Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Band: 34 (1877), ab Seite: 247. (Quelle)
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Siegel, Heinrich (Geschichtsforscher und Rechtsgelehrter, geb. zu Ladenburg im Großherzogthume Baden 13. April 1830). Sein Vater, der zur Zeit der Freiheitskriege als Militär-Arzt thätig gewesen, versah nach Beendigung derselben vorübergehend die Stelle des Amtsphysicus in Ladenburg, trat aber schon nach kurzer Zeit als General-Stabsarzt in die Dienste der Armee zurück. Seine Knabenzeit verlebte S. unter glücklichen Verhältnissen zu Bruchsal im elterlichen Hause. Während der Vater in selbstloser, hingebender Weise seinen Beruf ausübte, widmete sich die Mutter, eine geborene Heiligenthal, ausschließlich der Erziehung ihrer Kinder. Nachdem S. im Jahre 1847 das Gymnasium beendet, ging er zunächst nach Heidelberg, um an dem dortigen Lyceum die Studien fortzusetzen, zugleich aber hörte er in schulfreien Stunden an der dortigen Hochschule die Vorlesungen über Geschichte, Philosophie und Literatur, welche ebenso großen Reiz ausübten, als dauernden Gewinn brachten. Als es [248] galt, ein Berufsstudium zu wählen, ließ sich S. im Herbst 1869 als Jurist immatriculiren. Im folgenden Jahre bezog er die Universität Bonn, daselbst arbeitete er eine von der Heidelberger Juristen-Facultät aufgegebene Preisfrage deutsch-rechtlichen Inhaltes aus, und wurde dieselbe, als S. im Jahre 1851 wieder an die heimatliche Universität zur Fortsetzung seiner Studien zurückgekehrt war, mit dem Preise gekrönt. Dieser Umstand sollte für den weiteren Gang und die Gestaltung seines Lebens von entscheidender Bedeutung werden. Die begonnenen Studien wurden fortgesetzt und noch als Studiosus übergab S. die nunmehr umgearbeitete und erweiterte Preisschrift als selbstständiges Buch: „Das deutsche Erbrecht“, der Oeffentlichkeit, während er gleichzeitig zum Entschlusse gekommen war, seinen künftigen Beruf in der akademischen Laufbahn zu suchen. Um die Ausführung dieses Beschlusses zu beschleunigen, verließ S. sein eigenes Vaterland und begab sich an die hessische Hochschule Gießen, wo damals die juristische Facultät eine durchgreifende Erneuerung erfahren hatte. Nachdem er daselbst am 30. November 1852 den Doktorgrad erworben hatte, wurde ihm schon im nächsten Jahre die Venia legendi für deutsches Recht zu Theil. Jedoch die mit jedem Jahre drückender werdende Stellung eines Privatdocenten empfand auch Siegel, und umsomehr, als damals die Regierungen noch keinerlei Verpflichtung gegenüber diesem Stande kannten, und es überdieß sich herausstellte, daß so manche protestantische Universität dem Katholiken verschlossen sei. Inzwischen (1855) war in Oesterreich unter dem Ministerium Leo Thun für die rechts- und staatswissenschaftlichen Facultäten eine den deutschen Einrichtungen entsprechende Studienordnung erlassen worden, welche mit dem Jahre 1858 auch in dem Prüfungswesen ihre volle Verwirklichung finden sollte. Mit Rücksicht darauf wurde für die Wiener Universität eine doppelte Besetzung der Lehrkanzel für deutsches Recht in Aussicht genommen und im Sommer erging an Siegel der Ruf, eine außerordentliche Professur für deutsche Reichs- und Rechtsgeschichte und deutsches Privatrecht daselbst zu übernehmen. Die kaiserliche Ernennung erfolgte am 18. October, und seitdem lehrt Siegel, der im Jahre 1862 in Folge einer Berufung nach Tübingen zum ordentlichen Professor befördert wurde, an der Wiener Hochschule das deutsche Recht. Indessen hatten auch die schriftstellerischen Arbeiten S.’s die Aufmerksamkeit der staatswissenschaftlichen Kreise auf den jungen Gelehrten gerichtet, und so fand im nämlichen Jahre, in welchem die von ihm abgelehnte Berufung nach Tübingen erfolgt war, seine Wahl zum correspondirenden Mitglied der philosophisch-historischen Classe der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften Statt, welche auch am 14. Juni 1862 genehmigt wurde. Am 24. Juni 1863 wurde er wirkliches Mitglied, im Jahre 1873 erster Vice-Präses der rechtshistorischen Staatsprüfungs-Commission in Wien, welcher er schon seit seiner Ernennung zum Professor als Mitglied angehört hatte, 1874 Secretär der philosophisch-historischen Classe, und 1875, nach dem Ableben des Hofrathes Schrötter Ritter von Cristelli, dessen Nachfolger in der Stelle des Generalsecretärs der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften. Durch seine Wahl in die kaiserliche Akademie der Wissenschaften bot sich S. Gelegenheit, der von ihm vertretenen Wissenschaft den einen und anderen Dienst zu leisten durch [249] Anregung von Unternehmungen, die ein Einzelner auszuführen überhaupt nicht oder wenigstens nicht ohne materielle Unterstützung im Stande ist. Auf seinen Antrag wurde von der Akademie (1864) eine Sammlung der österreichischen Weisthümer beschlossen, zu diesem Zwecke und zu ihrer Herausgabe eine Commission ernannt, welche aus den Mitgliedern der Akademie von Karajan, von Meiller, Pfeiffer, Miklosich und Siegel bestand. Die drei ersten der Genannten sind mittlerweile durch den Tod abberufen worden. Das Ergebniß der zwölfjährigen Thätigkeit dieser Commission ist der 1870 erschienene, von Dr. Siegel in Gemeinschaft mit dem Sprachgelehrten Karl Tomaschek herausgegebene erste Band österreichischer Weisthümer, betitelt: „Die Salzburger Taidinge“; ferner wurde auf seinen Antrag die Zinsenmasse aus dem Vermögen der Savigny-Stiftung im Jahre 1873 der Herstellung einer den heutigen Anforderungen entsprechenden kritischen Ausgabe der kaiserlichen Lehensbücher (Schwabenspiegel) zugewendet. In seinem Fache schriftstellerisch thätig, hat bisher S. nach stehende, theils selbstständige Werke, theils in gelehrten Sammelwerken gedruckte Abhandlungen herausgegeben: „Das deutsche Erbrecht, nach den Rechtsquellen des Mittelalters in seinem Zusammenhange dargestellt (Heidelberg 1853, Bangel, 8°.); – „Die germanische Verwandtschaftsberechnung mit besonderer Beziehung auf die Erbenfolge“ Habilitationsschrift (1853); – „Geschichte des deutschen Gerichtsverfahrens“ erster Band (Gießen 1858, Ricker, gr. 8°., mit einer Tafel in Fol.), bisher nicht mehr erschienen; – „Zwei Rechtshandschriften des Wiener Stadtarchives“. Sylvesterspende 1859. In den Sitzungsberichten philosophisch-historischer Classe der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Wien: „Die beiden Denkmäler des österreichischen Landesrechts und die Zeit ihrer Entstehung“ (1860); – „Die Lombard-Commentare. Eine rechtsgeschichtliche Untersuchung“ (1862); – „Die Erholung und Wandelung im gerichtlichen Verfahren“ (1863); – „Zwei Berichte der Weisthümer-Commission“ (1865 und 1866); – „Die Gefahr vor Gericht und im Rechtsgange“ (1866); – „Ueber einen neuen Versuch, den Charakter und die Entstehungszeit des ältesten Landrechtes festzustellen“ (1867); – „Ueber den Ordo iudiciarius des Eilbert von Bremen, mit Berücksichtigung der ecclesiastica rhetorica.“ (1867); mehrere dieser auch im Sonderabdrucke erschienenen Abhandlungen sind bereits vergriffen; – in der Münchener kritischen Vierteljahr-Schrift 1864: „Der Dreißigste, insbesondere nach Hofrecht“. Die jüngste durch den Druck veröffentlichte Arbeit S.’s ist: „Das Versprechen als Verpflichtungsgrund im heutigen Rechte“, welche 1873 erschien. Auch von Seite Deutschlands und des Auslandes sind S.’s Verdienste um seine Wissenschaft wiederholt gewürdigt worden: so ist er im Jahre 1861 zum ordentlichen Mitgliede des Gelehrten-Ausschusses des germanischen Museums in Nürnberg, im Jahre 1873 zum correspondirenden Mitglied der königlich bayerischen Akademie der Wissenschaften und erst jüngst (Mai 1877) zum Ehrenmitglied der Royal historical society in London ernannt worden. Seit 1864 ist Siegel verheirathet mit Rosa von Löhner, der Tochter des aus dem Jahre 1848 bekannten Reichstagsabgeordneten Dr. med. Ludwig von Löhner und einer Nichte des Componisten Dessauer, denen Beiden dieses Lexikon eingehende [250] Erinnerungen [Bd. XV, S. 390 und Bd. III, S. 255] gewidmet hat.

Dr. Czuberka’s Oesterreichischer Studenten-Kalender (Wien, Fromme, 32°.), 5. Jahrg. (1868).