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Artikel „Schimper, Karl“ von Ernst Wunschmann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 31 (1890), S. 274–277, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Schimper,_Carl&oldid=- (Version vom 25. Dezember 2024, 17:52 Uhr UTC)
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Schimper: Karl Friedrich S., Botaniker, geboren zu Mannheim am 15. Februar 1803, † in Schwetzingen am 21. December 1867. Als Sohn eines unbemittelten Geometers, wurde Schimper’s Ausbildung auf dem Lyceum seiner Vaterstadt nur möglich durch die Hülfe wohlwollender Freunde, die sowohl ihn wie seinen jüngeren Bruder Wilhelm über eine an Entsagungen reiche und durch unerquickliche Familienverhältnisse getrübte Jugendzeit fortzuhelfen suchten. Schimper’s Fleiß und geistige Begabung verschafften ihm beim Abgange vom Lyceum 1822 ein Stipendium zum Studium der Theologie in Heidelberg. Aber es hielt ihn nicht lange bei demselben. Der schon dem Schüler innewohnende Drang zur Naturbeobachtung trieb ihn mehr und mehr zu den Naturwissenschaften, vorzugsweise zur Botanik. Nach zweijährigem Studium verließ S. Heidelberg, um als Pflanzensammler im Auftrage und auf Kosten eines Actienvereins eine Reise nach Südfrankreich und in die Pyrenäen zu machen, von welcher er mit reicher Ausbeute im Herbste 1825 zurückkehrte. Theils im Elsaß bei seinem [275] Oheim, dem Vater des späteren Straßburger Professors Wilhelm Philipp S., theils im Hause des Gartendirectors Zeyher in Schwetzingen unternahm er die Bestimmung und den Versand der gesammelten Pflanzen an die Actionäre. Im Herbste 1826 begab sich S. wieder nach Heidelberg, diesmal in der Absicht, Medicin zu studiren. Die Mittel dazu erwarb er sich theils durch Privatunterricht, theils erhielt er sie durch eine Subscription, die seine Landsleute für ihn angeregt hatten. Es fesselten ihn indessen jetzt die medicinischen Studien nicht viel mehr, als früher die theologischen. Wenigstens kümmerte er sich wenig um einen regelrechten Studiengang, trieb vielmehr Naturwissenschaften auf eigene Hand, immer nur seinem jeweiligen Drange folgend, selbstthätig zu beobachten und, ohne bei dem Errungenen zu verweilen, stets neue Gebiete der Forschung aufzusuchen. Hier in Heidelberg lernte S. in dem Botaniker Alexander Braun und dem Zoologen Louis Agassiz ihm geistig ebenbürtige und von gleichem wissenschaftlichem Streben erfüllte, wenn auch an Jahren jüngere Studiengenossen kennen, mit denen er in ein inniges Freundschaftsverhältniß trat, das für die wissenschaftliche Entwickelung der drei Männer von großer Bedeutung wurde. Auch als „das Kleeblatt“ sich 1828 in München wieder zusammenfand, setzte sich der rege wissenschaftliche Meinungsaustausch fort und es nahmen nunmehr auch die Probleme über die morphologische Bedeutung der Blattstellung im Pflanzenreich, mit denen S. und Braun sich gemeinsam fortdauernd beschäftigt hatten, greifbare Form an. Zunächst publicirte S. 1830 in Geiger’s pharmaceutischem Magazin (Band 28) eine Arbeit: „Beschreibung des „Symphytum Zeyheri und seiner zwei deutschen Verwandten, des Symphytum bulbosum Schimp. und Symphytum tuberosum Jacq.“, in welcher er anhangsweise eine ganz neue Theorie der Blattstellung offenbarte, die durch ihren Reichthum an neuen Gesichtspunkten, Fülle der Thatsachen und Frische der Auffassung ein epochemachendes Aufsehen in der gelehrten botanischen Welt hervorrief. Wenige Jahre später, auf der vom 18. bis 25. September 1834 in Stuttgart tagenden Naturforscherversammlung setzte S. in einem Vortrage über die Möglichkeit eines wissenschaftlichen Verständnisses der Blattstellung und in den sich daran anschließenden Discussionen innerhalb der botanischen Section seine Lehre von der successiven geometrischen Gestaltung der Pflanze auseinander, ohne indessen etwas darüber durch den Druck zu veröffentlichen. Die sich dafür interessirenden wissenschaftlichen Kreise waren zunächst nur auf die in der Zeitschrift Flora 1835 (Seite 39) abgedruckten Protokolle angewiesen. Es erschien indessen ein halbes Jahr später in demselben Jahrgang genannter Zeitschrift ein sehr ausführliches, durch Klarheit der Darstellung ausgezeichnetes Referat A. Braun’s unter dem Titel: Dr. Karl Schimper’s Vorträge über die Möglichkeit eines wissenschaftlichen Verständnisses der Blattstellung nebst Andeutung der hauptsächlichsten Blattstellungsgesetze und insbesondere der neu entdeckten Gesetze der Aneinanderreihung von Cyklen verschiedener Maße. Diese Publication ist diejenige, durch welche besonders Schimper’s Name in der Botanik zu hohen Ehren gelangt ist. Trotzdem und wiewol der Referent ganz objectiv und im besten Glauben, nur Gutes für seinen Freund zu wirken, seine Arbeit verfaßte, erregte sie doch Schimper’s Unwillen, weil sie in ihrer endgültigen Fassung ihm nicht zur Durchsicht vorgelegen, in so hohem Grade, daß es zwischen ihm und Braun zu einem völligen Bruche kam. Wie leicht erregbar die Natur Schimper’s war, zeigte sich schon darin, daß die Thatsache, daß der Buchhändler Winter in Heidelberg ohne sein Wissen seine Arbeit über Symphytum neu abgedruckt hatte und daß die schon 1829 geschriebene Arbeit nun mit der Jahreszahl 1835 erschien, ihn auf’s höchste beleidigte, da es den Schein erwecke, „als ob er Neues gar nicht mehr produziren könne“. Dennoch läßt sich die in seinen Briefen ausgedrückte, [276] fast krankhafte Gereiztheit Schimper’s gegenüber dem so harmlosen und ihm innig ergebenen Braun, kaum erklären, selbst wenn man die vielfachen äußeren Sorgen in Betracht zieht, mit denen dieser Mann nicht nur damals, sondern bis an sein Lebensende zu kämpfen hatte. Denn so lange er lebte, stand er hinsichtlich der Beschaffung seines Lebensunterhaltes kaum jemals auf eigenen Füßen; wie er denn auch freilich ernstlich nie etwas gethan hat, um in eine geordnete Lebensstellung hineinzukommen. Während der fünfzehn Jahre, in denen er München zum Wohnsitz hatte, war er kurze Zeit daselbst als akademischer Docent thätig, zeitweilig befand er sich auf wissenschaftlichen Reisen in den Alpen, Pyrenäen und der Rheinpfalz, zu denen er vom Könige und vom Kronprinzen von Baiern Auftrag und Mittel empfing. Der an ihn im Winter 1840–41 ergangenen Aufforderung, bei der damals begonnenen wissenschaftlichen Erforschung des Königreichs Baiern durch Untersuchung der geologischen Verhältnisse der Rheinpfalz sich zu betheiligen, gab er sich mit großem Eifer hin, lieferte aber die geforderten Beiträge nicht zu der bedungenen Frist, so daß infolge davon die Zahlung seines Gehaltes eingestellt wurde. Nach allerlei unliebsamen Erörterungen löste sich 1843 sein Verhältniß zur bairischen Regierung. Er zog nach Mannheim, wo er sein Dasein mühsam durch Unterrichten fristete, aber daneben unablässig weiter forschte, neue Gebiete der Naturwissenschaft betretend und erweiternd. Ueber die Resultate seiner Thätigkeit hat er wohl auf Naturforscherversammlungen manches vorgetragen, niemals aber etwas Zusammenhängendes darüber drucken lassen. Was wirklich im Buchhandel erschienen ist, wird weiter unten aufgezählt werden. Abgesehen von einem kurzen Aufenthalte in Jena 1854–55, lebte S. von 1849 an in Schwetzingen. Der Großherzog Leopold von Baden gewährte ihm eine jährliche Pension, die ihn vor drückendstem Mangel schützte. Auch wurde seine Existenz eine sorgenfreiere, als ihm 1863 der Großherzog Friedrich eine freie Wohnung im Schwetzinger Schloß einräumen ließ, so daß sich seine letzten Lebensjahre freundlicher gestalteten. Dazu trug viel bei, daß eine Freundin seiner Jugend, die Pflegetochter Zeyher’s, Sophie Wohlmann, nach Schwetzingen zog, die ihm nicht nur eine freundliche und hülfreiche Beratherin in allen äußeren Lebensangelegenheiten wurde, sondern auch willig und verständnißvoll auf seine geistigen Bestrebungen einging. Sein excentrisches Wesen verlor dadurch mehr und mehr an Schärfe und ein friedlicher Tod, infolge eines erneuten Anfalls von Wassersucht, erlöste ihn im 65. Jahre seines Lebens von einem schwer durchkämpften Dasein, nachdem er noch einige Stunden vor dem Sterben seiner treuen Pflegerin die Anzeige seines Hinscheidens dictirt hatte.

Die wissenschaftliche Botanik sieht in Karl Schimper den Begründer der Blattstellungslehre. Nachdem Goethe 1790 durch seine Lehre von der Metamorphose der Pflanze der Botanik, welche sich in trockener Speciesbeschreibung und Systematisirung zu erschöpfen drohte, einen neuen wissenschaftlichen Impuls gegeben hatte, wurde diese Lehre im ersten Drittel unseres Jahrhunderts durch die Verquickung mit sogenannten naturphilosophischen Ideen und zwar besonders von Seiten deutscher Botaniker, wie Voigt, Kieser, C. H. Schulz, Gottfried Nees von Esenbeck u. a. zu einer förmlichen Monstrosität umgebildet dadurch, daß man allerhand unklare mystische Beziehungen mit den Pflanzenorganen verband. Da wehte es wie ein frischer Hauch durch die wissenschaftliche Botanik, als man mit der Schimper-Braun’schen Theorie sich wieder auf den realen Boden der Thatsachen versetzt fand. Daß die Blätter an den sie erzeugenden Stengeln nach bestimmten geometrischen Regeln angeordnet sind, war zwar schon lange vorher wahrgenommen worden; was aber die neue Lehre auszeichnete, war die Zurückführung aller Stellungsverhältnisse auf ein einziges Princip, auf das der spiraligen [277] Anordnung, die durch das Maß der seitlichen Abweichung oder Divergenz der Blätter von der Axe bestimmt werde. Aus sehr zahlreichen Beobachtungen wurde gezeigt, daß trotz der Mannichfaltigkeit in den Blattstellungsmaßen, doch nur eine verhältnißmäßig geringe Zahl derselben ganz gewöhnlich vorkomme, nämlich diejenigen Divergenzen, welche die Partialwerthe eines unendlichen Kettenbruches einfachster Form darstellen. Auch das dem spiraligen Wachsthum scheinbar widersprechende häufige Vorkommen von quirlständiger Anordnung der Blätter, beispielsweise in den Blüthentheilen, wurde durch die Annahme eines Zusatzes (Prosenthese) erklärt, den das Blattstellungsmaß beim Uebergange vom letzten Blatt des einen Cyklus zum ersten des anderen erfahre. Nicht minder gewandt zeigten sich die Begründer der neuen Lehre in der Feststellung der Regeln, nach denen sich die Blattstellungsverhältnisse der Seitensprosse an die der Mutteraxe anschließen, wodurch besonders die Natur der Blüthenstände sich in klarster Weise geometrisch darstellen ließ. Kurz, die ganze Lehre erschien wie aus einem Guß, bis in alle Consequenzen ausgesponnen und die Beschreibung morphologischer Verhältnisse, selbst der verwickeltsten, gewann, den bisherigen trockenen Diagnosen der Systematiker gegenüber, die Bedeutung einer Kunst, welche die Gesetze des Wachsthums gleichsam sinnlich vor Augen führte. Die Forschungen späterer Jahre, in denen durch bahnbrechende Gelehrte wie Mohl, Nägeli, Unger, Hofmeister, Sachs u. a. der wissenschaftlichen Botanik ein neuer Boden bereitet wurde, nämlich der der Entwicklungsgeschichte, haben manche Irrthümer und Auswüchse der Schimper-Braun’schen Lehre beseitigt. Der Kern derselben ist dagegen noch heute als richtig anerkannt und vor allem ist ihr historischer Werth in der Entwicklungsgeschichte der Botanik nicht hoch genug anzuschlagen. Schimper’s sonstige litterarische Leistungen treten gegen die genannte erheblich zurück. Großen Werth legte er darauf, daß ihm in der Begründung der Lehre von der Eiszeit die Priorität gebühre, wodurch er auch mit Agassiz in Zwiespalt gerieth. Gedruckt darüber ist nur der Entwurf zu einem Vortrage: „Ueber die Witterungsphasen der Vorwelt“ aus dem Jahre 1843 und ein als Flugblatt 1837 erschienenes Gedicht mit dem Titel: „Die Eiszeit“. Großen Raum unter seinen Publicationen nehmen seine Gedichte ein. Zwei Bände von ihnen erschienen 1840 und 1847, ferner Gelegenheitsgedichte: „Auszug, Stücke aus dem noch ungedruckten Mooslob oder die schönsten Gedichte der Moose, alte und neue in Versen, für eine junge Dame zu einer eleganten Moossammlung. Festgabe für Bonn“ 1857 und, ohne Datum ihres Erscheinens, „Natursonnette, zu Jena gedichtet 1854“. Mit praktischen Fragen beschäftigen sich folgende Arbeiten: „Gesichtspunkte eines stromkundigen Naturforschers bei der Frage, wo zu Mannheim der Rhein überbrückt werden soll“. 1863, – „Landwirthschaftliches aus dem Mannheimer Anzeiger, December 1865, besonders abgedruckt“ – „Wasser und Sonnenschein, oder die Durchsichtigkeit und der Glanz der Gewässer, betrachtet nach ihrem Einfluß auf die Entwickelung organischer und geologischer Art am Aeußeren des Erdballs“. 1867. – Der Darwin’schen Descendenzlehre stand S. feindlich gegenüber, wie aus einem 1865 erschienenen Flugblatt hervorgeht: „Gruß und Lebenszeichen für die in Hannover versammelten Freunde und Mitstrebenden“.

Hofmeister, Nekrolog in Bot. Ztg. 1866. – Sachs, Geschichte der Botanik. – G. Mettenius, A. Braun’s Leben.