BLKÖ:Wertheim, Theodor
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich | |||
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Band: 55 (1887), ab Seite: 113. (Quelle) | |||
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Zacharias, einer israelitischen Kaufmannsfamilie angehörig, wendete sich, von eilf Brüdern der einzige, vom Handelsstande ab und den Wissenschaften zu. Er wurde praktischer Arzt und Primararzt des Wiener Israelitenspitals [siehe dessen Biographie S. 121, Nr. 7]. Unter des Vaters Leitung erhielt Theodor eine sorgfältige Erziehung, dann beendete er das Gymnasium und den philosophischen Curs in Wien. Das Studium der alten Sprachen, vornehmlich die Literatur der Griechen fesselten den talentvollen Jüngling, dessen geistige Richtung sich jedoch frühzeitig der positiven Forschung zuwandte. Berzelius’ Entdeckungen, welche die wissenschaftliche Welt mit Bewunderung erfüllten, erweckten in dem empfänglichen Geiste Wertheim’s den heißen Wunsch, sich dem Studium der Naturwissenschaften und insbesondere dem der Chemie widmen zu können. Wohl war dies nicht nach dem Plane des Vaters, der bei der Wahl des theoretischen Faches wenig die Zukunft des Sohnes fördernde Aussichten erblickte. Doch in seinem Feuereifer trug Letzterer endlich den Sieg davon und ging nach Berlin, wo er durch zwei Jahre mit anorganischer Chemie und den damit verwandten Fächern sich ausschließlich beschäftigte. 1843 kehrte er nach Oesterreich zurück und begab sich zunächst nach Prag, um sich unter dem damals aus Gießen zurückgekehrten J. Redtenbacher [Band XXV, S. 116] in der organischen Chemie auszubilden. In den Jahren 1843 und 1844 bezog er ein jährliches Stipendium von 300 fl., das ihm bei seinen kostspieligen chemischen Versuchen nur geringe Hilfe bot. Aber auch schon mit seiner ersten Arbeit: einer Untersuchung [114] des Knoblauchöles, an welche sich die Entdeckung schloß, daß das flüchtige Oel des Knoblauchkrautes (Alliaria officinalis) mit dem flüchtigen Senföl identisch sei, und wobei es ihm auch gelang, das Knoblauchöl in das Senföl und letzteres in ersteres zu verwandeln, erregte in gelehrten Kreisen Aufsehen und rief die ermunterndsten Urtheile der beiden Schöpfer der heutigen Chemie Berzelius und Liebig hervor. Aber diese Urtheile zweier Koryphäen der Wissenschaft reichten, wie die Verhältnisse damals (1845) lagen, nicht aus, um dem jungen Forscher eine seinen Leistungen entsprechende Stellung zu verschaffen. „Die Religionsangehörigkeit“, bemerkt der Generalsecretär der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in der Gedächtnißrede, „von der sich Wertheim bei Lebzeiten seines im Dienste der israelitischen Gemeinde stehenden Vaters zu trennen nicht entschließen konnte, war leider in Oesterreich noch ein unübersteigliches Hinderniß für Staatsanstellungen irgend welcher Art.“ Umso größer war demnach für den durch Verhältnisse, für die er nicht konnte, sich zurückgesetzt Fühlenden die Ueberraschung, als ohne sein Zuthun seine Wahl zum correspondirenden Mitgliede der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften mathematisch-naturwissenschaftlicher Classe erfolgte, welche am 26. Juni 1848 auch bestätigt wurde, und welche er erst aus der „Wiener Zeitung“ erfuhr. Nun verband er sich im Herbst desselben Jahres mit Professor Rochleder [Bd. XXVI, S. 216] zu einer Arbeit über das Piperin, die er dann allein zum Abschluß brachte, da sein Mitarbeiter mittlerweile als Professor der Chemie nach Lemberg abgegangen war. Darauf begab er sich nach Gratz, wo er im Laboratorium Gottlieb’s seine chemischen Untersuchungen wieder aufnahm, welche sich zunächst auf das Chinin, das Blyth’sche Narcotin und die Salzlake der Heringe erstreckte und interessante Ergebnisse zu Tage förderte. Infolge dieser Arbeiten berief ihn Freiherr von Baumgartner, damals Finanzminister in Oesterreich, nach Hainburg an das eigens für die Zwecke der Tabakfabrikendirection auf seine Anordnung errichtete chemische Versuchslaboratorium, welcher zunächst praktische Wirkungskreis die Möglichkeit streng wissenschaftlicher Thätigkeit nicht ausschloß. Auch in dieser Stellung leistete Wertheim Verdienstliches. Seine Ergebnisse in Verbesserung des Schnupftabaks, die hauptsächlich auf Ersetzung der Pottasche durch Soda und ferner auf Weglassung des kostspieligen und durch die nachfolgenden Proceduren wirkungslosen Weinzusatzes zu den Blättern gerichtet waren, erzielten auch eine namhafte Ersparniß, die sich auf 12.000 fl. im Jahre bezifferte. Nicht volle zwei Jahre blieb er in dieser Stellung, 1854 trat er zum Katholicismus über, da er demselben, wie einer seiner Biographen diesen Schritt erläutert, im idealen Sinne des Christenthums schon längst angehört hatte, und nun erhielt er die nach Sangaletti’s Rücktritt erledigte Lehrkanzel der Chemie an der Pesther Universität. Hier ging er vor Allem an die Einrichtung eines den Anforderungen der Wissenschaft entsprechenden Laboratoriums, wozu ihn ebenso die Bekanntschaft mit den Anstalten des Auslandes wie das klare Verständniß der Erfordernisse besonders befähigte. In dieser Zeit entdeckte er ein neues Alcaloid, das er Conydrin nannte, und vollendete die Analyse des Franz Joseph-Bades „Tüffer“ in Unter-Steiermark. Während er [115] aber ebenso eifrig als Lehrer wie als Forscher in Ungarns Hauptstadt wirkte, bereiteten sich, wie sein Biograph bemerkt, in Ungarn jene beklagenswerthen politischen Zustände vor, welche auch die Entfernung so vieler ausgezeichneter deutscher Professoren von der Pesther Universität und anderen Lehranstalten des Landes zur Folge hatten. Aus diesen politischen Zuständen erwuchsen nicht nur Ungarn, sondern auch der ganzen Monarchie große Nachtheile. Die von ruhig Denkenden vorausgesehenen Befürchtungen hat die Erfahrung vollkommen bestätigt; Alles litt darunter, und die Geschichte hat darüber geurtheilt. Der Irrglaube, man handle im Interesse irgend eines Landes oder einer Nationalität, indem man die Männer der Wissenschaft, weil sie einer anderen Nationalität, in diesem Falle der deutschen angehörten, von der überdies Magyaren und Slaven nicht nur die Elemente der Wissenschaft, sondern überhaupt alles geistige Eigenthum, das sie besitzen, erworben haben, in eine Lage versetzt, in der ihnen nichts übrig bleibt, als ihre Stellen aufzugeben. Politische Bewegungen, die von Nationalitätsbestrebungen ausgehen, sind nicht Ergebnisse ruhiger Ueberlegung, sondern der Leidenschaft und durch Fanatismus getrübter Anschauungen. Gerade die Wissenschaft war es immer und ist es, welche einzig und allein das geistige Band zu bilden vermag, Stämme, welche durch die Kirche, Geschichte und Nationalität (Sprache) getrennt sind, einer höheren Einigung zuzuführen und überhaupt Unterschiede auszugleichen, die dem wahren Fortschritte nur hemmend entgegenstehen. Auch Wertheim wich den damals so hoch gehenden Wogen der Parteiagitation und kehrte nach Wien zurück, wo er während der Jahre 1860 und 1861 verblieb, bis er die Lehrkanzel der Chemie an der Universität in Gratz erhielt. In dieser Stadt, wo der bis dahin so wenig begünstigte Gelehrte die ersehnte Ruhe fand, gab er sich ganz seinem Doppelberufe als Lehrer und Forscher hin. Daselbst arbeitete er seine Beiträge zur Kenntniß des Coniins aus, entdeckte das Azoconydrin, das Conylin, setzte seine Untersuchungen über das Piperidin und Nicotin fort, worin er von der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften mit einer ansehnlichen Summe unterstützt wurde. Diesen Forschungen und Arbeiten aber steckte ein leider unheilbares Siechthum, das ihn 1864 befiel, eine Grenze. Im Mai genannten Jahres übersiedelte er, bereits schwer leidend, mit seiner ganzen Familie nach Wien, wo aber auch die gesteigerte Pflege im Hause seines Bruders das Uebel nicht zu bannen vermochte. Erst 44 Jahre alt, erlag er demselben. Seine wissenschaftlichen Arbeiten sind in gelehrten Sammelwerken erschienen und zwar in den Sitzungsberichten der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften mathematisch-naturwissenschaftlicher Classe: „Ueber das Piperin“ [Bd. I, S. 453]; – „Ueber das Chinin“ [Bd. III, S. 263]; –.Ueber eine neue flüchtige organische Basis“ [Bd. IV, S. 8 und 33], – „Ueber das Narkotin“ [Bd. VI, S. 109]; – „Ueber ein neues Alcaloid im Conium maculatum“ [Bd. XXII, S. 113]; – „Analyse des Franz Josephs-Bades Tüffer in Unter-Steiermark“ [Bd. XLII, S. 477 und 479]; – „Beiträge zur Kenntniß des Coniins“ [Bd. XLV, 2. Abthlg., S. 512 und Bd. XLVIII, 2. Abthlg., S. 491]; – „Beiträge zur Kenntniß des Piperidins“ [Bd. XLVII, 2. Abtheilung, S. 122]; – „Nähere Mittheilungen [116] über das Conydrin“ [Band XLVII, 2. Abthlg., S. 299]; –..Notizen über einige Nicotinverbindungen“ [Bd. XLVII, 2. Abthlg., S. 307], und in Liebig’s Annalen für Chemie: „Untersuchungen des Knoblauchöles“ [Bd. LI, 1844]; – „Ueber das flüchtige Oel der Alliaria officinalis“ [Bd. LII, 1844]; – „Ueber den Zusammenhang zwischen Senföl und Knoblauchöl“ [Bd. LV, 1845]; – „Ueber ein neues Alcaloid im Conium maculatum“ [Bd. C]. Theodor Wertheim hatte sich gegen das Ende seines Pesther Aufenthaltes (1860) mit der Schwester des Professors Karl Ferd. Peters [Bd. XXII, S. 78] vermält. Aus Anlaß des Todes unseres Gelehrten schrieb ein Mann der Wissenschaft, der dem Verblichenen nahe gestanden: „Ein Mann ist uns entrissen, ausgezeichnet nicht blos durch Gelehrsamkeit, sondern auch durch alle Vorzüge eines tadellosen Charakters; ein Gelehrter voll Liebe und Wohlwollen, ein Mann der jede übernommene Pflicht gewissenhaft erfüllte.“ Theodor Wertheim ist ein Bruder des Gelehrten Wilhelm Wertheim, der sich später als Franzose nationalisirte. [Siehe den Folgenden.]
Wertheim, Theodor (Naturforscher, geb. in Wien am 24. December 1820, gest. daselbst am 6. Juli 1864). Sein Vater- Die feierliche Sitzung der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften (in Wien) am 30. Mai 1865 (Wien, Staatsdruckerei, 8°.) S. 140–153: „Gedächtnißrede“. gehalten von A. Schrötter. – Oesterreichische Wochenschrift für Wissenschaft, Kunst und öffentliches Leben. Beilage zur (kaiserlichen) „Wiener Zeitung“ (Wien, gr. 8°.) Jahrg. 1864, Bd. IV, S. 1047: „Theodor Wertheim“. Von G. Tschermak. – Telegraph (Gratzer polit. Blatt, kl. Fol.) 1864, Nr. 185, im Feuilleton. – Wiener Zeitung, 1864, Nr. 168, S. 87. – Poggendorff (J. C.). Biographisch-literarisches Handwörterbuch zur Geschichte der exacten Wissenschaften u. s. w. (Leipzig 1863, Barth, Lex. 8°.) Bd. II, Sp. 1303. [Nach Poggendorff und dem Almanach der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften ist Wertheim am 25. December, nach Schrötter’s Gedächtnißrede aber am 24. December 1820 geboren.]