Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Rösner, Joseph
Band: 26 (1874), ab Seite: 250. (Quelle)
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Rößler, Anton, auch Franz Anton (Componist, geb. zu Leitmeritz in Böhmen im Jahre 1750, gest. zu Ludwigslust in Mecklenburg-Schwerin 30. Juni 1792). Da er in der Folge den Namen Rößler in Rosetti verwälschte, so erscheint er meist unter letzterem aufgeführt und darf also zunächst nicht mit dem auch nach dem Taufnamen mit ihm gleichnamigen italienischen Compositeur Antonio Rosetti in Mailand und mit noch anderen Musikern dieses Namens verwechselt werden. Im Alter von sieben Jahren kam R. nach Prag, wo man ihn, da man ihn für den geistlichen [251] Stand bestimmt hatte, in ein Seminarium steckte, in welchem er für seinen künftigen Beruf herangebildet werden sollte. Er blieb auch wirklich 12 Jahre in dieser Anstalt, erhielt, 19 Jahre alt, bereits die Tonsur, machte aber, als er den Ernst seiner Situation vollends erkannte und nichts weniger als Eignung für den beschaulichen Beruf des Priesterlebens in sich fühlte, der Sache ein Ende; alle Vorstellungen seiner Verwandten, die ihn von seinem Vorhaben abreden wollten, in den Wind schlagend, wartete er nur eine passende Gelegenheit ab, um sich die Dispensation von Rom zu verschaffen, und nachdem er diese erlangt, trat er aus dem ihm aufgedrungenen Stande, die im Seminar gewonnenen musikalischen Kenntnisse benützend, um einen ihm zusagenden Lebensberuf zu erwählen. Er wurde Musicus, machte als solcher eine Reise und trat im Jahre 1780 als Capellmeister in die Dienste des Fürsten Wallerstein. Nachdem er einige Zeit auf diesem Posten thätig gewesen, erbat er sich von dem Fürsten die Erlaubniß zu einer Reise nach Paris, die er auch unternahm, und dort mag er denn wohl jene gefällige Richtung und präcise Ausführung sich angeeignet haben, die seinen Compositionen eigen ist. [Man vergleiche auf S. 252 Riehl’s Charakteristik Rößler’s. Schon im Dienste des Fürsten Wallerstein hatte sich R. ebenso als Contrabaßspieler, wie als Componist einen so ausgezeichneten Ruf erworben, daß derselbe über die Grenzen des Ortes seiner Wirksamkeit drang und er in Folge dessen mehrere Berufungen erhielt: so im Jahre 1789 eine nach Schwerin an die Stelle des kurz vorher gestorbenen Capellmeisters Westenholz, deren Bedingungen in Gehalt und Nebeneinkünften so vortheilhaft waren, daß R. sie sofort annahm. Uebrigens waren auch die dortigen musikalischen Verhältnisse im hohen Grade anregend, da die schwerin’sche Capelle zu jener Zeit die tüchtigsten Kräfte zählte. Mit diesem Orchester fand sich eine geniale Kraft wie jene Rößler’s nur noch mehr zum Schaffen angeregt. Seine Arbeiten fanden auch allerwärts, wo Verständniß für echte Musik waltete, die günstigste Aufnahme und R. wurde immer wieder zu neuen Schöpfungen aufgefordert; so ertheilte ihm der damalige Churfürst von Trier den Auftrag, neue Symphonien für seine Capelle zu schreiben; Friedrich Wilhelm III., bekannt ein großer Gönner der Tonkunst, berief ihn im Jahre 1792 nach Berlin, wo er im März sein neuestes Oratorium: „Jesus in Gethsemane“ und ein „Hallelujah“ durch die königliche Capelle mit großem Erfolge zur Aufführung brachte. Aber schon seit mehreren Jahren leidend, war R. kaum von Berlin an seinen Bestimmungsort nach Ludwigslust in Schwerin zurückgekehrt, als sein Uebel in so bösartiger Weise zunahm, daß er schon nach wenigen Wochen im Alter von erst 42 Jahren demselben erlag. Mit seinen Compositionen, von denen mehrere im Stiche erschienen, ungleich mehr aber ungedruckt geblieben sind, ist Vorsicht nöthig, damit nicht etwa die gehaltlose Arbeit eines seiner Namensvettern, deren er nicht weniger denn vier besitzt, für die seinige gehalten wird. Außer dem schon erwähnten mailändischen Antonio Rosetti machten noch ein Čeche, Ruzicka (auch Russitschka), auf deutsch Röschen, italienisch Rosetti, dann ein Harfenist, der im Jahre 1794 als Rosetti herumreiste, und noch ein Rösler, der, während unser Rößler in Paris sich befand, als Fürst [252] Wallerstein’scher Capellmeister Rößler das Publicum mystificirte, das Feld der Composition mit ihren Arbeiten unsicher. Von seinen Compositionen, über welche die Angaben von Dlabacz, wenn noch immer genug lückenhaft, so doch die zuverlässigsten sein möchten, sind bekannt das Oratorium: „Jesus in Gethsemane“, 1791; – ein „Hallelujah“, wahrscheinlich der Schlußchor eines größeren Kirchenstückes; – ein „Requiem“, das im Jahre 1791 in Prag zu Mozart’s Todtenfeier aufgeführt wurde; – „Telemach“, große historische oder malende Symphonie; – „La Chasse“, Symphonie (Paris); – „Sextette pour Violon, Flûte, 2 Cors, Viole e Basso“ (1784); – „III Divertissements pour le Clav. avec Violon et Basse“ (1784); – „III Symphonies“, Op. 5 (Wien, Artaria); – „VI Quartetti“, Op. 6 (ebd.); – „Symphonie“, Oeuv. 13 (Offenbach 1794, André); – „III Quatuors“, Oeuv. 4 (1795); – „Concerto pour le Clavecin“, Oeuv. 3 (1796); – „Six Sonettes pour le Clavecin av. V.“, Oeuv. 1 (1794); – „III Divertissements pour le Clavecin av. Violin et Viollce.“; – „XII Concerts“ (Paris), u. z. 4 einzelne Flöten-, 4 einzelne Clarinett-, 1 Doppelconcert für 2 Hörner, 1 Fagott-, 1 Clavier- und noch 1 Flötenconcert; – „X Claviertrio’s“, ein Heft mit sechs und das zweite mit vier Stücken (beide zu Mainz); – „XII kleine Clavierstücke“. Auch hat er den Choral: „Wer nur den lieben Gott läßt walten“ als Kirchenstück bearbeitet. Viele Symphonien R.’s sind Manuscript geblieben. Rößler’s Freund, der Chorregens an der Pfarrkirche zu St. Niklas in Prag. Joseph Strobach, besaß viele Compositionen Rößler’s in Handschrift und hat auch die Werke seines Freundes öfter und stets mit Erfolg zur Aufführung gebracht.

Riehl (W. H.), Musikalische Charakterköpfe. Ein kunstgeschichtliches Skizzenbuch (Stuttgart und Tübingen 1853, Cotta, 8°.) S. 217 [unter dem Namen Rosetti]. – Oesterreichisches Archiv für Geschichte u. s. w. (Fortsetzung des Hormayr’schen) Herausg. von Riedler (Wien, 4°.) Jahrg. 1832, Nr. 99, S. 396. – Dlabacz (Gottfried Johann), Allgemeines historisches Künstler-Lexikon für Böhmen u. s. w. (Prag 1815, Gottl. Haase, 4°.) Bd. II, Sp. 587. – Gerber (Ernst Ludw.), Neues historisch-biographisches Lexikon der Tonkünstler (Leipzig 1813, A. Kühnel, gr. 8°.) Bd. III, Sp. 920. – Neues Universal-Lexikon der Tonkunst. Angefangen von Dr. Julius Schladebach, fortgesetzt von Ed. Bernsdorf (Dresden 1857, R. Schäfer, Lex. 8°.) Bd. III, S. 377. – Gaßner (F. S. Dr.), Universal-Lexikon der Tonkunst. Neue Handausgabe in einem Bande (Stuttgart 1849, Frz. Köhler, Lex. 8°.) S. 732 [alle unter Rosetti]. – Oesterreichische National-Encyklopädie von Gräffer und Czikann (Wien 1836, 8°.) Bd. IV. S. 417. – Meyer (J.), Das große Conversations-Lexikon für die gebildeten Stände (Hildburghausen, Bibliographisches Institut, gr. 8°.) Zweite Abtheilg. Bd. VI, S. 360. – Porträte. 1) H. E. v. Winter lith. (Fol.) [als Rosetti]; – 2) Silhouette, welche Boßler in Speyer stechen ließ.
Riehl über Anton Rößler (Rosetti). Der geistreiche Musik-Essayist W. H. Riehl reiht Rößler-Rosetti in seinen „Musikalischen Characterköpfen“, in welchen er von österreichischen Musikern Wenzel Müller, Gyrowetz, Pleyel, Wranitzky, Neubauer behandelt, in die Gruppe der „göttlichen Philister“ und schreibt über ihn: „Wer einen noch vollauf jugendlichen, in den Formeln der Schule noch nicht befangenen Jünger Haydn’s kennen lernen will, der studire die größeren Instrumentalwerke des Antonio Rosetti ... Alles Süße, Milde, Sangreiche des Epikers Haydn sucht R. in einen heiteren Erguß instrumentaler Lyrik umzugestalten. Sein Grundcharakter ist holde, innigliche, jugendliche Weiblichkeit. Wo er den Ton der Klage und des Schmerzes anstimmt, scheint es ihm nie recht ernst zu sein und der Schalk lauert dahinter. Seine Technik hat noch durchaus nicht das schablonenhafte, das langweilige, [253] conventionelle Formenwesen der späteren Schüler Haydn’s. Sein Periodenbau ist vielmehr oft so kurz zusammengepackt, daß er an Haydn’s früheste Periode erinnert, wo man noch zufrieden war, wenn ein melodischer Satz in vier bis sechs Tacten sich abschloß. Er ist der deutsche Boccherini. Er starb früh, noch bevor die politischen, socialen und künstlerische Folgen der französischen Revolution über Deutschland hereinbrachen. In dieser Zeit des Kampfes mußte der vordem so gefeierte harmlose, sinnige Sänger vergessen werden. Ich spreche nicht von den Versuchen Rosetti’s im Oratorienstyle, noch von seiner Concertmusik für Solo-Instrumente, die der Mode und dem Zeitgeschmacke verfallen ist, noch von seinen Quartetten, die, fast auf die vorhaydn’sche Schreibart zurückgehend, zu arm und dürftig sind für unsere mit Recht gesteigerten Anforderungen; aber seine größeren Symphonien halte ich für Meisterstücke in ihrer Art und bin überzeugt, daß diese keuschen, im vollsten Sinne liebenswürdigen Tondichtungen weit mehr als die Werke irgend eines andern Schülers Haydn’s geeignet wären, auch die Gegenwart noch freundlich und herzlich anzusprechen. Es haben diese Symphonien durchaus nichts mit der handwerksmäßigen Schablonenarbeit gemein, die uns bei Pleyel und Gyrowetz so häufig abstößt. Sie sind vielmehr selbstständige Versuche, das lyrische Element durchweg in aller Fülle der Anmuth dem ersten Symphoniensatze zu gewinnen, originell instrumentirt, sangbar in der Stimmführung und durch allerlei geistvolle harmonische Feinheiten überraschend. ... Namentlich achtete ich es als einen großen Gewinn für unsere musikalische Erziehung, wenn man die besseren und reicheren Arbeiten R.’s zur Ausbildung unserer Jugend wieder nutzbar machte. Denn seine Tondichtung ist oft eine wahre Kinderpoesie. In ihrer Reinheit und anmuthigen Einfalt muß sie ein unverfälschtes jugendliches Gemüth vor allen fesseln. Rosetti copirte Haydn mitunter absichtlich, wie das fast alle seine Richtungsgenossen gethan, und jedenfalls stand er diesem Vorbilde, an Zartheit der Empfindung und Feinheit des Ausdrucks näher, als andere bekanntere Schüler, die des Meisters Art so recht handwerksmäßig im Griffe hatten. Das gilt namentlich von Pleyel, der in Haydn’scher Manier, wie man sagt, dem Teufel ein Ohr abschrieb und mit Werken, in denen Haydn’s Formalismus, nicht aber Haydn’s Geist herrschte, ganz Deutschland, ja halb Europa Jahrzehnde lang überschwemmte. ... Rosetti ist in seinen kleineren Arbeiten oft technisch viel schwächer als Pleyel, aber er war kein lederner Philister, wie dieser es zuletzt geworden, darum steht er auch in der Technik seiner größeren, eigenen und ganzen Werke doch wieder weit höher als Pleyel.“