BLKÖ:Witt, Ferdinand Johann

Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Witt, Johann von
Band: 57 (1889), ab Seite: 144. (Quelle)
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Witt (auch Wit geschrieben), genannt von Dörring, Ferdinand Johann (Abenteuerer, geb. zu Eimsbüttel nächst Altona bei Hamburg 1800, gest. zu Meran am 9. October 1863). Einer jener merkwürdigen Abenteuerer, deren man sich, nachdem sie bereits allen Credit eingebüßt, als gänzlich heruntergekommene Parteigänger alle Farben getragen und nirgends, wo sie sich niederlassen wollten, auf die Dauer gelitten worden, auch bei uns bediente, um äußere Politik zu machen, die freilich auch danach aussah. Es ist dabei nur eine Thatsache bemerkenswerth, daß man, nicht nur bei uns, auch bei unseren Nachbarn, solche [145] zweideutige Sujets nur zu gern verwendet, um gewisse Wirkungen zu erzielen, um Hebel in Verhältnissen anzulegen, welche in eine oft unlösbare Verwickelung gerathen sind; man hat aber nie erfahren, daß solche Leute das verfahrene Staatsschiff flott gemacht hätten. Witt ist nach Einigen der Sohn eines Altonaer Kaufmannes, nach Anderen der eines Roßhändlers aus Holland. Als seine brave Mutter, eine geborene Eckstein, nach der Trennung von dem etwas unzarten Gatten sich einem Herrn von Dörring, einem dänischen Officier, antrauen ließ, der auf dem Sterbebette lag, nahm er den Namen Witt von Dörring an. Er hatte die Vorbereitungsstudien zuerst auf dem Altonaer Christianeum, dann auf dem Hamburger Johanneum gemacht und besuchte darauf die Hochschulen Kiel und Jena, wo er durch sein wildes und extremes Gebaren Aufsehen erregte, bis er als eifriger Burschenschafter 1818 aus letzterer Universitätsstadt ausgewiesen wurde. Die nächste Ursache dieser Ausweisung war, daß er sich, um den bekannten Demagogen Follenius[WS 1], der ein revolutionäres Gedicht geschrieben hatte, zu retten, als Verfasser desselben ausgab. Der von der preußischen Regierung – es war um die Zeit des durch Sand an Kotzebue verübten Mordes und der darauf in Scene gesetzten Verfolgung der Burschenschaften – bereits angeordneten Verhaftung entging er durch die Flucht nach England, wo er im Herbste 1819 anlangte. Dort schrieb er über deutsche Zustände Scandalartikel, die er in englischen Blättern veröffentlichte. So kam er mit Redacteuren und hochgestellten Männern in Verbindung und trieb längere Zeit sein Unwesen, bis ihn Privatverhältnisse nach Paris riefen, wo er an dem Bruder seiner Mutter, dem Baron Eckstein, Generalinspector im Polizeiministerium, und an dem französischen Justizminister Grafen de Serre zwei einflußreiche Gönner besaß. Daselbst waren nach der Niederdrückung des gewaltsamen Napoleon’schen Regimes, das alle bisherigen staatlichen und socialen Verhältnisse von oberst zu unterst gekehrt hatte, alle Verschwörer und geheimen Agenten versammelt, und im Kreise derselben fand er Gelegenheit, mit den verschiedensten politischen Parteien vielfach zu verkehren, Kenntniß ihrer Pläne zu gewinnen und durch Mittheilung derselben an seine beiden Gönner sich in seiner Weise nützlich zu machen. Er selbst nennt in den gedruckten Aufzeichnungen seiner damaligen Erlebnisse sein Treiben zu jener Zeit, das wir einfach ein denunciatorisches nennen wollen, ein höchst verdammliches. Im Sommer 1820 traten die deutschen Revolutionäre durch ihren Agenten, den schon erwähnten Follenius, in nähere Beziehung zu den geheimen Verbindungen Frankreichs und Italiens, wobei Witt eine vermittelnde Vertrauensperson spielte, und ihm unter Anderem die Vereitelung des Planes gelang, den König von Frankreich im Sommer 1820 zu ermorden. Im Juli 1821 trat er mit Dr. Joachim de Prati, einem der vornehmsten Carbonari in der Schweiz, in Verbindung, der ihm die Mittheilung machte, daß man nun daran sei, die Revolution durch das sogenannte kalte Eisen (Mord) ins Werk zu setzen. Diese Verbindung Witt’s mit den Häuptern und anderen Mitgliedern geheimer Gesellschaften, welche damals durch ganz Europa verzweigt waren, veranlaßte, daß nach ihm von den Behörden gefahndet und auf seinen Kopf ein Preis gesetzt wurde. Infolge dessen irrte er unter verschiedenen [146] Namen und unter allerlei Verkleidungen in Deutschland und in der Schweiz umher, bis er in Mornex, einem Dörfchen in der Nähe von Genf, am 20. September 1821 entdeckt und von piemontesischen Carabinieri verhaftet wurde. Nun begann seine Wanderung von Gefängniß zu Gefängniß, von Verhör zu Verhör. Von Mornex wurde er nach Bonneville, von da nach Annecy, dann nach Chambery und zuletzt nach Turin gebracht. Wenn auch nur die Hälfte seiner Schilderungen über die Grausamkeiten, Quälereien, mangelhafte Verpflegung und sonstiges Ungemach, das er zu erdulden gehabt, wahr ist, so war er wirklich bemitleidenswerth. Seine Verhöre aber, die er zu bestehen hatte, enthalten reiche Aufschlüsse über das Geheimbundunwesen, welches die ganze Polizei Europas in Athem hielt, und das doch nur immer an einzelnen Fäden gefaßt wurde, während sich der eigentliche Knäuel der ausgedehnten und wirklich furchtbaren Verbindung stets der Entdeckung zu entziehen wußte. Endlich nahm seine mit so vielem Ungemach verbundene Haft in Turin ein Ende, und im Februar 1822 wurde er an Oesterreich ausgeliefert und nach Mailand gebracht. Die Schilderungen seiner Haft in letzterer Stadt, die Zeichnung der Charaktere Aller, mit denen er in öftere Berührung kam, und unter welchen wir Männer finden, die in der Zeitgeschichte als handelnde und einflußreiche Personen oft genannt werden, von denen wir hier beispielsweise einige anführen, wie Graf Vetter von Lilienberg [Bd. L, S. 239], Graf Bubna von Littitz [Bd. II, S. 183], Baron Volpini, Baron v. Goehausen, de Maestris, Graf Strassoldo [Bd. XXXIX, S. 282][WS 2], Graf Bolza, Baron Torresani von Lanzfeld, Oberst Dahlen, Graf Gonfaloniere und Salvotti [Bd. XXVIII, S. 159], ferner die Enthüllungen über das Carbonariunwesen, welches wie ein Netz die ganze italienische Halbinsel umgarnt hielt, sind trotz aller Uebertreibungen, die manchmal wohl auch in Lügen ausarten, doch interessant, spannend erzählt und für Polizei- und richterliche Beamte immer sehr belehrend. Witt selbst erscheint als ein ungemein verschlagener, findiger, mit allen Wassern gewaschener Wagehals, der mit ganz idealen Zügen oft rechte Verbrecherbonhomie, mit ehrlichen Absichten abgefeimte Verschmitztheit verbindet und sich recht als eine Verschwörergestalt entpuppt, wie sie nur durch den albernen Verfolgungseifer der Polizei im ersten Viertel des laufenden Jahrhunderts gezeitigt werden konnte. Während seiner Mailänder Haft sann er auf Mittel zur Flucht, und als alle seine Pläne scheiterten, schnitt er sich mit einer scharf zugeschliffenen Lichtscheere – dem einzigen metallenen Instrumente, das man ihm gelassen – die Arterien auf. So wurde er nach starkem Blutverluste besinnungslos gefunden; aber noch kam rechtzeitig Hilfe und nach langem Krankenlager erholte er sich. Endlich gelang ihm in den letzten Tagen des Jahres 1822 durch weibliche Mithilfe die Flucht aus dem Gefängnisse. Nun trieb er sich unter den verschiedenartigsten Verkleidungen, als Bedienter, als Meßner, als Capuciner, in Italien umher, hielt sich dann in der Schweiz und im südlichen Deutschland verborgen, wurde aber in Baireuth ertappt und daselbst am 20. Februar 1824 verhaftet. Welche Bedeutung man ihm als Verschwörer beilegte, erhellt aus dem Umstände, daß man den Ministerialrath von Abel, den nachmaligen Minister, [147] aus München nach Baireuth absandte, um ihn zu vernehmen. Nach längerer Haft daselbst wurde er nach Berlin abgeführt, von dort an Dänemark ausgeliefert und nach der Festung Friedrichsort gebracht, wo er bis 1827 blieb. Seine weiteren Schicksale spielen sich glatter ab und bieten auch bei weitem nicht das Interesse, welches er in seinen jungen Jahren als Verschwörer, der noch dazu seine Schicksale mit allem Aufputz eines romanhaften Abenteuerers auszustatten verstand, zu erwecken wußte. Seiner Haft entlassen, begab er sich zunächst nach Braunschweig, wo er sich wegen des Druckes seiner Schriften, die doch stark angefochten wurden, einige Zeit aufhielt. Seine darin ausgesprochenen Behauptungen, in die politischen Logen in Frankreich, in die Geheimnisse der Carbonari und in die politischen Verbindungen in Deutschland eingeweiht zu sein, bieten nirgends authentische Belege. Er erzählt allerlei, aber mit maßlosen Uebertreibungen, ohne für die wichtigsten Angaben Beweise beizubringen, und oft wird man versucht, ihn als Getäuschten zu bemitleiden oder als Täuschenden zu verwünschen. Ueberall erscheint er, selbst auf Kosten seiner Freunde, als ein unschuldiges Opfer politischer Verblendung, wozu er sich bei seiner Sucht nach Renommage und Abenteuer ganz besonders eignete. So wurden denn seine Mittheilungen ganz entschieden widerlegt in einem kritischen Aufsatze von Schmid in der Zeitschrift „Hermes“ [Bd. XXX, 1. Heft, 1828] und in einer anonymen Schrift: „Deutsche Jugend in weiland Burschenschaften und Turngemeinden. Materialien zu dem verheißenen ersten Theile der Fragmente aus dem Leben des Abenteuerers Ferdinand Johann Wit, genannt von Dörring. Mit Bezugnahme auf des Herrn Majors von Lindenfeld freisinnige Bemerkungen über den zweiten Theil dieser Fragmente“ (Magdeburg 1828, 8°.), als deren Verfasser der damals in Magdeburg verhaftete Robert Wesselhöft genannt wird. Aber auch in Braunschweig konnte Witt nicht lange bleiben. Auf Betreibung des Ministers Schuckmann in Berlin, den er durch die Beschuldigungen der früheren Freunde desselben, besonders auch des damaligen Professors Cousin, bloßgestellt hatte, mußte er die Stadt verlassen. Seitdem irrte er wieder in Deutschland umher. Nirgends duldete man ihn, überall wurde er als gefährlich von den Regierungen verfolgt, als Verräther von der öffentlichen Meinung verachtet und verleugnet, bis ihm in Weimar ein Aufenthalt von einigen Monaten gestattet ward. Hier setzte er seine „Fragmente“ fort, schrieb über die Differenzen des Herzogs Karl von Braunschweig mit der hannoverschen Regierung, wobei er sich aber der Aufgabe, staatsrechtliche Fragen zu behandeln, nichts weniger als gewachsen zeigte. Dagegen bot sich ihm hier eine Gelegenheit, den abenteuerlichen Roman seiner Jugend durch die Verheiratung mit der wohlhabenden Tochter des dortigen Geheimrathes von Gössel abzuschließen. Er führte die reiche Erbin am 2. Februar 1829 als Frau heim und kaufte das Gut Urbanowitz in Oberschlesien, und der frühere Intimus der Freimaurer, Carbonari und aller heimlichen Verschwörer wurde nun eines der thätigsten Mitglieder der ultramontanen Partei, ohne jedoch mehr eine eigentlich politische Rolle zu spielen. Die Mittheilung, daß er 1845 zum Katholicismus übergetreten sei, wurde widerrufen. Sein Besuch der landwirthschaftlichen Ausstellung zu Kiel [148] 1847 erregte in der Studentenwelt einiges Aufsehen, im folgenden Jahre widerfuhr ihm das Geschick, zum zweiten Male aus Breslau hinausgebracht zu werden. Dann verschwindet er wieder aus dem Gesichtskreise, bis er in der Aera Rechberg (vom 13. Mai 1859 bis 27. October 1864 Minister des Aeußern im Kaiserstaate) in Oesterreich auftauchte und im Preßdepartement Verwendung fand, aber in den schriftstellerischen Kreisen nichts weniger als beachtet, sondern vielmehr verachtet wurde. Seine Schriften bilden zum Theile ein Stück Selbstbiographie, sind aber wegen der offen zu Tage liegenden Unrichtigkeiten, Uebertreibungen und Unwahrheiten nur mit großer Vorsicht zu benutzen. Erschienen sind von ihm: „Ueber das Wesen und Unwesen des deutschen Theaters. Nebst Agonien der Hamburger Bühne seit dem Mitdirectorate des Herrn Lebrun“ (Kiel 1827, 8°.); – „Lucubrationen eines Staatsgefangenen, niedergeschrieben in dem Criminalgefängnisse zu Turin, der Citadelle von Mailand, der Frohnveste zu Baireuth, der Stadtvogtei zu Berlin und dem Polizeihause zu Wien“ (Braunschweig 1827, 8°.); – „Versuch, die Missverständnisse zu heben, welche zwischen dem Könige von England und dem Herzoge von Braunschweig durch den Graten Ernst von Münster herbeigeführt worden. Von einem Privatmanne. Aus authentischen Quellen“ (Hamburg 1828, Hoffmann und Campe, gr. 8°.), erschien anonym; – „Politisches Taschenbuch für die Jahre 1830 und 1831“ (ebd. 1829 und 1830, Hoffmann und Campe, 12°.); – „Fragmente aus meinem Leben und meiner Zeit“, 4 Bände (1. Band 1830; 2. Band 1827; 3. Band, 1. und 2. Abtheilung 1828 u. 1830, Leipzig [Braunschweig, Vieweg] gr. 8°.); – „Was uns Noth thut! Ein ehrerbietiges und freies Wort, seinem Fürsten und seinen Landsleuten gewidmet“ (ebd. 1831, Hoffmann und Campe, gr. 8°.); – „Meine Berufung an das Publicum“ (Leipzig 1832, 8°.); – „Mein Jugendleben und meine Reisen. Ergänzung der Fragmente aus meinem Leben und meiner Zeit“ (ebd. 1832, 8°.). In den letzten Jahren durch die Strapazen seines abenteuerlichen, in der Jugend in Kerkern zugebrachten Lebens körperlich gebrochen, geistig schon längst bankerott, von der Gesellschaft als anrüchiges Sujet gemieden, endete er in Meran, wo er vergebens Stärkung gesucht, sein verfehltes Dasein. Solche Charaktere waren nur im Polizeistaate des Vormärz möglich, in welchem das Unkraut der geheimen Verbindung wuchern und seine giftigen Dünste über die arglose Welt aushauchen konnte. Heute stehen wir in dieser Richtung wenigstens auf einem überwundenen Standpunkte.

Altonaer Nachrichten, 1883, Nr. 300: „Erinnerungen an Ferdinand Teuffer“. Von Heinrich Zeise. – Blätter für literarische Unterhaltung (Leipzig, Brockhaus, 4°.) 1827, Nr. 268 und 269: „Johannes Witt, genannt von Dörring“. – Flora. Ein Unterhaltungsblatt (München, 4°.) 1830, Nr. 121 bis 125: „Johannes Wit in England“. – Der Freischütz (Hamburg, 4°.) 1832, Nr. 45 und 46: „Wit von Dörring. Mein Jugendleben und meine Reisen“. – Das Inland. Ein Tagblatt für das öffentliche Leben in Deutschland, mit vorzüglicher Rücksicht auf Bayern (München, 4°.) 1829, Nr. 263 und 264: „Ueber Johann Wit, genannt von Dörring. Mitgetheilt von Dr. Hermes“. – Ebenda. S. 1213: „Auch Etwas über Witt-Dörring und Cousin“. – Pappe (J. J. C.), Lesefrüchte vom Felde der neuesten Literatur. Gesammelt, herausgegeben und verlegt von – – (Hamburg, 8°.) 1827, Bd. IV, S. 49, 70, 83, 99, 117: „Auszug aus den Memoiren des Johannes Wit, genannt von Dörring“. – Derselbe, 1828, 4. Band, 23. Stück: „Wit, genannt Dörring, in Paris“. – Pappe (J. J. C.). Lesefrüchte. Gesammelt, herausgegeben und verlegt von – – (Hamburg, 8°.) 1829. [149] 1. Bd., 4. Stück: „Ferdinand Witt“. Aus der Minerva abgedruckt: „Ueber Johannes Wit, genannt von Dörring und seine neueste Schrift (Jena 1829, Bran, 8°.).

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Follen, Karl (ADB).
  2. Vorlage: [Bd. XXIX, S. 282].