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CCXXXII. Burg Altenstein in Franken.




Wie manche Stunde, lieber und getreuer Leser, haben wir mit schöpfendem Auge und saugendem Herzen zusammen schon gewandelt auf unsrer schönen Erde, zwischen den Perlenschnüren bethaueter Auen, durch sumsende Thäler, über schimmernde Höhen, durch dunkle, dampfende Wälder, oder durch Wüsten, brennende in Afrika’s heißem Gürtel, und erstarrende in Asien’s und Europa’s Alpen. Mausoleen haben wir geöffnet, die Katakomben erforscht, Pyramiden erklimmt; wir haben die Geheimnisse der Orakel erlauscht und der Verehrung Gottes in allen Formen, am Ganges, wie am Nil, auf der Akropolis, wie am Grabe des Erlösers, beigewohnt. Die Palläste der Gewaltigen entgingen uns nicht, nicht die Kerker ihrer Opfer. Viel, viel haben wir mit einander gesehen, und viel, noch viel mehr mit einander empfunden; in jenen Augenblicken zumal, wo die Natur alle Röhren ihres Lebensstromes uns öffnete, oder wenn wir großen Menschen, die wir auf unsern Wanderungen trafen, an’s Herz fielen, oder wenn große Erinnerungen und Ereignisse an uns vorüber zogen, wie die leuchtende Hand der Allmacht in der dunkeln Nacht der Geschicke. Und wir werden noch manche Stunde wandern, noch manche Gefühle tauschen mit einander, wenn in deinem und meinem Herzen und auf dem Staubkörnchen, über und unter welchem die Milchstraßen ziehen, das Leben fortschlägt. Wer möchte auch freiwillig zurückbleiben? ist doch unsere Wanderung so leicht; ist sie doch begabt mit jedem Reize und allem Genusse der Mannichfaltigkeit und Freiheit! Jeder Schritt führt uns zu einem interessanten Ziele, und an jedem Ziele strecken sich alle 64 Radien des Compasses als wegweisende Arme uns entgegen. Sehen wir einen Pallast: dreist gehen wir hinein; einen Tempel: wir treten zum Altare; ein blühendes Thal: wir steigen hinab; einen Wasserfall: wir schlendern ihm zu; einen Berg: wir klettern hinan; eine Burg: wir erklimmen sie; einen Strom, oder ein Meer: wir wiegen uns auf ihrem Busen. Jede schöne Blume darf uns fesseln, und jedem bunten Schmetterling, oder jeder ziehenden Wolke mögen wir Reisegefährten seyn, ohne unser Ziel zu verfehlen; denn wo wir weilen, ist es da, und jede Stunde, in der wir es erreichen, ist die rechte. Wer könnte bei einem solchen Weltreisen ermüden? –

Sieh da oben jene ergrauten Trümmer, Zeichen irdischer Hinfälligkeit, wie sie das Angesicht gegen das sinkende Tagesgestirn wenden und glühen, wie die Wangen eines betroffenen Schuldigen. Auf und hinan! Während wir dort die Sonne untertauchen sehen in dem goldenen Meer der reifenden Saat, oder hinter den duftenden, röthlich-blauen

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1838, Seite 209. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_5._Band_1838.djvu/217&oldid=- (Version vom 5.11.2024)