Bayard Taylor (Die Gartenlaube 1878/17)
Wie man bereits aus den Zeitungen ersehen hat, ist der Amerikaner Bayard Taylor neuerdings zum Botschafter der Vereinigten Staaten beim deutschen Kaiserhofe ernannt worden. Die Nachricht hat in den Kreisen der liberalen Politiker, überhaupt der Gebildeten Deutschlands, eine ganz besondere Freude und Befriedigung erregt, da der Ernannte bei uns längst als einer der bedeutendsten und interessantesten Repräsentanten der seit längerer Zeit an hervorragenden Geistern durchaus nicht mehr armen Literatur der nordamerikanischen Union gekannt und geschätzt ist. Nicht nur als Publicist und schriftstellernder Tourist, sondern auch als Dichter und Romanschriftsteller, als Uebersetzer und öffentlicher Vorleser hat sich Taylor auf beiden Seiten des atlantischen Oceans einen höchst geachteten Namen verschafft. Aber neben der Auszeichnung im Dienste der Musen schwang er sich auch in gesellschaftlicher Hinsicht von mehr untergeordneter Lage aus zu einer vollkommen gesicherten und unabhängigen Stellung auf, während er bereits früher auch als Staatsmann und Diplomat sich die vollste Anerkennung seiner Regierung und seines Vaterlandes gewonnen hat. Als daher der jetzige Präsident Hayes Herrn Bayard Taylor, ohne daß dieser sich darum beworben hatte, bei dem Bundessenat in Washington für den wichtigen Berliner Gesandtschaftsposten in Vorschlag brachte, fand dieser Schritt, eine gewiß seltene Erscheinung, in der ganzen amerikanischen Presse den einmütigsten Beifall, sodaß bei dieser wunderbaren Harmonie der verschiedensten Parteiorgane selbst die genannte, den Amtsernennungen des Herrn Hayes sonst nicht sehr freundlich gesinnte gesetzgebende Staatsvertretung sich veranlaßt sah, am 4. März dieses Jahres einstimmig und ohne die geringste Opposition die Wahl zu bestätigen. Der greise Lieblingsdichter Amerikas, William Cullen Bryant, ließ sich in seinem stets die Sache der Freiheit und der gesunden Reform vertheidigenden Organe „Die „New-Yorker Abendpost“ also vernehmen:
Bayard Taylor ist ein Mann, der nicht nur Menschen und Dinge in seinem eigenen Vaterlande, sondern auch in anderen Ländern gründlich kennt. Wenn das Sprüchwort: ‚Wer seine Heimath nie verlassen hat, der besitzt nur einen beschränkten Gesichtskreis‘ nicht in allen Fällen wahr ist, so ist es doch unbestreitbar wahr, daß, sobald es sich um einen Gesandtschaftsposten handelt, man keinem Menschen den Vorzug geben darf, der niemals im Auslande gewesen ist. Vielleicht kennt kein [275] anderer Amerikaner das Ausland besser, als Herr Taylor. Er hat die Länder, Völker und gesellschaftlichen Verhältnisse Europas nicht nur aus Büchern studirt, sondern vorzugsweise durch eigene Anschauung und persönliche Erfahrung, die sich niemals durch Bücherstudium ersetzen lassen, kennen gelernt. Er ist vollständig Herr der deutschen Sprache, ja, er hat Deutschland zu seinem Specialstudium gemacht, er kennt deutsche Geschichte, deutsche Literatur und deutsches Leben. Ganz besonders aber gereicht es Herrn Taylor zum Ruhme, daß er bei seinen vielen Reisen und seinem langen Entferntsein aus dem Vaterlande doch niemals aufgehört hat, Amerikaner zu sein. Er zählt eben zu jenen Reisenden, die nicht geringer von ihrer Heimath denken, indem sie andere Länder liebgewinnen und hochschätzen lernen.“ [276] Square in Chester-County (Staat Pennsylvanien) geboren, wo sein Vater, dessen Vorfahren zu den frühesten Ansiedlern Amerikas gehörten, die Farmerei betrieb. Seine mangelhaften Schulkenntnisse wußte der junge Taylor durch unermüdliches Privatstudium zu erweitern und zu ergänzen und begab sich in seinem siebenzehnten Lebensjahre nach dem in seinem Geburtsstaate gelegenen Städtchen Westchester, um daselbst die Buchdruckerkunst zu erlernen. Zwei Jahre blieb er diesem Berufe treu, versuchte sich aber schon während dieser Zeit als Dichter, wie die 1844 zu Philadelphia erschienene Gedichtsammlung „Ximena und andere Dichtungen“ beweist. Die meisten dieser Jugendgedichte waren schon vorher in Journalen veröffentlicht worden, ohne dort die Aufmerksamkeit des Publicums in besonderem Grade zu erregen.
Der Amerikaner ist durch äußere und innere Ursachen von Jugend auf an einen häufigen und oft urplötzlichen Wechsel von Stellung und Beschäftigung gewöhnt und fühlt daher weniger als der Bewohner irgend eines andern Landes die Neigung und das Bedürfniß, an der Scholle zu kleben, auf der er geboren ist. Er wird sozusagen ein Wandergeschöpf, ist ein geborener Tourist. Die ungeheure Ausdehnung des Landes und das unruhige Temperament seiner Bewohner weckt in Letzteren die Wanderlust. Dieser mächtige Trieb nach Ortsveränderung und Abenteuern beseelte denn auch den jungen Bayard Taylor, und so sehen wir ihn schon in den Jahren 1844 bis 1846 verschiedene Länder Europas durchstreifen. Meistens zu Fuß und mit einem Reisegelde von nur etwa fünfhundert Dollars versehen, besuchte er England, Deutschland, die Schweiz, Frankreich und Italien. Nach der Heimkehr schildert er die empfangenen Eindrücke und gemachten Beobachtungen in einem nicht nur in Amerika, sondern auch in England höchst beifällig aufgenommenen Buche („Views a-Foot, or Europe seen with Knapsack and Staff“). Nachdem er alsdann kurze Zeit zu Phönixville in Pennsylvanien eine Zeitung herausgegeben hatte, begab er sich nach New-York, wo er zunächst einige Beitrage für eine literarische Zeitschrift lieferte, dann aber als Miteigentümer und Mitherausgeber der „New-York Tribune“ auftrat. Im Jahre 1848 veröffentlichte er eine Sammlung von Reisegedichten und Balladen, die den sonst nur äußerst schwer zu befriedigenden Recensenten Edgar A. Poe zu der folgenden Kritik veranlaßten: „B. Taylor ist hinsichtlich seiner Ausdrucksweise den sorgfältigsten, feurigsten und kräftigsten Dichtern Amerikas, der älteren wie der neueren Zeit, beizuzählen. Der volltönende, fein abgemessene Rhythmus seiner Dichtungen erinnert gar häufig an Thomas Campbell.“
Die Beschreibung der von Taylor im Jahre 1849 nach dem von den Vereinigten Staaten neuerworbenen Goldlande Californien unternommenen Reise fand bei ihrem ersten Erscheinen einen solchen Beifall, daß in Amerika davon binnen zwölf Tagen zehntausend und in Europa binnen wenigen Jahren dreißigtausend Exemplare verkauft wurden. Solche Erfolge konnten das Selbstvertrauen und die Reiselust des Verfassers nur steigern und so verließ er denn im Jahre 1851 Philadelphia, um eine Reise großartigen Stils von mehr als fünfzigtausend englischen Meilen zu machen. Er durchwanderte Spanien, Sicilien, Aegypten, Nubien, Kleinasien und Syrien, sah Ostindien und China, und schloß sich zuletzt noch der Expedition an, die sein Landsmann Perry nach Japan unternahm. Das literarische Ergebniß dieser langen Reise, von der er am 20. December 1853 nach New-York zurückkehrte, war eine ganze Reihe von theils prosaischen, theils poetischen Schriften, die in Amerika und England wiederholte Auflagen erlebten. Die unbändige Wanderlust Taylor’s war damit aber noch lange nicht gestillt. Nach einem Aufenthalte von kaum dritthalb Jahren in der Heimath sehen wir ihn schon wieder sich in New-York einschiffen, um diesmal, nachdem er abermals Deutschland einen Besuch abgestattet, Dänemark, Schweden, Norwegen und Lappland, Rußland, Polen, Griechenland und Kreta zu bereisen. Was er in allen diesen Ländern gesehen und erlebt, schilderte er nun wiederum in verschiedenen Werken, nachdem er im October 1858 glücklich nach Amerika heimgekehrt war. Der Mann, der in allen Weltteilen zu Hause, der den Neger in seiner Hütte in Nubien und den gelben Japanesen in Jeddo, den Gemsenjäger aus den Alpen von Tirol und der Schweiz und den Goldgräber in Californien besucht hatte, der in Mexico die Winde der Tropenwelt und in Nigritien die Schauer der Wüste gefühlt, derselbe Mann suchte nun im hohen Norden Europas bei den Finnen und Lappen auch die Schrecken und Schönheiten des arktischen Winters auf.
Es möge uns vergönnt sein, als Probe von Taylor’s Schreibweise, eine kurze Stelle aus seinem Buche „Northern Travel“ hier mitzutheilen. Von Pitea im nördlichen Schweden aus schreibt er unterm 28. December 1856 unter Anderem Folgendes: „Ein wenig nach zehn Uhr Vormittags ging die Sonne auf, und ich habe nie etwas Schöneres gesehen, als die Beleuchtung der Wälder und Schneefelder in ihren wagerechten orangegelben Strahlen. Selbst zur Mittagszeit stand die Sonne nicht höher, als acht Grad über dem Horizont. Nur die Wipfel der Bäume wurden von ihren Strahlen berührt; ruhig und fest wie Eisen und von glänzenden Eiskrystallen bedeckt, waren die Stämme der Baumriesen in schimmerndes Gold und ihr Laubwerk in ein feueriges Orangebraun verwandelt. Die zarten, mit Eis überzogenen Zweige der Birken glänzten gleich Stäben von Topas und Amethyst, und die gegen die Sonne liegenden und mit jungfräulichem Schnee bedeckten Abhänge schimmerten in den schönsten safrangelben Strahlen. Im Süden findet sich Nichts, was diesem Anblick gleichgestellt werden kann, Nichts, was so reich, blendend und prachtvoll wäre.“
Die vielgereiste Mann glaubte in den Winterlandschaften des hohen Nordens die Erhabenheit des Todes und der Verödung, eine wilde, finstere, traurige Eintönigleit der hinsterbenden Natur zu finden und hatte, wie er selbst erklärte, in Wirklichkeit dort den beständigen Genuß der seltensten, zartesten und bezauberndsten Schönheit vor sich. Und mit diesen unerwarteten Natureindrücken schienen ihm auch die Leute, die ihm auf der Landstraße begegneten, in vollem Einklange zu stehen. „Sie sind so klaräugig und so rosenroth wie der Morgen,“ sagt er von ihnen, „so schlank und kräftig, wie die jungen Tannenbäume in ihren Wäldern, und einfacher, rechtschaffener und unverfälschter als irgend eine Classe von Menschen, die ich je sonst gesehen habe. Unter der Heiterkeit dieser blauen Augen und glatten, schönen Gesichter brennt die alte Berserkerwut, die nicht leicht in Feuer geräth, aber, sobald dies aus irgend einem Grunde geschieht, furchtbar ist wie der Blitz.“
Taylor bekämpft dann mit Recht den Ausspruch Lord Byron’s, daß die Bewohner des kalten Klimas auch kaltes Blut hätten, indem er den „Nordländern“ und „Nordländerinnen“ ebenso gut warme Herzen zuerkennt, als den Südländern; die ersteren scheinen nur „wegen ihrer hohen Selbstbeherrschung und in Folge der Freiheit von verderblichen Leidenschaften“ so kalt und eisig zu sein. Den Totaleindruck seiner Nordlandsreise faßt er ungefähr in folgender Weise zusammen: „Mein Ausflug nach dem Polarland kommt mir vor wie eine lange, lange Nacht voller glänzender Träume, aber doch Nacht und nicht Tag. Es ist gut, den Norden zu sehen, selbst nach dem Süden, wie aber Niemand die Tropen wieder verläßt, ohne dann und wann lebhaft die Sehnsucht nach Rückkehr zu empfinden, so wird keiner, der einen Winter innerhalb des Polarkreises verlebt hat, Verlangen tragen, die Erfahrung noch einmal zu machen.“
Es ist wahr, wie auch einige Kritiker von Taylor’s Reisebeschreibungen gesagt haben, die Schilderungen des amerikanischen Touristen entbehren hier und da der wissenschaftlichen Genauigkeit und Gründlichkeit, aber sie sind doch voll lebendiger Frische und wohlthuender Unbefangenheit; sie sind getreu wie Photographien und gehoben von jenem Schwunge, wie er aus einem warm schlagenden und edel empfindenden Herzen kommt. Seine Schrift: „Des Dichters Tagebuch“ darf als eine poetische Selbstbiographie angesehen und beurtheilt werden.
Von dem großen Präsidenten Abraham Lincoln wurde Taylor zuerst zum Legationssecretär und später zum Geschäftsträger der Vereinigten Staaten am Petersburger Hofe ernannt und bekleidete diese Stelle während der Jahre 1862 und 1863. Es ist daher anzunehmen, daß dem scharfblickenden Manne seine in Rußland gemachten diplomatischen Erfahrungen bei der gegenwärtigen orientalischen Krisis in Berlin von Nutzen sein werden.
Nachdem er damals seine Diplomatenstellung in Petersburg aufgegeben hatte, lebte er auf seinem schöngelegenen Landsitze Cedarcroft in der Nähe von Philadelphia in stiller Zurückgezogenheit, die nur durch eine abermalige Reise nach Californien und eine Sommertour nach Colorado unterbrochen wurde. Selbstverständlich [277] liegen auch Berichte über diese Ausflüge, wie über alle seine anderen Reisen, vor. Seit 1964 trat er wiederholt als öffentlicher Vorleser in verschiedenen größeren Städten Amerikas auf, und zwar mit großem Beifall und nicht ohne klingendes Ergebniß. Eine Reise auf der Pacific-Eisenbahn im Jahre 1871 benutzte er zu einem Abstecher nach den im Huron-See gelegenen und durch indianische Sagen berühmten Manitouline-Inseln.
Seine Liebe zu Deutschland, die schon aus dem Grunde erklärlich ist, weil er in der talentvollen Tochter des Astronomen Hansen zu Gotha eine treue und vielgeliebte Lebensgefährtin fand, zog Bayard Taylor im Jahre 1872 wiederum über den Ocean nach Europa, wo er sich einige Jahre theils in Italien, theils in Thüringen aufhielt und eifrig mit dichterischen und wissenschaftlichen Arbeiten beschäftigte. Aber auch das alte Land der Pharaonen übte noch einmal seine wunderbare Anziehungskraft auf ihn; von den Pyramiden begab er sich 1874 nach Island, um die tausendjährige Jubelfeier der Besiedelung dieser Insel mitzumachen und sie durch ein schwungvolles Lied zu verherrlichen. Die Frucht dieser letzten beiden Reisen ist auch seine letzte größere Reisebeschreibung: „Aegypten und Island“.
Als Taylor im Herbste des Jahres 1874 aus der Fremde in die Heimath zurückkehrte, wurde ihm von seinen vielen Freunden und Verehrern ein äußerst herzlicher Empfang bereitet. Der Berg Cuba, in der Nähe des schönen, romantischen Hockessinthales, gleich weit von Philadelphia und der Stadt Wilmington im Staate Delaware gelegen, war als der Platz auserwählt worden, wo die sinnige Empfangsfeier vor sich ging. Dies war vorzugsweise aus dem Grunde geschehen, weil Taylor den genannten Berg und das Hockessinthal nebst Umgegend durch ein gerade vor zwei Jahren in Deutschland verfaßtes längeres Gedicht, „Lars“ betitelt, verherrlicht hatte. Der Festplatz war durch Guirlanden und Triumphbogen geschmückt, an denen sich Sprüche und Sentenzen aus den Werken des berühmten Reisenden, umrahmt von Immergrün und frischen Herbstblumen, befanden. Als sich Taylor, begleitet von seinen betagten Eltern, seiner Frau und seiner Tochter, der Stelle näherte, stimmte ein Sängerchor das von Taylor selbst in’s Englische übertragene deutsche Nationallied „Die Wacht am Rhein“ an, nach dessen Beendigung verschiedene Begrüßungsreden gehalten wurden. Dr. Franklin Taylor, ein Verwandter des Heimgekehrten, der mit diesem vor dreißig Jahren die erste Reise nach Europa gemacht hatte, rief die Erinnerung an vergangene Zeiten wach und gedachte in ergreifender Weise mancher Freunde, die nicht mehr unter den Lebenden weilten. Schließlich nahm Bayard Taylor selber das Wort und gab in einer längere Rede einen kurzen Rückblick auf sein bisheriges Wirken und Streben. Seine vielen Reisen, sagte er unter Anderem, habe er wesentlich nur deshalb unternommen, um sich geistig auszubilden; er wisse wohl, daß seine Reisebeschreibungen, obschon sie viel und gern gelesen würden, doch sehr mangelhaft seien, aber sein letzter Aufenthalt in der Alten Welt sei von ihm zu gründlichen Arbeiten benutzt worden, er habe das Gedicht „Lars“ verfaßt, eine „Geschichte Deutschlands“ geschrieben und ein Drama, „Der Prophet“, gedichtet, außerdem habe er Material zu weiteren, größeren Arbeiten gesammelt. Er stehe an einem Wendepunkt seines Lebens, in drei Monaten werde er fünfzig Jahre alt, aber fühle sich noch körperlich und geistig frisch genug, um Besseres als bisher zu leisten. Seine Frau sei ihm in allen Dingen, auch bei seinen dichterischen Schöpfungen, eine treue und einsichtsvolle Beratherin und Helferin. Er sei kein eigentlicher „Reformer“, aber all seine Kraft solle darauf gerichtet sein, seine Mitbürger und sich selber besser und glücklicher zu machen.
Zum Andenken an das ihm bereitete frohe Bewillkommnungsfest dichtete er bald darauf das warm empfundene Gedicht: „Ad Amicos.“
Taylor’s Dichtungen sind von einem heiteren Glauben an das Gute durchhaucht, ebenso seine Romane und Novellen, unter denen mir „Hannah Thurston“, „Die Geschichte von Kennett“, „John Godfrey’s Schicksale“ und „Joseph und sein Freund“ hervorheben.
Als im Jahre 1875 der deutsche „Goethe-Club“ in New-York, der sehr viel amerikanische Mitglieder hat, am Geburtstage unseres großen Dichterfürsten ein Fest veranstaltete, um die Enthüllung und Einweihung einer wohlgelungenen Goethe-Büste vorzunehmen, welche fortan den großen und schönen Centralpark in New-York schmücken sollte, waren zu dieser Feier auch William C. Bryant und Bayard Taylor eingeladen worden. Der Vorsitzende des „Goethe-Clubs“, Herr Dr. A. Ruppauer, schilderte in einer längeren Begrüßungsrede den Zweck dieses Vereins, der deutschen Literatur in den Vereinigten Staaten eine immer weitere Verbreitung und Anerkennung zu verschaffen, und schloß mit einem Hinweis auf die vielfachen Verdienste der anwesenden Dichter Bryant und Taylor, die Beide, wohlbewandert in der deutschen Literatur, stets Freunde und Förderer des Deutschthums in Amerika gewesen seien.
Taylor beantwortete den auf ihn ausgebrachten Toast dankend und bemerkte in deutscher Sprache, daß er seit Jahren Material gesammelt habe, um für seine Landsleute eine Biographie Goethe’s zu schreiben. Bekanntlich hat Taylor Goethe’s „Faust“ wirklich meisterhaft in’s Englische übersetzt, ebenso Auerbach’s „Landhaus am Rhein“ und verschiedene andere deutsche Dichtungen. Unter den deutschen Uebersetzern Taylor’scher Reisebeschreibungen, Gedichte und Romane sind dagegen zu nennen: Friedrich Coßmann, Spielhagen, Strodtmann und Frau E. Steinitz. Das lyrisch-dramatische Gedicht Taylor’s „Die Maskerade der Götter“ behandelt die tiefsten metaphysischen Fragen über Gott und Welt und ist gleichsam ein Lobgesang auf die das Weltall umfassende göttliche Liebe. Der Stoff des oben erwähnten fünfactigen Dramas „Der Prophet“ ist der Geschichte des Mormonenthums entnommen. Seine „Ode an Columbia“, die er zur hundertjährigen Jubelfeier des 4. Juli 1776 dichtete und bei der Eröffnung der Weltausstellung zu Philadelphia 1876 selbst öffentlich vortrug, zeichnet sich durch dithyrambischen Schwung und hohen Patriotismus aus. Mit welcher Theilnahme er die Ereignisse in Europa verfolgte, davon hat uns erst vor Kurzem sein auf das Hinscheiden des Königs Victor Emanuel verfaßtes Gedicht überzeugt, in welchem er auch Mazzini’s, Cavour’s und Garibaldi’s rühmend gedenkt. Seine „Geschichte von Deutschland“, die er für die Schule der Vereinigten Staaten schrieb und in der er die ehrenvolle Herstellung der deutschen Reichseinheit feiert, ist von seiner Frau Marie in die deutsche Sprache übertragen und in Stuttgart (bei Aug. Berth. Auerbach) erschienen.
Wir haben hier vornehmlich die schriftstellerische Seite und das dichterische Verdienst des ausgezeichneten Mannes betont, weil sich hieraus allein schon hinlänglich die Hoffnung ergiebt, daß eine geistig so glänzende Persönlichkeit, ein so charaktervoller und bedeutender Schriftsteller auch eine Zierde unserer politischen Kreise sein, daß der gefeierte Uebersetzer des „Faust“ und der Verfasser der „Geschichte Deutschlands“ die große transatlantische Republik bei der Regierung unseres jungen Deutschen Reiches würdig und wirksam vertreten wird. Schon in den ersten Tagen des April schickte sich Bayard Taylor zur Abreise nach Deutschland an und von allen Seiten beeilten sich die Amerikaner, ihm ihre aufrichtigen Huldigungen und Glückwünsche durch großartige Abschiedsfeste vorzubringen, an denen sich die hervorragendsten Männer betheiligten. Bei Gelegenheit eines solchen, von dem obengenannten Goethe-Club in New-York ihm zu Ehren veranstalteten Festes äußerte sich der neue Botschafter unter Anderem auch über die Stellung seines schriftstellerischen Berufes zu seinen Pflichten als Staatsmann. Vielleicht, sagte er, gäbe es Einige, welche sagen, an einen solchen Posten von so außerordentlicher politischer Wichtigkeit solle man Niemand stellen, der eine weitab von diesem Felde liegende zweite Aufgabe sich gestellt habe. Denen erwidere er: als Gesandter denke er seine Pflicht in vollstem Maße zu erfüllen. Aber wen er von den vierundzwanzig Stunden des Tages, namentlich von den Stunden, welche nach gethaner Arbeit ihm zur Erholung gehörten, einige in literarischer Thätigkeit verwenden werde, so dürfe ihm das Niemand mißgönnen. Jedenfalls freue er sich, nach Berlin gehen zu können, in die Hauptstadt, wo ihm durch Quellenstudium, durch reichhaltiges Material und aus den lebendigen Mittheilungen der Forscher die Hoffnung winke, seine Arbeit (wohl die beabsichtigte Biographie Goethe’s) in dem Sinne vollenden zu können, wie er sich vorgenommen habe.