Textdaten
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Autor: Hermann Löns
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Titel: Der Koloradokäfer
Untertitel:
aus: Der zweckmäßige Meyer. Ein schnurriges Buch, S. 124–130
Herausgeber:
Auflage: 1.–4. Tausend
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1911
Verlag: Sponholtz
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Erscheinungsort: Hannover
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Google-USA* = Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: [1]
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[124] Der Koloradokäfer.

Das Essen war vorzüglich gewesen, die Weine demgemäß und diesbezüglich, und nun saßen wir Männer unter uns im Rauchzimmer beim Kaffee und Kognak und machten uns vermittelst sehr ebenbürtiger Zigarren blauen Dunst vor.

„Sagen Sie ’mal, lieber Bingius,“ sprach unser Afrikaner, „wie kam es eigentlich, daß Sie sich damals Gesundheitsrücksichten zuzogen, sich auf ihrer Klitsche verklüfteten und nicht mehr gesehen wurden seit jenen Tagen? Galten als einer der zukünftigsten königlich preußischen Regierungsassessors, waren schon kommissarischer Landrat, als andere gleichaltrige noch referendarten, und dann, mit einem Male: Klamm-Bingius futschikatus. Ich habe gesprochen.“

Der Regierungsassessor und Dragoneroberleutnant a. D. Rittergutsbesitzer Rauk Freiherr von Klamm-Bingius klemmte sich die Scheibe in das infolge eines in Bonn erworbenen Säbelhiebes etwas schwach gewordene Zielauge, strich sich mit der mächtigen Hand über den dichten grauen Scheitel, blies den Rauch der Manila gegen die Decke, lächelte den Araberbezwinger auf merkwürdige Weise an und erzählte:

„Ja, nicht wahr? Mein Abschied machte damals Aufsehen in der ganzen königlich preußischen Verwaltung. Duell, Liebesschose, zeitweilige Geistesstörung und was wurde nicht alles erzählt. Duell war es, aber gegen ein Insekt, und in eine Kaltwasserheilanstalt mußte ich auch, denn mein Gehirn begann in Mostrichsauce zu schwimmen. Und als ich auf [125] Anraten des Medizinmanns ein Jahr lang im z. D. mein Gütchen im Schweiße meines Angesichtes beackert hatte, fand ich, daß mir das besser lag, als Akten zu wälzen und Zweckessen auszustehen, und so ließ ich das z. D. zum a. D. umrigolen. Außerdem hatte ich Angst.“

Der Afrikaner klappte seine malariamüden Augen auf: „Sie und Angst? Machen Sie sich hier nicht interessant, sonst brumm ich Ihnen einen dreifachen Küracaojungen auf!“ Der andere nickte ernsthaft: „Tatsache! Angst, bis zu Gänsehaut, Schüttelfrost und Angstschweiß. Gottchen ja, vor Menschen hatte ich nie Angst, selbst als Fuchs und Einjähriger nicht; aber es gibt Dinge, Gewalten, Mächte, bei denen sich dem fatalistischsten, nervenlosesten Manne die Rückenborsten sträuben. Und so ging es mir.“ Er trank seinen Schnaps aus, schüttelte sich, warf seine Zigarre in das Kaminfeuer, suchte sich sorgfältig prüfend eine andere, steckte sie an und fuhr fort:

„Hören Sie zu! Außer meiner Frau kennt kein Mensch die Geschichte. Also das war im Jahre siebenundsiebzig, als ich in Tzschribowo Kommissarischer war, in dem Jahre, als der Koloradokäfer erfunden wurde. Na, was ging mich der an! Ich hatte massenbach zu tun und mehr gesellschaftliche Verpflichtungen, als mir lieb waren. Komme ich da eines Morgens, Donnerstag war es, in mein Bureau, und finde eine Akte, eine Akte, sage ich Ihnen, gerade was für einen Mann, der mit drei Flaschen Sekt nachts um drei ins Lager geschlieft ist. Ich lese und denke: „Quatsch!“ War nämlich Verfügung von oben, Landräte angewiesen, Auskunft über Auftreten von Koloradokäfern einzureichen.

Nach acht Tagen Anfrage. „Heiliges Donnerwetterchen!“ denke ich und antworte: „Koloradokäfer hier amtlich unbekannt!“ Nu aber kommt sehr bestimmte Anweisung, Untersuchung anzustellen. Ich also los. Nirgendswo Koloradokäfer gesehen. Gemeldet nach Regierung. Neuer Wisch: [126] Formulare für Pressenotizen, Paket mit Anschauungsmaterial für Schulen, Kneipen, Dorfschulzen, Gensdarmen und was weiß ich. Der Sekretär und ich gehen nun ins Zeug. Nach acht Tagen, wohin ich komme: Koloradokäfer Saisongespräch! Bei Gräfin Dschinsky, bei Oberamtmann Grönkopf, bei Forstmeister Dreihahn. Jagd, Pferde, Weiber, alles verblaßt gegen den Modekäfer. Wache morgens auf: meine Haushältersche springt mir mit Koloradokäfer ins Gesicht, wie ich zum Kaffee komme! Mittags im Hotel: Oberkellner fragt nach Koloradokäfer. Abends im Knobelverein: Koloradokäfer. In der Zeitung: Nischt als Koloradokäfer. Einfach zum Verblöden.

„Nach weiteren acht Tagen ging es dann erst richtig los. Jeden Tag Pakete mit Anfrage, ob das Koloradokäfer seien. Schöne Geschichte für einen Mann, der wohl allerlei nette kleine Käfer als Student und Referendar kennen lernte, aber außer Maikäfer höchstens noch Mistkäfer kennt. Flüchte mich an den Busen des Sekretärs. Der weiß Rat. Im nächsten Dorf wohnt Schulmeister, bedeutender Krabbeltierologe. Ich hingeritten. Famoser Mann das; tröstet mich; will alles bestimmen. Kommt alle zwei Tage herüber. Aber was half mir das? Es hagelte Pakete. Müssen alle gebucht werden, und die Antwortschreiben muß ich diktieren und weiterhauen!“

Er seufzte tief auf, kippte noch einen Wodke hinab und lachte hysterisch: „Ich habe in dem halben Jahre Entomologie gelernt, sage ich Ihnen. Ich weiß heute noch, wie der Marienkäfer auf lateinisch heißt, und der Pappelblattkäfer, und der Erlenkäfer, von dem es eine blaue und eine grüne Form gibt. An einem einzigen Tage, an einem Freitag, kamen fünfzig, nein, zweiundfünfzig Briefe mit zerquetschten Marienkäfern, dreißig mit Pappelblattkäfern und mindestens zwanzig mit Erlenkäfern. Die Schreiber bekamen beinahe Wadenkrämpfe in die rechten Arme, der Sekretär verriet Anzeichen von entomologischem [127] Verfolgungswahnsinn, und ich hatte das Gefühl, als wenn alle Tische und Stühle sechs Beine und vier Flügel, zwei aus Chitin, und zwei häutige, hätten.“

Er paffte wütend und schnob los: „Aber das war noch garnischt. Ganz schlapp liege ich nach dem Mittag auf der Faulbank. Da: tingeling, die Bimmel! Die Haushälterin kommt. „Is sich Mann da mit Korralloddokäfferr!“ Steht da ein Kerl, riecht auf sieben Meilen gegen den Wind nach Kartoffelsprit und Hoffmannstropfen, grinst wie ein Honigkuchenpferd, zieht ein unglaubliches Taschentuch aus der Tasche, wickelt es mit seinen Dreckpoten auseinander, und dann ein Kappesblatt, das darin war, und dann ein Stück Zeitung, und holt, na raten Sie ’mal, was er da hatte? Einen Nashornkäfer! Und dann feixt er ganz vertraulich und meint: „Is sich sehr schenner ganz rrichtiggerr Klarraddokefferr, Pani Lanndrattsamtmann; bekommt sich Schitzy kleines Trrinkgäld glaubt err!“

„Und ich Heuochse, um den ollen Säufer und vereidigten Ortsarmen los zu werden, gebe ihm fünf Dittchen, und da war der Deibel los. Von früh bis spät kam alles mit Korralloddokäfern und Klarraddokäfern und Karoladokäfern und was weiß ich an, bimmelte mich aus dem Bett, störte mich beim Frühstück, beim Mittag, beim Abendessen, beim Pfeiferauchen, beim Zubettegehen. Ja, mitten in der Nacht kommt ein eingeschriebener Eilbrief mit Nachtbestellung, und darin war ein bis zur Unkenntlichkeit platt gestempeltes Heimchen.“

Wir mußten alle herzhaft lachen, aber Klamm-Bingius sprach mit einer Stimme, die sich anhörte, als käme sie aus dem Erdgeschosse: „Ja, Sie können lachen, und ich lache jetzt auch darüber. Aber rekonstruiere ich mir jene Zeit, dann bekomme ich eine gerunzelte Epidermis, wie eine Weihnachtsgans. Ich sage Ihnen, liebe Freunde, es war zum Aufhängen! Ich komme Nachts müde nach Hause von einer siebenstündigen [128] scheußlichen Wagenfahrt. Kaum mache ich die Tür auf, da, burrr, fliegt mir was dickes, hartes, zackiges gegen die Augen. Ich mache Licht: ein Hirschkäfer, aber ein kapitaler, mindestens einer vom zwölften Kopfe. Ihm war es zu öde geworden in seinem Pappkasten und so hatte er sich durchgedrängelt und eine Lokalinspektion vorgenommen. Dann standen noch zwanzig Kästen und Paketchen da, von denen sieben kaput waren. Ich also, hundemüde wie ich bin, muß auf allen Vieren, wie es sich für einen Regierungsassessor und stellvertretenden Landrat, Kavallerieoffizier, Zweibänderkorpsburschen und Mann vom Uradel garnicht paßt, auf allen Vieren mit dem Licht kriechen und alle das Ungeziefer suchen, was in meiner Wohnstube und in dem Schlafzimmer herummarschiert. Ich sage Ihnen, ich habe ganz ungebildet geflucht und nachher lag ich vier Stunden da und konnte keine Bettschwere kriegen!“

Er stöhnte: „Sie glauben nicht, was man mir alles an den Hals schickte und ins Haus und auf das Landratsamt schleppte. Daß ich zollange Bockkäfer, Libellen, Maulwurfsgrillen, Laufkäfer, Zimmerböcke, Heuschrecken, spanische Fliegen, Bremsen, Hummeln, Baumwanzen, Totenköpfe, Ligusterschwärmer, Schwalbenschwänze, Schwebfliegen und wer weiß welche niederziehenden Raupen bekam, davon will ich noch garnichts sagen. Aber als es mit Wassermolchen und Eidechsen los ging und schließlich sogar eine handgroße griechische Schildkröte ankam, die irgendwo ausgekniffen war, da wurde mir so, als bekäme ich eine Darmverschlingung im Schädel und ich machte plötzlich die Entdeckung, daß ich alles, was gelb war, für Koloradokäfer hielt. Die Sonne kam mir vor, wie ein riesiger, gelb und schwarz gestreifter Koloradokäfer, und der Mond nicht minder. Des Doktors gelbe, schwarz gestromte Dogge hielt ich für Leptinotarsa dezemlineata, und als meine Hausbesorgerin, die gute Franja Kabuschka, eines Morgens mit dem Tee hereinkam [129] und eine gelb und schwarz gestreifte Schürze vorhatte, ging es wie ein Peitschenschlag über mein Zentralnervensystem. Ich beherrschte mich aber, trank jedoch den Tee mit Rum, was sonst nicht meine Weise ist.“

Seine Augen starrten böse in das Kaminfeuer. Dann lachte er gequält: „als die alte Scheune nachts abbrannte, weil der Verschönerungsverein sie angesteckt hatte, sah ich, daß die Flammen lauter irrsinnig große Koloradokäfer waren. Die nixenhaft schöne Olga Ziniakus konnte ich nicht mehr ansehen, weil ihre schwarzen, gelb geblümten Augen mir wie Koloradokäfer vorkamen. Mein Familienwappen nahm ich von der Wand, denn es zeigt die dreifache schwarze Wolfsangel im gelben Felde. Ich litt an hochgradiger Monomanie. Als mir eines Abends bei der Rehbockpürsch eine schwarzgelbe Katze über den Weg lief, begann ich an allen Gliedern zu zittern.

„Eines Tages kam der Vorsteher von Groß-Linke mit einem Leiterwagen angefahren, auf dem ein Luftballon lag, der dort niedergegangen war, und dieser Luftballon war gelb und schwarz gestreift. Da schrie ich auf und bekam Heulkrämpfe. Na, und ein stellvertretender Landrat mit Heulkrämpfen wirkt nicht so dekorativ, wie es oben gewünscht wird. Ich bat um Ersatz, packte erst meinen Koffer und dann mich und fuhr nach Wilhelmshöhe, und nach drei Monaten auf meine Klitsche. Und so kam es, daß durch den Koloradokäfer aus einem Regierungsassessor mit einer glänzenden Zukunft ein Magnumbonumfabrikant wurde.“

„Hm!“ sagte der Afrikaner, und wir schlossen uns ihm an. Und dann fragte ich: „Wie ist es Ihrem Nachfolger gegangen, lieber Bingius?“ Da sagte er, und seine Stimme klang etwas lebhaft: „Der hielt es vier Wochen aus, nahm dann Urlaub und wollte nach Tirol. Aber bei dem ersten österreichischen Schlagbaum bekam er einen Tobsuchtsanfall und mußte in der Zwangsjacke nach Hause geschickt werden. Er [130] lächelte: „Aber alles hat seine guten Seiten. Als ich im Oberstübchen wieder etwas in Ordnung war, fuhr ich von Wilhelmshöhe ab und zwar nach Kassel, und da lernte ich meine Frau kennen. Und da die auf dem Lande leben wollte, verzichtete ich darauf, Minister zu werden und das ist mir jetzt sehr lieb, denn ein Vergnügen ist das heute nicht mehr.“

„Na denn prost!“ sprach der Afrikaner; „es lebe der Koloradokäfer!“