Textdaten
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Autor: Carus Sterne
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Titel: Das Geheimniß der Rose
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aus: Die Gartenlaube, Heft 27, S. 450-453
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1877
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Das Geheimniß der Rose.


„Im Rosenbeete strahlt Geheimniß,
Und in den Rosen liegt’s verborgen,“

so versichert ein persischer Dichter des dreizehnten Jahrhunderts, und dem deutschen Mittelalter galt die Rose bekanntlich als das Sinnbild des Verschweigens und vollkommensten Geheimhaltens. Man liest den Spruch: „Was wir all hier kosen – das bleibe unter den Rosen“ nicht selten auf altdeutschen Trinkgeschirren und findet die Rose als Sinnbild der Verschwiegenheit nicht allein an alten Beichtstühlen (z. B. in den Domen von Worms und Wien), sondern auch an der Decke der Versammlungssäle des Raths (z. B. in Lübeck), am häufigsten aber an den Gewölben der Rathskeller angebracht zur Erinnerung, daß Alles, was man hier mit vom Weine gelösten Zungen geredet, eben sub rosa gesprochen sei, „unter der Rosen oder bichtwyß“, wie Murner

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Rosen-Motiv aus dem Ruprechtsbau des Heidelberger Schlosses.
Nach der Natur aufgenommen von E. Schmidt.

[452] verdeutscht. Um den Gebrauch der Rose als Symbol des Geheimnißvollen auf das Alterthum zurückzuführen, hat man die Mythe erfunden, Amor habe im Auftrage seiner Mutter dem Gotte des Stillschweigens die Rose gewidmet, um seine Verschwiegenheit über gewisse „unter den Rosen“ geschehene Dinge zu erkaufen, und hat diese dem Gotte des Schweigens gegenüber etwas sonderbare Vorsicht in einem lateinischen Epigramme gefeiert, dessen ungeschickte Uebersetzung an der linken Seitenwand des Bremer Rathskellers zu lesen steht, während eine etwas bessere lautet:

Rose, Blume der Venus, dich gab dem Harpokrates Eros,
Daß im Verborgenen bleib, was seine Mutter gefehlt.
Darum hängt der Wirth die Rose über die Tafel,
Daß, was darunter gesagt, weise verschweige der Gast.

Jedenfalls hängt mit diesen indogermanischen, wie Schleiden glaubt, auf die Rosenhage der Landtagsversammlungsorte bezüglichen Anschauungen der alte Gebrauch zusammen, die Rose im Petschaft und als Abzeichen geheimer Gesellschaften zu führen. Hierher gehören die mannigfachen Rosen- und Rosenkreuzerorden, die zum Theil sehr frivoles Treiben unter der Wappenblume der Verschwiegenheit bargen, besonders aber die Bauhütten des Mittelalters, die dieses Bundessymbol den Freimaurern vererbt und an manchen Bauwerken verewigt haben. So sieht man über dem Eingange zum Ruprechts-Bau des Heidelberger Schlosses das auf unserer Abbildung wiedergegebene Wappen, einen von zwei Engeln getragenen Kranz aus fünf Rosen, in welchen einer derselben einen halbgeöffneten Cirkel einsetzt, als wolle er andeuten, daß ein tiefes mathematisches Geheimniß in diesen Rosen, deren Fünfzahl offenbar bedeutsam ist, ruhe. Mit diesem mathematischen Geheimniß wollen wir uns heute beschäftigen.

Die Rose galt nicht weniger als Symbol der Mystik oder des religiösen Geheimnisses, als der Kunstgeheimnisse und des Räthselhaften überhaupt, und die Meistersinger, die in der Regel zugleich Räthselschmiede waren, hingen einen Rosenkranz als Preis für die Lösung der von ihnen aufgegebenen Versräthsel auf und begannen ihren Vortrag mit einer Aufforderung, die wohl mehr oder weniger meist der folgenden von Uhland mitgetheilten glich:

Nun rathet, ihr Meister, was es sei!
Mein Kränzlein hänget auf dem Plan
Und ist gemacht von edlen Rosen roth!
Wer mir auflöset diesen Bund,
Mein Kränzlein er von mir gewonnen hat.

In einem dieser Volksräthsel, welches aber wohl nicht allzuweit zurückreicht, dennoch in verschiedenen Gestalten umläuft, tritt uns die Rose selbst als das Räthsel entgegen, dessen Auflösung wir später versuchen wollen. Es heißt:

Fünf Brüder sind’s zur gleichen Zeit geboren,
Doch zweien nur erwuchs ein voller Bart,
Zwei andern blieb die Wange unbehaart,
Dem dritten ist der Bart zur Hälft’ geschoren.

Oder: „Fünf Brüder von einer Art, – Zwei tragen einen ganzen Bart – Einer blos den halben – Zwei sind geschoren, – Und sind alle in Einer Nacht geboren.“ Die fünf gleichaltrigen Brüder, um deren Backenbärte es sich handelt, sind die fünf Kelchzipfel der Rose und schon Mancher von den Lesern dieses Aufsatzes dürfte die ungleiche Bartbildung derselben, die bei wilden und im Garten gezogenen Rosen mehr oder weniger deutlich – am schönsten freilich bei der Moosrose – hervortritt, mit Erstaunen beobachtet haben.

Nach der ersten Lösung, die wir hinter uns haben, wandelt sich dieses Rosenräthsel in die Frage: woher kommt diese Ungleichheit der fünf Brüder? Die Rosenknospe giebt uns die Lösung, indem sie erkennen läßt, daß die beiden bärtigen Brüder an ihr mit beiden Rändern nach außen, der halbbärtige halb nach innen, die beiden bartlosen dagegen gänzlich an den Rändern zugedeckt lagen, so daß wir zwei äußere und zwei innere Kelchblätter zu unterscheiden haben, nebst einem, welches den Uebergang von den äußern zu den innern macht. Aber siehe da, jetzt, da wir bei der zweiten Lösung stehen, geht das eigentliche Räthsel und Geheimniß der Rose erst an.

Wenn wir nämlich der Sache genauer nachforschen und das gefundene mit andern Blattstellungsverhältnissen vergleichen, so erkennen wir, daß es hier einen alleräußersten und einen allerinnersten Kelchzipfel giebt, und daß, wenn wir den ersteren mit Nr. 1 und den letzteren mit Nr. 5 bezeichnen, die natürliche Reihenfolge nicht von Nachbar zu Nachbar fortschreitet, sondern daß wir immer einen oder zwei Zipfel überspringen müssen, um zum nächstfolgenden zu kommen, je nachdem wir in der einen oder in der andern Richtung herumzählen. Wir müssen also bei Verfolg des „kurzen Weges“, den wir bei Blattstellungsverhältnissen wie im Leben meistens vorziehen, zweimal im Kreise, oder genauer gesagt, in einer Uhrfederspirale herumgehen; die fünf Blätter sind auf zwei Windungen derselben vertheilt; sie stehen, um es mit zwei Zahlen zu bezeichnen, in 2/5-Stellung.

Wenn wir denselben Weg von der Spitze oder dem Grunde des ersten Zipfels zum zweiten in einer graden Linie zurücklegen, und so fortfahren bis zum letzten, so beschreiben wir mit einem Zuge ein Zeichen, mit welchem seit undenklichen Zeiten der Begriff eines großen Geheimnisses verknüpft worden ist, das Pentagramma oder den Drudenfuß. (Fig. 2.) Die Pythagoräer benützten diesen Linienzug als ihr geheimes Erkennungszeichen und setzten ihn über ihre Briefe; die Druiden der Celten trugen ihn als Abzeichen auf ihrem Priesterornate, und die Christen bannten damit den Teufel, weshalb Mephistopheles sagt: „Das Pentagramma macht mir Pein.“ Als den geheimnißvollen, kräftiger als selbst das Kreuzeszeichen wirkenden Charakter kann man das Pentagramm sogar in den Fensterrosen gothischer Kathedralen angebracht finden, z. B. der zierlichsten von allen, der Kirche Saint-Ouen zu Rouen. Ob es ein bloßer Zufall ist, der den geöffneten Cirkel am Heidelberger Schlosse in den Kranz von fünf Rosen setzte, und damit das aus fünf solchen Winkeln bestehende Pentagramm (d. h. Fünfwinkel) in eine mystische Beziehung zur Rose bringt, wissen wir nicht; jedenfalls ist das Pentagramm im Rosenkelche deutlicher ausgeprägt, als in irgend einem Naturdinge. Nirgends tritt uns verständlicher als im Rosenkelche die Wahrheit entgegen, daß die ganze Welt, wie die Bibel sagt, streng nach Maß und Zahl geordnet ist, und wir haben Recht, im Pentagramm eine geheimnißvolle Signatur der allwaltenden Gesetzlichkeit in der Welt zu erkennen.

Die durch das Pentagramm aus der Vogelperspective bezeichnete Zweifünftel-Blattstellung drückt nämlich in der einfachsten Form die gewöhnliche Regel aus, nach welcher die Blätter am Stengel und in den Blüthen einer sehr großen Anzahl Pflanzen vertheilt sind. Betrachten wir einen jungen Trieb des Brombeerstrauches, oder noch besser eine Ginsterruthe, so können wir, da beide fünfkantig sind, mit der größten Leichtigkeit verfolgen, daß, bei welchem Blatt des Stengels wir auch zu zählen anfangen, immer erst das sechste Blatt wieder über dem ersten steht, und daß wir hierbei auf dem „kurzen Wege“, wie bei der Rose, aber diesmal in einer etwas langgezogenen Propfenzieherlinie um den Stengel herumgegangen sind, bevor mit dem Sechsten Blatt ein neuer Cyklus beginnt. Der Genfer Naturforscher Bonnet, welcher die Gesetzmäßigkeit der Blattvertheilung um die Stengel zuerst bemerkte, glaubte darin das tiefe Geheimniß zu erkennen, durch welches der Schöpfer erreicht habe, allen so vertheilten Pflanzenblättern Regen und Sonnenschein, Thau und Wärme möglichst gleichmäßig zukommen zu lassen, und sagt: „Ich muß es gestehen, daß mich diese Vertheilungen der Blätter sehr gerührt haben, und ich habe mit innigstem Vergnügen die verehrungswürdige Weisheit bewundert, welche zu diesem Endzwecke so geschickte Mittel gewählt hat.“

Was würde der fromme Bonnet erst gesagt haben, wenn er erlebt hätte, welche Wunder die Botaniker Karl Schimper, der vor einigen Monaten heimgegangene Professor Alexander Braun u. A. in der Vertheilung der Blätter um die Pflanzenachsen entdeckt haben! Man bemerkte sehr bald, daß noch viele andere ähnliche Stellungsverhältnisse vorkommen, und daß, wenn man die am häufigsten beobachteten in gleicher Weise als Brüche niederschreibt, deren Zähler die Zahl der Umgänge bezeichnet, die man von Blatt zu Blatt herumgehend machen muß, bis man zu dem nächsten Blatte kommt, welches genau über dem ersten steht, deren Nenner aber die Zahl der auf diese Umgänge vertheilter Blätter angiebt, man die folgende Reihe erhalten wird: 1/2; 1/3; 2/5; 3/8; 5/13; 8/21; 13/34; 21/55 etc.

Man erkennt leicht, daß in dieser Reihe jeder Zähler und jeder Nenner gleich der Summe der beiden ihm vorausgegangenen Zähler oder Nenner ist, und läßt sich von einem Mathematiker weiter erklären, daß diese Reihe: 1; 2; 3; 5; 8; 13; 21 … eine sehr tiefsinnige ist; sofern sich die einzelnen Glieder fortschreitend immer mehr dem Verhältnisse des sogenannten [453] „goldenen Schnittes“ nähern, der eine gegebene Größe so theilt, daß sich der kleinere Theil zum größeren verhält, wie der letztere zur Summe beider, das heißt zum Ganzen. Ein deutscher Aesthetiker, Adolf Zeising, hat ausführlich dargethan, daß in der Annäherung der Formgliederungen an den goldenen Schnitt das Geheimniß aller „schönen Verhältnisse“ der Formen in Natur und Kunst liegt, und die alten Bauhüttenmeister hätten auch nach der ästhetischen Seite Recht gehabt, die Rose als das Symbol des schönen Ebenmaßes der bildenden Künste zu betrachten.

Von der 2/5-Stellung, die sich in allen fünfblätterigen Kelchen und Blumen wiederholt, sofern ihre Blätter als umgewandelte Stengelblätter betrachtet werden können, deren Schraubenspirale in eine Uhrfederspirale zusammengeschoben ist, haben wir schon Beispiele gesehen; die 1/2- und 1/3-Stellung gewahren wir bei den Pflanzen, deren Blätter, von oben herab gesehen, in zwei oder drei Reihen stehen, zu der letzteren Abtheilung gehören, der Blüthenbildung nach, die große Mehrzahl aller der Pflanzen, die mit einem Blatte keimen, wie Gräser, Palmen, Tulpen, Iris etc. Die 3/8-Stellung, bei der also acht Blätter auf drei Windungen um den Stengel vertheilt sind, finden wir bei den Blättern einiger Wegerich- und Lilienarten, sowie bei den schönen Dickpflanzen, mit denen wir unsere Teppichbeete verzieren (vergl. Fig. 4). Die böse Dreizehn finden wir unter Anderem in den grünen Hüllblättchen des als Liebesorakel benutzten Masliebchen und mehrerer Kreuzkrautarten, sowie in den Blumenblättern der Einerarien, die darauf folgende Einundzwanzig in den fleischigen Hüllblättern der Artischocke, die wir genießen, und in den trockenen Hüllblättern der Kornblume, über die wir uns freuen, und wir können an diesen letzteren Beispielen besonders gut erkennen, wie sich die fünf und acht Umgänge, um die es sich in diesen Fällen handelt, scheinbar (wie die beiden der Rose) zu einem einzigen Umgange zusammenschieben.

„Einundzwanzig schnurgerade Zeilen
Ziegelschuppig zeigt der Tannenzapfen,
Gleiches thut mit Nadel, denk’, die Fichte
Und die Föhre gar mit Nadelpärchen –“

so singt der Mitentdecker dieser Wunder Karl Schimper in seinem liebenswürdigen, „Flieder und Goldlack“ betitelten „poetischen Brief über Zahlen und Dinge“, in welchem er „Zumpt dem Kleinen gleich“ zur Nachhülfe des Gedächtnisses die augenfälligsten der in unserer Flora vorkommenden Zahlenverhältnisse aufgezählt hat. Sehr häufig geht ein und dieselbe Pflanze im Laufe ihrer persönlichen Entwickelung von einfacheren zu zusammengesetzteren Verhältnissen über. So beginnt der gemeine Löwenzahn, wie alle Zweiblattkeimer, mit dem einfachsten Verhältnisse (1/2), geht dann bei den Wurzelblättern zur 2/5-Stellung, im Kelch zur 5/13- und in den Blüthentheilen zur 8/21-Stellung über. Die höheren Glieder der oben angeführten Reihe: 21/55, 34/89, 55/144, 89/233 etc. erkennen wir in den prächtige Schraubenlinien um den Stamm bildenden Blattnarben der Siegel- und Schuppenbäume aus der Steinkohlenzeit, an dem künstlerisch vollendeten Pinienzapfen, mit welchem die Baumeister des Alterthums gern ihre Kuppelbauten krönten, in den streng nach der Regel angeordneten Stacheln der Kugel- und Igel-Cactusarten, in den herrliche Rosetten bildenden Blättern der Agaven- und Hauslaubarten, in den Blüthenscheiben der Korbblumen, deren größte, die Sonnenblume, schon dem Knaben, der ihre reifen Früchtchen verzehrt, eine Ahnung ihres erstaunlich abgezirkelten Baues erweckt. Von dem bienenwabenförmigen Blüthenboden der schönen Karlsdistel (Carlina) oder Eberwurz, die, fast stengellos im Boden wurzelnd, bei Gebirgspartien unsere Aufmerksamkeit erregt, von den Häkchen der Klette, welche die wilden Dorfbuben sich in’s Haar wirren, und von den Blüthchen und Früchtchen der Sonnenblume sagt unser poetischer Naturforscher:

„Fünfundfünfzig Reihen schöner Zellen
Schwingen da sich rein durch vierunddreißig,
Und es stehn die Löcher wie der Klette
Neunundachtzigfache Freundschaftshäkchen.
Höher steigend kreuzen gleicherweise
Bei der Sonnenblume fünfundfünfzig
Neunundachtzig Zeilen gold’ner Krüglein,
Hundertvierundvierzigfacher Richtung,
Wenn auch noch bei großen Sonnenblumen
Weiter selbst zweihundertdreiunddreißig
Strahlen einer blühenden Gesellschaft.“

Aus den letzteren Zeilen ersieht man, daß ein gewöhnlich vorkommendes Stellungsverhältniß nicht selten bei besonders kräftigen Exemplaren durch das nächst höhere ersetzt ist, aber der Unterschied ist, was den Winkelabstand des einen Blattes von dem andern folgenden anbetrifft, nicht erheblich, denn er nähert sich in all diesen höhern Gliedern immer mehr dem Durchschnittswinkel von 1371/2 Grad, der also in vielen tausend Fällen bei sonst gar nicht mit einander verwandten Pflanzen wiederkehrt.

Höchst selten nur bemerken wir beim Nachrechnen dieser ziemlich „knifflichen“ Exempel, daß sich die bildende Natur eines Rechenfehlers schuldig gemacht hätte, etwa einmal 234 Blüthen statt 233 auf 89 Umgänge vertheilt hätte. Man darf sich bei Bestimmung dieser Zahlen, z. B. an den Tannenzapfen, nicht irre führen lassen durch Nebenreihen, die oft viel stärker in’s Auge fallen, als die Grundspirale. Der Nenner des Bruches wird stets durch die Zahlen der genau senkrechten Reihen des Zapfens etc. ausgedrückt. Aber auch die Nebenspiralen ergeben stets Zahlen, die der Gesammtreihe angehören, und so ein Tannen- oder Pinienzapfen ist für den Mathematiker, der sich darauf versteht, ein Gegenstand andächtigen Studiums.

Das Geheimniß, in welches uns die Rose einführt, ist noch keineswegs endgültig gelöst. Die neuere Botanik hat Wichtigeres zu thun, als darüber zu grübeln, welches der letzte Grund sei, der bald dreizehn Blätter auf fünf Umgänge und bald neunundachtzig auf vierunddreißig vertheilt. Da es außerdem an Ausnahmen und Stellungsverhältnissen, die jener Reihe nicht angehören, nicht fehlt, so will sie die durch unzählige Beispiele verbürgte Regel kaum mehr für verbindlich anerkennen, womit sie freilich nur sich selber beschämt. Indessen ist die höchst wahrscheinlich richtige Erklärung dieser unser Erstaunen weckenden tiefen Gesetzmäßigkeit schon früher von dem Botaniker Hofmeister geahnt und in jüngster Zeit von J. Fankhauser dargelegt worden. Danach wäre die Ursache in einer höchst einfachen mechanischen Beeinflussung der immer an der Spitze des Pflanzentriebes entstehenden neuen Blattanlagen durch ihre nächstälteren Brüder zu suchen. Hofmeister bereits stellte die Regel auf, daß das neue Blatt immer über der größten Lücke entstehe, welche die beiden zuletzt vorhergegangenen Blättter zwischen sich lassen. wahrscheinlich weil auf diesem Grenzpunkte der Bildungstrieb am lebhaftesten ist. Wenn z. B., wie bei vielen Lippenblumen und Gentianen, immer zwei Blätter einander gegenüberstehen, so werden die nächsten beiden diese Stellung kreuzen. Stehen die ihren Einfluß übenden Blätter aber nicht auf gleicher Höhe am Stengel und sind sie deshalb ungleich kräftig, ist das jüngere in rascherer Entwickelung begriffen als das nächstältere, so sind die Bedingungen zu einer spiraligen Anordnung gegeben. Ist die Basis des jüngsten Blattes sehr verbreitert oder gar stengelumfassend mit gleich starken Rändern, so entsteht das nächste Blatt um 180 Grad von dem vorigen entfernt; die 1/2-Stellung der Gräser und anderer Monokotyledonen (Pflanzen mit einlappigem Samen), sowie einzelner Dikotyledonen (Gewächse mit zweilappigem Samen). Eine ebenso gleichmäßige Eintheilung in den Stengelumfang für eine Windung ist auch noch bei drei Blättern (1/3) möglich. Anders wird die Sache, wenn nicht nur zwei, sondern noch mehr Blätter ihren Einfluß auf die nachentstehenden äußern. Der ungleiche Einfluß derselben bedingt alsdann eine complicirtere Anordnung. Man muß zunächst daran denken, daß das vorletzte Blatt immer einen größeren Einfluß ausüben wird, als das vorvorletzte; daher entsteht das neue Blatt (aus der Vogelperspective gesehen) letzterem näher, und dieser Einfluß wird noch zusammengesetzter, wenn bei dichter Beblätterung des Stengels auch das viertletzte und folgende ein Wort mitzureden haben, wie dies bei einer gedrängten dachziegelschuppigen Anordnung der Fall ist. Darum wird also in diesen Fällen die Spirale eine windungsreichere werden.

Diese mechanische Erklärung befriedigt im Allgemeinen und bestätigt die Meinung Zeising’s, daß der Bildungstrieb der Proportion des goldenen Schnittes:

     1 : 2 : 3 : 5 : 8 : 13 : 21 : 34 etc.

folgt, weil dieselbe in der einfachsten Weise jedes Glied durch das nächste zum Ganzen in ein einfaches Verhältniß bringt. Aus diesem Grunde finden wir nicht nur die Pflanzenblätter nach dieser geheimen Mathematik, die uns am lesbarsten im Rosenkelche entgegentritt, geordnet, sondern Zeising konnte dieselben Gesetze des goldenen Schnittes auch in der Gliederung des menschlichen Körpers und in dem Ebenmaße aller Künste nachweisen.

Carus Sterne.