreifen wollten. [13] Er trug einen blauen Mantel und nannte sich Grimnir, sagte aber nicht mehr von sich, auch wenn man ihn fragte. Der König ließ ihn zur Rede peinigen und setzte ihn zwischen zwei Feuer und da saß er acht Nächte. König Geirröd hatte einen Sohn, der zehn Winter alt war und Agnar hieß nach des Königs Bruder. Agnar ging zu Grimnir, gab ihm ein volles Horn zu trinken, und sagte, der König thäte übel, daß er ihn schuldlos peinigen ließe. Grimnir trank es aus; da war das Feuer so weit gekommen, daß Grimnirs Mantel brannte. Er sprach:
Laß uns scheiden, Lohe!
Schon brennt der Zipfel, zieh ich ihn gleich empor,
Feuer fängt der Mantel.
Daß mir Niemand Nahrung bot
Als Agnar allein; allein soll auch herschen
Geirröds Sohn über der Goten Land.
Der Helden Herscher.
Für einen Trunk mag kein Andrer dir
Beßre Gabe bieten.
Den Asen nah und Alfen.
Dort in Thrudheim21 soll Thôr wohnen
Bis die Götter vergehen.
Den Saal sich erbaut.
Alfheim17 gaben dem Freyr die Götter im Anfang
Der Zeiten als Zahngebinde.
Den Saal mit Silber deckten.
Walaskialf12. 30 heißt sie, die sich erwählte
Der As in alter Zeit.
Überrauscht sie immer;
Odhin und Saga trinken alle Tage
Da selig aus goldnen Schalen.
Walhalls weite Halle:
Da kiest sich Odhin alle Tage
Vom Schwert erschlagne Männer.
Den Saal, wenn sie ihn sehen:
Aus Schäften ist das Dach gefügt und mit Schilden bedeckt,
Mit Brünnen die Bänke bestreut.
Den Saal, wenn sie ihn sehen:
Ein Wolf hängt vor dem westlichen Thor,
Über ihm dreut ein Aar.
Jener mächtige Jote.
Nun bewohnt Skadi, die scheue Götterbraut,
Des Vaters alte Veste.
Die Halle erhöht
In jener Gegend, wo der Greuel ich
Die wenigsten lauschen weiß.
Der Weihestatt walten.
Der Wächter der Götter trinkt in wonnigem Hause
Da selig den süßen Meth.
Die Sitze zu ordnen im Saal.
Der Walstatt Hälfte wählt sie täglich;
Odhin hat die andre Hälfte.
Des Saales Silberdach.
Da thront Forseti den langen Tag
Und schlichtet allen Streit.
Sich den Saal erbaut.
Ohne Mein und Makel der Männerfürst
Waltet hohen Hauses.
Widars Land Widi.
Da steigt der Sohn auf den Sattel der Mähre
Den Vater zu rächen bereit.
Sährimnir sieden,
Das beste Fleisch; doch erfahren Wenige,
Was die Einherier eßen.
Herliche Heervater,
Da nur von Wein der waffenhehre
Odhin ewig lebt.
Über die Erde fliegen.
Ich fürchte, daß Hugin nicht nach Hause kehrt;
Doch sorg ich mehr um Munin.
Fisch in der Flut spielt;
Des Stromes Ungestüm dünkt zu stark
Durch Walglaumir zu waten.
Heilig vor heilgen Thüren.
Alt ist das Gitter; doch ahnen Wenige
Wie sein Schloß sich schließt.
Wähn ich in Walhall.40
Achthundert Einherier ziehn aus je einer,
Wenn es dem Wolf zu wehren gilt.
Weiß ich in Bilskirnirs21 Bau.
Von allen Häusern, die Dächer haben,
Glaub ich meines Sohns das gröste.
Die an Lärads Laube zehrt.
Die Schale soll sie füllen mit schäumendem Meth;
Der Milch ermangelt sie nie.
Der an Lärads Laube zehrt.
Von seinem Horngeweih tropft es nach Hwergelmir:
Davon stammen alle Ströme.
Fiörm und Fimbulthul,
Rin und Rennandi, Gipul und Göpul,
Gömul und Geirwimul.
Um die Götterwelt wälzen sich Thyn und Win,
Thöll und Höll, Grad und Gunthorin.
Ein dritter Diotnuma.
Nyt und Nöt, Nönn und Hrönn,
Slid und Hrid, Sylgr und Ylgr,
Wid und Wan, Wönd und Strönd,
Giöll und Leiptr: diese laufen den Menschen näher
Und von hier zur Hel hinab.4. 39
Watet Thor täglich,
Wenn er reitet Gericht zu halten
Bei der Esche Yggdrasils;
Denn die Asenbrücke steht all in Lohe,
Heilige Fluten flammen.15
Silfrintopp und Sinir,
Gisl und Falhofnir, Gulltopp und Lettfeti:
Diese Rosse reiten die Asen
Täglich, wenn sie reiten Gericht zu halten
Bei der Esche Yggdrasils.
Unter der Esche Yggdrasils:
Hel wohnt unter einer, unter der andern Hrimthursen,
Aber unter der dritten Menschen.
An der Esche Yggdrasils:
Des Adlers Worte oben vernimmt es
Und bringt sie Nidhöggern nieder.
An der Esche Ausschüßen weiden:
Dain und Dwalin,
Duneyr und Durathror.
Als Einer meint der unklugen Affen.
Goin und Moin, Grafwitnirs Söhne,
Grabakr und Grafwölludr,
Ofnir und Swafnir sollen ewig
Von der Wurzeln Zweigen zehren.
Mehr als Menschen wißen.
Der Hirsch weidet oben, hohl wird die Seite,
Unten nagt Nidhöggr.
Skeggöld und Skögul,
Hlöck und Herfiötr, Hildur und Thrudr,
Göll und Geirölul;
Randgrid und Rathgrid und Reginleif
Schenken den Einheriern Äl.36
Schmachtend die Sonne führen.
Unter ihre Bugen bargen milde Mächte,
Die Asen, Eisenkühle.
Der glänzenden Gottheit.
Brandung und Berge verbrennten zumal,
Sänk er von seiner Stelle.
Folgt in die schützende Flut;
Hati der andre, Hrodwitnirs Sohn,
Eilt der Himmelsbraut voraus.
Aus dem Schweiße die See,
Aus dem Gebein die Berge, die Bäume aus dem Haar,
Aus der Hirnschale der Himmel.
Midgard den Menschensöhnen;
Aber aus seinem Hirn sind alle hartgemuthen
Wolken erschaffen worden.
Wer zuerst die Lohe löscht,
Denn die Aussicht öffnet sich den Asensöhnen,
Wenn der Keßel vom Feuer kommt.
Skidbladnir zu schaffen,
Das beste der Schiffe, für den schimmernden Freyr,
Niörds nützen Sohn.
Skidbladnir der Schiffe,
Odhin der Asen, aller Rosse Sleipnir,
Bifröst der Brücken, Bragi der Skalden,
Habrok der Habichte, der Hunde Garm.
So wird mein Heil erwachen:
Alle Asen werden Einzug halten
Zu des Wüthrichs Saal,
Zu des Wüthrichs Mahl.
Herian und Hialmberi,
Theckr und Thridi, Thudr und Udr,
Helblindi und Har.
Herteitr und Hnikar,
Bileigr, Baleigr, Bölwerkr, Fiölnir,
Grimur und Glapswidr.
Allvater, Walvater, Atridr und Farmatyr;
Eines Namens genüge mir nie
Seit ich unter die Völker fuhr.
Bei Asmund Jalk;
Kialar schien ich, da ich Schlitten zog;
Thror dort im Thing;
Widr den Widersachern;
Oski und Omi, Jafnhar und Biflindi,
Göndlir und Harbard bei den Göttern.
Als ich den alten Thursen trog,
Und Midwitnirs, des mären Unholds, Sohn
Im Einzelkampf umbrachte.
Der Meth ward dir Meister.
Viel verlorst du, meiner Liebe darbend:
Aller Einherier und Odhins Huld.
Die Vertrauten trogen dich.
Schon seh ich liegen meines Lieblings Schwert
Vom Blut erblindet.
Da das Leben dich ließ:
Abhold sind dir die Disen, nun magst du Odhin schauen:
Komm heran, wenn du kannst.
Thundr hab ich geheißen.
Wakr und Skilfingr, Wafudr und Hroptatyr,
Gautr und Jalkr bei den Göttern,
Ofnir und Swafnir: deren Ursprung weiß ich
Aller aus mir allein.
König Geirröd saß und hatte das Schwert auf den Knieen halb aus der Scheide gezogen. Als er aber vernahm, daß Odhin gekommen sei, sprang er auf und wollte ihn aus den Feuern führen. Da glitt ihm das Schwert aus den Händen, der Griff nach unten gekehrt. Der König strauchelte und durch das Schwert, das ihm entgegenstand, fand er den Tod. Da verschwand Odhin und Agnar war da König lange Zeit.
Anmerkungen (Wikisource)
Siehe auch Anmerkungen des Übersetzers zu diesem Lied