BLKÖ:Varicourt, Friedrich Prosper Rouph Freiherr von

Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Vargyas, Polyxena
Band: 49 (1884), ab Seite: 272. (Quelle)
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Varicourt, Friedrich Prosper Rouph Freiherr von (k. k. Major, geb. zu Regensburg am 21. April 1807, gest. um 1880). Der jüngste Sohn des kurfürstlich Mainzischen Oberstlieutenants Johann Lambert Varicourt aus dessen Ehe mit Eleonore geborenen Freiin von Albini, entstammt er einem alten savoyischen, nachmals französisch-schweizerischen Geschlechte, welches noch heute in Bayern, der Schweiz und Ungarn blüht und über dessen Genealogie und einzelne Sprossen S. 276 in den Quellen nähere Nachrichten gegeben werden. Friedrich, welcher 1834 als Cadet in die österreichische Armee zu Erzherzog Joseph-Huszaren trat, wurde schon im folgenden Jahre Lieutenant beim Kaiser-Uhlanenregimente, in welchem er in seinem Range 1845 zum Rittmeister, 1848 zum Escadronscommandanten vorrückte. Als solcher machte er die Feldzüge 1848 und 1849 in Italien und den Sommerfeldzug 1849 in Ungarn mit. In der officiellen Relation des Feldmarschalls [273] Grafen Radetzky aus der Feldzugsperiode vom 13. Juni bis 9. August 1848 wird der Rittmeister Baron Varicourt für sein umsichtiges und tapferes Benehmen ausdrücklich belobt. Im ungarischen Feldzuge aber, im Treffen bei Csorna am 13. Juni 1849, bot sich ihm Gelegenheit, durch Selbstaufopferung und entschlossenen Muth sich besonders hervorzuthun. Als nämlich die kaiserlichen Truppen in Folge eines von zwei feindlichen Colonnen gleichzeitig unternommenen Angriffes zum Rückzuge aus dem Orte Csorna, den sie besetzt hielten, gezwungen waren, bildete eine halbe Uhlanen-Escadron unter Commando des Rittmeisters Varicourt die äußerste Arrièregarde. Nördlich von Csorna hatte der Feind bedeutende Streitkräfte entwickelt, und um unserer Halbbrigade den Rückzug abzuschneiden, sollten starke feindliche Huszarenabtheilungen mit zwei Geschützen den Punkt umgehen. Als Varicourt diese Bewegungen des Feindes gewahrte und deren Absicht erkannte, warf er sich mit seinen Uhlanen den Huszaren kräftig entgegen und führte mit todesverachtender Bravour wiederholt Attaquen aus, durch welche er ebenso die Absicht des drängenden Feindes verhinderte, wie er den kaiserlichen Truppen den Rückzug, wenngleich unter beständigen Gefechten, ermöglichte. Gleich zu Beginn derselben fiel General Wyß, welcher sich bei der äußersten Arrièregarde befand, durch zwei Gewehrkugeln tödtlich getroffen. So wurde durch Varicourt’s ebenso raschen wie entschlossenen Angriff auf die feindlichen Huszaren die geplante Umzingelung des Ortes Csorna vereitelt und die noch einzige Verbindungslinie über Bö-Sárkány mit dem ersten österreichischen Armeecorps des Feldmarschall-Lieutenants Grafen Schlik frei erhalten. Auch im weiteren Rückzugsgefechte bei Bö-Sárkány zeichnete sich Varicourt durch heldenmüthigen Widerstand aus. Er und sein Kamerad Rittmeister Karl Graf Taaffe [Bd. XLII, S. 307] retteten sozusagen die österreichischen Abtheilungen jener Brigade durch eigene heroische Selbstaufopferung. Die vier in der Action begriffenen Uhlanen-Escadronen fochten muthig wie die Löwen, und nur ihre glänzende Bravour ermöglichte einen wohlgeordneten Rückzug. Der Revolutionsgeneral Georg Klapka selbst gedenkt in seinen „Memoiren“ der „ausgezeichneten Tapferkeit der österreichischen Uhlanen“ im Treffen und dem späteren Rückzugsgefechte bei Csorna. Noch hatte Rittmeister Baron Varicourt im Sommerfeldzuge 1849 Theil an den rühmlichsten Leistungen seines Regiments: an den beiden Schlachttagen von Komorn und in den Schlachten von Szöveg und Temesvár. Im Jahre 1850 verließ er, als ältester Escadronscommandant, den activen Dienst und erhielt später den Charakter eines Majors in der Armee. Um sein nicht unbedeutendes Vermögen, welches er einem ungarischen Gutsbesitzer, seinem besten Freunde, anvertraut hatte, durch dessen Verwickelung in die Revolution gebracht, verschwand er mit einem Male aus Oesterreich. Als er aber seine reiche Mutter nach deren Tode 1855 beerbte, kehrte er zurück, kaufte 30.000 Joch Urwald in der Marmaros und führte daselbst das Leben eines Sonderlings. Auf einer mächtigen starkästigen Eiche ließ er sich sein Wohnzimmer bauen, wohin man nur auf einer Zugbrücke gelangte. Nun in stetem Kampfe mit Juden und Christen, Richtern und Advocaten, Adel und Geistlichen, welche diesen grundehrlichen Soldatencharakter [274] mißbrauchten, beschwindelten und betrogen, kam er wieder um einen großen Theil seines Vermögens. Mit dem, was er noch gerettet, ging er nach Paris, wo er sich auf den Spiritismus verlegte und bald zu dessen eifrigsten Anhängern zahlte. Nur ab und zu erschien er mit seinem Medium, einer Französin, in Wien oder Pesth. In der letzten Zeit verarmte er ganz, so daß seine Kameraden, da er keine Unterstützung annahm, seine Gedichte, die nur bei ihm selbst zu haben waren, um theueres Geld kauften. Aber nicht diese Kämpfe, in denen Varicourt mit unverwüstlicher Energie für sein Recht einsteht und aus denen er leider nicht immer siegreich hervorgeht, sind es, die uns hier interessiren. Er ist, wie erwähnt, auch Poet, und zwar ein geist- und schwungvoller formgewandter Poet, der zuerst mit einem Büchlein „Soldatenlaunen eines österreichischen Reiters“ (Darmstadt 1854, kl. 8°.) vor die Oeffentlichkeit trat. Diese Lieder voll echten Humors, wahre Kriegerpoesie, wurden mit Begeisterung in der kaiserlichen Armee aufgenommen, des Verfassers Name ging bald von Mund zu Mund, und Baron Varicourt hieß der Sänger der österreichischen Armee von „Einst“. Jedoch gelangten in diesem Büchlein nicht alle seine Gedichte zum Abdruck. Die köstlichsten sind eben jene, die nicht gedruckt werden durften und von dem damaligen Oberlieutenant Raimondi illustrirt, die Runde im Regimente machten. Diesen Dichtungen folgte eine zweite Sammlung, betitelt: „Wilde Lieder aus wilder Zeit“ (Pesth 1869), die im Selbstverlage erschien und bezüglich deren der Verfasser verfügte, daß das ganze Erträgniß den Armen zuzuwenden sei, und zwar derart, daß Jeder nur einen Revers auszustellen und zu versprechen habe, Armen eigener Wahl 1 fl. 30 kr. – was der Ladenpreis des Buches wäre – zu spenden, um ein Exemplar zu erhalten. Kaum dürfte auf so originelle Art ein Werk in den Buchhandel gekommen sein. Die Lieder selbst weichen von denen der ersten Sammlung stark ab, es sind Geißelhiebe wuchtigster Art, welche der Dichter auf die offenen Wunden unserer Zeit, den mannigfachen Schwindel, den zerrütteten Zustand der Finanzen und der Justiz, den gefährlichen Mummenschanz der ungarischen Politik und den Nationalschwindel fallen läßt, es sind Geißelhiebe, die durch Mark und Bein dringen. Zu seinem alten liebenswürdigen Soldatenhumor kehrt der Poet in der dritten Sammlung „Aus der österreichischen Kaserne“ (187.) zurück, in welcher er uns wieder einen vollen Strauß frischer gemüthlicher Lieder bietet. Mit Originalität verbinden sie urwüchsige Frische, es ist ein Stück Reiterphilosophie, mit manch derber Satyre gemischt. Aber auch einer Flugschrift begegnen wir unter den Arbeiten Varicourt’s. „Die Juden und die Judenfrage“ (Pesth 1861, Lauffer und Stolp, 8°.) und ungarisch: „A zsidók és a zsidók kérdése“ (ebd.) betitelt sie sich. Sein Waffengefährte Andreas Graf Thürheim, dieser nimmermüde Verkünder der Waffenehre Oesterreichs, dieser meisterhafte Zeichner österreichischer Charakterköpfe aus dem Kriegerstande, dieser Paladin des Ruhmes der kaiserlichen Armee, zeichnet seinen Kameraden, wie folgt: „Varicourt, tapfer und schneidig, Mann voll Energie und Ehrgefühl, ein wackerer Degen – stets classischer Laune – etwas Original, etwas Sonderling – Franzose an sprudelndem Geiste, Deutscher an Biedersinn – gefürchtete Geißel der Dummköpfe und Intriguanten, ist mit seiner urwüchsigen lachenden Soldatenphilosophie [276] ein humoristischer Kämpe für Recht und Wahrheit. Er trägt als einzigen Lohn seiner Tapferkeit die schöne Erinnerung treu erfüllter Kriegerpflicht in der selbstbewußten Mannesbrust, eine Erinnerung von selbem, oft auch von höherem Werthe als gar manches äußere Ehrenzeichen“. Bei Zeitereignissen, heutigen Armeeverhältnissen und auch gewissen Begegnungen gedenken wir der körnigen Sprüche, der kräftigen Terz- und Quarthiebe der „Soldatenlaunen“ und rufen dem lachenden Fechter seine eigenen Abschiedsworte zu: „Sollten bei der Wege Menge, | die man reitet im Gedränge, | Wir dereinst uns wiederseh’n,] Wollen wir die Hüte schwenken, | Rosse zu einander lenken, | Uns umarmen – weiter geh’n. | Varicourt reitet nicht mehr, er hat sich hinüber gerettet ins bessere – Jenseits.

Wiener Salonblatt (gr. 4°.) 1875, Nr. 25, S. 9: „Baron Varicourt, der Sänger der österreichischen Armee von „Einst“.“ – Thürheim (Andreas Graf). Die Reiter-Regimenter der k. k. österreichischen Armee (Wien 1863, F. B. Geitler, gr. 8°.) Bd. III, S. 104, 106, 107. – Derselbe. Licht- und Schattenbilder aus dem Soldatenleben und der Gesellschaft. Tagebuch-Fragmente und Rückblicke eines ehemaligen Militärs (Prag und Teplitz 1876, Dominicus, 8°.) S. 296 u. f.: „Ein launiger Dichter und tapferer Reitersmann“.