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und die ganze Bevölkerung der Gegend mußte Frohndienste dabei leisten. Es war kaum halb vollendet – da revoltirten die Fröhner, überwältigten des Bauherrn Lanzenknechte und schlugen ihn selbst todt. – Nach der Zeit wurde ein Flügel des alten Schlosses wieder aufgebaut und es blieb derselbe die Wohnung der Familie bis zu Anfang des achtzehnten Jahrhunderts, wo sie in das neue Schloß zu Pfaffendorf zog. Also verlassen verfiel die Burg nun bald. Zwar versuchte man, die Kapelle mit den uralten Grabstätten einige Jahrzehnte länger in baulichem Stande zu erhalten; doch hat auch sie das Schicksal der übrigen Gebäude schon längst getheilt.




CCXXXIII. Grätz in Steyermark.




Eine Reise von Wien nach der reizenden Hauptstadt Steyermarks ist eine wahre Wallfahrt im Heiligthume der Natur. Zuerst zeigt sie des gesegneten Oesterreichs üppigste Gegenden, dann thun die Alpenlandschaften Steyermarks sich auf. Schon von St. Pölten aus beginnt ein Wettlauf des Schönen. Mannichfaltig entwickeln sich die Formen der Berge, Hügel und Gehölze; es wechseln Felder und Auen, enge Gründe und breite Thäler. Bald führt die Straße in Krümmungen neben Waldströmen hin, an welchen Mühlen klappern, Hammerwerke pochen und Schmelzhütten leuchten; bald übersteigt sie vortretende Gebirgsjoche; bald schreitet sie auf Viadukten und Brücken über Abgründe und Schluchten, auf derem Boden ungestüme Bäche rauschen.

In dem Cyklus von Landschaftsgemälden, welche das Unterwegs von Wien nach Grätz schmücken, gebührt der Gegend von Maria Zell unbestritten der Preis. Zwischen lachenden Gebirgsthälern und fernen, beschneieten Alpen, steigen alle Straßen, welche nach jenem berühmtesten Wallfahrtsorte Oesterreichs führen, aufwärts, und indem sie die reinern Regionen des Aethers durchschneiden, stimmen sie die Seele empfänglicher für das Vergessen des Irdischen und für Andacht. Wenn der Mensch himmelwärts steigt, denkt er leichter an den Himmel. Das wußten schon die ältesten Menschen, und darum bauten sie ihre ersten Altäre und Tempel auf den Höhen.

Nach langem, langem Steigen schieben sich endlich die Massen aus einander. Sieben in weitem Halbkreise neben einander stehende Bergkegel mit glänzenden Firsten breiten, wie ein Candelabar, ihre Arme den Pilgerschaaren entgegen. Zell, das Haus der Gebenedeieten, liegt an ihrem Fuße.

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1838, Seite 215. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_5._Band_1838.djvu/223&oldid=- (Version vom 5.11.2024)