BLKÖ:Tamburini, Pietro

Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Tamm, Franz Werner
Band: 43 (1881), ab Seite: 33. (Quelle)
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Tamburini, Pietro (gelehrter Theolog, geb. zu Brescia 1. Jänner 1737, gest. zu Pavia 14. März 1827). Seine Eltern, Giov. Battista und Julie geborene Longhena, waren mittellose Leute. Der Vater wollte daher den Knaben für sein Gewerbe erziehen, aber, unterstützt von den geistlichen Lehrern Pietro’s, gelang es den Bemühungen der Mutter, denselben der Wissenschaft zu retten. Mit 22 Jahren beendete der Jüngling in seiner Vaterstadt die Studien. Und nun stand er lange unentschlossen, welche Laufbahn er einschlagen solle, in seiner Unentschiedenheit einen Augenblick sogar geneigt, sich von aller Welt als Eremit in [34] die Einsamkeit zurückzuziehen. Aber der Bischof von Brescia Cardinal Molino, schon lange auf den talentvollen vielversprechenden jungen Mann aufmerksam geworden, machte allem Zwiespalt und allen Erwägungen desselben ein schnelles Ende, indem er ihn zum Professor am bischöflichen Seminar ernannte. Hier trug Tamburini zuerst Philosophie, später, als Stellvertreter Balthasar Zamboni’s, Theologie vor und verweilte zwölf Jahre in dieser Anstellung. Durch eine kleinere wissenschaftliche Arbeit, welche dem Papste Clemens XIV. zu Gesichte kam, wurde auch dieser auf den Gelehrten aufmerksam, und er lud ihn 1771 nach Rom ein, wo er ihm die Oberleitung der Studien an dem sögenannten irländischen Collegium übertrug. Daselbst entwickelte Tamburini einen Feuereifer sonder Gleichen, er organisirte die Schulen, errichtete eine theologische Akademie, an welcher er selbst mehrere seiner später im Drucke erschienenen wissenschaftlichen Arbeiten, so eine Analyse der Apologien des h. Justinus, der Schriften des Origenes gegen Celsus u. a., vorlas, und trat in engeren Verkehr mit Gelehrten, welche damals in Rom lebten oder die ewige Stadt besuchten. Als nach dem 1776 erfolgten Tode des Papstes Clemens Pius VI. dessen Nachfolger wurde, gestalteten sich die Verhältnisse des irländischen Collegiums derart, daß Tamburini, nachdem er bereits sechs Jahre an demselben gewirkt hatte, seine Stelle niederlegte. Es war eben eine Zeit, in welcher das geistige Leben in Oberitalien einen großartigen Aufschwung nahm, insbesondere ließ es der Gouverneur der Lombardie, Graf Firmian, sich angelegen sein, an die Hochschule zu Pavia die auserlesensten Männer zu berufen, von denen wir beispielsweise Borsieri [Bd. II, S. 76], Joh. Franck [Bd. IV, S. 320], Vinc. Brunacci [Bd. II, S. 174], Scarpa [Bd. XXIX, S. 15], Spallanzani [Bd. XXXVI, S. 50], Tissot, Volta, Zola nennen. Auch an Tamburini erging ein gleicher Ruf, und indem er den Antrag des venetianischen Gesandten Reniers, als theologo consultore in die Dienste der Republik Venedig zu treten, sowie das Anerbieten der Minister Tanucci und Manfredini, deren Ersterer ihm eine Lehrkanzel in Neapel, Letzterer eine solche in Siena offen hielt, ablehnte, folgte er dem Rufe des Grafen Firmian an die Hochschule in Parma, an welcher er nun durch achtzehn Jahre, zuerst Moraltheologie und von 1786 ab über die Quellen der Theologie und Kirchengeschichte las. Als dann auf Befehl des Kaisers Joseph II., das deutsch-ungarische Collegium von Rom nach Pavia übersiedelte, wurde er mit der Direction dieses Institutes betraut. Während er aber in seinem Lehramte thätig war, ergingen an ihn von auswärts wiederholt Missionen in wichtigen Staatsfragen, denen er sich mit Erlaubniß der kaiserlichen Regierung auch unterzog, so als Monsignor Scipione De Ricci die denkwürdige Synode zu Pistoja abhielt, dann als die Patricier der Republik Venedig sich genöthigt sahen, die Gesetze aus dem Jahre 1767 über die „todte Hand“ zurückzunehmen. In beiden Fallen wurde ihm eine ausgezeichnete Aufnahme zu Theil, ja die Republik bereitete ihm einen Empfang, wie er seit Fra Paolo Sarpi noch keinem zu Theil geworden. Es fehlte ihm in Folge solcher Dienste auch nicht an mannigfaltigen Ehren von Seiten der Höfe zu Wien, Mailand, Toscana, Venedig, und als Joseph II. [35] und später Leopold II. auf ihrer Reise in Italien Pavia besuchten, ward ihm die große Ehre zu Theil, beide Monarchen in seiner Gelehrtenstube zu empfangen. Als nach der Thronbesteigung des Kaisers Franz II. im Jahre 1794 die theologischen Studien aufgehoben wurden, trat er als emeritirter Professor mit vollem Gehalte in den Ruhestand und verlebte zunächst einige Zeit zurückgezogen auf seinem Landhause in Barona. Während der nun folgenden politischen Bewegung wurde er wiederholt aus seiner Ruhe gerissen, zuerst als er von der neuen Regierung zum Professor der Moralphilosophie an den neu eröffneten Schulen in Pavia ernannt wurde, nach deren Aufhebung er sich nach Brescia begab, wo er die Organisation des daselbst gegründeten Lyceums übernahm und das Rectoramt an diesem Institute so lange bekleidete, bis ihn der Krieg wieder aus seinem Amte vertrieb. Es war eine politisch wechselvolle Zeit, der cisalpinen Republik folgte die italienische, dieser endlich das Königreich Italien, die Studien wurden neuerdings hergestellt und auch die Männer, welche der Pflege derselben oblagen, einberufen. Auch Tamburini las an der Hochschule zu Pavia wieder Moralphilosophie, dann Naturrecht, und als Napoleon das Istituto italiano di scienze, lettere ed arti stiftete, berief er unseren Gelehrten an dasselbe und zeichnete ihn noch mit dem Orden der eisernen Krone aus. Als darauf die Lombardie wieder in den Besitz Oesterreichs zurückgelangte, trat Tamburini zum zweiten Male als Emeritus in den Ruhestand, erhielt aber noch im Jahre 1817 als Zeichen des kaiserlichen Vertrauens das Ehrenamt eines Directors der juridisch-politischen Studien an der Hochschule zu Pavia, welche Würde er durch ein volles Jahrzehent, bis zu seinem im hohen Alter von 90 Jahren erfolgten Ableben bekleidete. Sein Tod wurde allgemein beklagt, mit Tamburini schied ein Mann von ungewöhnlicher Bedeutung aus dem Leben. Auch fehlte es nicht an Ehren, welche ihm noch im Tode erwiesen wurden. So ließ P. Marabelli im großen Festsaale der Universität Pavia dem Verstorbenen ein Denkmal in Marmor aufstellen, das mit Tamburini’s Bildniß geschmückt ist. Für das Athenäum der Stadt Brescia meißelte Comolli die Büste des Gelehrten in Marmor, und der Rechtsgelehrte Gius. Saleri, Präsident der Gesellschaft, las an drei Versammlungsabenden eine Denkrede auf den Gelehrten, welche, reich an Einzelnheiten, ein treues Bild dieses thätigen Lebens entrollte. Wie schon angedeutet, war Tamburini in seinem Lehrberufe auch schriftstellerisch thätig. Von seinen theils in Pavia, theils in Rom gedruckten größeren und kleineren Werken führen wir hier beispielsweise an: „Teologia cristiana“, tomi VI; – „Analisi del primo libro di Origine contro Celso“; – „Analisi del libro delle Prescrizioni di Tertulliano“; – „Vera idea della Santa Sede“; – „Lettere di un teologo piacentino“; – „Cenni sulla perfettibilità della umana famiglia“; – „Trattato della tolleranza“; – „Risposta di fra Tiburzio ai dublii proposti alla facoltà teologica“; – „Lettere teologico-politiche“; – „Elementi del diritto naturale“; – „Ethica cristiana“ tom. IV. Sein heute noch in Fachkreisen geschätztes Hauptwerk ist jenes über Moralphilosophie, das in letzter und bester Ausgabe unter dem Titel: „Introduzione allo studio della Filosofia morale col [36] prospetto di un Corso della medesima e dei diritti dell’uomo e della società, con cenni sulla vita e sulle opere“, quattro volumi (Milano 1833, Silvestri, 8°.; erste Auflage Pavia 1803 bis 1812) herausgegeben wurde. Daran reihen sich als bedeutendere Arbeiten des Gelehrten: „De fontibus Sacrae Theologiae deque constitutione et indole Ecclesiae christianae ejusque Regimine“, III vol. (Ticini 1789 et 1790, 8°.); – „Praelectiones de justitia christiana et de sacramentis, de ultimo hominis fine deque virtutibus theologicis et cardinalibus“, III vol. (Lipsiae 178 u. f., 4°; neue Aufl., ebd. 1845); – „Praelectiones de ecclesia Christi et universa jurisprudentia ecclesiastica quae habuit in Academia Ticinensi“, IV partes (ibid. 1845, Teubner, 8°.; auch Colon. Agrip. 1839). Nicht minder wichtig endlich erscheint das viele Jahre nach seinem Tode aus dem Nachlasse herausgegebene Werk: „Storia generale dell’inquisizione corredata da rarissimi documenti. Opera postuma. Colla vita dell’Autore“, IV Vol., (Milano 1862–1863, F. Sanviro, 8°.). Weniger durch den Styl, auf den Tamburini in allen seinen Arbeiten geringes Gewicht legte, als durch den Freimuth, den er in allen seinen philosophischen Werken und namentlich in diesem walten ließ, was ihm auch nicht wenige und geringe Gegner und verschiedene Angriffe, vornehmlich von Seite der Curie zuzog, bewahren seine Schriften in Fachkreisen noch heute ihren Werth. Sein Buch über die wahre Idee des heiligen Stuhles erregte bei seinem Erscheinen großes Aufsehen, wurde oft gedruckt und ins Deutsche, Holländische, Französische und Spanische übersetzt. Schon Tamburini war ein Vertreter der in der Gegenwart so heftig discutirten Idee der Trennung der Kirche vom Staate, für welche er mit allen Gründen der Philosophie, des Staatsrechtes und der Geschichte einstand. Die Theologen betrachten ihn und Giuseppe Zola als die Restauratoren der theologischen Studien in Italien. Bei seinen Zeitgenossen in hohem Ansehen stehend, unterhielt er einen ausgebreiteten brieflichen Verkehr mit den bedeutendsten Männern der Kirche, des Staates und der Wissenschaft seiner Zeit, von denen hier genannt seien: Monsignore Gregoire, Bischof von Blois, der Verfasser des berühmten Buches über die Erklärung der Menschenrechte, Mons. Clemens, Bischof von Versailles, die Cardinäle Gerdil und Marefoschi, Mons. De Ricci, Assemanni, De Vecchi, die österreichischen Gouverneure der Lombardie die Grafen Firmian, Saurau, Wilczek, der Duca Melci, der Minister Bovara, die Gelehrten Alpruni, Foscolo, Giudici, Mustoxidi, Palmieri, Volta, deren Briefe in seiner Familie aufbewahrt werden. Als Zeichen, wie sehr er sich des Vertrauens der kaiserlichen Regierung erfreute, sei schließlich bemerkt, daß er viele Jahre hindurch das Amt eines k. k. Büchercensors bekleidete, welches im Vormärz und noch lange früher als ein Ehren-(!) und Vertrauensamt angesehen wurde.

Zuradelli, Elogio funebre del Professore P. Tamburini (Pavia 1827, 8°.). – Maffei (Giuseppe), Storia della letteratura italiana dall’origine della lingua sine a nostri giorni (Milano 1834, Soc. tipogr. de’ Classici italiani, 8°.) tomo IV, p. 244. – Dandolo (Girolamo), La caduta della Repubblica di Venezia ed i suoi ultimi cinquant’ anni. Studii storici (Venezia 1857, Naratovich, 8°.) Appendice p. 177. – Oesterreichische National-Encyklopädie [37] von Gräffer und Czikann (Wien, 8°.) Bd. V, S. 283. – Rovani (Giuseppe), Storia delle lettere e delle arti in Italia giusta le reciproche loro rispondenze ordinata nelle vite e nei ritretti degli uomini illustri del secolo XIII fino ai nostri giorni (Milano 1857, Franc. Sanvito, Lex.-8°.) tomo III, p. 259.
Porträte. 1) Unterschrift: „Pietro Tamburini. Da un disegno fatto dal vero“, Maffeis sc. (4°.). – 2) Auch eines im Kupferstich als Titelbild vor der oben in der Biographie erwähnten Sylvestri’schen Ausgabe der „Introduzione allo studio della filosofia morale“.