ADB:Zeising, Adolf
Herzogs Alexis Friedrich Christian die Stelle eines Kammermusikers. Des unsteten Lebens müde, hatte der gefeierte Künstler das Anerbieten dieser Stelle trotz des geringen Jahresgehalts von 300 Thaler Gold gerne angenommen. Die Verhältnisse der Familie, welche er 1803 begründete, waren deshalb bescheiden und wurden nahezu dürftig, als der Vater schon 1817 starb und der Mutter allein die [405] Obsorge für den siebenjährigen Sohn und dessen um vier Jahre ältere Schwester hinterließ. Die Wittwe siedelte, um ihrem lernbegierigen Sohne den Besuch einer höheren Schule zu ermöglichen, nach Bernburg über, wo dieser die Abgangsprüfung des Gymnasiums mit der besten Note bestand. Am Gymnasium hatte er dank dem Unterrichte eines trefflichen Lehrers besonderes Interesse für Mathematik gewonnen. Schon als Secundaner hatte er durch Gedichte, in denen er die schönen Ruheplätze des Ballenstedter Schloßgartens feierte, die Aufmerksamkeit des Herzogs auf sich gelenkt. Durch kleine Stipendien wurde ihm der Besuch der Universität Berlin ermöglicht, wo er Böckh, Lachmann, Karl Ritter u. A. hörte. Im folgenden Jahre ging er wegen der in Berlin herrschenden Cholera nach Halle und widmete sich der Philosophie bei Rosenkrantz und Hinrichs, philologischen Studien bei Pott, Bernhardy, Stahr und Ritschl. Damals verfaßte er unter anderem das Gedicht „An die Wolken“, durch welches er bereits öffentlich bekannt wurde. Später kehrte er nach Berlin zurück und machte dort die Bekanntschaft von Willibald Alexis und Chamisso. In diese Zeit fallen die „Briefe eines angehenden Philosophen“. Im J. 1834 verließ er die Universität und bereitete sich in Bernburg für das Lehrerexamen vor, welches er glänzend bestand. Dann ertheilte er Unterricht am Gymnasium, zunächst unentgeltlich, so daß er mit Privatunterricht und Thätigkeit an der Höheren Töchterschule für seinen Unterhalt sorgen mußte. An dieser Schule lernte er Meta Petri, seine spätere treue Lebensgefährtin, kennen, welche er im J. 1843 heimführte. Mittlerweile hatte er am Gymnasium als „provisorischer Subconrector“ eine feste Anstellung erhalten (1848 wurde er Professor). Damals herrschte in Bernburg ein reges geistiges Leben, an welchem Z. als Mitglied eines ästhetischen und eines Singkränzchens thätigen Antheil nahm. Litterarisch war er für die „Jahreszeiten“ von Marbach, in welche er unter dem Pseudonym Richard Morning schrieb, und für die „Jahrbücher für speculative Philosophie“ von Noack thätig. Als Verfasser der „Parallele zwischen Tieck und Goethe“ wurde er sofort von Tieck bei einer Begegnung in Dresden erkannt und begrüßt. Eine Abhandlung „Ueber das Erhabene“ fand später Aufnahme in den „Aesthetischen Forschungen“. Im J. 1846 wurde der Vortrag „Ueber die pantheistische Tendenz des Christenthums“ veröffentlicht und erschienen unter dem erwähnten Pseudonym „Zeitgedichte“, welche das Loos traf, eingestampft zu werden.
Zeising: Adolf Z., der Begründer der mathematischen Aesthetik, war geboren am 24. September 1810 zu Ballenstedt am Harz, der damaligen Residenz der Herzoge von Anhalt-Bernburg. Sein Vater, welcher in Braunschweig eine tüchtige musikalische Ausbildung erhalten und als Violinvirtuose ausgedehnte Kunstreisen durch Deutschland, Holland, Westindien unternommen hatte, bekleidete damals am musikliebenden Hofe desIn diesen Gedichten wirft allerdings das Jahr 1848 seine Schatten voraus. Das erste, Reveille betitelt, beginnt:
Wacht auf, wacht auf und seid bereit!
’s ist an der Zeit!
Sie predigt neue Lehre!
Sie predigt laut, sie ruft zur That –
Drum wer zu hören Ohren hat,
Der höre!
In einem anderen Gedichte werden die Krieger von 1813–1815 beklagt, daß sie nach Hause zurückgekehrt „für all ihren Muth nur noch zu blindem Gehorsam gut“ sind. Der König verspricht seinen wackeren Unterthanen: „Frei sollt ihr werden, frei im Glauben, im Lehren und im Hören frei – vorausgesetzt ihr bleibt beim Alten, wie’s vorschreibt Staat und Klerisei“. Doch im allgemeinen ist die Satire eine sehr zahme und zurückhaltende, so daß man jetzt das gerichtliche Urtheil nicht versteht. Aber freilich hatte man sich in dem Verfasser nicht getäuscht. Denn Z. wurde in der Bewegung des Jahres 1848 der Führer der Oppositionspartei, zunächst als Gründer und Redacteur des [406] „Sprechsaales“, in welchem die Mißbräuche der Verwaltung aufgedeckt und die drei Conferenzräthe, welche für den geistesschwachen Herzog die Regierung führten (Alexis Friedrich Christian war 1834 gestorben), einer unnachsichtigen, aber nicht ungerechten Kritik unterzogen wurden. Bald wurde er zum Volksvertreter für Bernburg erwählt. Als Leiter des liberalen Clubs war er heftigen Anfeindungen in der Presse ausgesetzt, und da man thätliche Angriffe auf seine Person oder sein Haus befürchtete, bot ihm die Bürgerwehr ihren Schutz an. In der Folge sah Bernburg stürmische Scenen. Als die Entdeckung gemacht wurde, daß in den Forstacten ein Blatt fehle, erreichte die Erbitterung ihren Höhepunkt. Die Regierung wurde gestürzt. Am 13. October erklärte sich der Landtag permanent, nahm die Exekutivgewalt und den Oberbefehl über die bewaffnete Macht an sich und setzte einen Landtagsausschuß nieder. Der Herzog ergab sich willig darein, und unter dem neuen Ministerium v. Kersten kehrte man schon am 18. October zu den gewöhnlichen Verhältnissen zurück. Als aber die Minister nach Ballenstedt abzureisen im Begriffe waren, um die neue Verfassung vom Herzog sanctioniren zu lassen, kam an das Ministerium die Mittheilung, daß der Herzog nach Quedlinburg abgereist sei, was eine neue große Aufregung hervorrief. Von Quedlinburg erließ der Herzog eine Kundgabe an sein Volk, daß er die neue Verfassung wegen verschiedener Punkte nicht annehmen könne; er habe wiederholt den Erzherzog-Reichsverweser um schleunige Absendung eines Reichscommissärs ersucht. Auch der Landtag hatte ein solches Ansuchen nach Frankfurt gelangen lassen, und Mitte November erschien der verlangte Commissär in der Person des Kölner Appellationsgerichtsraths v. Ammon. Am 14. December wurde der Landtag aufgelöst und eine neue Verfassung octroyirt, die auf dem nächsten ordentlichen Landtag einer Revision unterzogen werden sollte. Nach diesen Ereignissen kehrte Z. in die Schule und zur Wissenschaft zurück und lehnte eine Wahl für den folgenden Landtag ab. Der „Sprechsaal“ wurde eingestellt. Im März des Jahres 1849 führte ein Aufstand zur Verhängung des Belagerungszustandes über Bernburg und zum Einrücken preußischer Truppen. Die Reaction, welche unter dem pietistischen Minister v. Schätzel folgte, machte ihren Einfluß auch auf das Gymnasium und die Stellung Zeising’s geltend. Ein Lehrer, mit welchem dieser schon früher einen Conflict gehabt hatte, besann sich seiner pietistischen Anlage und wurde Director. Die Zurücksetzung, welche Z. bei dieser Gelegenheit erfuhr, verleidete ihm seine Stellung völlig. Man erleichterte ihm den Abgang, welchen man nicht ungern sah, indem man ihm das volle, wenn auch recht mäßige Jahresgehalt als Pension gewährte (1852). Damit gewann Z. die Möglichkeit, wenn auch in bescheidenen Verhältnissen, ganz der Kunst und Wissenschaft zu leben und seine volle Zeit ebensosehr der Forschung und der Förderung wie der Popularisirung des Wissens zu widmen.
Gleich mit Beginn des folgenden Jahres (1853) siedelte er nach Leipzig über, wo er in lebhaften Verkehr mit Künstlern und Männern der Wissenschaft trat, und begann den längst gehegten Gedanken von dem ästhetischen Gesetz des goldenen Schnittes durch umfassende Messungen an Menschen, Thieren, Pflanzen und Kunstwerken festzustellen. Diese für die Theorie des Schönen, für Kunst und Künstler epochemachende Idee, welcher Z. in erster Linie seinen Ruhm und seine hauptsächliche Bedeutung für die Wissenschaft verdankt, beschäftigte ihn von jetzt an während seines ganzen Lebens. Wenn er in der Natur oder an Werken der Kunst wohlgefällige Formen entdeckte, so untersuchte er ihre Proportionen, und durch die Uebung war sein Auge so feinsichtig geworden, daß er das Gesetz sofort erkannte; es war ihm immer ein [407] Hochgenuß, wenn der hinterher angesetzte auf den goldenen Schnitt eingerichtete Reductionszirkel die gemachte Beobachtung aufs Haar bestätigte. Zum ersten Male veröffentlichte er die Entdeckung dieses „die ganze Natur und Kunst durchdringenden ästhetisch-morphologischen Proportionalgesetzes“ in der „Neuen Lehre von den Proportionen des menschlichen Körpers“, Leipzig 1854, worin er zunächst an den Normalmaßen der menschlichen Figur das stete Auftreten der Theilung nach dem äußeren und mittleren Verhältnisse nachwies, und so der bereits von Albrecht Dürer ins Leben gerufenen anatomischen Proportionslehre einen festen Untergrund verschaffte. Der Gedanke wurde sofort in den naturwissenschaftlichen wie in den künstlerischen und philosophischen Kreisen mit lebhafter Theilnahme aufgenommen, wie dem Entdecker alsbald die Ehre zu Theil wurde, zum Mitglied der Kaiserlich Leopoldinisch-Carolinischen Akademie der Naturforscher ernannt zu werden. In ein ästhetisches System wurde die neue Idee gebracht in den „Aesthetischen Forschungen“, Frankfurt a. Main 1855. „Die Zurückführung der Verschiedenheit auf die Einheit“, heißt es S. 172, „kann erscheinen als strenge Regelmäßigkeit oder Gleichförmigkeit, wenn die Theile der Figur vollkommen gleich sind und zu dem Cardinalpunkte eine und dieselbe Beziehung haben; als Proportionalität, wenn die Theile der Figur zwar ungleich sind, aber durch den Cardinalpunkt dergestalt vereinigt und zu einem Ganzen verbunden werden, daß zwischen den Theilen untereinander einerseits und zwischen den Theilen und dem Ganzen andererseits ein und dasselbe Verhältniß besteht“, und S. 180: „Wenn ein in ungleiche Theile getheiltes Ganzes als formell-schön erscheinen soll, muß sich der kleinere Theil zum größeren ebenso verhalten, wie sich der größere Theil zum Ganzen verhält“. Ueber Zeising’s ästhetisches System vgl. Lotze, Geschichte der Aesthetik (München 1868, S. 458).
Der Wunsch, in der Glyptothek zu München an plastischen Werken der antiken Kunst Messungen vorzunehmen, auch die Nähe der Alpen und der Gedanke an wissenschaftliche Reisen nach Italien führten Z. im J. 1855 nach München, wo er sich – dank auch den geistig anregenden geselligen Verhältnissen – bald so einlebte und behaglich fühlte, daß er, obwohl die Messungen an antiken Statuen von König Ludwig I. nicht gestattet wurden, dauernden Wohnsitz nahm und bis zu seinem am 27. April 1876 erfolgten Tode verblieb. In München wurde das stille Leben in der Studirstube nur unterbrochen durch einen alljährlichen Aufenthalt im Gebirge, für dessen Naturschönheiten er als einer der ersten begeistert war, durch die thätige Theilnahme an den Gesellschaften von Dichtern, Künstlern und Gelehrten („Krokodil“, „Zwanglose“), vor allem aber durch das rege Interesse, mit dem er alle Erscheinungen der Kunst und Litteratur, nicht zum mindesten des Schauspiels und besonders der Oper, für welche er Sinn und Verständniß von seinem Vater geerbt hatte, endlich die politischen und religiösen Bewegungen der Zeit verfolgte. Mit vielen edlen Männern des Jahres 1848 erlebte er als das Schönste und Erhebendste die Erfüllung dessen, wofür er gestritten und gelitten hatte, die Einigung und freiheitliche Gestaltung des Vaterlandes, wovon er in einem der „Zeitgedichte“ von 1846, „Deutschlands Verjüngung“ betitelt, nur das Beginnen gesehen hatte:
Deutschland, Deutschland, freue dich,
Deine Kraft erneuet sich.
Deine Kinder fühlen wieder
Sich als eines Leibes Glieder,
Fühlen sich in Lust und Schmerzen
Wieder Blut aus einem Herzen,
Wieder Keim’ aus einem Kern,
Strahlen aus demselben Stern.
[408] Das Gesetz des goldenen Schnittes bildete immerfort den Mittelpunkt seiner wissenschaftlichen Thätigkeit, und die Freude, daß Gelehrte in verschiedenen Zweigen des Wissens die neue Idee aufgriffen und in ihrem Fache ausführten, daß auch Kunst und Kunstgewerbe davon Nutzen zogen, steigerte nur seinen Eifer, das Gesetz nach allen Seiten zu verfolgen, wobei ihm sein ausgedehntes und tiefgründiges Wissen gute Dienste leistete. So entstanden die Abhandlungen: „Die Verhältnisse der Menschengestalt und der Blattstellung in ihrer Gleichheit und Verschiedenheit“ in der Zeitschrift „Die Natur“ IV (1855), worin Z. der von Schimper und Braun ins Leben gerufenen mathematischen Richtung in der Botanik folgte und das Verhältniß des goldenen Schnitts als das eigentliche Normalverhältniß der Blattstellung zu erweisen suchte; „Zur Lehre vom menschlichen Gesichtswinkel“ in derselben Zeitschrift V (1856); „Die Unterschiede der Rassetypen“ in Vierordt’s „Archiv für physiologische Heilkunde“ 1856; die Broschüre „Das Normalverhältniß der chemischen und morphologischen Proportionen“ 1856; die Artikel „Der menschliche Kopf im Profil“ in Abhandlungen der N. Münchener Zeitung 1856, Nr. 18–20; „Die Proportionen von rein antiken Statuen“ in Eggers’ „Kunstblatt“ 1856; „Die Proportionen des Parthenon nach den Penrose’schen Messungen“ im „Deutschen Kunstblatt“ 1857; als Ergebniß sorgfältigster Messungen die große Abhandlung „Ueber die Metamorphosen in den Verhältnissen der menschlichen Gestalt von der Geburt bis zur Vollendung des Längenwachsthums in den „Verhandlungen der Leopoldinisch-Carolinischen Akademie der Naturforscher“ Bd. XXVI (1858); die Aufsätze „Ueber den subjectiven und objectiven Charakter des Schönen“ im „Morgenblatt“ 1859; „Morphologische Studien“ in Fichte’s „Zeitschrift für Philosophie“ 1866; „Die Verhältnisse des Kölner Doms“ in der „Beilage zur Allgemeinen Zeitung“ 1869, Nr. 216–218; endlich im Gebiete der Mathematik „Das Pentagramm“, „Aesthetische Studien im Gebiete der geometrischen Formen“ und „Die regulären Polyeder“ in der Cotta’schen „Deutschen Vierteljahrsschrift“ 1868, 1869. Ueber die ästhetische Bedeutung des Gesetzes richtete Professor Seydel in Fichte’ „Zeitschrift für Philosophie“ Bd. LI ein Sendschreiben an Z., auf welches dieser im nächsten Bande antwortete, worauf wieder im folgenden Bande Seydel’s Rückantwort erschien unter dem Titel: „Die geistige Deutung des goldenen Schnitts.“ Sehr eingehend hat über den ästhetischen Werth des goldenen Schnitts G. T. Fechner, Zur experimentalen Aesthetik I in den Abhandlungen der Kgl. Sächs. Gesellschaft der Wissenschaften XIV (1871), math.-phys. Cl., S. 554 ff. gehandelt. Als entschieden bestätigt findet dieser Gelehrte den Vorzug des goldenen Schnitts nur als Dimensionsverhältniß für einfache Rechtecke. Dagegen bezeichnet es Th. Wittstein, „Der goldene Schnitt und die Anwendung desselben in der Kunst“ (Hannover 1874) als Ergebniß zwanzigjähriger Beobachtung, daß für die Kunst der Zeising’sche Gedanke nur ein äußerst glücklicher genannt werden könne. Ebenso weist H. Riegel, „Grundriß der bildenden Künste“ (Hannover 1875, S. 105 ff.) ausführlich nach, daß dieses Gesetz für die Kunst von der entschiedensten Bedeutung ist und daß es sich selbst da geltend macht, wo Niemand es geahnt hätte. Auf den Einwand, welchen Fechner a. O. macht, daß man, wenn dieses Gesetz so große Bedeutung hätte, wie Z. annimmt, nicht begreifen könnte, warum es so lange unentdeckt geblieben, kann man die Erwiderung aus Joh. Bochenek, „Canon aller menschlichen Gestalten und der Thiere“ (Berlin 1885) entnehmen, welcher S. 79 bemerkt: „Aus der Uebereinstimmung des goldenen Schnitts mit allen als vollkommen anerkannten Kunstgebilden und den schönsten Naturbildungen sowie aus den Benennungen der alten classischen Zeit (χρυσῆ τομή, sectio aurea) geht hervor, daß früher [409] diese Verhältnißart vor allen anderen besonders ausgezeichnet wurde und in großer Hochachtung stand. Ihre Vorzüglichkeit und Anwendbarkeit ist jedoch im Lauf der Zeit völlig in Vergessenheit gerathen, so daß nur die Benennung und der geometrische Lehrsatz übrig geblieben waren.“ Bemerkenswerth ist, wie sich Professor Karl Jessen im Vorwort zu diesem Buche äußert: „Unbedenklich darf man von jetzt an sagen, was von der Antike schon längst gilt: der Künstler, welcher jetzt noch in den Verhältnissen ruhender oder bewegter Gestalten Mißgriffe begeht, der hat dies nur seiner Flüchtigkeit oder handwerksmäßigen Unaufmerksamkeit zuzuschreiben.“ J. Matthias, „Die Regel vom goldenen Schnitt im Kunstgewerbe. Ein Handbuch für Werkstatt, Schule und Haus“ (Leipzig 1886), macht „den Versuch, das Gesetz des goldenen Schnitts auch in die Praxis des Kunstgewerbes einzuführen und demselben dadurch ein Hülfsmittel darzubieten, welches infolge seiner Einfachheit für jedermann verständlich und wegen seiner allgemeinen Anwendbarkeit in allen Fällen zuverlässig ist. Dem Arbeiter dürfte durch dasselbe viel Zeit, mancherlei Verdruß und Verlust erspart und ihm außerdem ein wohlbegründetes Selbstvertrauen eingeflößt werden.“ Ueber die mathematischen Ausführungen Zeising’s hat S. Günther in der „Zeitschrift für Mathematik und Physik“ XXI, S. 157 ff. ein anerkennendes Urtheil abgegeben mit dem Wunsche, daß dem unermüdlichen Bearbeiter eines mathematisch-philosophischen Grenzgebietes ein ehrenvolles Andenken in den Kreisen der eigentlichen Fachwelt gewahrt bleibe. Vgl. auch Hankel, Zur Geschichte der Mathematik im Alterthum und Mittelalter (Leipzig 1874, S. 76), wo anerkannt wird, daß die gothische Ornamentik allenthalben auf dem Gesetz des goldenen Schnitts beruht.
Mit den ästhetischen Studien berührten sich metaphysische Forschungen. Z. fühlte ein inneres Bedürfniß, sich eine feste und wohlbegründete Ueberzeugung über Gott und Welt zu bilden. Aufsätze in philosophischen Zeitschriften („Die menschliche Gestalt in ihrem Zusammenhang mit der menschlichen Bestimmung“, „Die Grundformen des Denkens in ihrem Verhältnisse zu den Grundformen des Seins“, „Ueber die Zweckmäßigkeit in der Natur“, „Kraft und Stoff – Geist und Materie“, „Ueber den Begriff des Seins“, „Ueber den Gottesbegriff“) entwickelten bereits die Ideen „einer Gott- und Weltanschauung auf erfahrungs- und zeitgemäßer Grundlage“, welche er in seinem letzten großen Werke „Religion und Wissenschaft, Staat und Kirche“ (Wien 1873) darlegte und – nicht zu ihrem Vortheil – mit Gedanken, wie sie ihm der damalige Culturkampf darbot, verquickte in der Absicht, die Vorstellungen über das Verhältniß zwischen Wissenschaft und Religion, Staat und Kirche aufzuklären und richtig zu stellen.
Als ein geeignetes Mittel, seinen Gedanken weitere Verbreitung zu verschaffen und für seine politischen, religiösen und künstlerischen Bestrebungen Einfluß zu gewinnen, aber auch seinem vielseitigen Wissen und seiner reichen Phantasie ein Arbeitsfeld zu bieten, betrachtete er die Form des Romans. In „Hausse und Baisse“ wird bei einer Vergleichung des deutschen Romans mit dem französischen und englischen folgendes Urtheil abgegeben: „Unser deutscher Roman wurzelt zugleich in einem tiefen Fond von Intelligenz, Gemüth und Sittlichkeit; er tritt entschiedener und wirksamer für die Interessen des Wahren, Guten und Schönen ein, mit einem Wort: er ist gewichtvoller durch seinen idealen Gehalt.“ In diesem Sinne schrieb Z. Romane; was aber von diesem Gesichtspunkte aus ein Vorzug seiner Romane war, das erwies sich in den Augen des großen Lesepublicums, welches Unterhaltung, nicht Belehrung verlangte, als ein Nachtheil. Im Anfang diente ihm die Belletristik zur Erholung. Sprachwissenschaftliche Studien nämlich, aus denen [410] unter anderem ein Aufsatz über kn (1853) hervorging, hatten ihm infolge der Beschäftigung mit dem Sanskrit und der Keilschrift eine Augenkrankheit zugezogen, welche ihn veranlaßte, den Stoff für seine litterarische Thätigkeit fürs erste mehr aus dem Reiche der Phantasie zu holen. Und seiner Phantasie ließ er freien Lauf in der Novelle „Meister Ludwig Tieck’s Heimgang“ (Frankfurt a. M. 1854). An die Beerdigung Tieck’s in Berlin wird eine Erzählung angeknüpft, in welcher er sich nicht bloß mit der Romantik beschäftigt, sondern auch das damals in Deutschland aufgekommene Tischrücken und Geisterklopfen satirisch behandelt. Ebenso hatten die Romane „Die Reise nach dem Lorbeerkranze“ (1861), „Hausse und Baisse“ (1864), „Joppe und Krinoline“ (1865), „Kunst und Gunst“ (1865) bestimmte Fragen der Musik, der Malerei, der Philosophie im Auge. Ein weiterer Roman sollte sich mit der Lösung der deutschen Frage beschäftigen; aber der Ausarbeitung des bereits fertigen Entwurfs mit der Feder kam 1866 die Lösung mit Blut und Eisen zuvor.
Auch an dramatischen Dichtungen versuchte Z. seine Gestaltungskraft und den Reichthum seiner Phantasie. Das auf ernster Grundlage beruhende, mit feinem Humor durchgeführte Schauspiel „Die Landhofmeisterin“ war schon zur Aufführung an der Münchener Hofbühne angenommen, wurde aber wieder abgesetzt, weil man glaubte, das Publicum könne darin Anspielungen auf das Verhältniß des noch lebenden Königs Ludwig I. zur Lola Montez entdecken, obwohl eine rein historische Begebenheit aus der württembergischen Geschichte zur Zeit des spanischen Erbfolgekrieges zu Grunde liegt. Die Tragödie „Kaiserin Eudocia“ war auf ein Preisausschreiben von König Max II. hin eingereicht und von den Preisrichtern zur Aufführung begutachtet worden, aber der Erfolg der Aufführung entsprach nicht den Erwartungen des Dichters. Ein Recensent im Abendblatt der „Neuen Münchener Zeitung“ vom 2. November 1861 berichtet darüber: „Ueberblickt man den Bau des Stückes und die Sicherheit der Charakteristik, so kann man nicht leugnen, daß ein höchst wirkungsreiches, lebendiges und tief poetisches Drama geschaffen wurde. Die Anordnung der Scenen, die knappe, schlagende Sprache und die Bewältigung der Massen beweisen, daß der Verfasser die Bühne studirt hat und sich auf den scenischen Effect vortrefflich versteht. Dies Verdienst wird ihm bleiben, auch wenn die erste Aufführung den ungleichen Werth der Dichtung bewiesen hat. Die vortreffliche Schürzung des Knotens in den ersten drei Acten, unter deren Scenen namentlich die Entwaffnung der Soldatenanführer vor der kaiserlichen Burg durch den Muth und die Erscheinung der Kaiserin äußerst wirksam und von packender Größe war, und die auch einen wiederholten und lebhaften Applaus hervorrief, ließ das Beste erwarten. Doch schon beim Schlusse des dritten Acts, an welchem sich die Kaiserin in dem vollen Wahnsinn ihrer Liebe ihrem Schützlinge ebenso unweiblich als für ihren hohen Stand erniedrigend zu Füßen wirft und ein Meineid aus rein sinnlichen Motiven begangen wird, da mußte sich das Interesse an ihrem ferneren Schicksal eher in Kälte und Befriedigung als in Rührung verwandeln.“ Von dem Recensenten wird noch getadelt, daß die Handlung von fast lauter Verworfenen und schwankenden Charakteren getragen werde. Dem Erfolg that es merklich Eintrag, daß der Schluß in stark gekürzter und die Tragik geradezu untergrabender Gestalt auf die Bühne kam. Auch die Aeußerlichkeiten wirkten störend, so das Versagen der damaligen bühnentechnischen Mittel. Eine Vision Eudocia’s, in der sie die Bahre ihres gefallenen Gemahls von Türken getragen erblickt, erschien als scharf ausgeschnittenes, in grellen Farben ausgeführtes Bild am Horizont und löste begreiflicherweise statt Ergriffenheit [411] die Heiterkeit des Publicums aus. Derlei Mißgriffe und das seiner Meinung nach absichtlich schlechte Spiel des Schauspielers Herz, welches auch von dem eben erwähnten Recensenten getadelt wird, konnte Z. nie ganz vergessen, während er stets dankbar der großartigen, eindrucksvollen Darstellung der Titelrolle durch Frau Straßmann gedachte.
Der Vollständigkeit halber wollen wir auch erwähnen, daß Z. im Auftrage der Bernburger Regierung ein Deutsches Lesebuch für das Gymnasium zusammenstellte, welches in der Folge viel benützt wurde, und Schriften von Xenophon übersetzte (Memorabilien 1855, Gastmahl 1865, Oekonomikus 1866). Aber nicht aufzählen lassen sich all die Kritiken, Kunstberichte, litterarhistorischen Aufsätze, welche er für die „Blätter für litterarische Unterhaltung“, für die Beilage der „(Augsburger, später Münchener) Allgemeinen Zeitung“, für „Europa“, „Kunstblatt“, „Bayerische Zeitung“, „Preußische Zeitung“ u. s. w. lieferte. Es ist begreiflich, daß er bei der staunenswerthen Vielseitigkeit seines Wissens und seiner Studien ein vielbegehrter Mitarbeiter periodischer Blätter war.
Das liebenswürdige und zuvorkommende Wesen, der edle und biedere Charakter, die unerschütterliche Gerechtigkeitsliebe, die geistreiche und anregende, oft mit Humor gewürzte Unterhaltung gewannen Z. viele Freunde. Gesundheit an Geist und Körper, ein schönes Familienleben, die rege, mit Erfolg gekrönte Thätigkeit, die Freude an der Kunst und der Natur machten sein Leben im allgemeinen zu einem glücklichen. Doch erfüllte sich auch an ihm die Warnung Solons. Die drei letzten Jahre seines Lebens waren ihm durch ein qualvolles inneres Leiden verbittert, welches seinen kräftigen Körper bei liebevollster und aufopferndster Pflege der Gattin nur allmählich aufzureiben vermochte. Doch ertrug er die Schmerzen „mit der Seelenstärke des gottergebenen Weisen“, wie sein Freund Carrière in dem Nekrolog der Beilage zur Allgemeinen Zeitung 1876, Nr. 125 bemerkt. Eine späte Genugthuung wurde dem Todten zu Theil in dem Nachrufe, welchen ihm die „Bernburger Zeitung“ widmete, wo es am Schlusse heißt: „Die Kämpfe des Jahres 1848 und die grellen politischen Gegensätze jener Zeit, auf welche wir jetzt als gereifte Männer mit ganz anderen Gefühlen zurückblicken, führten ihn dahin, so Vieles, was ihm theuer, zu meiden und ein fremdes Asyl aufzusuchen. Es war ein Charakter aus jenem festen Stoffe, der den Schicksalsschlägen, wenn sie ihn um seiner Ueberzeugung willen trafen, auch zu widerstehen und auszuharren vermochte. Möge aber die Zeit fernbleiben, wo die geistig Begabteren unter uns genöthigt sind, infolge politischer Unduldsamkeit dem Heimathherde den Rücken zu wenden.“