Textdaten
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Autor: Hermann Oelschläger
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Titel: Eine Harzer Bade-Erinnerung
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 27–28, S. 454–457, 473–477
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1877
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Eine Harzer Bade-Erinnerung.
Von Hermann Oelschläger.


Als ich, an einem heißen Juni-Mittag von Thale kommend, in den Speisesaal des Hôtel *** in Suderode trat, war die Table d’hôte schon im vollen Gange. Zwei lange Tafeln waren vollständig besetzt und mit Noth und Mühe ward mir an einer derselben noch ein bescheidenes Plätzchen zugewiesen. Die Teller klapperten, die Kellner flogen, und das Essen war erträglich. Wider Erwarten, denn im Allgemeinen ißt man nirgends schlechter und erbärmlicher, als in den Speisesälen der sogenannten Curorte, namentlich Mittel- und Norddeutschlands. Die Wirthe scheinen sich vollständig darauf zu verlassen, daß bei ihren Gästen hauptsächlich die gute Luft ihre Wirkung thue, oder sie glauben, daß die meisten derselben nur durch üppiges Wohlleben im Winter ihre Gesundheit beeinträchtigt haben, und unterwerfen sie nun auf eigene Faust einer Hungercur, deren Gründlichkeit nicht das Leiseste zu wünschen übrig läßt. Sie zwingen ihre Gäste zu derselben theils durch das geringe Maß von Speisen, welches sie ihnen überhaupt zuführen, theils durch die nichtswürdigste Zubereitung, welche sie den Speisen angedeihen lassen. Was sie hierin leisten, wird allein noch übertroffen durch die geradezu monumentale Unbefangenheit, mit welcher sie sich für diese Hungercuren so unverschämte Preise bezahlen lassen, daß man glauben könnte, in Rom bei Nazarri oder in Paris bei Vefour gespeist zu haben. Aber ich weiß, man speist dort billiger. Das Lächerlichste bei der ganzen Sache ist, daß die meisten Gäste, als ob es sich um ein seltenes und festliches Vergnügen handle, alltäglich auch noch in großer und feierlicher Salontoilette, so zu sagen in Paradeuniform zu diesen traurigen Mahlzeiten sich versammeln und so bestrebt sind, einen heitern und gefälligen Anblick bei einem Vorgang zu bieten, zu welchem man schicklicher Weise in melancholischem Traueranzuge erscheinen sollte.

Der Wein war matt oder meine Kehle von der langen Fahrt durch Hitze und Staub zu sehr ausgetrocknet, und ich fragte den Kellner, ob ich Eis erhalten könnte. Bevor er geantwortet, bot mir ein gegenüber sitzender Herr in der liebenswürdigsten Weise an, von dem Eiskühler, der bereits vor ihm stand, Gebrauch zu machen. Ich nahm dankend an. Mein Gegenüber war ein junger Mann, von etwa fünfundzwanzig Jahren, schlank und hochgewachsen mit breiten Schultern; sein blonder Schnurrbart hob sich, gleich den blonden Augenbrauen, leuchtend von der tiefgebräunten Farbe des schmalgebauten Gesichtes ab, dem namentlich die vornehm geschnittene Nase und der keck aufgeworfene Mund einen aristokratischen Ausdruck gaben. Die tadellose und scharf abgegrenzte Weiße des obern Theils der Stirne bewies, daß die braune Hautfarbe nur die Folge eines häufigen Aufenthaltes im Freien war. Die merkwürdige Locke aber, welche in der nur unserem herrlichen Kriegsheer eigenthümlichen Weise rechts und links über dem Ohr weg glatt gegen das Auge hingekämmt war und sofort an Caserne und Commißbrod erinnerte, deutete vielleicht darauf hin, daß ihr Träger dem Militärstande angehöre. Aber die Annahme konnte auch irrig sein; denn unter der strammen preußischen Zucht hat die männliche Jugend diesseits der Mainlinie schon lange gelernt, an dieser eigenthümlichen Haarform Gefallen zu finden und, dienstpflichtig oder nicht, mit ihr zu coquettiren, wie mit Allem, was zur Uniform gehört.

Das Merkwürdigste war, daß ich meinem Gegenüber schon irgendwo glaubte begegnet zu sein. Je länger ich mir seine Züge betrachtete, desto bekannter wollten sie mir scheinen. Auch die Stimme und seine kurze, hastige Art des Sprechens glaubte ich schon gehört zu haben und zwar bei irgend einem leidenschaftlichen Anlaß in heftiger Erregung. Ich zerbrach mir vergeblich den Kopf und beruhigte mich endlich dabei, daß ich mich täuschen müsse. Auch war dies das Beste, was ich thun konnte. Denn der Herr mir gegenüber nahm nach der einfachen, doch verdienstlichen Höflichkeit, die er mir erwiesen, weiter keine Notiz von mir, und ich fand das begreiflich, da ich ihm für die Gesellschaft, deren er sich bereits erfreute, doch keinen Ersatz hätte bieten können.

Es war ein bildschönes Mädchen von zwanzig oder einundzwanzig Jahren, gewiß nicht älter, gleichfalls distinguirt in der Erscheinung, aber doch von einer gewissen Einfachheit in der Kleidung, die mir nicht zu ihrem Gebahren, zu ihrem Wesen und, muß ich beifügen, nicht einmal zu der Vornehmheit ihres Begleiters passen wollte. Daß Beide nicht durch Zufall hier an der Table d’hôte nebeneinander gerathen waren, war klar; sie gehörte, wie man beim ersten Blicke gewahren mußte, so genau zusammen, wie nur irgend ein berühmtes Liebespaar; ja, sie tranken sogar vor aller Welt aus einem Glase, oder doch aus einer Flasche, die in eben demselben glänzenden, feucht angelaufenen Weinkühler stand, dessen Mitbenutzung der Herr mir vorhin angeboten.

Die Unterhaltung der beide jungen Leute war eine äußerst lebhafte und animirte, heiter und übermüthig. Sie lachten und schwatzten beständig. Sie schienen von der ganzen Welt umher nichts zu sehen, nichts zu wissen. Sie kümmerten sich nicht um die viele hundert Augen, welche von den Breit- und Querseiten der langen Table d’hôte beständig voll spöttischer und alberner Neugier auf sie gerichtet waren. Sie glaubten allein zu sein. Sie waren Beide glücklich; sie waren Beide jung und schön.

Von dem, was sie miteinander sprachen, verstand ich wenig oder nichts. Um so mehr, als der Herr selbst, wie ich schon andeutete, in jenen kurzen, abgerissenen, stoßweisen Sätzen sprach, die jedem kunstvolleren Periodenbau mit principieller Verachtung aus dem Wege gehen, im Lakonismus des Telegraphen und der Postkarte eigentlich ihr Ideal sehen müssen und sich häufig bei Menschen finden, die an kurzes Befehlen und imperatives Auftreten gewöhnt sind. Man hält deshalb auch diese Sprechweise, bei der ich immer den Eindruck empfangen, als ob mir alle Worte wie Felsblöcke einzeln an den Kopf geworfen würden, gern für blaublütig und junkerhaft. Aber auch sonst hatte meine beiden Tischnachbarn offenbar keine Ursache, ihre Geheimnisse bis zu mir über die Tafel herüber zu schreien, was auch nicht schön gewesen wäre. Sie flüsterten, und das Einzige, was ich zunächst erlauschte, war, daß das Mädchen Magda hieß – ein Name, für den ich immer geschwärmt habe. Sonst sah ich nur, daß die beiden Herzen in heller Liebesgluth standen und daß ihnen das helle Liebesglück aus den Augen leuchtete. Es war kein Wunder. Wenn das schöne Mädchen schweigend, in den Stuhl zurückgelehnt, dasaß, die weißen schmalen Hände im Schooße gefaltet oder sie im Spiele mit einem rosafarbenen Bande umwickelnd, die Augen sittsam niedergeschlagen und nur mit dem heitern Zucken ihres winzigen, kirschrothen Mundes verrathend, daß ihr kein Wort ihres Begleiters verloren gehe; wenn dieser, die Spitzen seines blonden Schnurrbartes mit der ringgeschmückten Hand immer kecker drehend, mit seinen blauen lichten Augen immer verwegener lachend und mit den ebenso kirschrothen Lippen immer übermüthigere Scherze plaudernd und die Sätze immer kürzer und immer hastiger herausstoßend, sich endlich dicht an sie heranneigte, wie um dem Mädchen das allerletzte und allerwichtigste Geheimniß zu vertrauen: dann schlug die schöne Magda rasch und plötzlich die grauen, großen, schalkhaften Augen zu ihrem Begleiter auf, und eine Flamme so tollen und leidenschaftlichen, frohen Glückes loderte aus ihnen, daß wohl kein Herz hätte widerstehen können. Und doch wußte sie immer ihren Cavalier durchaus in Schranken zu halten, mit jener reizenden Coquetterie, mit der man einen Vogel am Faden flattern läßt, und mit so großer Sicherheit, daß sie ihn, als er bei der zweiten oder dritten Flasche seinen Arm vertraulich über die Stuhllehne legte, sofort mit kaum merkbarem Winke veranlaßte, eben diesen Arm sofort wieder zurückzuziehen, aber nicht, ohne daß sie ihn, wie ich ganz wohl beobachtet habe, vorher durch ein leichtes Zurückbeugen ihres schönen Kopfes zwei- oder dreimal recht zärtlich gedrückt hätte. Es ist dann kein großes Verdienst, zu thun, was ein schönes Mädchen will.

Gleich darauf spickte sie den vor ihr liegenden Kork einer Weinflasche geschickt mit ein paar Dutzend Zahnstocher und stellte ihn so vor ihren Begleiter.

„Ein Stachelschwein,“ sagte dieser scharfsinnig.

„Ein Stachelschwein,“ bestätigte die schöne Magda kopfnickend, „ich schenk’ es Ihnen.“

„Danke,“ sagte der also Beschenkte trocken, zog die sämmtlichen Zahnstocher wieder aus dem Korke und ließ das auf diese [455] einfache Weise wieder in seine Urbestandtheile aufgelöste Stachelschwein in den dunklen Tiefen seiner Rocktasche verschwinden.

„O,“ sagte die schöne Magda höchst verwundert und machte schnell ein Trutzköpfchen, das ganz niedlich war.

„Gut sein!“ lachte bei solcher Beobachtung ihr Begleiter; „stecke zu Hause alle Zahnstocher wieder in den Kork und Stachelschwein selbst mitten auf Schreibtisch. Wird verteufelt schön aussehen.“

Das Trutzköpfchen verschwand rascher, als ich diese Zeilen zu schreiben vermag. Die Versöhnung war vollkommen.

Ich fürchte nicht, daß man die Erzählung dieser einfachen Begebenheit für überflüssig oder für noch schlimmer halten wird. Ich versichere im Gegentheil auf mein Ehrenwort, daß eben diese Begebenheit mit dem Stachelschwein für die Beiden, welche sie veranlaßten, offenbar sehr interessant zu erleben und für mich, der ich sie mit beobachtete, ganz gewiß ebenso interessant zu beobachten war. Ich habe mich in der That noch oft und gern mit ihr in Gedanken beschäftigt, und wenn ich aufrichtig sein will, hätte ich sogar gleichfalls nicht den geringsten Anstand genommen, mich von diesem reizenden Mädchen mit einem solchen Stachelschwein beschenken zu lassen und es auf meinem Schreibtisch als theuere Reliquie aufzustellen. Das wird Jedermann leicht verstehen, der schon ein- oder mehreremale das Glück gehabt hat, verliebt gewesen zu sein. Das sind aber die einzigen Leser, für die ich schreibe, und andere wünschte ich überhaupt nicht zu haben.

Nach der Table d’hôte versammelte sich der größte Theil der Gesellschaft auf der Terrasse, welche unmittelbar an den Speisesaal anstieß und einen so langweiligen Blick über Wiesen und Felder bot, daß ich froh bin, mir seine Beschreibung hier ersparen zu können. Aber es schien Sitte zu sein, hier in so bescheidener landschaftlicher Umgebung seinen Kaffee zu nehmen, und da ich selbst keine Lust hatte, mich schon wieder der heißen Nachmittagssonne auszusetzen, so bestellte ich mir wie die Andern meinen cafe nero, zündete mir ebenfalls wie die Andern meine Cigarre an und beschloß die Dinge so gut zu nehmen, wie möglich war. Dieser heroische Entschluß wurde sofort durch das Erscheinen meiner beiden Tischnachbarn belohnt, die sich im Speisesaal etwas verzögert hatten und nun, da alle Plätze ringsum schon besetzt waren, an dem kleinen Tische Platz nehmen mußten, an welchem ich selbst saß und an welchem allein noch Raum für zwei oder drei Personen zu finden war.

Die junge Dame hatte im Speisesaal dem Fenster den Rücken gekehrt, sodaß ich eigentlich erst jetzt ihrer lieblichen Erscheinung mich ganz erfreuen konnte, da das Licht des Tages ihre Gestalt leuchtend umfloß. Jetzt erst sah ich auch ganz, ein wie kecker Uebermuth in den grauen mandelförmigen Augen lag, über die sich die Brauen in weitem kräftigem Bogen hinzogen, und wie schalkhaft beim Lachen die Grübchen der von leichter Röthe angehauchten Wangen hervortraten. Die Nase war so fein und zierlich, wie man sie nur sehen konnte; eine lange dunkelblonde Locke, die indessen durchaus nichts Schmachtendes an sich hatte, fiel über die Schulter auf die Brust, und über der weißen Stirn nickten und schaukelten sich in langer Reihe allerliebste, zarte Löckchen, die ganz unzweifelhaft dazu bestimmt waren, mit der Welt zu coquettiren, und in denen mir eine große Gefährlichkeit für jeden unvorsichtigen Betrachter zu liegen schien.

Aber es war doch nicht Alles nur Lieblichkeit und Holdseligkeit an der schönen Magda. Das wäre auch langweilig gewesen.

Ihr Begleiter sprach mit großer Lebhaftigkeit von dem Pferderennen, das in den nächsten Tagen bei Quedlinburg stattfinden werde und bei dem sie die sämmtlichen Officiere der Quedlinburger Garnison zu Pferde sehen würden.

Magda lächelte. „Und Sie?“ fragte sie dann.

„Habe bereits meinen ‚Mackintosh‘ angemeldet – Sie kennen ihn – famoses Thier – schlägt Alle – auch die famose ‚Lydia‘, die neulich in Berlin und vorigen Herbst in Baden-Baden gesiegt hat. Sie wissen doch, wo damals die ‚Tante Lotte‘ des Lieutenant Kockewitz ausgebrochen. Großer Preis – zweitausend Thaler! ‚Lydia‘ war um zwei Längen Allen voraus. Baron Fürstenfeld’s ‚Demokrat‘ war ihr erst hart auf den Eisen, schon fast Gurt an Gurt mit ihr; ein verteufeltes Thier auch, der ‚Demokrat‘. Sie haben ihn, glaube ich, in Berlin schon gesehen. Aber ‚Lydia‘ schoß mit prächtigem Ansatz vor und zwar zuerst am Posten. Ist viel Geld dabei verloren worden. Hatten Alle auf ‚Demokrat‘ gewettet. Wollten durchaus Fürstenfeld Sieger sein lassen. Aber trotzdem, ‚Mackintosh‘ schlägt die ‚Lydia‘. Sie können auf ihn wetten, was Sie wollen, Famoses Thier ‚Mackintosh‘.“

„Und Sie wollen das schöne Thier wirklich mit rennen lassen?“

„Freilich,“ bestätigte der Gefragte lebhaft und strich sich den blonden Schnurrbart; „werde ihn selbst reiten.“

„Das werden Sie nicht,“ fiel die schöne Magda erregt ein. „Nein, Sie nicht – aber Sie sollen auch Ihr Pferd nicht laufen lassen.“

„He? Nicht? Warum nicht?“

„Weil es eine arge Thierquälerei ist, die ich auf den Tod hasse und die keinen Zweck hat. Sie selbst aber setzen wegen einer erbärmlichen Summe Geldes, die Sie gar nicht ansehen, Ihr Leben auf’s Spiel.“

Ihr Begleiter machte ein verdrießliches Gesicht. „Natürlich nicht wegen des Geldes“ – stieß er dann heraus – „aber für Ehre. Denken Sie, wenn ‚Mackintosh‘ ‚Lydia‘ schlägt! Gehört einem albernen Banquier von Berlin. Abgeschmackter Mensch, glaube, ist halb bankerott, lebt, wie ich denke, von Wettrennen. Aber ein verteufeltes Pferd! Wenn ‚Mackintosh‘ ihn schlägt, ist ganzes Regiment stolz auf ‚Mackintosh‘.“

„Ach was! Hier die Ehre des Regiments zu retten, ist wahrhaftig nicht Ihre Sache, lieber Freund, und denken Sie doch an den jungen Grafen Wallberg, den man mit zerschmettertem Schädel von der Rennbahn nach Hause brachte, weil sein Pferd ausbrach und seinen Reiter an eine Pappel warf, die an Wege stand!“

„Schauderöses Pech!“ gab der Andere gern zu. „Auf Ehre, schauderös. Aber hatte schon zu Wallberg gesagt, soll sich in Acht nehmen. Armer Junge, wollte nicht hören. War ein tückisches Thier. War bei seinem Begräbniß. Eine verfluchte Bestie, die ‚Miß Ella‘! Bedauerte seine arme Mutter. – Lahmte noch lange auf dem linken Hinterfuß – Sehnenverletzung – möchte wissen, wer sie gekauft hat. Aber ‚Mackintosh‘ ist zuverlässig – famoses Thier – reinstes Vollblut, klapperdürr, wie unser Rittmeister. Baron Lehndorf – Sie kennen ihn ja – reine Hopfenstange, aber zäh, ausdauernd, kommt ihm Keiner gleich.“

„Ei,“ lachte die schöne Magda, „dann lassen Sie doch Baron Lehndorf reiten!“

„Verteufelter Einfall! Auf Ehre! Aber geht nicht, würde Baron Lehndorf doch nicht machen können – ha ha! Sind ein reizendes Mädchen, haben immer so köstliche Einfälle. Baron Lehndorf beim Hürdenrennen! Wahrhaftig, werd’ es ihm morgen Abend im Casino erzählen, wird hellauf lachen und ist ein tüchtiger Camerad, der einen Spaß versteht. O, er giebt viele Stücke auf Sie, fragt mich oft nach Ihnen.“

„Das ist mir eine große Ehre; aber – Sie gehen nicht zum Rennen?“ fragte das Mädchen, das die heitere Stimmung ihres Begleiters rasch benützen zu wollen schien, in schmeichlerischem Tone.

„Wahrhaftig, kann nicht zurücktreten,“ versicherte der Andere wieder, indem er seine Hand auf die ihrige legte, „kann nicht abmelden, müßte Reugeld zahlen –“

„Ein paar Thaler! Was liegt daran?“

„Ja, und dann – ganzes Regiment ist voll Neugierde auf ‚Mackintosh‘ und wenn der Berliner –“

„Ach, der faule Börsenjobber!“ spöttelte Magda.

„Ja, ’s ist wahr – aber wenn ‚Mackintosh‘ ihn schlägt – und auf Ehre – er wird – er –“

„Er wird nicht,“ entschied jetzt das Mädchen und sah ihrem Begleiter voll in’s Gesicht. Sie blickte sehr ernsthaft und bestimmt darein; um ihren Mund lag ein fester und energischer Zug, der die kräftige Bildung des Kinns noch mehr hob und ihrem ganzen Antlitze, das bisher nur von Anmuth und Seligkeit gestrahlt hatte, einen neuen, geradezu überraschenden Ausdruck von festem Charakter und starkem Willen gab. Aber so, in dieser Haltung, schien sie mir noch schöner und verführerischer zu sein, als früher, und das leise nervöse Zittern der Nasenflügel, während sie jetzt sprach, deutete auf eine Leidenschaftlichkeit, die, wenn sie so ungeahnt und plötzlich aus einem Wesen hervorbricht, das wir bis jetzt nur für hold und lieblich gehalten haben, auf jeden Mann

[456] geradezu berauschend und hinreißend wirkt. „Ihr ‚Mackintosh‘ wird nicht mitlaufen,“ wiederholte das Mädchen nachdrucksvoll. „Und ich will es Ihnen jetzt sagen, warum. Die Sorge für Sie, lieber Freund, beunruhigt mich noch am wenigsten. Ja,“ lachte sie, „sehen Sie mich nur so verwundert an – aber ich kann es selbst nicht glauben, daß Ihnen ein Unfall zustoßen könnte. Niemand reitet so kühn, so verwegen, so sicher, wie Sie, und ich meine, mit Ihrer Kraft und Ihrer geschickten Hand müßten Sie für jeden Schritt und Sprung Ihres Thieres einstehen können.“

Der Andere lächelte vergnügt ob des gewordenen Lobes.

„Aber,“ fuhr sie erregter und mit heftigeren Worten fort, „Sie sollen sich nicht an dieser heillosen Thierquälerei betheiligen; Sie sollen Ihre armen Pferde nicht so mörderisch quälen; Sie sollten die edlen Geschöpfe mehr lieben und besser behandeln. Wem zu Liebe hetzen Sie denn Ihren ‚Mackintosh‘ durch die Bahn, daß das arme Thier im besten Falle halb zu Tode gejagt und in seinem Schweiß gebadet am Ziele anlangt? Dem Berliner bankerotten Kaufmann zu Liebe? Und was entschädigt Sie denn – ich meine moralisch –, wenn Ihr ‚Mackintosh‘, an dem, wie Sie sagen, Ihr ganzes Herz hängt, Ihrem Ehrgeiz zum Opfer fällt und zu Grunde geht? Vielleicht das Beifallsgebrülle der Bauern, die rings im Kreise stehen und Ihnen die Ehre anthun, auf Ihr schönes Pferd und auf Ihr geschicktes Reiten zu wetten? Ich denke – Sie haben Ihre Kühnheit und Ihren Muth im Jahre 1866 schon bei würdigeren Gelegenheiten gezeigt, die Ihnen besser und männlicher und adeliger standen, im Pulverrauch und im Feindesgewühl – bitte, verzichten Sie und – folgen Sie mir, wie Sie immer gethan!“

Ihr Begleiter war aufgesprungen und suchte sich offenbar dem drängenden Zureden des Mädchens zu entziehen. – Aber sie hatte ihn gar wohl in ihrer kleinen, niedlichen Hand.

„Und wann ist das Rennen?“ fragte sie, ihn jetzt schelmisch von der Seite ansehend und ihr Köpfchen halb erhebend, daß auch die Coquettirlocken schalkhaft nickten und grüßten.

„Nächsten Sonnabend.“

„Also schon in fünf Tagen? Das ist etwas bald. Aber, es sei! Wollen Sie mich Sonnabend Nachmittag wieder hier erwarten?“

„Magda!“ flehte ihr Begleiter noch einmal.

„Bitte,“ sagte das Mädchen, indem sie, sich jetzt gleichfalls vom Stuhle erhebend, die Falten ihres Kleides flüchtig glättend hinunterstrich und den braunledernen Handschuh über die Hand zog, „bitte, lassen Sie den Wagen vorfahren! Es ist schon recht spät geworden und ich versprach, bis zum Nachtbeginn wieder in Alexisbad zu sein. Bis der Kutscher angespannt hat, können wir noch ein Stückchen den Wald entlang gehen. Dann aber müssen wir uns trennen, und nächsten Sonnabend also werden wir uns hier wiedersehen. Nicht wahr, mein lieber Freund?“

Ohne noch bestimmt zu antworten, reichte der Gefragte der Dame galant den Arm und führte sie durch den Speisesaal in’s Freie. Sie waren ein schönes und stattliches Paar, das im Vorüberschreiten die Augen Aller auf sich zog, und ich war zugleich überzeugt, daß das Quedlinburger Derby-Rennen nächsten Sonnabend ohne Mackintosh vor sich gehen und daß die schöne Magda um dieselbe Zeit ganz gewiß nicht vergeblich hier in Suderode auf ihren Cavalier warten werde. – –

Mehrere Wochen nachher reiste ich von Thale ab. Ich war zuerst unschlüssig gewesen, wohin ich meine Schritte wenden solle. Die Morgenzeitungen, welche mir der Kellner neben mein Frühstück gelegt hatte, hatten meinen Zweifeln ein rasches Ende gemacht. Es war Anfang Juli 1870, und die berüchtigte Rede des Herzogs von Grammont im gesetzgebenden Körper zu Paris hatte Europa mit einem Male aus dem tiefen Friedensschlummer aufgeschreckt, dem alle Welt sich überlassen hatte. Die schwarzen Wolken des Krieges stiegen von allen Seiten wetterleuchtend auf. Noch war der Ausbruch des Unwetters, das mit rasender Geschwindigkeit heranzog, ungewiß; vielleicht gelang es noch, die drohende Gefahr zu beschwören, aber ein weiterer Aufenthalt in der Einsamkeit des Landes hatte doch wenig Verlockendes mehr; sein Reiz war dahin, und der Wunsch, sich stündlich über die aufregenden Begebenheiten des Tages unterrichten und die nahenden großen Ereignisse in Gemeinsamkeit mit Anderen verleben zu können, trieb Jeden mit beschleunigter Eile in die Stadt zurück.

Zwar diese panische Rückflucht aus den idyllischen Wohnstätten der Gebirge und Bäder sollte im Großen erst einige Tage später beginnen, aber doch war der Morgenzug, der mich in der Richtung nach Halle befördern sollte, schon mehr als gewöhnlich von heimkehrenden Passagieren gefüllt. Ich war froh, eine gute Ecke im Coupé mir erobert zu haben, und horchte auf die erhitzten und leidenschaftlichen Reden meiner Reisegefährten, die sich natürlich alle auf die Möglichkeit des Krieges und auf seine Eventualitäten bezogen.

In diesem Augenblicke traf vom Perron her eine wohlbekannte Stimme mein Ohr.

„Schaffnär – aufschließen – erster Classe – drei Plätze!“

Ich beugte mich rasch zum Fenster hinaus und erblickte den Begleiter der schönen Magda in Suderode, aber als Officier in der Interimsuniform, die seine schlanke, breitschulterige Gestalt prächtig hob, den Degen an der Seite, den Schnurrbart wie immer keck zugedreht und die blonden Haare über dem Ohr stramm gegen die gebräunte Wange hereingekämmt. Bei ihm befanden sich zwei ältere Damen und die schöne Magda. Die Abfahrt drängte, und die Zeit zum Abschiednehmen war spärlich zugemessen. Mein Officier war den beiden älteren Damen beim Einsteigen behülflich; er behandelte sie mit verehrungsvoller Höflichkeit und küßte ihnen die Hand. Als die schöne Magda einstieg, führte er nur höflich seine Rechte an die Mütze, sich kaum merklich verbeugend. Das Mädchen dankte ihm mit Kopfnicken, ohne ihn dabei anzusehen.

„Haben famoses Wetter heute – denke, wird noch heiß werden – adieu – glückliche Reise, meine Damen!

Der Zug brauste zum Bahnhof hinaus, und ich sah noch, wie der Officier einem zierlichen Gefährte zuschritt, das am Eingange der Station stand; zwei elegant gewachsene Pferde von hellgelber Farbe waren vor den Wagen gespannt, und auf dem hohen Bock saß ein backenbärtiger Livréekutscher, die zusammengedrehte Peitsche voll Selbstbewußtsein auf das rechte Bein gestützt.

Und jetzt, ja, jetzt wußte ich auch, bei welcher Gelegenheit ich den Officier schon einmal gesehen hatte. Die Erinnerung daran schoß mir wie ein Blitz durch den Kopf. Es war das ein Jahr vorher in Wittenberg geschehen, wo eine deutsche Industrie-Ausstellung stattfand, und ich hatte mich einem Extrazuge dorthin angeschlossen, der zum Behufe dieser Ausstellung von Dresden aus veranstaltet worden war. Die Ausstellung selbst interessirte mich blutwenig, aber ich benutzte die Gelegenheit gern, mir die Wiege der Reformation anzusehen und die ehrwürdige Stadt kennen zu lernen, in welcher der schlichte, bescheidene Augustinermönch zum Manne der Weltgeschichte, der einsame Theosoph zum gewaltigen Reformator der Christenheit erwachsen war.

Müde vom Herumwandern, kehrte ich damals Abends auf den Bahnhof zurück, der schon von vielen Hundert Menschen erfüllt war, die nun auf dem Perron, Bier trinkend oder Kuchen essend, an kleinen Tischen saßen und, wie ich, den Abgang des Extrazuges erwarteten.

Da drängten sich mitten durch die Menge Arm in Arm zwei junge Söhne des Mars. Sie trugen den Degen an der Seite, die bekannte Interimsuniform mit den langen Rockschößen und dem weiten Aermelaufschlage, das Beinkleid, das um das Knie noch ziemlich eng anschloß, nach unten so charakteristisch ausgeschweift, daß es kaum mehr den halben Fuß sichtbar werden ließ, und auf den keck zurückgeworfenen Köpfen saßen die rothgeränderten Schirmmützen mit so breiten Deckeln, daß ich mir den Schild des Achilles kaum von größerem Durchmesser denken kann. Ein Kneifer, den sie fest in’s linke Auge geklemmt hatten und dessen Schnur über die Schulter weg graziös im Winde flatterte, vollendete die militärische Ausrüstung der beiden Helden.

Es war leicht zu bemerken, daß sich bei ihrer Annäherung sofort des gesammten Publicums, das bisher so „scheene“ beisammen gesessen und sich seines Lebens und seines Apfelkuchens gefreut hatte, eine auffallende Unruhe bemächtigte. Aller Blicke wandten sich nach ihnen, und man deutete, man flüsterte. Ueber den Philister war plötzlich ein Unbehagen gekommen, weil er ganz offenbar in den Neuangekommenen ein Element erblickte, das ihm wenig vertrauenerweckend erschien, und weil er sich von ihnen ganz gewiß keine Förderung der allgemeinen Fröhlichkeit versprach. Denn, um es gleich zu sagen: der eine dieser beiden Kriegshelden war allerdings nüchtern, der andere aber war es nicht oder doch [457] wenigstens nicht ganz, und das konnte kein Behagen wecken, zumal wenn man an die kitzlige Spitze der Degen dachte, die so schmal und lang von den wunderbaren Taillen der Officiere niederhingen, und wenn man den grenzenlosen, blaublütigen Hochmuth sah, mit welchem sie durch ihr blitzendes Augenglas auf das Bürgerpack herabsahen, das hier Bier trank und Kuchen aß.

„Heeren Sie, ich will Sie emol was sagen,“ flüsterte der Dosendreher K. von der Schloßgasse in Dresden, der vom vielen Dosendrehen schon ein wenig buckelig geworden war, seinem Nachbar zu und hielt seine beiden mageren Hände vor den Mund wie ein Schallrohr, „heeren Sie, die Beden gefallen mer aber gar nicht.“

„Mir och nicht,“ flüsterte der Andere ebenso scheu, und dann duckten sie sich alle Zwei und machten sich so klein wie möglich.

[473] Die beiden Officiere nahmen ziemlich geräuschvoll an einem kleinen Tische Platz, und der Eine von ihnen – natürlich derjenige, welcher schon nicht mehr ganz nüchtern war, heischte vom Kellner lärmend einen Trunk.

„Kellnär – zwei Seidel!“

Und dann, als sie getrunken hatten, gab der Nämliche, der den Trunk bestellt hatte, sein Glas nicht etwa dem Kellner zurück, wie es andere, gewöhnliche Menschenkinder zu thun pflegen, sondern er schleuderte es kurzweg auf den Bahnkörper nebenan, daß es an den Schienen in tausend Stücke zersprang.

„Kellnär – noch zwei Seidel!“

Und dann warf er sein geleertes Glas abermals auf die Schienen und zwar mit dem nämlichen Erfolge.

Die Unruhe der Philister und ihrer Frauen und Töchter stieg bis zu einem bedenklichen Grade.

„Bleibste sitzen!“ sagte aber der Dosendreher zu seiner [474] Frau, die schon die Flucht ergreifen wollte, und drückte sie am Arme nieder, „bleibste sitzen! 's is nur schade um die scheenen Töpfchen.“

Der Officier indessen klemmte seinen Monocle noch fester in’s Auge und sah sich dann herausfordernd um. Einen Bahnwärter, der ihm unterthänigst vorzustellen wagte, daß ihm ein solches Wirthschaften mit leeren Gläsern auf dem Bahnhofe denn doch gegen das Bahnreglement zu verstoßen scheine, trieb er mit übermüthiger Scherzrede heim.

Da gewahrte er ein halbes Dutzend Soldaten, die in der Ferne standen und neugierig und lachend seinem Unfuge zugesehen hatten.

„Hierher, Kinder!“ commandirte er sofort – „he, aber fix! Jut, angetreten!“

Die Soldaten, die dem angeheiterten Vorgesetzten gegenüber mit Mühe ihr Lachen unterdrückten, stellten sich, der erhaltenen Ordre gemäß, Schulter an Schulter auf, den Kopf in die Höhe gerichtet, die Hacken zusammengeschlossen, den Daumen an der Hosennaht. Es waren Prachtleute, rothbäckig, dickköpfig; sie waren offenbar erst vor kurzer Zeit vom Pfluge und von Muttern gekommen, staken noch nicht lange in der Uniform und –

Verbanden auf das Beste
Mit dem letzten Bauernreste
Schon den Anfang vom Soldaten.

„Von welchem Regiment?“ fragte der Officier kurz, in seinen Stuhl zurückgelegt und mit dem einen Arme dessen Lehne umschlingend.

Die Soldaten beugten ihre Schultern herunter, und der Officier las von ihren Achselklappen laut die Regimentsnummer ab.

„Kellnär – sechs Seidel für Mannschaft – ein Seidel für mich! – durstig, Kinder? – He – natürlich – immer durstig –!“

Müller’s Fritze und Schulze’s Georg und Lehmann’s August verzogen ihre breiten Gesichter zu einem Grinsen, das sich ganz vergnügt ansah.

„Geht mir auch so – wollen sehen, wer besser trinken kann – aufpassen – Seidel ansetzen – zählen Eins, Zwei, Drei – dann lostrinken!“

Der Officier erhob sich von seinem Stuhle und stellte sich, das Glas in der Hand, vor die Fronte seiner Kinder. Er überragte die Bauerjungen mit seiner stattlichen Gestalt um Haupteslänge. Mit der Linken hielt er den Griff seines Degens umfaßt, mit der Rechten hob er sein Glas. So stand er mit gespreizten Füßen da, beharrlich das Monocle im Auge, und die Menge drängte neugierig herbei.

„Achtung!“ commandirte er jetzt – „und daß mir Keiner seine Nase vorher in’s Glas hängt! Achtung! Eins – zwei – drei!“ Und es war schade, daß keine katzenjammernden Geigen den Wetttrunk begleiteten wie den Falstaff’s und seiner Genossen in den „Lustigen Weibern.“

Die Soldaten schütteten in großen Zügen das Bier hinunter, aber der Officier war ihnen allen voraus; er kriegte sie Alle unter, und war, um ein Bild vom Pferderennen anzuwenden, um mehrere Nasenlängen früher am Pfosten, als sie; er stürzte triumphirend sein Glas um, selbst die Nagelprobe zu machen.

Ein lautes Hurrah aus der Menge belohnte seine siegreiche That. Denn jetzt fing sogar der Philister an, wieder zutraulich zu werden; er erfreute sich von ganzem Herzen an der gnädigen, leutseligen Weise, in welcher der Officier mit den Soldaten umgesprungen war, und ein solches Bierwettrennen war nun schon ganz nach seinem Geschmacke und seiner eigenen Liebhaberei.

Der Officier ließ sich wieder bei seinem Cameraden nieder und nahm mit sichtlichem Behagen die Glückwünsche desselben entgegen. Alles schien sich in Freude und Wohlgefallen auflösen zu wollen.

Da jammerte plötzlich eine Stimme neben ihm:

„Aber heeren Se, mein Kutester, ich will Sie doch sagen, daß Sie mer meine neie Hose och nicht gleich schmutzig zu machen brauchen.“

Der Officier fuhr in die Höhe und blickte in ein Gesicht, das giftig auf ihn gerichtet war. Er hatte bei der Nagelprobe vorhin aus dem Glas ein paar Biertropfen auf das Beinkleid eines Dresdner Spießbürgers geschüttet, der am nächsten Tische gesessen war und nun über das ihm widerfahrene Mißgeschick außer sich gerathen wollte.

Der Officier schnauzte ihn zornig an.

„Zum Teufel mit Ihnen!“ rief er. „Was geht mich Ihre Hose an!“

„So?“ höhnte der Andere. „Na, weeß Gott, Ihre Hose is es nu freilich nicht, und wenn sie’s wäre, dann kofen Sie sich ene neie, und die müssen die Berger dann dem Herrn Officier aus dem Staatssäckel bezahlen. Aberst –“

„Herr!“ brauste der Officier auf, und sein Camerad hielt ihn mit Mühe zurück.

„Jawohl,“ zischte der Andere unbeirrt; aberst die Hose hier is meine Privathose, und wenn Sie mer Ihr Biertöpfchen drüber ausschütten, dann koft mer ke Mensch –“

Der Officier hatte seine Ruhe merkwürdiger Weise ganz wieder gewonnen. Er sah sich sein bissiges Gegenüber schweigend an und holte dann sein Portemonnaie aus der Tasche.

„Hier,“ sagte er, es dem Dresdener Bürger hinstreckend, in gelassenem Tone, „hier! Sie sind nämlich ein janz unjemüthliches Haus. Nehmen Sie aus der Geldtasche, was Ihre Hose kostet, und dann lassen Sie mich in des Teufels Namen zufrieden!“

Der Andere that, als habe ihn eine Schlange gestochen.

„Ei herrjeses!“ schrie er voll Wuth. „Stecken Sie doch Ihre paar Groschen wieder ein! Sie menen wohl och, so ein einfacher Berger, der sich das ganze Jahr schindet und plagt, wenn andere Herren spazieren lofen, kann sich kene neie Hose kofen. Na, Gott sei Dank! so weit sein mer noch nicht. Aber warten Se nur! Sie werden och noch aus’m andern Loche pfeifen, wenn die Franzosen emal kommen und wenn –“

Der Officier sprang todtenblaß auf seinen Gegner zu, mit einem einzigen Ruck hatte er seinen Stuhl ergriffen und schwang ihn nun mit kräftigem Arme über dem Haupte des unglücklichen Dresdeners hin und her.

„Noch ein einziges Wort, Herr!“ rief er mit blitzendem Auge, „noch eine einzige Silbe, und ich zerschmettere Sie mit diesem Stuhle, daß kein Stäubchen von Ihnen übrig bleibt, Sie erbärmlicher Wicht, Sie!“

Der also Bedrohte zog sich mit beispielloser Geschwindigkeit vor der sichtlichen Gefahr zurück, während auch die andern Männer bestürzt zurückgewichen waren und die Frauen mit Zetergeschrei sich flüchteten.

Der Vorgang hatte etwas Aufregendes. Ich muß indessen gestehen, so sehr ich den früheren Uebermuth des Officiers mißbilligt hatte, so sehr bewunderte ich jetzt die männliche Schönheit und Kraft, in welcher er, noch immer den Stuhl in der hochgehobenen Rechten und bereit, ihn jeden Augenblick auf seinen feigen und perfiden Angreifer schmetternd niederfallen zu lassen, zürnend dastand. Alle Muskeln schienen in der höchsten Erregung angespannt, und es war, wie wenn er mit einer einzigen Bewegung seines Armes die ganze wackere Bürgerschaft vom Perron fegen könne. Ich weiß nicht, wie es kam: aber in demselben Moment dachte ich mir den Mann, der jetzt auf’s Tiefste beleidigt, die Wucht seines zornbewaffneten Armes gegen einen unwürdigen Gegner richten zu wollen schien, im Feld an der Spitze seiner Compagnie, seines Bataillons, voll Energie, voll Leidenschaftlichkeit, voll strotzender, übermüthiger Kraft und voll Ehrgeiz – ich glaubte einen jungen Gott des Krieges zu sehen; sein Anblick entzückte mich, und Mannhaftigkeit und Kriegsglück waren, wie dem Kriegsgott in Sparta, gewiß auch ihm stete Begleiter. –

Das war der nämliche Officier, den ich in den Fesseln der Liebe und vom Finger eines schönen Mädchens geleitet in Suderode nun zum zweiten Male gesehen hatte. Mars hatte seine Aphrodite gefunden und tändelte mit ihr in behaglicher Ruhe, während der kleine Eros, der hier nichts mehr zu thun hatte, daheim in der Caserne sich gewiß die Pickelhaube auf den Kopf gesetzt hatte und mit dem siegreichen Degen spielte. –

Einige Monate nachher sollten sich unsere Wege abermals und unter ganz anderen Umständen kreuzen.

Straßburg war gefallen, war den räuberischen Franzosenhänden wieder entrissen, und ich brannte vor Begierde, des heiligen römischen Reiches Vormauer in deutschem Besitz und unter deutscher Botmäßigkeit wiederzusehen. Der Anblick war erschütternd und die herrliche Stadt mit den unabsehbaren Trümmerhaufen der nördlichen Quartiere und mit den schwarzen Brandruinen der öffentlichen Gebäude hatte theuer genug mit ihrem Gut und Blut den frevelhaften Leichtsinn Jener gebüßt, die das [475] französische Volk ohne Grund, ohne Ursache über Nacht aus der stillen Arbeit des Friedens in alle Schrecken des Krieges gestürzt hatten.

Ich war durch die Steinvorstadt gewandert, in der kein Stein mehr auf dem andern lag; ich war nach Schiltigheim gefahren mit seinem verwüsteten Friedhof; ich hatte die Lünetten zweiundfünfzig und dreiundfünfzig aufgesucht, wo die wackere preußische Artillerie Bresche geschossen; ich hatte mich von einem strammen Landwehrmanne aus Ostpreußen durch die Citadelle führen lassen, die von den badischen Granaten zu einem einzigen Trümmerhaufen umgewandelt worden war und in der ganze Mauerwände am Boden lagen, als hätte sie der Wind umgeblasen; ich hatte mich vollauf beladen mit Granatsplittern und Shrapnells, die ich als Andenken mit nach Hause nehmen wollte, und wanderte nun in schon vorgerückter Tageszeit nach dem Münster, dessen herrlicher Thurm auch heute in ungebrochener Hoheit und Majestät in den Abendhimmel ragte.

Die Beschädigungen, die der Dom bei der Belagerung erlitten, waren für den, der ihn früher nicht gesehen, kaum zu erkennen. Stolz, feierlich, unerschüttert, voll erhabener Ruhe stand er wie ein von Wogen umbrandeter Fels mitten in dem kriegerischen Gewühle des Tages. Ein halbes Jahrtausend mit all' seinen Stürmen und Wettern hatte er schon vorüberschreiten sehen; Geschlechter um Geschlechter waren an ihm vorbeigewandelt und in die Alles verschlingenden Gräber gesunken, aber auf die zermalmenden Kämpfe und Kriege waren immer wieder die Segnungen des Friedens gefolgt; aus den niedergestampften, blutgetränkten Schlachtfeldern war immer wieder die goldene Saat erstanden; Häuser und Hütten, welche die Fackel des Krieges eingeäschert, waren immer wieder schöner und reicher in die Höhe gestiegen; der wilden, bluttrunkenen, aus den Höllentiefen der Menschenbrust losgelassenen Leidenschaft war immer wieder jener stille, freundliche Sinn der Versöhnung und Freundschaft gefolgt, unter dessen Schutz die Werke der Kunst gedeihen und die Menschheit sich wieder ihrer heiligen Ideale erinnert – und auch heute stand der gigantische Bau, zu dem einst der heilige, kühne Glaube freier Männer begeisterungsvoll Quader um Quader bis in schwindelnde Höhe aufgethürmt, wie seit den Riesenpyramiden der ägyptischen Könige nicht mehr geschehen war, stolz, fest, ernst, unentwegt, ein großartiges Symbol der Liebe, der Freiheit, der Begeisterung, die ihn erbaut und die nun mit ihm schon ein halbes Jahrtausend auch siegreich überdauert hatten.

Wie deß zum Zeichen, ward jetzt oben die Glocke laut, und ihr eherner Hall zog in mächtigen Schwingungen über die Märkte und Straßen der Stadt, die im Dämmer des Abends lagen. Der Klang der Glocke aus der Höhe des Münsters hatte für mich in diesem Augenblick und unter diesen Umständen etwas tief Ergreifendes, Erschütterndes; es lag Etwas darin, was die Seele für das ganze Leben fest hält und was sie nicht mehr los läßt, so lange überhaupt eine Erinnerung ihr innewohnt.

Den nächsten Morgen machte ich eine ziellose Wanderung durch die Stadt. Auf den Kleberplatz mit seinem zerschossenen Gemäldemuseum kam ich gerade, als die deutsche Wachtparade aufmarschirte. Landwehrmänner aus Ostpreußen, kräftige Gestalten mit blonden Bärten, nicht mehr jung, aber ernst und voll Würde – ein prächtiger, herzerfreuender Anblick. In weitem Bogen um den Platz herum standen dichtgedrängt die Straßburger und das Landvolk, das in die Stadt geströmt war; namentlich das Frauengeschlecht war zahlreich vertreten, elegante, zierliche Französinnen in der koketten Nationaltrauer und mit noch koketteren schwarzen Augen, daneben stattliche, blonde Elsässer Mädchen von hohem, ansehnlichem Wuchse, mit schönen Gesichtszügen und auf dem Kopfe die Haube mit den gewaltigen Flügelbändern. Sie Alle streckten neugierig ihre Köpfe in den Kreis und konnten sich nicht satt sehen an dem fremdartigen militärischen Treiben. Wie aber dann die Trompeten schmetterten und die Trommeln wirbelten und wie plötzlich – Eins, zwei – Eins, zwei – die Soldaten im Tempo ihre Beine wagerecht warfen, als würden sie zusammen an einem einzigen Schnürchen gezogen, und wie sie – der Officier voran – alle krampfhaft ihre Köpfe ausrenkten, hinüber nach dem Höchstcommandirenden zu sehen, der die Parade abnahm, da lachte das Weibervolk ringsum, daß ihnen die Thränen in den Augen standen. So etwas Possierliches war ihnen noch niemals vorgekommen, wie dieser Aufmarsch der deutschen Soldaten. Die Männer in der Blouse und die paar windigen, lumpigen Turcos und Liniensoldaten, die sich, zerfetzt und verkommen, den unvermeidlichen Pfeifenstummel im Munde, gleichfalls noch hier herumtrieben, zuckten mit albernem Spotte die Achseln und machten vermuthlich eine Faust – aber nur in der Hosentasche, aus der sie ja den ganzen Tag die Hände nicht herausbringen.

Als ich in den „Gasthof zum Rebstöckel“, wo ich Absteigequartier genommen hatte, zurückkehrte, fand ich mich zu meiner Ueberraschung delogirt. Mein Koffer stand bereits in der Portierloge, und der Portier selbst erklärte mir, daß im Laufe des Vormittags eine Dame vorgefahren sei, die schon in der ganzen Stadt vergeblich nach einem Unterkommen gesucht und sich nicht mehr habe abweisen lassen. Da ich nun schon in der Frühe beim Verlassen des Hôtels die Absicht ausgesprochen, gegen Abend wieder abzureisen, so habe man endlich mein Zimmer für die geängstigte und halb verzweifelte Dame frei gemacht und diese selbst habe sich ausdrücklich vorbehalten, mich noch persönlich für diese Eigenmächtigkeit um Entschuldigung zu bitten.

Ich machte mir nichts weiter aus der Sache und beauftragte nur den Portier, mir ein Billet für den Omnibus zu besorgen, der in zwei Stunden nach Kehl fahren sollte. Dann trat ich in den Speisesaal und rückte mir einen Stuhl an das Fenster, die neuesten Zeitungen zu durchblättern. Die Nachrichten aus Metz hielten damals die ganze Welt in Spannung. Bald darauf hörte ich das Rauschen eines Kleides hinter mir; ich wandte mich nach der Thür, und vor mir stand – die schöne Magda von Suderode.

Meine Ueberraschung war nicht gering. Aber nicht minder überrascht war das Mädchen selbst, das überdies eben im Begriffe schien auf mich zuzugehen. Sie erkannte mich sofort und streckte mir ihre Hand entgegen.

„Welches Wiedersehen!“ sagte sie freundlich.

„In Straßburg! In Feindesland! Mitten im Kriege!“ entgegnete ich lächelnd.

„O, in deutschem Reichsland!“ versetzte sie lebhaft. „Wir halten es fest.“

„Das will ich hoffen,“ rief ich aus. „Aber,“ setzte ich dann hinzu, „was führt Sie, mein Fräulein, hierher?“

„Hierher? Zu Ihnen? Der Wunsch, Sie auf das Herzlichste um Entschuldigung und Nachsicht zu bitten, daß ich Ihre Wohnung hier während Ihrer Abwesenheit in Beschlag genommen habe. Man sagte mir indeß –“

„Sie dürfen überzeugt sein,“ versicherte ich, „daß ich diesen kleinen Dienst mit Freuden jeder Dame geleistet hätte; – am liebsten freilich Ihnen, denn ich erinnere mich noch immer gern jenes schönen Nachmittags in Suderode.“

„Ach, ja,“ rief das Mädchen, „wie herrlich und friedlich war es dort – die reine Idylle –“

„Mit Stachelschweinen,“ scherzte ich.

Das Mädchen lachte. „Sie scheinen ein genauer Beobachter gewesen zu sein. Wie viel Gram und Herzeleid aber ist inzwischen über uns Alle gekommen, wie viel Sorge und Kummer!“

„Auch über Sie?“

„Auch über mich. Aber glauben Sie nicht, daß ich deshalb klage! Nein, nein. In so großer und ernster Zeit muß Jeder seinen persönlichen Antheil an der Noth haben, die über dem Ganzen liegt. Er muß persönlich für etwas zu zittern haben, damit er weiß, was Ungeheures es sei, wenn Hundert- und aber Hunderttausende mit ihm zugleich derselben Bedrängniß, derselben Todesangst ausgesetzt sind. Und täglich zu weinen und doch immer zu hoffen, und täglich zu verzweifeln und doch nie den Muth zu verlieren, sehen Sie, das ist, wenn die Männer draußen im Kampfe stehen, die That der Frauen, das ist unser Heroismus. O, ich fände es viel schrecklicher, wenn ich mitten in der Sorge, welche in den Herzen Aller bebt, allein stehen müßte, ohne weiteren Antheil, als den eben auch der Niedrigste und Gemeinste am Schicksal seines Vaterlandes nehmen muß. Nein, mitleiden müssen wir und mitdulden; Jeder muß seinen Zoll von Schmerz und Thränen zahlen – dann allein haben wir auch das Recht, uns mitzufreuen, wenn endlich aus Nacht und Noth die Glorie des Sieges und Triumphes leuchtend emporsteigt.“

„Brav gesprochen, mein tapferes Fräulein! Aber erlauben [476] Sie, daß ich meine schon vorhin gestellte Frage bestimmter wiederhole: was führt gerade Sie hierher in die Schrecken und Aufregungen des Krieges?“

„Mein Bräutigam liegt hier im Spitale verwundet.“

„O,“ sagte ich mit dem Ausdruck innigster Theilnahme. „Dann sind die schweren Sorgen des Krieges freilich nahe genug an Ihrem Herzen vorübergegangen. Ist die Wunde gefährlich?“

„Gott sei Dank, nein! Ich bin erst vorgestern früh hier angekommen (ich habe die zwei Tage in der erbärmlichsten Spelunke der Welt hausen müssen) und habe meinen Bräutigam besser gefunden, als ich gehofft hatte. Er ist auf dem Wege der Genesung. Ein Schuß in den linken Arm hat ihn getroffen, und der wird freilich, wie der Arzt meint, steif bleiben. Aber das bedeutet wenig, das bedeutet Nichts, wenn die Kugel denn doch einmal treffen soll und das ganze Leben dabei auf dem Spiele steht. Wollen Sie meinem Bräutigam nicht die Freude Ihres Besuches machen?“

Eigentlich hatte ich große Lust, den glücklichen Mann kennen zu lernen, der dieses schöne Frauenbild zu gewinnen verstanden hatte. Aber ich dachte an die nahe Stunde meiner Abreise, und dann war es doch zweifelhaft, ob auch der Bräutigam der schönen Magda Gefallen daran finden würde, wenn sie mich im Gasthof auflas und zu ihm in’s Spital mitschleppte. Ich äußerte deshalb mein Bedenken. Doch das Mädchen unterbrach mich sofort.

„Sie meinem Bräutigam ein Fremder?“ lachte sie. „Erinnern Sie sich denn meines Begleiters in Suderode nicht mehr?“

„O gewiß! Er war es ja, der Ihrem zierlichen Stachelschwein die Stacheln auszog und –“

„Ach, lassen Sie doch das Stachelschwein in Ruhe! Mein Begleiter in Suderode ist mein Bräutigam.“

„Ich gratulire!“ fuhr ich heraus und streckte dem Mädchen so herzlich die Hand hin, daß sie über die Aufrichtigkeit meines Glückwunsches nicht in Zweifel sein konnte. Diese Lösung der Dinge (denn eine solche schien es mir) erfreute mich.

„Mein Bräutigam ist der Graf Eugen Sch…, und nun kommen Sie! Wir fahren nach dem Spitale; eine freundliche Aufnahme verbürge ich Ihnen, und Sie rollen mit Ihrem Omnibus, weil es nun doch einmal nicht anders geht, ein paar Stunden später nach Kehl.“

Auf dem Wege zum Spital, einem früheren Administrativgebäude der französischen Regierung, das zu Lazarethzwecken eingerichtet worden war, erzählte mir Magda die Geschichte von der Verwundung ihres Bräutigams. Er war am 1. September von Metz aus an den Commandanten der Belagerungsarmee vor Straßburg geschickt worden und hatte Anweisung, bis zum nächsten Morgen auf die Ausfertigung des dienstlichen Bescheides zu warten, den er zurückbringen sollte. Er brachte die Nacht in den Laufgräben von Schiltigheim zu, als gegen vier Uhr Morgens die Belagerten unter dem Donner ihrer Wallkanonen aus verschiedenen Thoren der Festung einen Ausfall versuchten. Es war der erste und einzige größere Ausfall, den sie im Laufe der ganzen Belagerung unternahmen. Ihre Absicht war, die Kanonen der zunächst liegenden feindlichen Batterien zu vernageln und die Arbeiten in der Nähe des Festungswerkes zu zerstören. Aber an eine Ueberrumpelung der Belagerungsarmee war nicht zu denken; der erste Lärm von der Festung her fand sie kampfbereit, und den Ausfallenden gelang es nicht einmal, bis zu den Batterien vorzudringen. Graf Sch …, der sich schon bei Noisseville das eiserne Kreuz erkämpft, hatte sich sofort den Kämpfenden angeschlossen und sich wie ein Held geschlagen. Mitten im Dunkel der Nacht und unter dem Sprühregen der französischen Granaten, half er die Anstürmenden zurückdrängen und diese waren schon wieder bis an die Thore zurückgeworfen, als ihn selbst eine letzte tückische Gewehrkugel noch in den Arm traf und verwundete.

„In welcher Angst hätten Sie sich zu Hause verzehrt,“ sagte ich, „wenn Sie von diesen Ereignissen eine Ahnung hätten haben können!“

„O, ich hätte Eugen im Kampfe sehen mögen,“ rief Magda mit leidenschaftlicher Geberde, „ich hätte nicht um ihn gezittert, und der Anblick seines Heldenthums hätte mich nur stolz und glücklich gemacht. Ich habe ihm immer geschrieben: 'Denke nicht an mich, denke nur an Dein Vaterland und an Deine Soldaten!' Ich sah Alles voraus, und wenn er zu Hause oft voll jenes jugendlichen, brausenden Uebermuthes war, der alle Basen und Tanten in tausend Sorgen und tausend Verlegenheiten stürzte, so mußte sich dieser gerade jetzt zu jener Heldenhaftigkeit abklären, die, während sie selbst Wunder der Tapferkeit verrichtet, auch den Untergebenen im Sturme mit fortreißt und dem Könige Reiche gewinnt und dem Sieger Kränze.“

Wenige Minuten nachher saßen wir in dem kleinen Zimmer des Grafen Sch…, rauchten vortreffliche Cigarren und erzählten, was Jeder von uns während der letzten Monate erlebt hatte. Der Graf trug seinen Arm in der Binde und sprach bereits von seiner baldigen Abreise in die Heimath. Er war außer sich, die Armee nicht weiter begleiten zu können, und verwünschte jene französische Kugel, die ihm seine Siegerlaufbahn so jäh zum Ende geführt hatte. „Schauderöses Pech!“ schalt er; „aber ist mir ganz recht geschehen. Verdammtes Straßburg! Hatte Nichts dabei zu thun, ging mich gar Nichts an. Hätten die Andern auch fertig gekriegt. Brauchte meine Nase nicht in jeden Pulverdampf zu stecken.“

Die schöne Magda wollte uns wieder verlassen, und ich sprach ihr darüber meine Verwunderung aus.

„Glauben Sie, ich hätte nichts Anderes hier zu thun, als mit Ihnen zu plaudern und die Zeit zu vertändeln?“

„Aber Sie kamen doch, um den Grafen zu pflegen?“

„Gewiß, gewiß, und das thue ich auch, so gut ich es kann. Nicht wahr, Eugen?“

„Auf Ehre,“ lachte der Gefragte und drehte vergnügt die Spitzen seines blonden Schnurrbartes.

„Indessen, so schwer krank ist mein süßer Pflegling denn doch nicht mehr, daß ich immer bei ihm sitzen müßte, und da rufen mich denn ernstere Pflichten.“

„Sie machen mich neugierig.“

„O, ich habe mich schon im ganzen Spital umgesehen und unentbehrlich gemacht; alle Verwundeten und alle Kranken kennen mich. Wie reiche Hülfe auch am Platze ist, langt sie doch nicht überall aus, und so brave Leute darf man nicht leiden lassen. Und ist das Handeln für mich nicht Leben? Wer sein Leben nicht bethätigen kann, gilt mir für todt. Darum greife ich mit zu, wo ich kann; ich koche, verbinde, wende die Kisten, schreibe Briefe, lese vor, erzähle; ich bin rein ein –“

„Mädchen für Alles,“ scherzte der Graf, „indessen ich hier vor Sehnsucht vergehe, im Liebesfieber verschmachte. Habe gestern vor Sehnsucht poetisch gerast und Verse gemacht. Müssen sie nachher hören.“

„Ja, das müssen Sie,“ lachte das Mädchen lustig, „damit Sie sehen, wie mein Held im Kriege auch zum Dichter geworden ist. Aber ich meine, der Degen kleidet ihn besser als die Harfe. Aber nun adieu! Meine kranken Freunde warten auf mich.“

Damit rauschte sie zur Thür hinaus; ihre Coquettirlöckchen nickten, und der Graf sah ihr zärtlich nach.

„Verteufeltes Mädchen!“ sagte er dann und glaubte gewiß, etwas recht Liebevolles gesagt zu haben.

Ich stimmte kopfnickend bei. Nach einer Pause begann er wieder:

„War doch ganz famos in Suderode. He? Wissen noch? Stachelschwein?“

Ich bejahte. Er lachte.

„War ein Rendezvous. Sie verstehen, heimlich, aber verteufelt geschickt eingefädelt. Meine Braut war noch Gesellschafterin bei meiner Mama, der Gräfin. Lernte sie zuerst in Schlangenbad kennen, wo sie sich Schlangen um den schönen Hals wickelte und damit spazieren ging. Alle Weiber fielen schreiend in Ohnmacht, aber das gefiel mir, und ich verliebte mich rasend in sie. Ist ein verteufeltes Mädchen gewesen. Kam dann wieder in Garnison, aber auf Ehre: habe kein Weib mehr angesehen und immer nur Magda im Kopfe gehabt. Na, und so weiter und so nach und nach. Ohne daß Mama das Geringste merkte. O, wäre schauderöses Pech gewesen! Zuletzt Ausmarsch – Abschied – Park – Abends – Mondschein. Voilà. Konnte nicht abmarschiren, mußte mit Mädel erst im Reinen sein, wollte Alles klar haben. Na, und so weiter. Und wie ich verwundet bin, schreibt mir Mama, wolle mir Johann schicken, den alten Bedienten. Ich schreibe wieder, Esel solle zu Hause bleiben, kann ihn nicht brauchen, sollen mir Magda schicken, sei meine Braut, wolle Niemand Andern, und wenn sie nicht wollen, lasse ich mich in nächster Schlacht todtschießen. Na, sie kennen mich zu Hause und [477] daß ich Ernst machen kann. Wird eine schöne Scene gewesen sein – Krämpfe – Eau de Cologne – Hausarzt – Thränen – Geschrei von Tante Excellenz und Geheul von Cousine Präsidentin, aber zuletzt giebt chère maman nach, küßt das Teufelsmädel und schickt sie so schnell wie möglich hierher, damit ich mich nicht todtschießen lasse. Will auch nicht mehr, aber dafür will ich heimziehen, kolossale Hochzeit machen und mein Mädel wird eine Staatsgräfin werden – glauben Sie nicht?“

„Ohne Zweifel,“ versetzte ich lächelnd. „Und das Gedicht?“

„Wahrhaftig! Hätte fast vergessen!“ Der Graf holte ein Blatt Papier herbei. „Wollte meine Braut gestern zu den Kranken im Spitale gehen. Bat sie, hier zu bleiben, aber Teufelsmädchen lachte mich aus, daß ihr die Thränen in den Augen standen, und ging. Ich aber dichtete:

Liebe Magda es ist schändlich.
Daß Du schon von hinnen gehst;
Meine Sehnsucht ist unendlich,
Aber Du, Du widerstehst.

Nie hätt' ich geglaubt, o Magda,
Das Dein Herz so schlecht es meint –
Und jetzt lachst Du! Gott, wer lacht da? –
Magda lacht da, bis sie weint.“

Der Graf hatte mit höchstem Pathos gelesen.

„He, schöne Verse?“ sagte er jetzt mit innigem Behagen an seiner poetischen Leistung. „Magda – lacht da – wie das klingt! Aber versichere: schauderöse Arbeit, mein Freund; will lieber Batterie stürmen und denke, ich werde mein Lebenlang keine Verse mehr machen.“