LXV. Der Haag Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Zweiter Band (1835) von Joseph Meyer
LXVI. Diodati am Genfersee
LXVII. Der Olymp
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DIODATI

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LXVI. Diodati am Genfersee.




Der Anblick des Meeres, dessen Unermeßlichkeit Welttheile zusammenknüpft, ergreift tief und ernst, wie der Anblick des Sternenhimmels; den entgegengesetzten Eindruck froh begeisternden Erstaunens bringt ein großer See hervor, den, umgeben von der Landschaft mannichfaltigen Gebilden, das Auge in seiner weitesten Ausdehnung bequem überschauen kann. Der Genfersee giebt diesen wohlthuenden Eindruck im höchsten Maße. Groß genug, um den Begriff von der Majestät des Elements zu wecken, sind doch seine Ufer nicht zu weit getrennt, um einen Ueberblick der Gestade zu hindern, wo die Natur in ihrem höchsten Schmucke und in der reizvollsten Abwechselung weilt und die prachtvollsten Perspektiven, deren Hintergründe eine Gebirgswelt in ihrer glänzendsten Herrlichkeit bilden, in jeder Richtung sich öffnen. Kein Wasserbecken der Alpen, deren jedes durch besondere Vorzüge erfreut, vereinigt so vollkommen das Grandiose mit dem Schönen und Matthisson’s begeisternde Hymne:

Es hieß einst aus des Chaos alter Nacht
     Der Herr, so weit des Leman’s Fluthen wallten,
Voll sanfter Anmuth, voll erhab’ner Pracht,
     Sich zauberisch ein Paradies entfalten!

Dieß stolz-umthürmte Land, gleich Tempe’s Flur
     Mit jedem Reiz der Schöpfung übergossen!
Dieß Wunderwerk der göttlichen Natur,
     Von Schönheit, wie vom Glanz der Sonn’ umflossen![WS 1]

findet in der Seele jedes empfänglichen Beschauers ihr Echo.

Genf und Lausanne, die größeren unter den Städten am See, sind zu allen Jahreszeiten der Aufenthaltsort fremder, reicher Familien aus allen Ländern, die sich nicht selten für immer hier niederlassen. Noch mehre suchen in den reizenden Villen, die die Ufer schmücken, stillern Lebensgenuß und viele dieser heimischen und romantischen Plätzchen wurden als Aufenthalt großer und ausgezeichneter Männer berühmt. So Diodati, Villa und Park nahe bei Genf, ein „Paradies im Paradiese.“ Hierher floh Byron, England’s größter, unglücklichster und unsittlichster [46] Dichter, voll unheilbarem Schmerz und verzweifelndem Leiden, voll Lebensüberdruß und Menschenhaß, nach der Trennung von einem edlen, gemißhandelten Weibe zur Bekämpfung seines Jammers. Und es schien auch anfänglich, es würde ihm damit gelingen. Laut rühmte er des Ortes Wunderkraft für die Heilung seiner Seele und er erklärte der Welt, der klare Strom des Genfersees übe auf ihn eine lethische Wirkung und mache ihn die trüben Wasser der Welt vergessen. Er führte hier ein idyllisches Daseyn. Oft durchstrich er Tage lang in einer Gondel allein den See, oder durchwanderte der Hochalpen schauerlichste Oeden. Doch nur so lange als der Reiz der Neuheit diesen exzentrischen Genuß der Natur würzte, – nur so lange auch fühlte er sich hier wohl! Mit dem Augenblick, in welchem dieser Reiz verschwand, ward die Wirkung der erstaunenswürdigen und reizvollen Landschaft, welche ihn umringte, eine wahrhaft satanische auf das Gemüth dieses außerordentlichen Menschen. In den Eisfeldern und Gletschern suchte er, nach seinem eigenen Geständniß, für den Brand der ungeheuersten Leidenschaften Nahrung und in den lieblichsten Thälern, wo Unschuld wohnt, die schauerlichen Vorstellungen von Verhältnissen und Charakteren, Lastern und Greueln, Unnatur und Verworfenheit, wie er sie in seinen spätern Werken so entsetzenerregend vorführt. – Schon nach einigen Monaten enteilte der Unglückliche, wie von Furien getrieben, dem reizenden Diodati, das ihn noch kurz zuvor entzückt hatte, und suchte in Italien’s hesperidischen Gegenden und später auf einer kleinen Insel des Archipels die Ruhe, die ihm, dem mit sich und der Natur für immer Zerfallnen, nirgends mehr werden konnte. Rastlos irrte er von Land zu Land, bis ihn der Vulkan des Krieges verschlang, in welchem er, der für die äußersten Gegensätze Begeisterte, voll Freiheitswonne und Tyrannenhaß, der erhabensten Idee ein freiwilliges Opfer, heldenmüthig sich stürzte[1].





  1. Lord Byron starb in Missolunghi am 19. April 1824. Er hatte sich nach Griechenland begeben, um Vermögen und Leben im heiligen Kampfe der Hellenen für die Freiheit zu wagen. Noch bewahrt Missolunghi sein Herz in einem Mausoleum.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Friedrich von Matthisson: Der Genfersee. In: Gedichte. Ausgabe letzter Hand. Zürich 1821 Google