Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Neubauer, Alois
Band: 20 (1869), ab Seite: 238. (Quelle)
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Neubauer, Franz (Tonsetzer, geb. zu Hořin in Böhmen um das Jahr 1765, gest. zu Bückeburg 11. October 1795). Ueber die Jugendzeit und die häuslichen Verhältnisse dieses genialen Musicus, der jedoch allem Anscheine nach in ärmlichen und niederen Verhältnissen gelebt, ist nichts bekannt. Bei einem Schullehrer, der unter anderen Gegenständen auch in Musik Unterricht gab und sein Talent erkannt hatte, erhielt er die erste Unterweisung in dieser Kunst, zugleich erlernte er etwas Latein und ging dann, noch ziemlich jung, nach Prag, wo er eine Zeit verweilte. Von Prag begab er sich nach Wien. Bis dahin schwebt über sein Wirken und Schaffen völliges Dunkel. Sein Leben scheint überhaupt das eines fahrenden Musikanten gewesen zu sein, der um als freier Künstler zu leben, bettelnd von Kloster zu Kloster wanderte und, wie Riehl schreibt, „mit Schiller’s Geiger Miller zu reden, das Concert für was Warmes gab“ und für eine Nachtherberge seine Compositionen verschleuderte, die er anfangs im Weinrausche, später branntweintrunken oder auch auf den Hausfluren liegend, abgefaßt hat. Gerber selbst berichtet, daß er schon im Jünglingsalter den Componisten, und dieß zwar mit einer Leichtigkeit gemacht habe, daß er mehrmals in der Hausflur eines Gasthofes, wo er sich eben befand, seinen Schreibtisch aufschlug und unter dem tobenden Geräusche der anwesenden Menge ununterbrochen fortschrieb. Aber seine Arbeiten scheinen unter Kenneraugen gekommen zu sein, denn schon im Jahre 1785 erschienen von ihm zu Speier drei Violin-Quartette im Stiche; dann im Jahre 1788 zu Zürch ein großes Werk in Partitur und Stimmen unter dem Titel: „Hymne auf die Natur“; ebenda auch die Operette: „Fernando und Yoriko“, im Clavierauszuge, und ebenda und im nämlichen Jahre „24 Gesänge beim Clavier“. Im folgenden Jahre führte er zu Heilbronn „Coburg’s Sieg über die Türken“ in einem „malenden Concerte“ mit vielem Beifalle auf. Den poetischen Text dazu hatte Senator Schöbler in Heilbronn geschrieben und N. soll bei Ausführung des Concerts selbst die Pauken auf eine noch nie gehörte originelle Art geschlagen haben. Endlich im J. 1799 nahm er Dienste bei dem Fürsten von Weilburg. Da aber der bald darauf erfolgte Ausbruch des Revolutionskrieges [239] die Auflösung der fürstlichen Capelle zur Folge hatte, war N. wieder auf sich selbst gestellt. Auf seiner Flucht vor dem Feinde kam er nach preuß. Minden, wo er einige Zeit verweilte und ihn die Fürstin von Schaumburg kennen lernte. Diese gestattete ihm, seinen Aufenthalt in Bückeburg aufzuschlagen und seine Compositionen mit der dortigen Capelle aufzuführen. Concertmeister derselben war Bach, der bald gewahr wurde, wie sehr ihm der junge Musicus in Behandlung des Instrumentalsatzes überlegen war. Bach, der sich seiner Kenntnisse und Bedeutenheit in der höheren Tonkunst sehr wohl bewußt war, wurde Neubauer’s Ueberlegenheit, der ihm doch noch in vielen Dingen nachstand, unangenehm und leider fühlte er sich auch bald zurückgesetzt. Indessen wuchs Neubauer’s Beliebtheit mit jedem Tage und seine von der Bückeburger Capelle, welche er mit genialem Feuer dirigirte, zur Production gebrachten Symphonien verfehlten ihre Wirkung auf die Zuhörer nicht. Die Eifersucht zwischen den beiden Künstlern wurde dadurch nicht geringer, und da Bach im Contrapuncte Meister war, unterließ er es auch nicht, offen und heimlich die contrapunctischen Schnitzer Neubauer’s zu rügen; in Folge dessen kam es zu leidenschaftlichen Zornausbrüchen zwischen dem jungen und dem alten Musicus und im Eifer für seine Kunst ging N. so weit, daß er den alten Mann zu einem musikalischen Zweikampfe in Bearbeitung eines contrapunctischen Thema’s herausforderte, worin er es auf Tod und Leben mit dem alten Tonkünstler aufnehmen wollte. Bach, vielleicht aus Kränkung und Unmuth über das Gebaren des Eindringlings, gerieth bald darauf in eine hitzige Krankheit, welcher er auch erlag und natürlich wurde Neubauer Nachfolger in seiner Stelle. Die Fürstin von Bückeburg ernannte ihn nun zu ihrem Concertmeister und jetzt nahm N. eine junge Bückeburgerin zur Frau. Aber nicht lange war es ihm gegönnt, auf seinem Posten zu wirken. Er folgte bald seinem Nebenbuhler in’s Grab. Wie Schlichtegroll, dem man die ersten näheren Nachrichten über diesen wunderlichen Kautz verdankt, schreibt, war er dem Trunke ergeben. Ehedem hatte er in der Nähe des Rheins durch geistvolle Weine seine Phantasie erwärmt. An seinem neuen Bestimmungsorte nöthigte ihn der Mangel an genügenden Mitteln, sein Bedürfniß nach geistigen Getränken mit Branntwein zu befriedigen. Er genoß ihn in unmäßiger Weise und rieb sich dadurch auf, so daß er in jungen Jahren erlag. Gerber gibt ein ausführliches Verzeichniß seiner im Stiche erschienenen Compositionen, welche zum größten Theile aus Symphonien, darunter mehrere für großes Orchester, aus Variationen für Clavier und Violine, aus mehreren Violin-Quartetten, Trio’s für Flöte, Violine und Baß, Duetten für zwei Violinen, oder Violine und Violoncelle, auch für zwei Flöten, dann aus einigen Concerten, Sonaten, Variationen und Gesangs-Compositionen u. s. w. bestehen. Die Opus-Zahl geht bis Nr. 21 unverrückt fort, von da an erscheinen einzelne verschiedene Werke mit derselben oder auch ganz ohne Opus-Zahl. Die Zeit seines Schaffens nach den Jahreszahlen, die auf den im Stiche erschienenen Werken angegeben sind, umfaßt das Decennium 1785 bis 1795. Von seinen Compositionen sind besonders bemerkenswerth: „La Bataille de Martinestie à la gloire de S. A. le Prince de Saxe-Cobourg, Gran Simphonie“, Op. 11, deren Wirkung, wie [240] Schlichtegroll schreibt, allen seinen anderen Werken vorgeht, an wahrer Kunst hingegen und musikalischer Correctheit der Empfindung und Ausführung allen übrigen nachstehen muß; ferner die „Cantate auf die Eroberung von Mainz“, wozu N., ohne mit der deutschen Sprache, wenigstens mit den Regeln des poetischen Styls, hinreichend bekannt zu sein, den deutschen Text doch selbst hinzugedichtet hat und kein Anderer es wagen durfte, die Worte umzuändern; dann seine „Harmonie für lauter Blasinstrumente“, mit einer Violine und einem Baß begleitet, worin alle Künste der Blas-Instrumente auf die feinsten Wirkungen gleichsam in einem Brennpuncte vereinigt waren. Es war, schreibt Schlichtegroll, „eine Harmonie der Sphären, die man ertönen hörte und die alles Irdische vergessen ließ“. Dieser Harmonie am nächsten stand die Arie: „O Einsamkeit“ u. s. w., worin die Blasinstrumente ihre Wirkung mit der Kraft des melodischen Gesanges vereinigen und beide einander wechselweise den Vorzug streitig machen. Riehl gebührt das Verdienst, das Andenken an diesen musikalischen Sonderling wieder aufgefrischt zu haben. Er charakterisirt ihn in der Gruppe der „göttlichen Philister“, in welcher er die Namenreihe: Gyrowetz, Rosetti, Pleyel, Wranitzky, Hoffmeister mit Neubauer schließt. „Als Schlußfigur in dieser Gruppe der göttlichen Philister, schreibt Riehl, steht ein gar wunderlicher Heiliger, Franz Neubauer. Während die Genossen seiner Richtung meist exemplarisch rechtschaffene Leute und gesetzte ruhige Bürger waren, bildet er schon den Uebergang zu jenem modernen Künstlerthum, bei welchem etwas sociale Vorkommenheit als ein Wahrzeichen der Genialität vorausgesetzt wird. Der Philister kämpfte in ihm mit dem genial lüderlichen fahrenden Kunstproletarier. Von stets übersprudelnden, alles Maß und alle Schranken zersprengenden Künstlerlaunen besessen, hat er sich halb zu Tode componirt und halb zu Tode getrunken. Gewaltige Blitze des echten Genius, flammen hier und da in Neubauer’s Werken, aber zumeist nur, um alsbald in gedankenloser Trivialität oder in wüster Unordnung zu erlöschen. Es ist ihm mitunter gelungen, Gedanken in Töne zu fassen, kühn heranbrausend, zornesmuthig, daß sie schier wie eine Weissagung auf Beethoven klingen und unmittelbar daneben pflanzt sich dann wieder die platteste Alltäglichkeit, welche bis zu dem A-B-C der musikalischen Grammatik schülerhaft ist. So findet man meist in seinen Symphonien einen vortrefflich gelungenen Satz, alles Uebrige aber im äußersten Grade mittelmäßig. Man fühlt es da recht, wie der beklagenswerthe Meister die Ausdauer niemals finden konnte, ein in Begeisterung begonnenes Werk auch in Begeisterung zu Ende zu führen. Zum Exempel hat er eine Symphonie in C-moll geschrieben, wo das Finale in C-dur genau den Eindruck macht, als hätte der Componist im Gegensatze zu dem ersten vortrefflichen Mollsatz musikalisch schildern wollen, wie auf einen göttlichen Rausch ein höchst menschlicher Katzenjammer folgte“. Neubauer’s Werke sind selten geworden; denn wie er seine glücklichsten Gedanken wegwarf, so verschleuderte er auch seine ausgeführten Arbeiten. Gerade die besten sind Manuscript geblieben, viele verloren gegangen. Was im Drucke auf uns gekommen ist, gibt kaum ein Bild des echten Neubauer; denn es sind meist auf Bestellung nach dem Bedarfe der [241] Verleger zurecht geschnittene Sachen, in welchen der Componist um so trockener und ärmer erscheint, je weniger sein unstäter Geist bei dem auferlegten äußeren Zwange aus sich herauszugehen vermochte. So existiren namentlich mehrere bei André erschienene Quartette, welche ein wahres Muster classischer Unordnung und Unsauberkeit in Anlage und Ausführung bieten. Dagegen hat sich eine Anzahl handschriftlicher und gestochener Symphonien erhalten, in welchen unter allerlei Wust wahre Perlen zu finden sind. Wie Neubauer ein Vorläufer des in unseren Tagen so massenhaft angewachsenen proletarischen vagabundirenden Künstlerthums war, so componirte er auch als ein Proletarier. Was ihm die Noth des Augenblicks abdrängte, das ward geschaffen, im nächsten Augenblicke hatte es der Meister vielleicht selber vergessen. So soll er auch, da er die Klöster und geistlichen Stifte eine Zeit lang zu Ruhepuncten seines vagabundirenden Lebens ersah, eine große Zahl nicht unbedeutender Kirchencompositionen geschrieben haben.

Der in verschiedenen lexikalischen Werken als F. R. Neubauer (wie in Gräffer’s „Oesterreich. National-Encyklopädie“ und in Dlabacz „Allgem. histor. Künstler-Lexikon für Böhmen“), dann als Franz Christian Neubauer (wie in Ernst Ludwig Gerber’s „Neuem Lexikon der Tonkünstler“, Theil III, Sp. 571), dann wieder nur als Franz, oder Johann, oder Christian allein erscheinende Neubauer ist immer eine und dieselbe Person, der obige geniale Tonsetzer Franz Neubauer. – Schlichtegroll (Friedrich), Nekrolog auf das Jahr 1795 (Gotha, Justus Perthes, kl. 8°.) S. 395–403. – Baur (Samuel), Gallerie historischer Gemälde aus dem achtzehnten Jahrhundert. Ein Handbuch für jeden Tag des Jahres (Hof 1805, G. A. Grau, 8°.) Theil IV, S. 59. – Riehl (W. H.), Musikalische Charakterköpfe. Ein kunstgeschichtliches Skizzenbuch (Stuttgart und Tübingen 1853, J. G. Cotta, 8°.) S. 230 u. f. – Gerber (Ernst Ludwig), Neues historisch-biographisches Lexikon der Tonkünstler (Leipzig 1813, A. Kühnel, gr. 8°.) Bd. III, Sp. 571 [führt ihn in seinem alten Lexikon, Bd. II, Sp. 19, als Franz Christian, und gleich darauf als Johann, in seinem neuen als Franz Christian und auch gleich darauf als Johann auf, als wenn es zwei verschiedene Personen wären]. – Neues Universal-Lexikon der Tonkunst. Angefangen von Dr. Jul. Schladebach, fortgesetzt von Ed. Bernsdorf (Dresden 1856, R. Schäfer, gr. 8°.) Bd. III, S. 25. – Gaßner (F. S. Dr.), Universal-Lexikon der Tonkunst. Neue Handausgabe in einem Bande (Stuttgart 1849, Frz. Köhler, Lex. 8°.) S. 646. – Dlabacz (Gottfried Joh.), Allgemeines historisches Künstler-Lexikon für Böhmen und zum Theile auch für Mähren und Schlesien (Prag 1815, G. Haase, 4°.) Bd. II, Sp. 374 [führt ihn als F. R. Neubauer auf). – Nouvelle Biographie générale ... publiée par MM. Firmin Didot frères, sous la direction de M. le Dr. Hoefer (Paris 1850 et seq., 8°.) Tome XXXVII, p. 374. – Biographie nouvelle des Contemporains etc. (Paris 1821 et s., à la librairie histor., 8°.) Tome XV, p. 44.