Textdaten
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Autor: Hermann Löns
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Titel: Bei der Gnädigen
Untertitel:
aus: Der zweckmäßige Meyer. Ein schnurriges Buch, S. 131–137
Herausgeber:
Auflage: 1.–4. Tausend
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1911
Verlag: Sponholtz
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Erscheinungsort: Hannover
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Google-USA* = Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: [1]
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[131] Bei der Gnädigen.

Als ich neulich bei der Gnädigen eingeladen war, erzählte ich ihr von meinem Freunde Meyer, dem zweckmäßigen Meyer, wie ich ihn genannt habe, weil er nämlich in der Natur lauter Zweckmäßigkeit herausfindet, und da lachte die schöne Frau und sagte: „Bringen Sie ihn doch einmal mit!“

Vor acht Tagen wollte mich Meyer zu einem Feld-, Wald- und Wiesenbummel abholen und verlängerte sein Gesicht um ein Beträchtliches, als ich ihm sagte, ich hätte einen Besuch zu machen, und als ich ihn einlud, mitzugehen, wollte er erst ablehnen, denn er verkehrt nicht gern mit Frauenzimmern, weil sie ihm nicht wissenschaftlich genug denken, wie er sich verschiedentlich äußerte. Schließlich bekam ich ihn aber doch mit.

Er stöhnte unterwegs erheblich, denn es war sehr heiß und ich schleppte ihn erst durch eine Arbeitervorstadt, dann über die staubige Landstraße, ließ ihn einen schattenlosen Hügel hinaufklettern, worauf es noch einen ebenso sonnigen Abstieg gab, so daß Meyer schwitzte, wie ein Schweinsbraten am Sonntag vormittag und eine ganze Menge unchristlicher Redensarten verzapfte, und es versöhnte ihn keineswegs, daß der Weg nun durch eine sumpfige Wiese führte, in deren aufgeweichter Grasnarbe seine Stiefel tiefe Eindrücke hinterließen.

Dann waren wir aber auch an Ort und Stelle. Meyer, der sehr für Ordnung ist, zog die Augenbrauen unter die Hutkrempe, als wir am Parktore standen. Die gewaltigen Torpfeiler, [132] auf denen je ein von zwei Löwen gehaltenes Wappen zu sehen war, das in der Mitte ein Fragezeichen, rechts einen Gedankenstrich und links ein Ausrufungszeichen enthielt und von denen das eine als Helmzier eine mürrische Eule, das andere einen grinsenden Affen aufwies, machten solchen Eindruck auf ihn, daß er so verstört aussah, als habe er acht Tage weiter nichts als Kaviar gegessen. Aber daß Laub und Dürrholz auf der Zugbrücke lag, daß das Geländer an mehr als einer Stelle schadhaft war, daß die Wege mit Moos und Unkraut bewachsen waren, und daß zwischen den Stufen der zwischen einer lachenden und einer weinenden Sphinx sich erhebenden Freitreppe Gras und Wegerich wucherten, veranlaßte ihn, Falten der Mißbilligung zu beiden Seiten seiner Nase anzubringen.

Sobald ich den alten ganz mit Grünspan bedeckten Türklopfer in Tätigkeit setzte, erhob sich im Hause ein vielstimmiges Hundegetöse, und in demselben Augenblicke, als die sehr hübsche, aber etwas sehr schlumpige und strubbelköpfige Magd öffnete, fuhren uns ein halbes Dutzend Köter aller Art um die Beine, beschnüffelten winselnd meine Hände und fuhren kläffend gegen Meyer an, bis die Gnädige herbeistürzte und mit einigen Donnerwettern und der Peitsche die Bande in den Hintergrund trieb. Dann warf sie die Peitsche auf die Erde, gab uns die Hände, lachte uns an und sagte: „So früh hatte ich Sie gar nicht erwartet. Machen Sie es sich bequem, wo Sie wollen. Ich muß mich erst ein bißchen ordentlich machen. Ich habe nämlich bis jetzt geschlafen, weil ich erst gegen Morgen zu Bett gegangen bin. Ich habe jetzt schrecklich viel zu tun.“ Und damit huschte sie hinaus, daß ihr hellgrüner seidener Morgenrock nur so wehte und ein Paar sehr trefflicher Waden enthüllte, aber auch die Tatsache, daß der linke Strumpf in der Naht ein gutes Stück aufgeplatzt war.

„Merkwürdige Wirtschaft hier im Hause!“ sprach Meyer, als wir es uns im Empfangszimmer bequem machten, wo der [133] kostbare Teppich vor dem wunderschönen Kamin ein Brandloch zeigte, auch war in dem einen Fenstervorhange ein Riß und auf einem aufgeschlagenen Buche mit herrlichen alten Kupferstichen lag ein Zigarrettenstümpfchen, das mitten in einem der Bilder einen häßlichen gelben Fleck hinterlassen hatte, und hier und da war nur mangelhaft Staub gewischt. „Sagen Sie mal, wie heißt die Dame eigentlich?“ frug Meyer; „ich habe vorhin nicht richtig verstanden. Latour?“ Ich schüttelte den Kopf. „Nee, Natur,“ sagte ich, „Frau von und zu Natur. Sie ist ein famoses Frauenzimmer, ein bißchen launenhaft und dann wird sie leicht boshaft, aber ich mache mich dann einfach über sie lustig, und sofort ist sie wieder gut, denn alles kann sie vertragen, nur nicht, daß man sie ernst nimmt.“ Meyer machte kugelrunde Augen, als er mich frug: „Sie nehmen sie nicht ernst?“ Ich lachte: „Gar nicht; sie mich ja auch nicht. Schickte mir erst vorgestern ein Paket und als ich es aufmache, was glauben Sie, was darin ist? Ein gehöriger Schnupfen.“

Aber da kam sie selber, in einem so wunderbaren hafergelben, kornblumenblau und mohnrot ausgezierten Nachmittagskleide, das ihre prachtvollen Unterarme und ihren schönen Hals frei ließ, daß Meyer vor Weh und Wonne an zu schwitzen fing und erst wieder zu sich kam, als er drei Kognaks binnen hatte, und er war ganz selig, als ihm drei Kisten mit echten Habannas vorgesetzt wurden, und als er gar ein Münchener bekam, das grade so war, wie er es mochte, fing er auf eine Art zu balzen an, daß ich es mit der Angst bekam. Es war unglaublich, welche Menge handfester Schmeicheleien er vor ihr ausstülpte, wie er die Zweckmäßigkeit ihres Schaffens, die Umsichtigkeit ihres Waltens und ihre mütterliche Güte pries und sie dabei mit seinen immer blanker werdenden Augen verschlang und es gar nicht merkte, daß sie vergessen hatte, einen Haarwickel aus ihren etwas liderlich aufgesteckten Locken zu nehmen, und daß auch die Strümpfe, die sie jetzt [134] anhatte, veilchenblau mit roten Tupfen, an zwei Stellen löcherig waren. Er schwatzte darauf los wie ein bezahlter Wahlredner, qualmte wie eine Kleinbahnlokomotive und trank ab und zu einen Schluck Bier.

Mit einem Male verloren seine Augen ihren Glanz und seine Stirn bedeckte sich mit Runzeln. Er hatte bemerkt, daß die Gnädige hinter der Hand gähnte und das verletzte ihn. Auch schien es ihm so, als mache sie sich über ihn lustig, denn er hatte einen von den spöttischen Blicken erwischt, die sie mir zuwarf, und so kehrte er den deutschen Mann heraus, den ernsthaften, wissenschaftlich gebildeten, und frug: „Sagen Sie mal, gnädige Frau, zu was lassen Sie den Ornythorhynchus und die Echidna, was doch Säugetiere sind, Eier legen? Ich finde das etwas, wie soll ich sagen, unsystematisch!“ Die Hausfrau sah ihn verloren an, dachte einen Augenblick nach und meinte dann: „Ach so, Sie meinen die verkorksten Australier, das Schnabeltier und den Ameisenigel? Wissen Sie, in der wissenschaftlichen Nomenklatur, so heißt es doch, kenne ich mich nicht aus; es wimmelt da ja von Synonymen. Tja, sehen Sie, Herr Meyer, wenn ich ehrlich sein soll, ich weiß selber nicht, wie ich dazu kam, denn es ist schon eine ganze Weile her, als ich in jener Ecke das Kochen lernte. Ich glaube, ich hatte damals vor, alle Tiere Eier legen zu lassen, aber dann hatte ich etwas anderes zu tun und vergaß die ganze Geschichte. Ich wollte es noch ändern, aber es kam mir immer so viel dazwischen; na, und so verblieb es.“

Meyers Zigarre kohlte, ein Zeichen, daß die Grundfesten seiner Seele zu knacken begannen. Er zog heftig, verschluckte sich, gremsterte erheblich und fuhr dann mit einem gewissen Unterklange von Überhebung in der Stimme fort: „Überhaupt, Frau Natur, ich finde, daß Sie das, was Sie bezwecken, mit viel mehr Ersparnis an Material bewerkstelligen könnten. Zum Beispiel legt der Hering, sagen wir einmal eine Viertel Million Eier, oder sind es mehr?“ Die Hausfrau [135] zuckte die Achseln; Meyer sah sie strafend an und frug weiter: „Davon gehen alle bis auf ein oder zwei Stück zu Grunde. Das ist doch eine kolossale Materialverschwendung. Warum lassen Sie den Hering nicht von vornherein so viele Eier legen, wie zur Entwicklung kommen sollen?“ Meine Freundin sah ihn freundlich an, doch bekamen ihre Augen einen Stich ins Grüne, als sie erwiderte: „Das kann ich Ihnen ganz genau sagen; das weiß ich nämlich selber nicht.“ Meyer setzte seine Amtsmiene auf: „Das wissen Sie nicht?“ Sie schüttelte den Kopf und lachte, daß man ihre prachtvollen Zähne sah: „Faktisch nicht! Ich weiß es ebensowenig, als warum ich heute grade dieses Kleid und eben diese Strümpfe,“ sie schnippte mit dem Fuße, daß man ihre halben Waden sah, „angezogen habe. Sehen Sie, Herr Meyer, ich bin nämlich ein Frauenzimmer, und Logik und Systematik und all dieser Kram, auf den sich die Männer so gräßlich viel einbilden, und womit sie sich das bißchen Leben so schrecklich unschmackhaft und langweilig machen, daraus mache ich mir auch nicht so viel! Nehmen Sie sich doch eine andere Zigarre, Ihre kohlt ja. Ich empfehle Ihnen die große da, die mit der blauen Schwimmhose!“

Meyer wurde milder, als der Rauch der Extrafeinen seine Nasenlöcher umkräuselte, lächelte und meinte dann: „Sie verstehen doch, meine Gnädige, bei der Verehrung, die ich von Kindesbeinen vor Ihnen hatte, daß Ihr System, oder wie soll ich sagen, Ihre Methode mich ungemein interessiert, und deshalb gestatten Sie mir noch einige Fragen. Sie, die Allmutter, die Gütige, die alle Wesen liebreich behütet, warum richten Sie nicht manches humaner ein? Zum Beispiel: warum dulden Sie es, daß der Habicht seine Beute bei lebendigem Leibe zerfleischt, daß die Larven gewisser Fliegen die Rehe und die Kröten, in deren Rachenräumen sie wohnen, zu Tode quälen, daß der Iltis Frösche, die er durch einen Biß in die Wirbelsäule lähmt, in seinen Bau schleppt, wo sich die [136] Lurche monatelang hinquälen, daß der junge Kuckuck seine Stiefgeschwister aus dem Neste hebelt, so daß sie elendiglich verhungern, daß Millionen von Maiwurmkäferlarven zu Grunde gehen, weil sie keine Erdbiene erreichen, die sie zu Neste schleppt, daß das Tarantelweibchen und die Gottesanbeterin das Männchen ihrer Art, nachdem es sie befruchtet hat, in herzloser Weise auffrißt, daß die jungen Schwalben sich vor Lausfliegen und Wanzen nicht retten können, überhaupt, warum dulden Sie, verehrte gnädige Frau, alle diese entsetzlichen Ekto- und Entoparasiten, vom Sandfloh bis zum Leberegel, vom Bandwurm bis zum Pestbazillus? Ist denn dieser gräßliche Kampf um das Dasein überhaupt nötig? Könnten Sie die ganze Sache nicht anders einrichten?"

Frau Natur steckte sich eine Zigarette an, blies den Rauch mit nachdenklichem Gesichte aus ihren reizenden Mundwinkeln, lachte dann und antwortete: „Es ginge wohl, Herr Meyer, aber es geht nicht. Sie glauben vielleicht, daß ich machen kann, was ich will? Daß ich Generalvollmacht habe? Das habe ich leider Gottes Gottseidank nicht, denn sonst wäre ich schön aufgeschmissen. Ich habe schon, wurde mir die Schinderei da draußen zu unangenehm, den Versuch gemacht, dem abzuhelfen, aber regelmäßig eine Pleite ersten Ranges erlebt. So züchtete ich Habichte, die nur tote Tiere fressen sollten, und was kam dabei heraus? Schmarotzermilane wurden es, die die Falken so lange belästigen, bis die angeekelt ihnen ihre Beute hinwerfen und sich neue fingen. Und die Rachenbremse der Rehe und die Nasenfliege der Kröte, ja, du lieber Himmel, ich habe so viel um die Ohren, daß ich mich beim besten Willen um solche Kleinigkeiten nicht kümmern kann, soll nicht alles drüber und drunter gehen. Sie glauben gar nicht, was ich alles zu tun habe, damit das große Ganze halbwegs in der Reihe bleibt! Und schließlich, Herr Meyer,“ und als sie das sagte bekam sie sehr unangenehme Augen, „sind das [137] auch meine Angelegenheiten und ich bin ganz allein verantwortlich dafür.“

Ich küßte ihr die Hand und empfahl mich, denn ich wußte es, noch eine solche Frage und Meyer flog achtkantig die Treppe hinunter, und so nahm ich ihn an dem Arm und stiefelte von dannen. Unterwegs schimpfte er Mord und Brand und wurde, als ich ihm sagte, ich verböte mir eine unangemessene Kritik meiner verehrten Freundin, ziemlich ausfallend und meinte, er verstände es nicht, wie ich als anständiger Mensch bei einer Frau verkehren könnte, die ganz ungescheut ihre Waden zeige, und von der man nicht wisse, ob sie verheiratet, geschieden oder sonst etwas sei, und da wurde ich grob, nannte ihn einen Philister und schlug mich seitwärts in die Büsche.

Die ganze Woche sah ich ihn nicht, bis ich ihn gestern zufällig traf. „Sie, Meyer,“ sagte ich und holte ein Schächtelchen aus der Tasche, „ich habe etwas Feines für Ihre Käfersammlung, einen großartigen Nashornkäfer, der noch alle seine sechs Beine und ein Horn hat, wie Roosevelts bestes Rhinoceros.“ Aber Meyer lehnte ab. „Sammle keine Käfer mehr,“ sagte er, „auch keine Schmetterlinge. Will überhaupt mit der Person und ihren Fabrikaten nichts mehr zu tun haben. Ist mir zu unwissenschaftlich, zu planlos, zu unsystematisch. Kommt nichts bei heraus.“

Damit sprang er in die Elektrische. Als sie abfahren wollte frug ich: „Was sammeln Sie denn jetzt?“ Denn sammeln muß er, das weiß ich.

„Briefmarken,“ schrie er, „und Ansichtspostkarten“.