Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Band: 25 (1873), ab Seite: 193. (Quelle)
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Reifer, Jontl (jüdischer Humanist, geb. zu Trzebinie in der Nähe von Krakau im Jahre 1801, gest. zu Chrzanow in Galizien 13. December 1869). Sein Vater wurde bei Krakau von zwei napoleonischen Soldaten überfallen und erlag den von ihnen erhaltenen tödtlichen Wunden. Der Sohn irrte längere Zeit schutz- und obdachlos in Ungarn umher, bis ein Rabbiner, der die hervorragenden Talente des Knaben erkannte, sich seiner annahm, die Theilnahme mehrerer Edelleute für denselben gewann und ihm im Talmud Unterricht ertheilte. Während der zwei Jahre, welche R. bei diesem Rabbiner verweilte, machte er große Fortschritte und wurde endlich als Rabbinats-Candidat entlassen. Reifer’s Absichten aber gingen weiter, heimlich lernte er die deutsche und ungarische Sprache, und da er im Hause eines Rabbiners nur hebräische Bücher lesen durfte, leuchtete ihm zu seinen Studien nicht selten nur das Licht des Mondes. Nun kehrte er in seine Heimat nach Trzebinie zurück und hatte daselbst eine doppelte Aufgabe zu lösen, nämlich seine verarmte Familie zu erhalten und seine in Vorurtheilen und Geistesnacht versunkenen Glaubensgenossen zu belehren und aufzuklären. Aber das letztere, gegenüber einem von den orthodoxen Rabbinern niedergehaltenen, im Kehricht der Unwissenheit sich behaglich fühlenden Pöbel, war kein geringes Unternehmen. Die [194] verkümmerten Zustände unter den Israeliten in Galizien und der unter ihnen waltende, jedes Besserwerden gewaltsam niederhaltende Fanatismus ist in diesem Lexikon bereits zu öfteren Malen, und zwar in den Biographien von Peter Beer [Bd. I, S. 223], Samson Bloch [Bd. I, S. 435], Aaron Chorin [Bd. II, S. 356][WS 1], Jonathan Eibenschütz [Bd. IV, S. 11], Abraham Kohn [Bd. XII, S. 296], Nachman Kohen Krochmal [Bd. XIII, S. 239][WS 2], Moses Kunizer [Bd. XIII, S. 379], Bernard Löwensohn [Bd. XV, S. 438], Wolf Mayer [Bd. XVIII, S. 183, Nr. 118] und Salomon L. Rapaport [Bd. XXIV, S. 356] dargestellt worden, es wird also, um Wiederholungen zu vermeiden, darauf hingewiesen. Nicht geringeren Verfolgungen war R. ausgesetzt, und diese nahmen zuletzt einen so gewaltthätigen Charakter an, daß R., nachdem er seine kleine Habe eingebüßt, gezwungen war, seinen Geburtsort zu verlassen und in das Städtchen Chrzanow zu übersiedeln. Dort ertheilte er, um sein Leben zu fristen, Unterricht in der hebräischen Sprache und Religion, dabei wandte er alle Hilfsmittel, wie sie der Fortschritt des Unterrichts bedingte, an und gab überdieß den älteren Zöglingen heimlich Unterricht im Deutsch- und Polnischlesen und Schreiben. Seine eigenen Kinder aber schickte er, obgleich er sie Abends die Synagoge besuchen ließ, tagüber öffentlich in die Schule. „Der Altglauber, hieß es, schickt seine Kinder in die katholische Schule, läßt sie mit entblößtem Haupte den katholischen Gebeten beiwohnen! Solch frevelhaftes Beginnen verdient Strafe und verlangt Sühne!“ Solche Stimmen wurden unter den Orthodoxen in Chrzanow laut und lauter, man brachte dem wackeren Manne eine Katzenmusik um die andere und fügte ihm auch sonst noch Unbilden bei. Aber R. ließ sich dadurch nicht anfechten. Er fand Schutz von Seite mehrerer Ehrenmänner, die sich seiner und seiner Kinder energisch annahmen und er selbst schritt auf dem betretenen Pfade weiter. Endlich war der Sieg auf seiner Seite. Die Schreier verstummten allmälig, die Gegner verkrochen sich in die Nacht ihres Zelotismus, der Sieg der Erkenntniß schritt unaufgehalten vorwärts, und wenn die Chrzanower Judengemeinde heute eine der vorgeschrittensten und bestunterrichteten in Galizien ist, so ist das lediglich das Werk und Verdienst Jontl Reifer’s. Von seinen eigenen Söhnen bildete sich einer zum Arzte, ein zweiter zum Ingenieur heran; der älteste aber verließ im Unwillen über seine zelotischen Glaubensgenossen die Heimat, wunderte nach Amerika aus, wo er als geachteter Kaufmann lebt, für die Erleuchtung seiner Glaubensgenossen in der neuen Welt thätig ist und erst vor wenigen Jahren eine Thora aus Krakau für die von ihm eröffnete Synagoge bestellt hat.

Izraelita (ein in polnischer Sprache in Krakau herausgegebenes, die Interessen der Israeliten in Congreßpolen, Posen, Krakau und Galizien vertretendes Blatt, 4°.) 1870, Nr. 3, S. 19: „Nekrolog“.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: [Bd. II, S. 256].
  2. Vorlage: [Bd. XIII, S. 379].