LXIV. Salamis Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Zweiter Band (1835) von Joseph Meyer
LXV. Der Haag
LXVI. Diodati am Genfersee
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HAAG

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LXV. Der Haag.




Von welcher Seite man sich Holland’s Königstadt nähert, immer geht der Weg an Canälen hin, deren größte die bedeutendsten Städte Nordholland’s, den Haag, Amsterdam, Rotterdam und Leyden verbinden, und die wieder viele kleinere durchschneiden. Bald sind sie auf beiden Seiten besetzt mit Linden oder dunkelschattenden Rüstern, bald eingefaßt vom grünen Teppich fetter Wiesen. Immer aber beleben sie Nachen und Schiffe, deren weiße Segel und langflatternde Wimpel sich auf der unabsehlichen Ebene vielfach durchkreuzen. Kein Hügel hemmt die Aussicht, nur der Horizont beschränkt sie, und Kirchthürme und Windmühlen, bald gruppenweise hinter und neben einander, bald einzeln, blicken in allen Richtungen aus Gebüsch, oder Obsthainen, in unzählbarer Menge hervor. Von Strecke zu Strecke trifft man an den Kanälen Ziegelbrennereien, große Anlagen mit oft ¼ Stunde langen, reinlichen Gebäuden, und Kayen, an denen Schiffe löschen und laden, oder man sieht zwischen Muschelbergen, (die von dem nahen Strande herbeigeführt werden) unförmliche Kalköfen, deren Rauchfänge hohen Thürmen gleichen, und deren Daseyn schon in halbstündiger Entfernung ein erstickender Schwefelgeruch und dicke, schwere, schwarze Rauchwolken verkünden. – Die Dörfer sind meistens groß, alle reinlich und zierlich gebaut, städtischen Ansehens und tragen der Wohlhabenheit Stempel. Da wo wichtige Schleußenwerke erbaut sind, oder Hauptkanäle sich kreuzen, sieht man zuweilen mächtige Schanzen emporsteigen, – gemeinlich ein viereckiger Wall, durch welchen eine wohlverwahrte Zugbrücke über volle Wassergräben in einen Raum führt, der nichts als einige Kasernen hat, die Herberge für einen Kriegerhaufen, und ein bombenfestes Magazin zum Bewahren von Mund- und Kriegsbedarf. Schauerlich gucken aus den Schießscharten der hohlen Wälle die ehernen Rachen der Kanonen und unheimlich thürmen sich die schwarzen Kugelpyramiden auf den spärlich begrasten Höfen. Diese Vesten bilden einen düstern Contrast mit der lachenden Landschaft, denn diese hat den unverkennbaren Ausdruck aller Segnungen langen Friedens. – Die Landstädtchen dieser Gegend Holland’s (und fast alle paar Meilen führt der Weg durch ein solches!) verrathen die äußerste Behaglichkeit und sind so ziemlich gerade das Gegentheil von dem, was man sich unter einem Landstädtchen in Deutschland gemeiniglich vorstellt. Ihre breiten Straßen sind mit genau in einander gekütteten, glatten Backsteinen gepflastert und scheinen mehr gemeinsame Hausehren zu seyn, als eigentliche Straßen, so reinlich sind sie. Man tritt auch aus den Häusern ohne Treppen oder Stufen auf dieselben. Schmucke Becker- und Metzgerläden, [43] buntfarbige Zeugboutiken, glänzende Gold- und Silberschmidtsschränkchen reihen sich eins an’s andere in den Hauptstraßen und laden den Vorübergehenden zum Kaufen ein. Das Pflaster vor jedem Hause ist vielfarbige Mosaik, gemeinlich mit einem niedrigen Stacket eingefaßt, hinter dem ein Tischchen und zierliche Bänkchen stehen, wo an schönen Abenden die Familie ihren Thee genießt. Die Häuser sind fast ohne Ausnahme nur einstöckig und geben immer nur einer Familie Raum. Alle Fenster blitzen von Reinlichkeit wie venetianisches Spiegelglas und lassen befranzte, schneeweiße Vorhänge durchschimmern, die die holländische Hausfrau wöchentlich wechselt. Ist’s Sonnabend – dann sieht man die weibliche Bevölkerung emsig beschäftigt, die Straße, Geländer, Thüren und Thürpfosten, Fenster und Fenstereinfassungen mit Lauge abzuwaschen, die Pflaster-Mosaik vor den Thüren mit bunten Farben zu erneuern, oder die Männer den Anstrich ihrer Hauswände ausbessern: – so daß jeden Sonntag Morgen das ganze Städtchen wie in einem neuen Kleide prangt. Selbst im stärksten Regenwetter findet man in den nordholländischen Orten nur Nässe – nirgends Koth.

Näher zum Haag hin wird die Gegend so bebaut und so bewohnt, daß man selten bemerken kann, welches das letzte Haus des einen, oder das erste des andern Dorfes ist. Einzelne, malerisch liegende Landgüter verbinden sich den verschiedenen Ortschaften durch Alleen von Fruchtbäumen oder Rüstern. Reiset man des Nachts, so blinken auf der unabsehbaren Fläche unzählige Lichter, die jeden Augenblick sich verstecken, wieder erscheinen und verschwinden. Je näher der Residenz, je stattlicher werden die Landhäuser, (schöner noch als die um Amsterdam) und schon 2 Stunden vom Haag drängen sie sich dicht an einander; unmerklich reihen sie sich endlich zu breiten, herrlichen Straßen, in der Mitte von spiegelnden Wasserflächen durchzogen, und man befindet sich in der Hauptstadt, – ohne es selbst recht zu wissen. – Denn obschon Residenz eines Königs und eine der prächtigsten Europa’s, hat es keine Thore, und selbst ohne städtische Rechte nennt es sich das schönste Dorf der Erde.

Haag ist aber wirklich ein Ideal von einer schönen und angenehm gebauten Stadt. Die nicht zu großen, aber recht heiteren Häuser, die langen, schnurgeraden, prächtigen Straßen, die großartigen freien Plätze, die herrlichen Baumpflanzungen und schattigen Spaziergänge an der Seite der breiten, von Schiffen und Gondeln belebten Kanäle, die reine Luft endlich, welche man hier athmet (sie wird für die gesündeste Holland’s gehalten), verbunden mit allen Vortheilen, welche der Aufenthalt eines großen und kunstsinnigen Hofs, der die geistreichsten, gebildetsten Männer seines Reichs und des Auslandes um sich versammelt, machen Haag unstreitig zum interessantesten und genußreichsten Aufenthalt in ganz Holland.

Haag hat fast gar keine Fabriken und der lebhafte Verkehr und die Nahrung der bürgerlichen Stände ist lediglich auf die Bedürfnisse des Hofs und der Klasse der Beamten hingewiesen, welche hier, dem Sitze sämmtlicher Centralbehörden des Reichs, nothwendig sehr zahlreich seyn muß. 40,000 Einwohner leben in 6000 Häusern. [44] Unter den Gebäuden ist der königliche Palast das Merkwürdigste. Es ist ein sehr weitläufiges, zu verschiedenen Zeiten errichtetes, unregelmäßiges Gebäude, dessen ältester Theil (der Binnenhof) der alte Palast der Prinzen von Oranien war. – Hier versammeln sich auch die Generalstaaten, die Stände Holland’s. – Sehenswerth ist in demselben des Königs Privatbibliothek (90,000 Bände), eine der kostbarsten und an seltenen Drucken und Manuscripten reichsten Europa’s; – ferner das eben so kostbare Münzkabinet (75,000 Nummern) und die Gemäldegallerie, die schönsten Werke der Niederländer Schule von ihrem Beginnen bis auf unsere Zeit enthaltend. Das gleichfalls im Palaste aufgestellte Museum für Naturgeschichte wurde von Napoleon nach Paris gebracht; nach dem Sturze dieses großen Mannes aber zurückgegeben. Es wird für das vollständigste in Bezug auf die organische Natur Asien’s gehalten. – Eines Besuches werth sind das sehr große und trefflich eingerichtete Cadettenhaus, das Erziehungshaus für Soldatenkinder und die königliche Stückgießerei, ein ungeheures Gebäude, vielleicht das größte zu diesem Zwecke in Europa. Ueber dem Portico desselben nennt eine Inschrift als Zweck desselben – Erhaltung des Friedens! Leider hat sich das königliche Mittel noch nicht bewährt!

Ja der Nähe Haag’s ist der Palast im Busch, als Sommerresidenz des Monarchen, betrachtungswerth. Der Busch ist ein ungekünstelter, etwa 2 Stunden großer, prachtvoller Eichenwald, den einige schöne Grasplätze schmücken und breite Alleen mit der Stadt verbinden. Hirsche und Rehe weiden vertraulich, ungeachtet der Nähe der Stadt und der dicht vorbeiführenden, stets von Spaziergängern besuchten Wege, am Saume des Gehölzes. Eine unabsehbare Reihe von stattlichen Häusern mit lieblichen Gärten machen Fronte gegen die nach der Stadt führende Hauptstraße und dienen den Haagern zu den angenehmsten Sommerwohnungen. In den verschlungenen Schattengängen des Busches sind im Sommer – ähnlich wie im Prater der Wiener – hunderte von Restaurateursbuden aufgeschlagen, und jeder schöne Tag versammelt hier viele Tausende zu Freude und Genuß. Des Königs Haus im Busch ist ein kleines, anspruchloses Schlößchen mit wenigen Wirthschaftsgebäuden, und die innere Einrichtung um nichts prächtiger, wie die der benachbarten Häuser reicher Privatleute. Der Audienzsaal allein erinnert an die Wohnung eines Monarchen über eine der größten, obschon nicht zahlreichsten, Nationen der Erde. Er ist kuppelförmig überwölbt und erhält sein Licht von oben, so daß die Hauptmasse auf den strahlenden Königsthron fällt. Die Mauerbekleidung bilden Gemälde, – Werke vaterländischer Meister, – welche mit ihrem Pinsel die Heldenthaten des Volks verherrlichen, dessen Repräsentant hier den Vertretern fremder Nationen das Ohr leiht. Gewiß eine eben so angemessene als würdige Ausschmückung.