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Dichter, voll unheilbarem Schmerz und verzweifelndem Leiden, voll Lebensüberdruß und Menschenhaß, nach der Trennung von einem edlen, gemißhandelten Weibe zur Bekämpfung seines Jammers. Und es schien auch anfänglich, es würde ihm damit gelingen. Laut rühmte er des Ortes Wunderkraft für die Heilung seiner Seele und er erklärte der Welt, der klare Strom des Genfersees übe auf ihn eine lethische Wirkung und mache ihn die trüben Wasser der Welt vergessen. Er führte hier ein idyllisches Daseyn. Oft durchstrich er Tage lang in einer Gondel allein den See, oder durchwanderte der Hochalpen schauerlichste Oeden. Doch nur so lange als der Reiz der Neuheit diesen exzentrischen Genuß der Natur würzte, – nur so lange auch fühlte er sich hier wohl! Mit dem Augenblick, in welchem dieser Reiz verschwand, ward die Wirkung der erstaunenswürdigen und reizvollen Landschaft, welche ihn umringte, eine wahrhaft satanische auf das Gemüth dieses außerordentlichen Menschen. In den Eisfeldern und Gletschern suchte er, nach seinem eigenen Geständniß, für den Brand der ungeheuersten Leidenschaften Nahrung und in den lieblichsten Thälern, wo Unschuld wohnt, die schauerlichen Vorstellungen von Verhältnissen und Charakteren, Lastern und Greueln, Unnatur und Verworfenheit, wie er sie in seinen spätern Werken so entsetzenerregend vorführt. – Schon nach einigen Monaten enteilte der Unglückliche, wie von Furien getrieben, dem reizenden Diodati, das ihn noch kurz zuvor entzückt hatte, und suchte in Italien’s hesperidischen Gegenden und später auf einer kleinen Insel des Archipels die Ruhe, die ihm, dem mit sich und der Natur für immer Zerfallnen, nirgends mehr werden konnte. Rastlos irrte er von Land zu Land, bis ihn der Vulkan des Krieges verschlang, in welchem er, der für die äußersten Gegensätze Begeisterte, voll Freiheitswonne und Tyrannenhaß, der erhabensten Idee ein freiwilliges Opfer, heldenmüthig sich stürzte[1].





  1. Lord Byron starb in Missolunghi am 19. April 1824. Er hatte sich nach Griechenland begeben, um Vermögen und Leben im heiligen Kampfe der Hellenen für die Freiheit zu wagen. Noch bewahrt Missolunghi sein Herz in einem Mausoleum.