Seite:Meyers Universum 2. Band 6. Auflage 1835.djvu/87

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

buntfarbige Zeugboutiken, glänzende Gold- und Silberschmidtsschränkchen reihen sich eins an’s andere in den Hauptstraßen und laden den Vorübergehenden zum Kaufen ein. Das Pflaster vor jedem Hause ist vielfarbige Mosaik, gemeinlich mit einem niedrigen Stacket eingefaßt, hinter dem ein Tischchen und zierliche Bänkchen stehen, wo an schönen Abenden die Familie ihren Thee genießt. Die Häuser sind fast ohne Ausnahme nur einstöckig und geben immer nur einer Familie Raum. Alle Fenster blitzen von Reinlichkeit wie venetianisches Spiegelglas und lassen befranzte, schneeweiße Vorhänge durchschimmern, die die holländische Hausfrau wöchentlich wechselt. Ist’s Sonnabend – dann sieht man die weibliche Bevölkerung emsig beschäftigt, die Straße, Geländer, Thüren und Thürpfosten, Fenster und Fenstereinfassungen mit Lauge abzuwaschen, die Pflaster-Mosaik vor den Thüren mit bunten Farben zu erneuern, oder die Männer den Anstrich ihrer Hauswände ausbessern: – so daß jeden Sonntag Morgen das ganze Städtchen wie in einem neuen Kleide prangt. Selbst im stärksten Regenwetter findet man in den nordholländischen Orten nur Nässe – nirgends Koth.

Näher zum Haag hin wird die Gegend so bebaut und so bewohnt, daß man selten bemerken kann, welches das letzte Haus des einen, oder das erste des andern Dorfes ist. Einzelne, malerisch liegende Landgüter verbinden sich den verschiedenen Ortschaften durch Alleen von Fruchtbäumen oder Rüstern. Reiset man des Nachts, so blinken auf der unabsehbaren Fläche unzählige Lichter, die jeden Augenblick sich verstecken, wieder erscheinen und verschwinden. Je näher der Residenz, je stattlicher werden die Landhäuser, (schöner noch als die um Amsterdam) und schon 2 Stunden vom Haag drängen sie sich dicht an einander; unmerklich reihen sie sich endlich zu breiten, herrlichen Straßen, in der Mitte von spiegelnden Wasserflächen durchzogen, und man befindet sich in der Hauptstadt, – ohne es selbst recht zu wissen. – Denn obschon Residenz eines Königs und eine der prächtigsten Europa’s, hat es keine Thore, und selbst ohne städtische Rechte nennt es sich das schönste Dorf der Erde.

Haag ist aber wirklich ein Ideal von einer schönen und angenehm gebauten Stadt. Die nicht zu großen, aber recht heiteren Häuser, die langen, schnurgeraden, prächtigen Straßen, die großartigen freien Plätze, die herrlichen Baumpflanzungen und schattigen Spaziergänge an der Seite der breiten, von Schiffen und Gondeln belebten Kanäle, die reine Luft endlich, welche man hier athmet (sie wird für die gesündeste Holland’s gehalten), verbunden mit allen Vortheilen, welche der Aufenthalt eines großen und kunstsinnigen Hofs, der die geistreichsten, gebildetsten Männer seines Reichs und des Auslandes um sich versammelt, machen Haag unstreitig zum interessantesten und genußreichsten Aufenthalt in ganz Holland.

Haag hat fast gar keine Fabriken und der lebhafte Verkehr und die Nahrung der bürgerlichen Stände ist lediglich auf die Bedürfnisse des Hofs und der Klasse der Beamten hingewiesen, welche hier, dem Sitze sämmtlicher Centralbehörden des Reichs, nothwendig sehr zahlreich seyn muß. 40,000 Einwohner leben in 6000 Häusern.