Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Tenger, Mariam“ von Anton Schlossar in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 54 (1908), S. 679–681, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Tenger,_Mariam&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 17:31 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Tellkampf, Louis
Band 54 (1908), S. 679–681 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Kein Wikipedia-Artikel
(Stand September 2015, suchen)
Mariam Tenger in Wikidata
GND-Nummer 115341285
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|54|679|681|Tenger, Mariam|Anton Schlossar|ADB:Tenger, Mariam}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=115341285}}    

Tenger: Mariam T., Pseudonym für Marie v. Hrussoczy, deutsch-österreichische Romanschriftstellerin, wurde als die Tochter eines kroatischen Edelmanns auf dessen Gute Vinica bei Warasdin am 8. December 1821 geboren und erhielt eine sorgfältige Erziehung zuerst im Ursulinerkloster zu Warasdin und sodann in einem Pensionate zu Wien. Da die Eltern nicht glücklich lebten und es zur Scheidung kam, blieb H. bei ihrer Mutter. Durch die Stürme des Revolutionsjahres 1848 verlor die Mutter auch ihr Vermögen und lebte zurückgezogen in Vinica. Die Tochter kam zu Verwandten nach Siebenbürgen und lernte dort sowie in Ungarn überhaupt Land und Leute genau kennen, beobachtete auch die Culturverhältnisse in jenen Gebieten mit scharfem Auge. Nach 1848 kam H. mit ihrer Mutter nach Wien, wo sie sich noch besser in der Kenntniß der deutschen Sprache ausbildete. Da sich die Verhältnisse nun mehr verschlimmert hatten, nahm H. eine Stelle als Repräsentantin der Hausfrau bei dem Bankier Biedermann in Wien an; sie wurde in dieser Familie hochgeschätzt, kam in verschiedene hervorragende Kreise und erhielt schließlich von Biedermann eine lebenslängliche Leibrente ausgesetzt. In Wien beeinflußten der als Dichter bekannte Anton Pannasch mit seiner Gemahlin und andere geistvolle Persönlichkeiten ihre geistige Entwicklung.

Zu Anfang der 50er Jahre unternahm sie mit der Mutter öfter im Sommer Reisen ins Salzkammergut. Auf einer dieser Reisen kam sie am 6. August 1856 nach Linz, und da H. eine große Verehrerin der Werke Adalbert Stifter’s war, suchte sie den Dichter persönlich auf. Sie gewann die Sympathie des in Linz zurückgezogen Lebenden in besonderem Grade und blieb mit ihm auch später in schriftlichem Verkehr. Da sie den Sommer öfter ins Salzkammergut kam, pflegte sie stets einige Tage in Linz zu verweilen. Als ihre geliebte Mutter starb, begab sich die gebeugte Tochter zu dem mitfühlenden Stifter nach Linz und verbrachte zwei Wochen dort in täglichem Verkehr mit ihm und seiner Gattin. „In dieser Zeit“, schrieb sie, „war es mir vergönnt, tiefe Blicke in seine Seele zu thun“. Im J. 1864 verlegte Marie ihren Wohnsitz nach Berlin, wo sie namentlich im Hause des Geh. Legationsrathes Hepke freundlich aufgenommen wurde und mit einer Zahl feingebildeter litterarischer Persönlichkeiten umging. Durch die Schriften der Rahel Varnhagen, welche sie begeisterten, suchte sie die Bekanntschaft Varnhagen v. Ense’s, mit dem sie in Briefwechsel getreten war. Von Berlin aus unternahm sie auch eine Reise nach Venedig, wo sie mit dem Forschungsreisenden Nachtigal zusammentraf. In Berlin verfaßte sie die meisten der von ihr seitdem erschienenen Romane und Novellen. Von besonderer Bedeutung erscheinen die Beziehungen, welche M. v. H. mit der Gräfin Therese Brunswick († 1861) verknüpften. Es ist dies die von Beethoven geliebte, durch ihre [680] ausgezeichnete musikalische Begabung hervorragende Dame, aus deren Leben und über deren Beziehungen zu dem großen Meister Maria selbst uns in ihrem Werkchen „Beethoven’s unsterbliche Geliebte nach persönlichen Erinnerungen“ (2. Aufl. 1890) werthvolle Einzelheiten mitgetheilt hat. In den letzten Jahren sehr zurückgezogen und nur im Verkehr mit einigen vertrauten Freundinnen, die sie hochschätzten – und von denen Fräulein H. Forni in Berlin mir manches Dankenswerthe für die vorliegende Skizze geboten –, starb Maria am 2. December 1898 hochbetagt und unvermählt in Berlin, betrauert von Allen, welche ihren edlen Charakter gekannt hatten.

Mariam T. hat sich zum Vorwurf von Romanen und Erzählungen hauptsächlich Stoffe aus der Geschichte und dem Culturleben Ungarns und Siebenbürgens gewählt, mit welchen Ländern sie ja genauer vertraut war. Genannt seien aus der Reihe ihrer Romane und Erzählungen: „Anna Dalfy“ (Berlin 1862), 3 Thle., über welches Werk A. Stifter brieflich sein ausführliches Urtheil abgab. Ferner die Romane „Das Fest auf Arpádvár (Berlin 1870), 2 Thle., die „Ungarischen Erzählungen“ (Prag 1874), 3 Bde., reich an Schilderungen aus dem ungarischen Volksleben, die Novelle „Han Kuljevich“ (Berlin 1875); Romane mit historischem Hintergrunde liegen vor in „Der Joppenteufel“ (Berlin 1875), „Bischof und König“ (Berlin 1875), 2 Bde., dazu kommen noch andere größere Romane wie „Drei Kassetten“ (Prag 1874), „Sophie von Hohem“ (Berlin 1875), 4 Bde., „Die Papiere des Caplans“ (Berlin 1876), 2 Bde., „Die Lotosblume“ (Leipzig 1894), 3 Bde. – M. T. war auch Mitarbeiterin verschiedener bedeutender deutscher Journale, so von Wachenhusen’s „Hausfreund“, der „Belletristischen Correspondenz“, des „Daheim“, der „Nordd. Allg. Zeitung“, der „Gartenlaube“ u. a. m. Ihr erstes Zusammentreffen mit Stifter hat sie in einem für den Biographen des Dichters nicht zu übersehenden Aufsatze: „Beim Dichter der ‚Studien‘“ in der „Gartenlaube“ 1868, Nr. 8 geschildert und manchen Zug zu des Dichters Charakter aus seinen letzten Lebensjahren beigetragen. Früher auch mit dem Bildhauer Hans Gasser befreundet, widmete M. T. demselben ebenfalls in dem genannten Jahrgange der „Gartenlaube“ Nr. 28 unter dem Titel „Meister Hans“ eine Skizze.

Vielleicht mehr als die litterarischen Arbeiten Mariam Tenger’s, lassen sie ihre Beziehungen zu Adalbert Stifter bemerkenswerth erscheinen. Schon 1857 hatte sie im Manuscript ein Drama „Klara“ vollendet, das sie dem von ihr verehrten Dichter zur Prüfung und Beurtheilung übergab. Eine Reihe von Briefen Stifter’s aus der späteren Zeit liegt auch an M. v. H. vor, aus welchen hervorgeht, wie hoch er die Dame schätzte. Die Briefe reichen bis zum Jahre 1865, also bis drei Jahre vor dem Tode des edlen Dichters. Es ist sehr zu beklagen, daß viele dieser Briefe Stifter’s, wie mir die H. schriftlich selbst mittheilte, verloren gegangen und nicht mehr aufzufinden sind. In der Sammlung der „Briefe von Adalbert Stifter, herausgegeben von J. Aprent“ (1868–69) ist eine Anzahl von diesen Briefen Stifter’s – allerdings oft gekürzt – abgedruckt. Was noch sonst über die Beziehungen der H. zu Adalbert Stifter mitzutheilen möglich war und die übrigen Briefe desselben an die Schriftstellerin, die bisher nicht gedruckt wurden, finden sich in meinem Aufsatze „Adalbert Stifter und Mariam Tenger“ in der Monatsschrift „Deutsche Arbeit“ (Prag), IV. Jahrgang 1906, Stifter-Heft S. 764 ff.

Außer den im Text Angeführten zu vergleichen: Wurzbach, Biograph. Lexikon, 43. Thl. (Wien 1881). – Brümmer, Lexikon d. deutschen Dichter und Prosaisten. Leipzig, Bd. II. – Die Beilage der Vossischen Zeitung [681] (Berlin) v. 13. Dec. 1898 bringt einen kurzen Nekrolog nebst einer Biographie Mariam Tenger’s.