Beim Dichter der „Studien“

Textdaten
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Autor: Marie von Hrussoczy
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Titel: Beim Dichter der „Studien“
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aus: Die Gartenlaube, Heft 8, S. 120–122
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1868
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Beim Dichter der „Studien“.

Im Jahre 1856 führte noch keine Eisenbahn von Wien nach dem schönen Salzkammergute. Wir fuhren mit dem Dampfer Germania stromaufwärts.

„Durch Linz reisen, ohne Adalbert Stifter[1] kennen zu lernen, den gefeierten Autor der ‚Studien‘, jener wald- und naturfrischen Novellen, die in den vormärzlichen vierziger Jahren das gebildete deutsche Lesepublicum so sehr entzückten – das thue ich nicht!“ sagte A. C. , und es hielt nicht schwer, mich für dieselbe Meinung zu gewinnen. Wir kannten in Wien eine ihm innig befreundete Familie, mit deren Gruß und Botschaft wir an seine Thür klopfen konnten. Ich glaube, daß es dessen kaum bedurfte. Schon lebte der Dichter zwischen seinen Büchern, Bildern und Cacteen, im Angesichte des herrlichen Donaustromes, wo in den Sommermonaten täglich hundert Reiselustige an seinen Fenstern vorüberzogen, ein einsames, halb und halb verschollenes Dasein. Dauerte es doch lange, ehe wir nur seine Wohnung erfragen konnten.

Es war am 6. August um sechs Uhr Abends, als wir bei ihm vorsprachen. Er empfing uns in der Wohnstube seiner Gattin scheu und freundlich zugleich. A. C. verstand es vortrefflich, die Scheu zu bannen, und damit steigerte sich auch die Freundlichkeit zu immer offenerer, wärmerer Mittheilung.

Er sieht aus wie ein Bauer und spricht wie ein Cavalier, hatte ein Herr gesagt, der ihm einmal in Gesellschaft beim Erzherzog-Statthalter begegnet war und den ich über ihn ausfragen wollte. Es war etwas Wahres an den Worten, die mir als Quintessenz einer geistreichen Kritik gegeben wurden. Stifter selbst gestand, daß er eine gewisse Befangenheit in Gegenwart der Menschen, die man die Vornehmen zu nennen pflegt, niemals habe überwinden können.

„Wenn ich auch,“ sagte er, „auf dem ganzen Wege von meiner Wohnung bis zu dem Hause des großen Herrn über die allgemeine Menschenwürde nachdenke und selbst den möglichen Fall in Betracht ziehe, daß ich ein weiserer, vielleicht ein besserer Mensch bin, oder doch wenigstens ebenso weise, ebenso gut wie er – hilft mir doch das Alles nichts! So wie ich in den Kreis der vornehmen Leute trete, wiederholt sich in mir regelmäßig die Empfindung des Schuljungen, wenn der Director, der Pfarrer oder etwa gar der Bischof vor ihm steht. Es dauert immer eine Weile, ehe ich mein Gleichgewicht und mit diesem meine Sprache wiederfinde.“

So weit paßt das Gleichniß des Herrn also halbwegs; die andere Hälfte hingegen möchte ich dahin abändern, daß es wenigstens in Oesterreich wenige Cavaliere giebt, die so sprechen, wie Stifter sprach, wenn er die „bäuerliche Scheu“ überwunden hatte. Schon bei diesem ersten Zusammentreffen führte er in wahrhaft hinreißender Weise Einzelbilder aus seinem Leben, aus Literatur, Kunst und Poesie mit einer Lebendigkeit an uns vorüber, daß die Stunden nur so dahinflogen und es halb elf Uhr war, ehe wir uns erhoben, um Abschied zu nehmen und nach unserem Hotel zu gehen. Er nahm uns das Versprechen ab, welches wir nur zu gern gaben, auf der Rückreise wieder bei ihm einzusprechen.

Mein in dieser Weise begonnener Verkehr mit Adalbert Stifter blieb bis zum Jahre 1803 ein ununterbrochener. Ich brachte jeden Sommer auf irgend einem schönen Punkte des Salzkammergutes zu und verweilte jedesmal auf der Hin- oder [121] Rückreise einen bis zwei Tage in Linz, um mehrere Abendstunden bei ihm zu bleiben. In der Zwischenzeit tauschten wir fleißig Briefe aus. Die Bekanntschaft verwandelte sich in Freundschaft, als ich nach einem schmerzlichen Verluste, der mich betroffen, zwei Wochen in Linz Quartier nahm, um mich an dem täglichen Verkehr mit dem edlen Manne zu erlaben, zu kräftigen, aus der Apathie des Kummers zu erheben.

In dieser Zeit war es mir vergönnt, tiefe Blicke in seine Seele zu thun und die Ueberzeugung zu gewinnen, daß bei ihm der Mensch in vollkommenster Harmonie mit dem Dichter, ja über diesem stand. Seine Wahrheitsliebe, seine Herzensgüte, die antike Ruhe, mit der er sich über alles Kleinliche erhob, konnten ihre Wirkung auf ein halbwegs empfängliches Gemüth nicht verfehlen. Man war besser, wenn man von ihm ging, und wurde es mehr und mehr, wenn man über das, was er gesagt, nachdachte.

Stifter’s Aussprache war provinciell; er kam nie ganz über die oberösterreichische Accentuirung hinaus. Aber einerseits war mein Ohr daran gewöhnt, anderseits war der Fluß seiner Rede ein so ununterbrochen schöner, boten sich ihm die idealsten Bilder, die reinsten Redewendungen so ungesucht dar, waren seine treuen, gütigen Augen ein so freundlicher Wegweiser zur gespanntesten Aufmerksamkeit, daß es, mir wenigstens, unmöglich schien, durch ein mehr oder weniger offenes a oder e unangenehm berührt zu werden.

Der Bildungsgang des Dichters ist kein leichter und ebener gewesen. Mühselig genug hatte sich, wie er mir in gemüthlichem Gespräche nach und nach in Bruchstücken, ich möchte sagen anekdotisch erzählte, der lernbegierige Jüngling so weit fortgeholfen, daß er mit Schmalhans als Küchen- und Kellermeister in Wien studiren konnte. Die Gabe, was er wußte, Andern mitzutheilen, verschaffte ihm anfangs in obscuren Familien einige schlecht bezahlte Unterrichtsstunden oder den untersten Platz an einem Mittagstische. Die Familie von Collin, deren ich oben ohne sie zu nennen erwähnte, war die erste Stufe zu seinem besseren Fortkommen. Das Haus war angesehen durch die Erzieherstelle, welche Heinrich von Collin bei dem jungen Herzog von Reichstadt bekleidet hatte, dessen Spielgenossen seine Söhne waren; angesehen durch Matthias von Collin den Dichter, dem in der Caroluskirche ein Denkmal gesetzt worden war, und auch dadurch, daß zur Zeit des Wiener Congresses viele literarische Notabilitäten, wie die Gebrüder Schlegel, Varnhagen von Ense u. A., in ihm aus und ein gingen, und so ward Adalbert Stifter durch seinen Eintritt als Lehrer in diese Familie den gebildeten Ständen näher gerückt. Frau von Collin, eine äußerst originelle, lebhafte Dame, trug nicht wenig dazu bei, daß der unbehülfliche junge Studiosus sich ein wenig Lebensart aneignete.

„Weder Menschen noch Hunde, Stühle und Tische, nichts was nicht festgenagelt war, war vor ihm sicher,“ erzählte mir die alte Dame selbst. „Er stieß überall an, er rannte Alles nieder! Aber – da er ein prächtiger Mensch war und ein vortrefflicher Umgang für meinen Ludwig, rein und sittig wie ein junges Mädchen, so hab’ ich mich auch d’ran gemachr und hab’ nicht nachgelassen, bis er sich seine Tölpeleien alle abgewöhnte. Und als ich es nach Jahr und Tag erreicht hatte, sagte ich eines Tages zu ihm: ,So, lieber Stifter, nun sind wir unseres Lebens sicher, wenn Sie sich unter uns bewegen, und hoffentlich sind nun auch meine Gläser, Teller, Spiegel etc. vor Ihren Ellbogen sicher; jetzt müssen Sie auch hübsch fleißig die Abende bei uns zubringen, wenn wir zu Hause sind. Das soll beiden Theilen zu Statten kommen: Sie lernen von uns Manieren, wir lernen von Ihnen den hundertsten Theil von dem, was Sie wissen, das ist für uns Frauenzimmer (sie meinte sich und ihre Tochter) genug.’“

Stifter küßte ihr die Hand, war nicht im Entferntesten beleidigt über ihre Aeußerung und nahm sich vor, so viel „Manier“ wie möglich zu lernen. Wie weit er es damit gebracht, darüber giebt sein Ausspruch weiter oben einige Erläuterung.

Um jene Zeit war die einzige Erholung, die der junge Mann sich nach angestrengter Thätigkeit gönnte, an einem oder dem andern schönen Sonntagsmorgen eine Fußwanderung in die reizenden Umgebungen Wiens, am liebsten in die dichten Waldungen hinein zu machen, und nie kam er von solchen Ausflügen ohne ein neues Landschaftsbild in seiner Zeichenmappe zurück, die er stets mit sich führte. Der arme junge Studiosus war Landschaftsmaler, und nicht selten rieth man ihm, alle Wissenschaft an den Nagel zu hängen und Künstler zu werden. Niemand ahnte, daß er auf seinen Wanderungen auch ein Schreibebuch mit sich führte und stundenlang an irgend einem Hügelabhang saß, um im Angesichte seiner gottbeseelten Freundin Natur auch „Studien“ mit der Feder zu machen. Nie wagte er sich mit einer dieser Arbeiten an’s Tageslicht, ja, wenn sein warmes Herz ihn drängte, der Wohlthäterin, die er so hoch verehrte, oder deren Tochter zu festlichen Gelegenheiten ein Gedicht zu widmen, verlor er gewöhnlich im herbeigesehnten Augenblick den Muth das Vollendete zu überreichen.

Ich weiß nicht, in welchem Jahre und durch wessen directe Empfehlung – indirect kam ihm so ziemlich alles Gute durch Collins zu – Stifter aufgefordert ward, dem jungen Fürsten Schwarzenberg, dem unter dem Namen Landsknecht, wegen seiner Schrift „aus dem Wanderbuche eines verabschiedeten Landsknechts“, bekannten, Unterricht in der Mathematik zu geben. Die Fürstin, Wittwe des alten Feldmarschalls, der gegen Napoleon den Ersten gefochten, leitete die Erziehung ihrer Söhne und die Geschäfte ihres Hauses, ihrer Familie selbst. In Stifter’s Reminiscenzen umleuchtete eine Art Heiligenschein das Haupt dieser hohen Dame. Er konnte nie ohne Rührung in Blick und Ton von ihr sprechen.

So viel ist gewiß, daß diese edle Frau dem menschlichen Geiste ein höheres Recht einräumte, als irgend eine ihrer Standesgenossen es that, es vielleicht jetzt noch thut. Sie war die zweite Frau, welche an Adalbert Stifter’s Erziehung Hand anlegte. Sie ging, seit sie Wittwe geworden war, nie in Gesellschaft und legte die Trauerkleider nie ab. Zweimal die Woche war aber ihr Haus der Sammelpunkt der schönen Welt.

An einem dieser Abende empfing sie den hohen Adel, die Gesellschaft, die eigentlich die ihrige war; an dem andern versammelte sie Gelehrte und Künstler um sich. Man sagt, sie habe sich selbst über diesen Punkt wie folgt geäußert: „Mardi je vois les autres; samedi je vois les miens.“ (Dienstags sehe ich die Andern, am Sonnabend die Meinigen.) Wie dem auch sei: Stifter, der Lehrer und Freund ihres Sohnes, durfte an dem einen dieser Tage nicht fehlen und ward noch außerdem an manchem Abend in ihren Salon gerufen, wenn die Fürstin mit ihrer Gesellschafterin, der damals jugendlichen und höchst interessanten Barbara Glück, als Schriftstellerin unter dem Namen Betty Paoli bekannt, allein war. Die Sommermonate brachte die Fürstin gewöhnlich in ihrem Landhause in der Brühl nächst Wien zu, wohin Stifter zwei-, dreimal die Woche regelmäßig als Lehrer, Gesellschafter und gern gesehener Gast wanderte.

An einem solchen Tage saß er in schöner Abendstunde auf einer Bank in dem entlegensten Theile des Gartens und schrieb. Die Fürstin hatte Besuch; eine Nichte, die sie sehr liebte, war bei ihr. Stifter hatte eine lange Weile geschrieben, als er, durch nahende Schritte aufgescheucht, rasch aufstand und das Weite suchte, d. h. durch einen entgegengesetzten Weg auf und davon lief. Aber in der Hast des Entkommens entfiel das nicht tief genug versenkte Manuscript seiner Rocktasche, ohne daß er es gewahr ward. Der bäuerliche Dichter war ab und zu auch etwas dichterisch zerstreut. Er wechselte den Rock, ohne den Verlust zu bemerken, um sich in vorgeschriebener Toilette an dem Theetische seiner hohen Gönnerin einzufinden.

„Wissen Sie was, lieber Stifter,“ redete die Fürstin ihn an, „heute müssen Sie vorlesen, Betty ist heiser und meine liebe Nichte fürchtet sich. Wir haben da etwas zurecht gelegt. Nun sehen Sie aber, daß Sie Ihre Sache gut machen; wir wollen sehr aufmerksam sein.“ Dabei legte die Nichte mit schalkhaftem Lächeln seine „Feldblumen“ (eine der Novellen in seinen Studien) vor ihn hin.

„Wie mir dabei geschah, kann ich Ihnen nicht schildern,“ erzählte Stifter. „Anfangs brachte ich keinen Laut hervor und hätte weinen mögen wie ein Kind! Als ich aber die Fürstin ansah und sie mir mit schöner Freundlichkeit über den Tisch herüber die Hand reichte, wich auch alle Scheu von mir. Ich packte meine ,Feldblumen’ an und warf sie den hohen Herrschaften in so leidenschaftlicher Art zu Füßen, daß die Fürstin, als ich geendet, vor Ueberraschung kein Wort hervorbringen konnte. Betty Paoli aber sprang auf, nahm meinen Kopf in ihre Hände, küßte mich auf die Stirn und rief:

‚Durchlaucht! Ich hab’ doch Recht gehabt! Der Stifter ist ein Dichter!‘

Nun war es aber auch mit dem Geheimthun vorbei! [122] Alles, was ich fertig hatte, mußte aus meiner treulosen Rocktasche hervorkommen und wurde mit einem wahren Beifallssturm aufgenommen.“

So geschah es, daß Stifter’s „Studien“ das Tageslicht schauten[2] und eine Zeitlang auf dem großen Büchermarkte eine nicht kleine Rolle spielten. Ihr Erfolg und der Geldgewinn, den dieser mit sich führte, haben dem Leben des Dichters eine andere Richtung gegeben. Eine Weile hochgetragen von den Wogen der Bewunderung, hat er den Rausch befriedigter Eitelkeit gekostet. Da aber seine eigenen Mittheilungen über diesen Gegenstand hier abbrachen, maße ich mir kein Urtheil darüber an, wie er sich auf diesem Höhenpunkte seiner im Uebrigen einfachen Lebensweise benahm. Ich weiß nur, daß er sich eben um jene Zeit in das arme Mädchen verliebte, welches seine Gattin ward, und da er sie bald darauf heimführte, liegt die Vermuthung nahe, daß Ruhm und Gewinn von ihm als Mittel zu diesem Zwecke verwendet wurden. Als ich ihn kennen lernte, hatte das große Publicum ihn mehr als zur Hälfte vergessen und der Büchermarkt andere Werke, andere Namen in die Höhe geschnellt. „Sein Ruhm kann ihn nicht übermüthig gemacht haben, da die Vergessenheit ihn nicht bitter machte,“ dachte ich.

Wie einfach, wie rührend erzählte er mir die Geschichte seiner ersten Liebe!

„Ich hatte nichts und war nichts. Die Mutter des Mädchens zweifelte daran, daß je etwas aus mir werden, daß ich je etwas haben würde. Das kränkte mich und ich ging fort, ohne von dem Mädchen das Versprechen der Treue annehmen zu wollen. Im Stillen hoffte ich freilich, Alles gut zu Ende zu bringen. Die Mutter zwang sie aber zu einer andern Heirath. Sie ward sehr unglücklich und starb früh. – Ich habe sie einmal als blasses, schwindsüchtiges Weib wiedergesehen; das Herz wollte mir brechen, als ich der vergangenen Zeit gedachte!“ Nach einer Pause fügte er hinzu: „Wenn ich Ihnen sage, ich habe das Mädchen so geliebt, daß es ganz hell in mir und um mich ward, wenn sie mir nahe kam – verstehen Sie das?“

Ein ander Mal, als von seinem Bekanntwerden mit seiner Frau die Rede war, sagte er: „Mir wurde ganz heiß, als ich sie zuerst erblickte!“

Eines Abends, als wir so beisammen saßen und Stifter eben recht im Zuge war, mir seine Ansichten über Kunst und Künstler darzulegen, klingelte es an seiner Thür.

„Mein Mann ist nicht zu Hause!“ sagte Frau Stifter rasch zu ihrer Ziehtochter, die dem Dienstmädchen diesen Bescheid überliefern sollte.

„Wie so nicht zu Hause, liebe Frau?“ fragte er, sich unterbrechend, „ich bin ja zu Hause!“

„Nun, ich meinte, Du wolltest nicht gestört werden.“

„Das ist das Richtige, liebe Frau, und das soll auch gesagt werden.“

„Ja, ja! das verdrießt aber die Leute!“

„Die uns kennen, verdrießt es nicht, und die es verdrießt, um die bekümmern wir uns nicht.“

Stifter sagte immer „wir“, „uns“. Er las seiner Frau alle Briefe vor, die er empfing, alle, die er abschickte, und grüßte seine Freunde auch schriftlich immer in Gemeinschaft mit seiner Frau. Er that das seit dem Zeitpunkte, wo er sie über dem Gedanken, „daß sie seiner nicht werth sei“, brütend gefunden hatte.

Während eines längeren Aufenthaltes, den er einmal zur Frühlingszeit in Wien nahm, als eben Jenny Lind anwesend war, trafen sie mit dieser oft in Gesellschaft zusammen. Die Künstlerin entzückte der Dichter, der für Musik ein eben so inniges Verständniß hatte, wie für Malerei und Alles, was Kunst heißt. Jenny Lind war aber auch ein durch und durch gebildetes, edles Mädchen, sittig und fein in Haltung und Rede. Er unterhielt sich viel und gern mit ihr. Da bemerkte er, daß seine Frau verweinte Augen hatte. Er fand den Grund ihres Kummers leicht heraus und reiste am nächsten Morgen mit ihr nach Linz zurück, ohne Jenny Lind wiedergesehen zu haben.

Diesen tiefen sittlichen Grundton seines Wesens übertrug Stifter auf Alles und Jedes, was er in den Kreis seines Urtheils zog. Mit dieser Forderung trat er an jedes Kunstwerk, an jede Action heran.

Französisches Leben wie französische Literatur hielt er sich fern. „Was soll ich mich befassen mit Sachen, die mir zuwider sind!“ Meine Gewohnheit, französische Worte in die deutsche Rede zu streuen, rügte er streng, und als ich mir das einmal in einem Briefe zu Schulden kommen ließ, schickte er diesen umgehend zurück und schrieb darunter: „Verdient keine Antwort.“

Unter den großen Musikern erschien ihm Mozart als der größte. „Er ist so kindlich und so göttlich zugleich, daß man ihn nur mit Homer vergleichen kann.“ Unter den alten Schriftstellern war Aeschylos sein Liebling. Seine Verehrung für die alten Griechen war unbegrenzt.

„Selbst die Gräuel, wenn sie solche schildern, lösen sich in hohe Erkenntniß des Göttlichen auf, und dem Sünder folgt die Strafe im Gewissen rächend nach, findet er sie auch im Leben anders nicht.“

Unter den Dichtern seines Vaterlandes stellte er Grillparzer am höchsten. Er kannte und liebte ihn persönlich. Ueber Hebbel äußerte er sich sehr scharf: „Ich sage nicht, daß er ein schlechter Dichter ist – nein, beileibe! er ist gar kein Dichter. Er wirft mit Mühlsteinen um sich, und weil ihn das gewaltig anstrengt, hält er dafür, daß es gewaltig wirkt. Ein Glück ist’s, daß er keinen Einfluß auf Literatur und Welt gewonnen hat, sonst müßte sich ein Ehrenmann wohl die Mühe nehmen, gegen ihn aufzutreten. So läßt man die Mühlsteine fallen und geht vorbei.“ Hebbel’s „Judith“ machte eben damals volle Häuser und war der Gesprächsstoff aller Gebildeten Wiens. Stifter nannte die Judith eine Mißgeburt und den Holofernes einen Hanswurst.

„Dem Künstler,“ sagte er, „darf nichts schön erscheinen, was nicht vollkommen wahr und rein ist. Moralische Kraft ist ihm die Hauptbedingung des Charakters überhaupt, und ohne diese erkennt er jenen nicht an. Der Dichter darf nicht an den Effect denken, den sein Werk beim Publicum hervorbringen dürfte; der Schauspieler darf mit keinem Blick verrathen, daß die Zuschauer für ihn da sind; nur so können Beide die künstlerische Vollendung anstreben. – Was wir in der Gegenwart zumeist als Kunstwerk bewundern, in der Dichtkunst sowohl, wie in der Musik, Bildhauerei und Malerei, ist sehr oft nur Virtuosenthum, große technische Fertigkeit, die mit allerlei Mitteln schlagende Effecte hervorbringen soll. Ein wahrhaft künstlerisches Gebilde muß dagegen, mit dem geringsten Aufwande äußerer Drittel, durch die aus der Tiefe herauf arbeitende Idee, in kindlicher Einfalt groß, seinen Zweck erreichen. Dieser Zweck ist nicht, das Auge zu blenden und den Geist zu bestricken, sondern das Menschenherz zu rühren, zu erheben und folglich zu bessern.“

Mariam Tenger.     


  1. Der vor wenigen Tagen nach längerem Leiden gestorben ist. D. Red.
  2. Von anderen Seiten wird freilich der Hergang etwas anders erzählt. D. Red.