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LXVI. Diodati am Genfersee.




Der Anblick des Meeres, dessen Unermeßlichkeit Welttheile zusammenknüpft, ergreift tief und ernst, wie der Anblick des Sternenhimmels; den entgegengesetzten Eindruck froh begeisternden Erstaunens bringt ein großer See hervor, den, umgeben von der Landschaft mannichfaltigen Gebilden, das Auge in seiner weitesten Ausdehnung bequem überschauen kann. Der Genfersee giebt diesen wohlthuenden Eindruck im höchsten Maße. Groß genug, um den Begriff von der Majestät des Elements zu wecken, sind doch seine Ufer nicht zu weit getrennt, um einen Ueberblick der Gestade zu hindern, wo die Natur in ihrem höchsten Schmucke und in der reizvollsten Abwechselung weilt und die prachtvollsten Perspektiven, deren Hintergründe eine Gebirgswelt in ihrer glänzendsten Herrlichkeit bilden, in jeder Richtung sich öffnen. Kein Wasserbecken der Alpen, deren jedes durch besondere Vorzüge erfreut, vereinigt so vollkommen das Grandiose mit dem Schönen und Matthisson’s begeisternde Hymne:

Es hieß einst aus des Chaos alter Nacht
     Der Herr, so weit des Leman’s Fluthen wallten,
Voll sanfter Anmuth, voll erhab’ner Pracht,
     Sich zauberisch ein Paradies entfalten!

Dieß stolz-umthürmte Land, gleich Tempe’s Flur
     Mit jedem Reiz der Schöpfung übergossen!
Dieß Wunderwerk der göttlichen Natur,
     Von Schönheit, wie vom Glanz der Sonn’ umflossen![WS 1]

findet in der Seele jedes empfänglichen Beschauers ihr Echo.

Genf und Lausanne, die größeren unter den Städten am See, sind zu allen Jahreszeiten der Aufenthaltsort fremder, reicher Familien aus allen Ländern, die sich nicht selten für immer hier niederlassen. Noch mehre suchen in den reizenden Villen, die die Ufer schmücken, stillern Lebensgenuß und viele dieser heimischen und romantischen Plätzchen wurden als Aufenthalt großer und ausgezeichneter Männer berühmt. So Diodati, Villa und Park nahe bei Genf, ein „Paradies im Paradiese.“ Hierher floh Byron, England’s größter, unglücklichster und unsittlichster

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Friedrich von Matthisson: Der Genfersee. In: Gedichte. Ausgabe letzter Hand. Zürich 1821 Google