Die Wäsche sonst und jetzt
In alter Zeit hüteten Königssöhne der Heerden, dieweil Königstöchter des Hauses warteten. Liebliche Sagen haben die Frau verherrlicht, die unter ihren Mägden saß, Spindel und Webstuhl regierend; hier vernimmt Andromache den Tod Hector’s; dort sorgt Krimhild „webend das Gewand, doppelt und purpurhell“, darinnen Sigfried den Tod findet. Homer erzählt von den Frauen, die mit „rasselnder Mühle zermalmen gelbes Getreide“, daß sie bei ihrem häuslichen Wirken emsig seien, „wie die Blätter der lustigen Zitterpappel“, und unvergeßlich ist die reizende Erzählung der Geschäftigkeit der Nausikaa, die Wäsche zum Bleichen und Waschen zu fahren hat, und das Bild der Gudrun die am Strande das Linnen Gerlinde’s wäscht.
So lehnen sich an die Arbeit der Frau im Hause die schönsten unserer Märchen an. Jenes Dornröschen, das sich mit der Spindel sticht, und alle die verwunschenen Prinzessinnen, die am Rade sitzen und das Schiffchen werfen, die feinen Hände, die in dunkler Nacht das Leinen waschen, das der Geliebte auf dem Herzen getragen – und bluten die Finger darunter, dann bleibt er treu – bleiben die lieblichsten Gestalten unserer Kinderzeit. Auch Hunderte freundlicher Erzählungen jener Tage, die der Volksmund „die gute alte Zeit“ nennt, überliefern das Wirken der alten deutschen Hausfrau vom Vater auf den Sohn und pflanzen es mit jedem Jahrzehnt sagenhafter fort. Das Bild der rührigen Hausfrau, die das schäumende Hausbier selbst bereitet, die allabendlich sorgt, daß für den nächsten Morgen Zünder genug vorhanden, den Schwefelfaden anzuzünden, deren Hände selbst das dünne Talglicht ziehen, die gar ängstlich die Räucherkammer bewacht, trotz des beißenden Qualmes, die sich unsere Phantasie nicht anders denken mag, als mit dem mächtigen Bunde von Schlüsseln, deren jeder von Sorge, Mühe und Last erzählt, ist eine Gestalt, uns nicht minder fern und nicht weniger vertraut, als jene Frau aus dem Märchen.
Solches Wirken der Frau und seine Poesie ist vergangen, seitdem der Dampf, dieser starke Sohn des 19. Jahrhunderts, in nimmersattem Ehrgeiz Sorg’ auf Sorge, Last auf Last uns abnimmt und mehr und mehr der Frau das Heft aus den Händen windet, das unsere Ahninnen und Aeltermütter so absolut und unbestritten führten. Wie es nur wenige liebliche Landschaften noch giebt, deren Poesie er nicht unter den eisernen Schienen begraben, die sich heute durch unser Land ziehen wie die Gitterstäbe eines großen Gefängnisses, so hat er auch in dem Bereiche der Freuden und Leiden des Hauses gewaltige Veränderungen hervorgebracht. Nicht mehr an das stille Walten zweier Hände ist das Bedürfniß und Wohlbehagen des Hauses gebunden; von dem Gerassel von hundert und aberhundert Fabrikrädern hängt es ab.
Den Nahrungs- und Genußmitteln des täglichen Lebens treten darin alle anderen Factoren des häuslichen Wohlbehagens an die Seite. Klappernde Räder wanden den Frauen das Schiffchen, die mechanische Kraft der Maschinen nahm ihnen die Nadel aus der Hand – und die Hofleute Frotho’s des Ersten, die den Entschluß faßten, dem Könige zur Vermählung zu rathen, „damit seine zerrissene Kleidung in Ordnung käme“, wären im Stande, diesen wünschenswerthen Zustand ihres Gebieters auch auf anderem Wege zu erreichen. Auch Hrolf’s Unmuth, in dem er ausruft, als er seine Mutter nicht mit den Mädchen an den Fluß ziehen sieht: „Was Wunder, daß echte Freundschaft nicht mehr in der Welt angetroffen wird, da selbst die Mutter dem Sohne das Linnen nicht mehr bleichen mag“, hätte sich allmählich gewöhnen müssen, weniger nachdenklich zu werden.
Denn auch die Wäsche, in ihrem ehrwürdigen Begriff alter Tage, steht heute nicht mehr in dem Sorgenregister der Frau, und die große Truhe „schwarzen Zeuges“, das Grauen und die Angst des Hausherrn, die ihm auf volle acht Tage den Begriff seiner vollkommensten Machtlosigkeit prophezeite, ihm das alte Wort zurückrief: „Du bist ein Mensch – das bedenke stets!“ läßt unsere Männer heute kalt. Seit die Waschmaschinen und Dampfwäschereien der großen Städte sich dieser unheimlichen Frage des Hauses bemächtigt, lebt die Qual eines echten, rechten Waschtages für einen Theil des Publicums nur noch in der Sage fort, die, dem Kinde auf dem Bettrande erzählt, sogar von freundlichem Schimmer verklärt wird. Nur der Duft der köstlichen Milchreisschüssel blieb zurück, das historische Mittagsmahl, das unabänderlich war, wie das Verhängniß.
Die Fortschritte der Technik in der Reinigung und Erhaltung unserer Bekleidungsgegenstände hatten sich bis vor wenigen Jahren ausschließlich auf das Gebiet der Bett-, Tisch- und Leibwäsche des Hauses beschränkt und für einen Theil unserer modernen Bedürfnisse eine Lücke gelassen. Die mechanische Anwendung des Wassers in Verbindung mit Seife, Soda oder anderen fettlösenden Körpern, die natürlichen und geeigneten Waschmittel für jene Waschgegenstände, die von den ersten Dampfwäschereien in wachsender Vervollkommnung vertreten wurde, erwies sich nur ausnahmsweise verwendbar, wo buntfarbige Wollen- oder Seidenstoffe in Frage kommen, und war ganz unbrauchbar zarten oder unechten Farben gegenüber.
Die Fabrikation der sogenannten Fleckenwasser, welche in keinem Hause fehlen durften, suchte diese Lücke auszufüllen; immer gehörte die Handhabung derselben zu den Pflichten und Aufgaben der guten Hausfrau, und kein betäubender Geruch der geheimnißvollen Flüssigkeiten durfte sie abhalten, zu Nutz und Frommen der Familie ihres säuberlichen Amtes zu warten.
Die sorgliche Gattin, die, in eine Brönner’sche Duftwolke gehüllt, den Rothweinfleck aus dem Sonntagsstaat des Gatten reibt oder mit den unaufklärbaren Schatten ringt, die den Werkelanzug ihrer Buben verdüstern, ist uns Allen ein vertrautes Bild. Der wichtige Fortschritt der chemischen Wäsche, der auch dieses Bad uns selten und seltener macht, ist erst wenige Jahre alt. Wenn es aber ein Maßstab für die Wichtigkeit und den Werth einer Erfindung ist, daß sie alles Andere verdrängt, was vor ihr in ähnlicher Art vorhanden war, so ist die Erfindung der chemischen Reinigung für die Interessen des Hauses eine epochemachende. In ihren Anfängen auf die Zeit der Fünfziger Jahre zurückzuführen, ist sie heut zu einer Vervollkommnung gediehen, die sie zu einem der interessantesten Groß-Industriezweige macht. Worin das Wesen der chemischen Reinigung besteht, ist heute wohl Keinem mehr fremd. Den Schwierigkeiten gegenüber, welche die Wasserwäsche nicht zu überwinden vermag, verwendet sie solche flüssige chemische Körper, welche die Eigenschaften besitzen, die ursprüngliche Farbe, Haltbarkeit und Appretur der verschiedenartigsten Stoffe nicht anzugreifen, sondern nur das Unreine aufzulösen, soweit es sich an unseren Kleidern, Röcken, Hüten, Bändern etc. befindet und aus Fettstoffen besteht, die den überall vorhandenen pulverigen Staub aufnahmen und auf und in den Zeugstoffen festkitteten. Zu den dazu verwandten flüssig-chemischen Körpern gehören Steinkohlenbenzol, Petroleumbenzin, Terpentinöl, Schwefeläther, Schwefelkohlenstoff, Amylalkohol und andere, von denen die letzteren drei indessen nur ausnahmsweise für die chemische Reinigung von Bekleidungsgegenständen, dagegen in großartigem Maßstabe zu ähnlichen Zwecken, zum Entfetten der rohen Schafwolle, der Tuche etc. in Anwendung kommen.
Die Hausfrauen hatten das Steinkohlenbenzin bisher in den verschiedenen Präparaten der Fleckenwasser nur im Kleinen consumirt. Der hohe Preis desselben schreckte unternehmende Köpfe von dem Versuch, diese Flüssigkeit an Stelle des Wassers im Großen zu verwenden, lange zurück, und als Judlin, der eigentliche Vater der chemischen Reinigung, zuerst in Warschau, dann in Berlin eine chemische Waschanstalt in großartigem Umfange einzurichten sich entschloß, machte dieser Umstand das Unternehmen zu einem nicht geringen Wagniß.
Der Erfolg desselben ließ im Laufe der Jahre eine Reihe gleicher Unternehmungen in’s Leben treten, und die chemische Wäsche als das bedeutsame Moment der Reinigung, Wiederherstellung und Erhaltung eines ganz bestimmten Theils unserer Bekleidungsgegenstände ist heute eine Frage von nationalökonomischer Bedeutung. Wir sind mit ihrer Anwendung auf Sachen unseres Haushaltes, die aus Tuch, Seide, Wolle etc. bestehen, gegenwärtig in das Stadium der Periodicität getreten, wie mit der Reinigung unserer Leibwäsche oder unseres Körpers selbst. Wie wir diese Letzteren periodisch zu gewissen Zeiten besorgen, so giebt es auch für die chemische Wäsche alljährlich [279] zwei Hauptsaisons, den beginnenden Frühling und den beginnenden Winter. Es läßt sich nur schwer ein Bild von dem Umfange des Verkehrs geben, wie er sich zu dieser Zeit in den renommirtesten dieser Waschanstalten entwickelt, wo jeder Tag Tausende und Abertausende von Aufträgen bringt und alle ihre Einrichtungen und Maschinen, die verschiedenen complicirten Waschgefäße, Bürstvorrichtungen, die Centrifugalmaschinen, die umfangreichen Destillirgefäße, Appretur- und Trockenmaschinen, kurz alle Einzelheiten des ganzen großartigen Apparates den Anblick unausgesetzter Bewegung bieten. Das unermüdliche Schaffen vieler Hunderte von rüstigen Händen, das ewige Auf- und Abladen der Markthelfer, das Schnarren und Rasseln der Maschinen, die bunte Mannigfaltigkeit der Arbeit in den einzelnen Ressorts der Anstalt – es herrscht ein buntes Leben in so einer modernen Waschanstalt.
Keine Costümkammer eines Theaters kann ein bewegteres Bild darbieten, als der große Lagerraum, der zur Aufnahme der zu reinigenden Kleider dient, die ihm aus allen europäischen Staaten zuströmen; friedlicher und stiller kann das Grab die Contraste des Lebens nicht versöhnen, wie sie sich hier berühren. Da hängt das prunkende Luxusgewand der Fürstin, das die Sorge der Kammerfrau von einem Schatten befreien will, neben dem dünnen, fadenscheinigen Rocke des armen Familienvaters, der ihn vor Kurzem erst aus dem Versatzgeschäft einlöste. Stolzer Hermelin, bunter Flitterkram der Maskengarderobe zwischen einer unabsehbaren Menge schlichter brauner Mädchenkleider, aus einem Waisenhause stammend, eine goldbordirte Ministeruniform zwischen Arbeiterblousen, die Adjustirung einer Schwadron rother Husaren, mitten unter ihnen eine Altardecke – ihre frommen Embleme verhüllt von einem blonden Lockenchignon: Alles bunt durch einander, wie der Tag es eben bringt. Da liegen ferner in wirrem Chaos Atlasschuhe, Pelzsachen, Mützen, Hüte, Handschuhe, Sonnenschirme, Teppiche, feine Applicationsarbeiten, bunte Tapisseriearbeiten, wattirte Decken, mit Schwanenbesatz verzierter Atlas, Helmbüsche und noch tausend andere Dinge.
Die chemische Wäsche dieser Gegenstände beginnt zunächst mit dem Sortiren derselben nach der Art des Gewebes, sowie nach dem Grade der Verunreinigung derselben. Die weiß- und hellseidenen Stücke, die Sammete, die hellen wollenen, die dunkeln wollenen, und die ganz besonders schmutzigen Stücke werden in dieser Reihenfolge zu einer Ladung sortirt und in die Waschmaschinen gebracht, nachdem vorher jedes Stück auf einem mit Marmorplatten bedeckten Tische, je nachdem es die Qualität des Stoffes zuläßt, mittelst einer in Benzin getauchten Bürste, namentlich an den schmutzigsten Stellen gebürstet wurde.
Die Waschmaschinen bestehen in der Regel aus einer äußeren feststehenden und einer innerlichen beweglichen, aus von einander abstehenden Latten construirten Trommel, die mit verschließbarer Einfüllthür versehen ist. In der äußeren Trommel wird das Benzin so hoch eingefüllt, daß es einige Zoll hoch in die innere Lattentrommel einsteigt, dann wird, nach dem Hereinbringen der vorbereiteten Wäschestücke in die Lattentrommel, letztere in langsame Umdrehungen versetzt. Das Benzin löst hier das Fett auf, und der pulverige Staub reibt sich mechanisch aus und geht zum größten Theil in das Benzin über.
Nach zehn Minuten bis längstens einer Stunde – die Zeitdauer hängt von der Beschaffenheit der Stoffe ab – werden die Gegenstände aus der Trommel herausgenommen, um einer indeß vorbereiteten dunkleren Ladung Platz zu machen, hierauf in einer Spülwanne in frischem, reinem Benzin gespült und dann von dem letzteren in einer in schnellste Umdrehungen versetzten Schleuder-(Centrifugal)maschine so lange ausgeschleudert oder „ausgetriefelt“, daß sie äußerlich völlig trocken erscheinen. Aus der Centrifugalmaschine werden die Gegenstände sodann in eine stark geheizte und gut ventilirte Trockenkammer gebracht, wo sie völlig getrocknet werden und den Benzingeruch verlieren, während das mit Fett und Schmutz beladene Benzin in Reservoirs, mit Schwefelsäure vermischt, zum Absetzen stehen gelassen, vom Bodensatz abgezogen und in besonderen kupfernen Destillirgefäßen über Kalk abdestillirt wird, um so, völlig rein, in den Kreislauf der Arbeit wieder einzutreten.
Die in dem heißen Trockenzimmer nach einem Verbleibe von ein bis zwei Stunden völlig geruchfrei gewordenen Gegenstände gelangen nunmehr in die Räume der Appreteure und Detacheure, um hier das nöthige frische Aussehen zu erhalten und einer genauen Durchsicht auf noch vorhandene Flecken hin unterworfen zu werden. Das Personal der Appretirsäle hat die Aufgabe, jeden Fleck nach seiner Art oder Natur, unter genauer Berücksichtigung der Farbe und des Gewebes, zu behandeln, und gar manche Hausfrau könnte hier zu der Ueberzeugung gelangen, daß keine Flecken von dem Appreteur so sehr zu fürchten sind, als diejenigen, an welchen bereits vorher der Laie seine Kunst versuchte – sie sind gewöhnlich echt und unvertilgbar. Zumal bei irgend werthvollen befleckten Stoffen sollte man daher lieber mit eigenen Experimenten sparsam sein und die Verantwortlichkeit den Detacheuren chemischer Reinigungsanstalten überlassen, bedenkend, daß die besten Fleckmittel in nicht geübten Händen die Flecke verschlimmern anstatt sie zu entfernen.
Da in der chemischen Reinigungsanstalt sämmtliche eingelieferten Stücke – gleichviel ob sie zur chemischen Wäsche oder zur Reinigung weniger Flecken in die Anstalt geschickt wurden – in die Benzinwäsche gelangen, so wird der Detacheur vorwiegend nur noch solche Flecken finden, die ihrer Natur nach sich in zuckerige oder mehlartige theilen lassen, entstanden durch wässerige Lösungen gleicher Art. Da alle die den Lösungen seiner Zeit etwa beigemengten fettigen Körper durch die chemische Wäsche zuverlässig entfernt sind, so ist die Fortschaffung dieser gebliebenen Flecken bei dem gewonnenen Grunde in den Stoffen viel leichter, als wenn noch Fett darinnen säße. Bei dicken Wollenstoffen genügt meistens schon die Bürste, bei anderen in vielen Fällen einfach reines Wasser, welches mit Schwämmchen und kleinen Bürsten zum Fortschaffen der lose aufsitzenden Schmutztheile benutzt wird, worauf die betreffenden Stellen sogleich sorgfältig mit reinen Lederlappen ausgetrocknet, die seidenen Stoffe nach dem Abtrocknen mit Gyps belegt werden, um die Bildung eines Randes zu verhindern. Bei anderen Flecken werden andere Mittel, aber eben die allgemein bekannten, Spiritus, Säuren, Ammoniak etc. angewendet.
Das letzte Ressort in einer solchen ausgedehnten Anlage ist der Appretirsaal zum Fertigmachen der chemisch gereinigten Gegenstände. Auf hohlen Plättbrettern, welchen Dampf entströmt, wird der Sammet hier aufgerichtet, werden die Muster der Applicationen und Gardinen plastisch hervorgehoben, die Wollenstoffe gedehnt und decatirt; durch die Walzen der Appretirmaschinen tritt das vorher zerknittert eingetretene Wollenzeug frisch und glatt hervor. Und alle diese in verschiedenartigster Weise thätigen Maschinen, welche die eingelieferten Gegenstände dem Publicum wie neu zurückstellen, speist und treibt der Sclave der civilisirten Welt, der gefügige Dampf. Es ist nicht zuviel gesagt, daß unsere renommirten chemischen Reinigungsanstalten ein nationalökonomisches Moment geworden sind, wie jeder Fortschritt der Technik, welcher die Wiederherstellung und Erhaltung des Unserigen bezweckt. Wenn sich die Commanditen und Annahmemagazine der Reinigungsanstalt, welche Judlin in richtiger Würdigung ihrer Bedeutung einst in verhältnismäßig kleinem Maßstabe errichtete, heute schon wie ein Netz über die Karte des Reiches und darüber hinaus ausdehnen, so ist das zugleich ein Beweis, daß die Kunst der chemischen Reinigung täglich in ihrer Vervollkommnung weiterschreitet und darin gleichen Schritt mit der Chemie selber hält.