Burg Altenstein in Franken

CCXXXI. Belgrad in Servien Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfter Band (1838) von Joseph Meyer
CCXXXII. Burg Altenstein in Franken
CCXXXIII. Grätz in Steyermark
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BURG ALTENSTEIN
in Franken

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CCXXXII. Burg Altenstein in Franken.




Wie manche Stunde, lieber und getreuer Leser, haben wir mit schöpfendem Auge und saugendem Herzen zusammen schon gewandelt auf unsrer schönen Erde, zwischen den Perlenschnüren bethaueter Auen, durch sumsende Thäler, über schimmernde Höhen, durch dunkle, dampfende Wälder, oder durch Wüsten, brennende in Afrika’s heißem Gürtel, und erstarrende in Asien’s und Europa’s Alpen. Mausoleen haben wir geöffnet, die Katakomben erforscht, Pyramiden erklimmt; wir haben die Geheimnisse der Orakel erlauscht und der Verehrung Gottes in allen Formen, am Ganges, wie am Nil, auf der Akropolis, wie am Grabe des Erlösers, beigewohnt. Die Palläste der Gewaltigen entgingen uns nicht, nicht die Kerker ihrer Opfer. Viel, viel haben wir mit einander gesehen, und viel, noch viel mehr mit einander empfunden; in jenen Augenblicken zumal, wo die Natur alle Röhren ihres Lebensstromes uns öffnete, oder wenn wir großen Menschen, die wir auf unsern Wanderungen trafen, an’s Herz fielen, oder wenn große Erinnerungen und Ereignisse an uns vorüber zogen, wie die leuchtende Hand der Allmacht in der dunkeln Nacht der Geschicke. Und wir werden noch manche Stunde wandern, noch manche Gefühle tauschen mit einander, wenn in deinem und meinem Herzen und auf dem Staubkörnchen, über und unter welchem die Milchstraßen ziehen, das Leben fortschlägt. Wer möchte auch freiwillig zurückbleiben? ist doch unsere Wanderung so leicht; ist sie doch begabt mit jedem Reize und allem Genusse der Mannichfaltigkeit und Freiheit! Jeder Schritt führt uns zu einem interessanten Ziele, und an jedem Ziele strecken sich alle 64 Radien des Compasses als wegweisende Arme uns entgegen. Sehen wir einen Pallast: dreist gehen wir hinein; einen Tempel: wir treten zum Altare; ein blühendes Thal: wir steigen hinab; einen Wasserfall: wir schlendern ihm zu; einen Berg: wir klettern hinan; eine Burg: wir erklimmen sie; einen Strom, oder ein Meer: wir wiegen uns auf ihrem Busen. Jede schöne Blume darf uns fesseln, und jedem bunten Schmetterling, oder jeder ziehenden Wolke mögen wir Reisegefährten seyn, ohne unser Ziel zu verfehlen; denn wo wir weilen, ist es da, und jede Stunde, in der wir es erreichen, ist die rechte. Wer könnte bei einem solchen Weltreisen ermüden? –

Sieh da oben jene ergrauten Trümmer, Zeichen irdischer Hinfälligkeit, wie sie das Angesicht gegen das sinkende Tagesgestirn wenden und glühen, wie die Wangen eines betroffenen Schuldigen. Auf und hinan! Während wir dort die Sonne untertauchen sehen in dem goldenen Meer der reifenden Saat, oder hinter den duftenden, röthlich-blauen [126] Gebirgen, sollen und die Trümmer ihre Geschichte erzählen. Wie sie trotzig und ernst auf ihrem starken Felsenhaupt sich recken! Wie die Gewölbe kühn über einander gesprengt sind in fünffachen Reihen, wie die Kunst noch blüht in den schlanken, zierlichen Fenstersimsen, wie die Thürme emporstarren aus den mächtigen Quadern, und die hohen Wälle den Leib des Trümmerriesen noch fest umgürten! Der erste Blick sagt schon, das sey kein gemeines Burgbild.


Unweit Schweinfurt, im ehemaligen fränkischen Gaue Grabfeld, sieht man auf dreien, im Triangel liegenden Bergen die Ruinen dreier Schlösser, ein Schmuck der ganzen Gegend. Der höchste der Berge trägt die Ueberbleibsel der schon im 12. Jahrhundert, auf Friedrich des Rothbarts Gebot, zerstörten Burg Bramberg; auf der andern Höhe ragen Raueneck’s Trümmer; und die von Altenstein, mächtiger als jene beide, starren vom dritten Berge. Es ist dies das Stammhaus der noch in mehren deutschen Ländern blühenden und begüterten Freiherren von Stein, – ein Name, welcher in der Geschichte des Vaterlandes häufig ehrenvoll, nicht immer fleckenlos, erwähnt wird.

Schon in den Kämpfen der Franken und Sachsen, zu Pipin’s und der Karolinger Beit, kannte man das Geschlecht. Es hauste damals in einer noch ältern Burg, welche, nur an wenigen Substruktionen noch kenntlich und ¾ Stunden von der Altensteiner Ruine entfernt, die Heidenburg heißt. Die Zerstörung derselben fällt in die Zeit jener Kriege; und für Altenstein mag sie die seiner Erbauung gewesen seyn.

Die Steine von Altenstein waren ein rühriges, rüstiges, thatenfrohes, aber auch unruhiges und fehdesüchtiges Geschlecht. Schon in den ältesten Turnierbüchern, aus dem 10. und 11. Jahrhundert, werden sie erwähnt. Steine thaten sich in den Kreuzzügen hervor, kämpften als Johanniter- und Tempelritter, und ein Stein verpflanzte die westphälischen Vehmgerichte nach Franken. Noch zeigt man die unterirdischen Hallen, in welchen die furchtbaren Richter ihre Sitzungen hielten, heimlich Urtheil sprachen über ihre Geladenen, und Kerker sieht man, in deren Wänden die Vertiefungen, in welchen die Ketten befestigt waren, zu erkennen sind. Einen Steinblock, der in einem Gewölbe liegt, hält die Sage für die heimliche Richtstätte. Aber auch als Wegelagerer und Anführer war der Name Stein frühzeitig gefürchtet. Ein Heinrich von Stein steht 992 an der Spitze der aufrührerischen Bauern, welche das Joch der Geistlichkeit, die damals allmächtig war und das Volk mit Erpressungen aller Art belastete, mit Gewalt abzuschütteln versuchten. Ein Stein figurirte in den bekannten Grumbachischen Händeln als Haupträdelsführer und Mitschuldiger beim Morde des Fürstbischofs von Würzburg, Melchior von Bibra, und endlich als Strafgenosse des Grumbach, mit dem er, nach Vollstreckung der Reichsacht, auf dem Marktplatze in Gotha [127] enthauptet wurde. Als Brecher des Landfriedens waren Steine in des Faustrechts arger Zeit häufig berüchtigt und gefürchtet, und die Burg Altenstein Zeuge mancher Schauerthat, von Steinen begangen und durch ihre Helfer gethan. Schrecklicher jedoch als alles Verübte war die Vergeltung; eine That, die das Blut in den Adern gerinnen macht. Die Geschichte ist folgende.

In dem langen Kampfe der kirchlichen mit der Kaisermacht, war die Kraft der letztern gebrochen, die Achtung vor ihr untergegangen, und mit ihr die vor den Gesetzen des Reichs. Frech erhoben die Vasallen sich gegen die Lehnsherren, spotteten des Reichs und seines Haupts und machten ihr Schwert zum Gesetzbuch. Deutschlands Schreckenszeit war gekommen. Kein Recht galt mehr als das der Faust, und auf jeder Burg wehte das Panier der rohen Gewalt. Jeder dachte nur an Vergrößerung seiner Macht auf Kosten der Nachbarn. Ritter befehdeten sich, Städte kündigten ihren Lehnsherren den Gehorsam auf, Fürsten und Herzoge überzogen einander mit Krieg. Deutschland war zur großen Räuberhöhle geworden.

Für das rührige, kraftvolle und thatendurstige Geschlecht der Steine war das eine goldene Zeit. Generationen hindurch trieb es kein anderes Gewerbe, als Befehdung der benachbarten Ritter und die Wegelagerei im Großen. Die Altensteiner Schnapphähne waren zwanzig Meilen weit gefürchtet, und ihre Reisige wagten sich zuweilen bis an die Thore von Nürnberg und Erfurt, wenn es galt, reichen Kaufleuten aufzupassen und kostbare Gütertransporte zu plündern. Mit dem geraubten Gute erkauften sie Schlösser im Auslande, befestigten und erweiterten sie ihre Stammburg; diefe stand im Rufe der Unüberwindlichkeit.

Zwölf Ritter von Stein haußten im Jahre 1250 auf dem Altenstein, alle Söhne eines Vaters, alle von gleicher Raubsucht, Riesen von Körper, tapfer und ohne Erbarmen. Jeder dieser schrecklichen Zwölfe hatte seine Knechtschaar, und, wie Wolfe aus ihren Höhlen, so zogen täglich sechse auf Raub aus, während die übrigen die Burg hüteten. Klüglich vermieden sie es Anfangs, ihrem nächsten Lehnsherrn, dem mächtigen und kriegerischen Fürstbischof Eiring von Würzburg, Ursache zur Beschwerde zu geben; wie aber der Erfolg des Bösen immer zur Verwegenheit spornt, so geschah es auch hier. Zuletzt machten sie zwischen den Unterthanen und Vasallen ihres Lehnsherrn und den Fremden keinen Unterschied mehr, überfielen Würzburgische Dörfer und Flecken und erhoben Brandschatzung von den benachbarten Städten.

Lange dauerte die Klage und entsetzlich wurde die Noth, ehe der Bischof den gefährlichen Zug gegen die Schreckens-Brüder wagte. Endlich erscholl ein allgemeines Aufgebot im Lande, und die Rachelust schaarte bald ein mächtiges Heer. 1254 brach der Bischof von Würzburg auf, und nachdem er die Altensteiner Haufen aus dem Felde geschlagen, berannte er ihre Burg. Lange lag er davor; vielmal versuchte er, sie zu erstürmen. An der Wachsamkeit und eisernen Tapferkeit der Brüder scheiterte jeder Anschlag.

[128] Der Bischof versuchte nun List. Er begann Unterhandlungen mit den Belagerten, versprach ihnen Verzeihung des Geschehenen, wenn sie die Würzburgischen Lehnsleute künftig in Ruhe lassen wollten, und brachte es endlich dahin, daß ihm die Altensteiner ihre Burg öffneten und, als Zeichen der Versöhnung, den Bischof mit einer Anzahl Ritter und Reisige gastlich aufnahmen. Der Tag verging in Festlichkeit; fröhlich liefen des Abends die Pokale im Ritterkreise umher und nicht der leiseste Argwohn keimte in den unbefangenen Herzen der Steine. Nach aufgehobener Tafel zog sich der Bischof in seine Gemächer zurück; und nachdem der grausame, arglistige Mann seine Helfershelfer und den verkleideten Scharfrichter von Würzburg in Bereitschaft gestellt hatte, lud er die zwölf Brüder, unter dem Vorwande, daß er jedem eine besondere Mittheilung zu machen habe, der Reihe nach zu sich. Mitternacht war’s; noch saßen die Arglosen mit ihren Kumpanen beim Weine und zechten. Da erschien der Page des Bischofs und forderte einen nach dem andern. Eilfe kommen, unbewaffnet, im Hauskleide. So wie sie eintreten, werden sie ergriffen, geknebelt, zum Richtblock geschleppt und enthauptet. Herdegen, der zwölfte der Brüder, zuletzt geladen, hat böse Ahnung, faßt unbemerkt ein Waidmesser und steckt es zu sich. Er tritt in das Mordgemach. Ein Blick auf die im Blute schwimmenden Leichen seiner Brüder sagt ihm, was ihn erwartet; da zieht er entschlossen das Messer, dolcht rechts und links die ihn Anfallenden nieder, und macht sich Bahn zum Bischofe, welcher, entsetzt, von einer dichten Schaar seiner Ritter geschützt, in das Seitenzimmer zu entfliehen trachtet. Schon blutet Herdegen aus vielen Wunden, er fühlt seine Kräfte schwinden und sieht die Unmöglichkeit, den Bischof zu erreichen. Da schleudert er, in einem Augenblicke, wo dieser den Kopf nach ihm wendet, ihm das Messer in’s Gesicht, mit solcher Heftigkeit, daß es ihm die Nase aus dem Rumpfe trennt, und ruft ihm zu: „Meineidiger! nimm’s hin als ein Angedenken!“ und nun läßt er sich ruhig binden, zum Richtblock schleppen, und endigt, wie die Brüder vor ihm. Die Raubgenossen wurden in Fesseln geschlagen und zum Strange verurtheilt; die Leichen der zwölf Ritter aber an das Kloster Langheim zur Beerdigung ausgeliefert. Burg und Güter bekam Siegfried von Stein zu Lehen, ein Johanniter-Ritter und der nächste Erbe der Gemordeten.


Altenstein fiel im Jahre 1525 den aufrührerischen Bauern durch Ueberrumpelung in die Hände, welche es plünderten und zerstörten. Der Burgherr, Klaus Ludwig, commandirte damals als Feldhauptmann am Rheine. Als er von dem Unglück in der Heimath hörte, legte er sein Commando nieber, warb einige Fähnlein und zog schnell vor die Städte Ebern und Maroldsweisach, deren Bewohner bei der Zerstörung seiner Stammburg besonders thätig gewesen waren. Schrecklich war seine Rache: denn Viele der gefangenen Bürger ließ er geißeln und mehre vor ihren Wohnungen aufknüpfen. Darauf fing er an, sich, in Pfaffendorf, ein großes Schloß zu bauen, [129] und die ganze Bevölkerung der Gegend mußte Frohndienste dabei leisten. Es war kaum halb vollendet – da revoltirten die Fröhner, überwältigten des Bauherrn Lanzenknechte und schlugen ihn selbst todt. – Nach der Zeit wurde ein Flügel des alten Schlosses wieder aufgebaut und es blieb derselbe die Wohnung der Familie bis zu Anfang des achtzehnten Jahrhunderts, wo sie in das neue Schloß zu Pfaffendorf zog. Also verlassen verfiel die Burg nun bald. Zwar versuchte man, die Kapelle mit den uralten Grabstätten einige Jahrzehnte länger in baulichem Stande zu erhalten; doch hat auch sie das Schicksal der übrigen Gebäude schon längst getheilt.