Der Geschmack der großen Welt

Der Eid und das Kind in spe W. Hogarth’s Zeichnungen, nach den Originalen in Stahl gestochen/Zweite Abtheilung (1840) von Franz Kottenkamp
Der Geschmack der großen Welt
Ausmarsch der Truppen nach Finchley
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Der Geschmack der großen Welt.
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DER GESCHMACK DER GROSSEN WELT.
TASTE IN HIGH LIFE.

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Der Geschmack der großen Welt.
(Taste in high life.)
1742.




Dies Blatt ist vielleicht das einzige unter den Werken des Künstlers, worin er die Ideen eines Andern ohne die geringste Zuthat seiner eigenen Einfälle durchführte. Es wurde auf die Bestellung einer Dame von Vermögen, der Miß Edwards, entworfen, die in der damals fashionablen Gesellschaft durch ihr excentrisches Wesen (Whimsicalness) bekannt geworden war, womit sie die sicherlich weder schönen noch natürlichen Formen jener Zeiten übertrieb. Wie es scheint, lag jedoch einiger Humor dabei zum Grunde, denn bei vorliegendem Bilde hatte sie nicht allein ihr eigenes Porträt von dem Künstler verlangt, sondern auch alle übrigen Einzelnheiten, wie man sie hier erblickt, bis in’s Genaueste angegeben. – Für die Ausführung erhielt Hogarth sechzig Guineen. Ferner wurde dem Künstler auch die Bedingung gemacht, daß er keine Abdrücke verfertigen dürfe. Ein anderer Maler verschaffte sich [688] jedoch durch die Bestechung eines Bedienten von Miß Edwards die Gelegenheit, eine Copie zu nehmen, worauf die Kupferstiche ohne Zuthun von Hogarth verkauft wurden. – In den sechziger Jahren wurde das Gemälde nach dem Tode der Bestellerin öffentlich versteigert, und kam in den Besitz einer Familie Birch. Wo es sich jetzt befindet, läßt sich für den Augenblick nicht angeben.

Die porträtirte Besitzerin des Gemäldes im Reifrock und in allem Schmuck der Pompadour ist mit einem Stutzer jener Zeiten in Darstellung jener zierlichen Complimente der altfranzösischen Höflichkeit begriffen, denen jedoch die steiferen Glieder eines Engländers sich niemals durchaus zu fügen vermochten, und die auch als nutzlos bei Seite gelassen wurden, so bald die Briten ihren nationalen Typus des Stutzers, den sogenannten Dandy, erfunden hatten. Beide zusammen bewundern hier die Schönheit einer chinesischen Tasse, und wahrscheinlich vor Allem das darauf befindliche Gemälde als den Gipfelpunkt der bildenden Kunst. Dieser Herr, das Muster eines Briten, der als Beau seinen Geschmack am französischen Hofe geläutert, sein Habit Habillé, seinen colossalen Muff, den Zopf und die Taubenflügel, so wie seinen Spazierstock und die Schuhe mit rothen Absätzen zur Nacheiferung seiner Landsleute aus Versailles mit herübergebracht hat, ist eben so, wie die Dame, ein Porträt, jedoch nur ein unfreiwilliges, welchem diese Bestellung seiner Freundin durchaus nicht gefallen haben soll. Es ist der damalige Lord Portmore, ein erblicher Gesetzgeber jener Classe, welche Sheridan als die zum Schmucke dienenden Pfeiler des Staates (ornamental pillars of the state) bezeichnet hat[1].

Als Seitenstück steht vor Lord Portmore ein nach jener Mode geschmückter Affe, welcher in andrer Art, obgleich mit demselben Eifer, sich den Moden des Tages hingibt. Er scheint einen Speisezettel à la Franςaise zu studiren, worin ein genügender Gegensatz zur englischen Küche geboten wird. Die Gerichte sind theilweise nach Art der antiken römischen Verschwendung aufgeführt: Hahnen-Kämme und Kaninchen-Ohren [689] (Cox-combs & rabbit’s-ears); es fehlen aber auch nicht die Fricassé’s (Fricasseys), jenes Gericht, das bei John Bull damals für eben so sehr französisch-national galt, wie die Froschschenkel. Hier ist noch eine andere französische Delicatesse in den Schnecken hinzugefügt, woraus das Fricassé besteht. Der untere Theil des Speisezettels wird durch den Kopf des Affen halb verdeckt. Man sieht deßhalb nur die Worte: Grande, oeuts Beurre. Das oeuts soll wahrscheinlich oeufs heißen; vielleicht hat Hogarth nach seiner französischen Sprachkenntniß für oeufs wirklich so geschrieben, vielleicht auch stammt diese Lesart von dem Copisten des Originalgemäldes.

Hinter der Miß Edwards steht eine junge Dame mit ächt englischen und anziehenden Gesichtszügen, welche der Mode des Tages sich ebenfalls fügt, indem sie der schwarzen Farbe vor der weißen den Vorzug ertheilt. Ein Negerknabe erfreut sich anstatt eines Briten ihrer Liebkosungen. Dieser Geschmack ist freilich ein wenig extravagant, stimmt jedoch mit der Fashion von 1742 in so fern überein, als die Auswahl der Neger zu Grooms, Lakaien u. s. w. von den aristokratischen Ständen damals für höchst geschmackvoll und distinguirt gehalten wurde. Dieser Othello en miniature besitzt übrigens ebenfalls eine damals distinguirte Bildung, denn er spielt mit einem Modeartikel zur Ausschmückung des Zimmers, mit einem chinesischen Götzen oder Mandarin aus Porcellan.

Die übrigen Zuthaten stimmen mit den erwähnten Figuren vollkommen überein. Vor Allem fällt ein großes Gemälde an der Wand in die Augen, wo ein Mangel der antiken Kunst, welche weder mit dem Corsett noch mit den Beinkleidern bekannt ist, theilweise verbessert wird. Die mediceische Venus, deren Postament die Inschrift trägt: Mode von 1742, hat ersteres erhalten, und ist ohnedem mit einem Reifrock von genügendem Umfange vorn umringt. Ein Liebesgott, in jenem Geschmack der Zeiten Ludwigs XV., (den man unter dem Namen Rococo gegenwärtig wieder hervorgesucht hat,) eine bis in’s Unendliche angebrachte Verzierung, sucht die Taille einer Dame in antikem Costüme zu verbessern; ein anderer hat ein vernünftigeres Verfahren begonnen, denn er schürt [690] mit einem Blasebalge das Feuer eines Scheiterhaufens an, worauf Perrücke, Reifrock u. s. w. geopfert werden. Seitwärts von diesem Bilde hängen zwei andere: das eine stellt, als Ideal der männlichen Grazie, einen Tänzer in Ballet-Kleidung dar, von Schmetterlingen umgeben. Beide Artikel werden auf der Inschrift als Insekten bezeichnet. An der andern Seite hängt eine Musterkarte von Modeartikeln, Perrücken mit Haarbeutel, Zopf und Taubenflügeln, ein Reifrock, ein Muff, Solitär, französische Schuhe mit hohen und rothen Absätzen. Unter diesem Bilde erblickt man eine im Park spazierende Dame, deren Reiz durch einen pyramidenförmigen Reifrock gehoben wird; als Gegenstück hängt auf der andern Seite ein Blinder, der durch die Straßen zieht. Beide müssen wenigstens mit derselben Behutsamkeit einherschreiten.

Ein Ofenschirm ist mit einer Portechaise ausgeschmückt, worin der Kopf einer Dame, gleichsam in einem Dreieck eingeklemmt, zum Vorschein kommt. Auf der andern Seite unter dem Hauptgemälde steht eine chinesische Vase: auf dem Boden unter dem Mohrenknaben ist eine Pyramide von Kartenspielen erbaut, und darunter liegt die Quittung für Letztere, 300 Pfund von Miß Edwards unter dem Namen des Kartentrumpfs Basto (Lady Basto) an Herrn Pip (Kartenauge) bezahlt. – Endlich ist noch ein Zug der englischen Whimsicalness auf dem Blatte zu bemerken. Die Dame des Hauses hält sich als Lieblingsthier eine Maus, und hat derselben ein Ruhebett auf einem battistenen Tuch über einem seidenen Kissen bereiten lassen.




  1. Im Trip to Scarborough.