Der Jahrmarkt von Southwark
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Dieses erste Blatt Hogarth’s von größerer Bedeutung, dem er auch selbst noch später viel Werth beilegte, gibt die Darstellung eines jener Jahrmärkte, welche im Beginn der neueren Zeit in England für den Handel noch von Wichtigkeit waren, allein schon in der letzten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts nur noch als Veranlassung zu Belustigungen der unteren Volksclassen mit allem Unfug dienten, welcher bei solchen Gelegenheiten gewöhnlich zu sein pflegt. Letzterer machte den hier dargestellten Jahrmarkt von Southwark, dem eigentlichen Pöbelquartiere London’s und dabei dem gewöhnlichen Aufenthalt von Jack Tar on shore (den Matrosen auf dem Lande), in der Art berüchtigt, daß sich das Parlament in den fünfziger Jahren veranlaßt sah, jenes für den Handel nutzlose Institut aufzuheben. Seitdem hat der Pöbel London’s alle Jahre nur noch eine ähnliche Belustigung an dem Bartholomew fair, welcher in Smithfield gehalten wird, und die Geschäfte
[788] der Policei so wie der Friedensrichter in ähnlicher Art vervielfacht, so daß die gesetzgebende Gewalt, wenn sie zufällig Zeit haben sollte, sich um dergleichen Kleinigkeiten zu bekümmern, oder wenn die Corporation von London die Aufhebung verlangen würde, auch jenem jährlich erneuten Scandale ein Ende machen möchte.
Unter den Belustigungen des Jahrmarkts fallen die dramatischen vor allen in die Augen, wobei übrigens Merry Andrew oder Herr Punch, der englische Hanswurst in mannigfacher Form, zum Vorschein kommt. Aber es fehlt auch nicht an der Tragödie mit mannigfachen Katastrophen, besonders im Vordergrunde bei Bayazet’s Fall, einem damals auf den Nationaltheatern berühmten Helden. Rowe’s Bayazet machte nämlich im Anfange des achtzehnten Jahrhunderts aus politischen Gründen bedeutendes Furore. Lächerlicher Weise war nämlich unter Bayazet Jakob II. und unter dem Tartaren Tamerlan Wilhelm III. gemeint und auch so verstanden, eine Ideencombination, welche John Bull’s Begeisterung erweckte. Hier stürzen Kaiser, Könige, Kaiserinnen und Minister in einen gemeinschaftlichen Abgrund; nur Bayazet’s Affe und sein Hanswurst haben Hoffnung, sich zu retten, vielleicht auch Tamerlan, der wenigstens auf der unter ihm stürzenden Figur gebettet wird. Unten entwischt eine Verkäuferin von Porzellan und Tellern mit genauer Noth; desto größere Verwüstung wird unter französischer Fayence und chinesischer Waare angerichtet werden, welche damals beide als hoher Luxusartikel den niederen Volksclassen galten. Die fliehende Verkäuferin erhält wohl nur noch einen Schlag von der Violine und von dem Salzfaß, welches beides Bayazet und Tamerlan zum Orchester dienen sollte, letzteres (das Salzfaß mit einem Wergholz) als Janitscharenmusik. Bayazet’s Fall ist übrigens von Cibber und Bullock dargestellt worden, von einer Gesellschaft, deren Verhältniß ein oben hängendes Schild mit der Ueberschrift: The stage mutiny (die Schauspieler-Empörung) noch näher erläutert. Die Gesellschaft von Drurylane hatte sich nämlich damals getrennt. Theophilus Cibber, der Sohn des bekannten Laureaten Colley, der eben so, wie sein Vater, Schauspieler war, hatte Streit gehabt mit dem damaligen Unternehmer des Drurylane-Theaters, einem [789] gewissen Highmore, einem Manne von bedeutendem Vermögen, großer Eitelkeit, gemeinen Manieren und schlechtem Charakter, der sich durch diese Theaterunternehmung und durch Hazardspiel mit den höheren Classen ruinirte. Theophilus Cibber begann damals mit andern austretenden Schauspielern das Haymarket-Theater, welches gegenwärtig einen Rang unter den Nationaltheatern bekanntlich einnimmt, allein damals höchst unbedeutend schien. Hier zieht er aus in dem bezeichnenden Costüme des Pistol und mit den eben so ausdrucksvollen Worten: „Pistol ist noch am Leben (Pistol is alive).“ Neben ihm paradirt Sir John Falstaff, dann kommen Bardolf und andere Charaktere von Shakespeare, wovon der Ritter eine Art Oriflamme mit der Inschrift hält: Freiheit und Eigenthum (Liberty and property); ein kleineres Banner enthält die Inschrift: Wir haben zu essen (We eat). Dagegen führt die Gegenpartei die Devise: Wir wollen sie aushungern (We’ll starve them out). Dort steht vorn der Theatermaler John Ellis im Costüme des Boxers und des Fechters mit dem Knittel. Dann folgt der Direktor Highmore selbst. Er hält einen Zettel mit der Aufschrift: 6000 Pfund, in der Hand. Dies war nämlich die Summe, womit er die übrigen Theilnehmer am Theater entschädigt hatte. Colley Cibber, der gekrönte Dichter, hatte 3000 davon erhalten. Deßhalb sitzt derselbe auch höchst comfortabel in der Ecke mit der Unterschrift: Quiet and snug, ruhig und warm eingehüllt. Im Hintergrunde sitzt ein Affe auf einem Seil. Er hält ebenfalls ein Banner mit der Inschrift: Ich bin ein Gentleman (I am a gentleman); eine schlimme Andeutung auf Highmore, denn es ist wahrlich ein böses Zeichen, wenn man Andere auf diese Eigenschaft aufmerksam machen muß. – Gegenwärtig möchte diese Zuthat zu dem Blatte manchem Critiker überflüssig und störend erscheinen und hat auch für die Gegenwart kein Interesse mehr, allein bei der Herausgabe des Blattes war die Sache noch neu und Stadtgespräch von London, so daß sich wohl erklären läßt, weßhalb der Künstler sie hier beifügte. Uebrigens war dies kleine Bild eines jener früheren Werke, die er, wie in der Biographie erwähnt wurde, gelegentlich auf seinen späteren Blättern anbrachte. Es war unter dem Namen: The stage Mutiny, den es auch auf diesem Blatte trägt, [790] nach Hogarth’s Idee kurz vorder von Laguerre gestochen und verkauft worden.
An einer großen Bude, welche die Inschrift führt: Große Bude, Lust und Harfenspieler (Great Booth Glee and Harpers), werden dramatische Darstellungen durch Comödienzettel versprochen und auch ausgeführt; Adam und Eva mit dem Sündenfall, Punch, der auf dem Zettel mit einem Schiebkarren und mit einem Freunde in den Rachen der Vernichtung fährt, und sich darunter in Wirklichkeit mit einem vom Festlande eingeführten Geistesverwandten, Harlequin oder Pulicinello, zu thun machen will, wahrscheinlich auf britische Weise mit den Fäusten, denn Punch ist wegen seiner Tapferkeit berühmt, womit er sogar regelmäßig den Teufel erschlägt[1]. Ein heroisches Stück ist ebenfalls in der Vorstellung begriffen, die Belagerung von Troja. Der ehrwürdige Chryseus, an der Sonne, die er auf der Brust trägt und an der Bischofmütze kennbar, fordert seine Tochter vom Publikum zurück. Diese sitzt ruhig hinter ihm und neben einem Agamemnon mit der Perrücke. Punch hat auch hier zu thun; er sitzt auf dem Geländer und zur Hälfte einem Trompeter auf dem Rücken. Er spricht mit dem Publikum und ihm gilt wahrscheinlich der Beifall, den ein emporgeworfener Hut und ein ausgestreckter Arm anzudeuten scheint.
Auch in der Luft werden Darstellungen der Kunst gegeben. Ein Seiltänzer ist im Begriff, ein Rad zu schlagen, und ein anderer fliegt auf einem ausgespannten Seile vom Kirchthurm auf den Boden. Letzteres Manöver ward nämlich zur Bewunderung John Bull’s zu Hogarth’s Zeiten von einem armen Teufel ausgeführt, der auf einer solchen heroischen Fahrt bald nach Herausgabe dieses Blattes den Hals brach.
Die Hauptsache auf dem Blatte bildet natürlich der Volkshaufe. Auch hier ist eine Schauspielertruppe bemerkbar, die ihre Leistungen zuvor unter Trommelschlag und Trompetenschall bekannt macht. Die Trommel wird von einer Schönen gerührt, deren Reize, verbunden mit einem Federhut und weißer Wäsche, zwei ehrsame Bauern bezaubert haben. [791] Ihr Gefährte, als Held einherschreitend, ist als solcher noch prächtiger geschmückt, allein es widerfährt ihm ein Unglück; Alexander der Große wird von zwei grimmigen Gerichtsdienern (Boom Bailiffs) Schulden halber verhaftet. Die Schönheit der Theaterprinzessin scheint Hogarth besondere Vorliebe eingeflößt zu haben, denn er hat sie durch Contraste, durch einen trompetenden Mohrenknaben vorn und einen Schornsteinfeger hinten gehoben, welcher, durch einen Stoß seines Nachbars aufmerksam gemacht, über Bayazet’s Fall erschrickt. Auch soll die Schöne das Porträt einer Künstlerin aus einer ähnlichen Schauspielergesellschaft sein. Wie erzählt wird, hatte sich Hogarth einst auf einem Jahrmarkt von Southwark unter die Menge gemischt, und sah, wie eine hübsche Straßencomödiantin von ihrem Director mißhandelt wurde. Der Anblick war ihm so fatal, daß er dem Director sogleich eine Lection der Galanterie und zwar auf englische Weise gab, d. h. mit der Reitgerte. Das Mädchen aber gefiel ihm so sehr, daß er sie abzeichnete und später auf diesem Bilde anbrachte.
Hinter dem Gerichtsdiener steht ein Quacksalber. Das fashionable Kleid imponirt der Menge; er frißt Feuer und erweckt dadurch das Staunen der Umstehenden; das gedruckte Lob seiner Heilmittel hält er in der Hand. Alles dies hat gewirkt, denn hinter ihm steht sein Hanswurst und verkauft seine Arzneien. Von welcher Art dieselben sind, läßt sich vermuthen; auch befinden sich Frauenzimmer sowohl unter dem zuhörenden als kaufenden Publikum.
Vor dem Gerichtsdiener zeigt ein Savoyarde, an der Zither kennbar, seinen Guckkasten, aber seitwärts von ihm sitzt eine weit interessantere und ächt britische Figur zu Pferde. Dieser Reiter ist Boxer und Fechter von Profession; er sucht, durch Narben und frisch gelegte Pflaster bewunderungswerth, und durch einen Trommler bemerkbar gemacht, mit grimmigen Blicken aus dem Publikum eine Person heraus, die sich um eine Wette mit ihm schlagen will, wo dann die eingesetzte Summe dem Sieger natürlich als Eigenthum anheimfällt. Kurzum, er treibt jenes Geschäft, welches man gegenwärtig, seitdem die Policei durch eine Parlamentsacte das Recht, sich einzumischen, erlangt hat, mit dem Namen der „unschuldigen [792] Vergnügungen (innocent amusements)“ bezeichnet. Eine Taube, die er rupfen und zugleich zurichten kann, hat er bereits in einem Landedelmann (Country-Gentleman oder Country Squire) gefunden, der, durch die Reitgerte und durch seine Mienen als solcher kennbar, als Mitglied aus der weit verbreiteten Familie der Simpletons erscheint. Er ist offenbar nach London gekommen, um die Vergnügungen der Hauptstadt kennen zu lernen, und gerieth somit vorzugsweise auf den Jahrmarkt von Southwark. Er wird übrigens auch noch auf andere Weise gerupft, denn am Arme hält er eine Dame der Stadt (a woman of the town), und ein Mentor hinter ihm, der ihn auf den Boxer aufmerksam macht, leert ihm mittlerweile die Taschen. – Neben ihm findet sich eine andere Scene, die mit dem Charakter des Country-Squire in Uebereinstimmung steht. Einem Bauerweib sind zwei Bauermädchen zur Aufsicht übergeben worden. Die eine davon ist bereits in sicheren Händen, denn sie befindet sich in den Armen eines Mannes, der sie küßt; die andere wird ebenfalls ihr entlockt werden, denn ein galanter Bewohner der Hauptstadt, mit welchem das Mädchen Blicke wechselt, hält dasselbe bereits umschlungen, und bringt den Argwohn der Aufseherin durch geschickt angebrachte Schmeicheleien zum Schweigen.
Unter Bayazet’s Fall sieht man noch eine andere Prellerei, das Würfelspiel; ein ehrsamer Pachter läßt sich von einer Bankhalterin dazu verleiten, die ihren Schatz wohlweislich mit den Händen bedeckt. Beide sind hitzig geworden, denn sie merken das Krachen über ihrem Haupte auf keine Weise. Der Sohn aber besitzt mehr Weisheit, als der Vater; vielleicht hat er auch die Ermahnungen seiner Mutter im Gedächtniß und sucht den Papa von Dingen abzuhalten, die in keine geordnete Haushaltung gehören. – Seitwärts von dieser Gruppe spielt ein irländischer oder schottischer Knabe den Dudelsack, und läßt zu diesem wohlklingenden Instrumente einige Puppen tanzen. Sein Hauptactör ist jedoch eine Copie von Johny Crapaud, ein Affe mit dem vollkommenen Anstande eines Grand Seigneur vom Hofe Ludwigs XV., mit Degen, Haarbeutel, Stock und Hut, und dem „französischen Grinsen [793] (French grin)“ jener Zeiten, dem ausgebildeten Typus der hochgepriesenen ritterlichen Sitte. Auch den spanischen Mantel hat Hogarth nach seiner Gesinnung zum Auslande noch hinzugefügt. Bayazet’s Fall wird übrigens den armen Knaben nicht mit fortreißen; die Balken und der bretterne Fußboden fallen in solcher Richtung, daß sie die künstlerische Darstellung nicht stören.
Von den übrigen Volksbelustigungen ist ein Taschenspieler sichtbar mit einer Taube in der einen und einer Dose in der andern Hand; zugleich sind Gliederverrenkungen mit dieser Darstellung verbunden; die Ankündigung bezieht sich auf Beides: Sonderbare Verdrehung der Hände (Queer bending of hands); an einem Wirthshause hängt ferner die Ankündigung eines Cabinets von Wachsfiguren, welches den Hof Ludwigs XV. vorstellen soll. Dieses Cabinet befindet sich dicht unter dem Taubenschlage. Das Wirthshaus führt die Königseiche im Schild, ein eben so interessantes Zeichen, wie der gestiefelte Kater mit der Violine (Puss in boots), das spinnende Ferkel (The spinning pig) und andere Sujets zur Malerei an Schilden, worin sich der englische Volkswitz übt. Der Baum soll nämlich die von dem Astronomen Halley unter die Sterne versetzte Eiche sein, worauf Carl II. nach den Schlachten von Naseby und Worcester, von den Truppen Cromwell’s verfolgt, sich mit Erfolg versteckte. In dieser Königseiche ragt oben der Kopf des fliehenden Königs, mit der Krone geschmückt, weit hervor, während zwei Reiter am Fuß der Eiche den unsichtbaren Flüchtling suchen. Seitwärts von dem Wirthshaus hängt ein Weiberhemd und ein Hut auf Stöcken. Dies sind die Preise des bei solchen Gelegenheiten gewöhnlichen Wettlaufs, das Hemd für die schnellfüßigste Schöne, der Hut für den schnellfüßigsten jungen Mann. Auf der andern Seite des Hintergrundes hat eine ähnliche Festlichkeit statt gefunden. Der Sieger wird dort auf den Schultern der Menge bereits erhoben.
Den Schluß, oder wenn man will, den Anfang des Ganzen bildet die glorreiche Fahne von Großbritannien, welche auf dem Kirchenthurm über aller Kunstübung, allem Unfug u. s. w. schützend weht.
- ↑ Byron definirt deßhalb England als das Land Where Punch (hard duty!) kill’s the devil, wo Punsch (ein schwerer Dienst) den Teufel gar erschlägt u. s. w.