ADB:Wolff, Bernhard (Improvisator)

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Artikel „Wolff, Bernhard“ von Edward Schröder in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 44 (1898), S. 9–12, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Wolff,_Bernhard_(Improvisator)&oldid=- (Version vom 7. Oktober 2024, 04:46 Uhr UTC)
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Wolff: Oscar Ludwig Bernhard W., Improvisator und fruchtbarer Belletrist, ward am 26. Juli 1799 zu Altona von jüdischen Eltern geboren und verlebte unter den angenehmsten Verhältnissen seine Jugendzeit. Frühzeitig verrieth er ein hervorragendes Talent zur Aneignung fremder Sprachen und eine große Leichtigkeit im Versemachen. Auf dem Gymnasium seiner Vaterstadt vorgebildet bezog er 1817 die Universität Berlin, wo er neben den medicinischen Fachstudien historische und schönwissenschaftliche Vorlesungen hörte und am Studentenleben ungezwungenen Antheil nahm. In Kiel vertauschte er dann das Studium der Medicin ganz mit dem der Litteratur und Geschichte und ließ sich von Jena aus zum Doctor der Philosophie promoviren. Mit einer „Theaterkritik“, [10] die es aber nur auf drei Nummern brachte, versuchte er um diese Zeit ein litterarisches Debüt. Nachdem er noch einige Zeit als Volontär auf der Kieler Universitätsbibliothek gearbeitet hatte, siedelte er nach Hamburg über, das inzwischen auch seine Eltern zum Wohnsitz gewählt hatten. Hier wirkte er als Lehrer an zwei Erziehungsanstalten und trat in nähere Beziehungen zu journalistischen und musikalischen Kreisen, ohne sich aber litterarisch anders als durch einige Uebersetzungen aus dem Englischen bemerklich zu machen. Dagegen regten die Erfolge der italienischen Improvisatoren Gianni und Spricci seinen Ehrgeiz auf, und nachdem er sich gelegentlich im kleinern Kreise mit Glück versucht, ließ er sich am 5. März 1825 bei Gelegenheit einer wohlthätigen Veranstaltung öffentlich als Improvisator bewundern. Der große Erfolg dieses ersten Auftretens ermuthigte ihn, es alsbald in Berlin zu wiederholen. Obwol seine dortigen Eindrücke nicht ohne bittern Nachgeschmack blieben, war er doch jetzt seiner Begabung sicher und entschlossen, von ihr auch weiterhin öffentlichen Gebrauch zu machen. Den Frühling und Sommer brachte er auf dem Lande zu: „mit sehr ernsten und gründlichen Studien“, „um sein Talent nach Kräften auszubilden“. Welcher Art diese Studien waren, und vor allem: wie sich ihr Zweck und ihre Ergebnisse zu dem somnambulen Zustand verhielten, der ihn nach seinen Angaben beim Beginn gerade seiner bestgelingenden Improvisationen befiel und ihn erst mit dem letzten Verse verließ, darüber hat er sich nie ausgesprochen, wie denn überhaupt seine Selbstbekenntnisse mehr Selbstbespiegelungen sind und seine autobiographischen Angaben die merkwürdigsten Lücken und Widersprüche aufweisen. Sicher ist, daß er in seinem ausgezeichneten Gedächtniß eine Unsumme von Thatsachen, Situationen, wörtlichen Reminiscenzen aus Geschichte und Litteratur aufspeicherte, wahrscheinlich, daß die lyrischen Digressionen, die Gebete, Danklieder, Hymnen, die er, wo er nur konnte, einschob, als bequemer Apparat bereit gelegt wurden.

Im October 1825 trat W. dann seine große Kunstreise an, die ihn über Bremen, Hannover, Celle, Braunschweig, Wolfenbüttel, Weimar bis Leipzig und Dresden führte und nach seinen eigenen Worten, aber auch nach der selten durch einen Mißton gestörten Uebereinstimmung der Presse einem Siegeszuge glich. Auf die musikalische Begleitung, an die anfangs die Ausübung seiner Improvisation fest gebunden schien, leistete er von Wolfenbüttel ab Verzicht. In Weimar erkannte Goethe „das schöne und seltene Talent“ an, betonte aber scharf Wolff’s allzu subjective Art und meinte zu Eckermann: „wenn er zum Objectiven durchbricht, ist er geborgen“. Der Großherzog Karl August ließ dem Improvisator gleich in Weimar eine Professur am Gymnasium antragen – daß Goethe dabei mitgewirkt habe, hat W. selbst nie behauptet –, und schon im Mai 1826 trat W. in diese Stellung ein, nachdem er mit einer letzten Soirée in Hamburg von der öffentlichen Ausübung seines Talents Abschied genommen hatte. Auch sein Uebertritt zum Christenthum dürfte in diese Zwischenzeit fallen, da er erst von jetzt ab seinem Vornamen Bernhard die Namen Oscar Ludwig voranstellt. Das Weimarer Schulamt vertauschte W. im Herbst 1829 mit einer außerordentlichen Professur der neuern Litteratur an der Universität Jena. Im Sommer 1837 avancirte er hier zum ordentlichen Honorarprofessor. Seine formgewandten, lebhaften und vielseitigen Vorträge, die sich auch auf das Gebiet der neuern Geschichte erstreckten, fanden zeitweise überaus lebhaften Zuspruch. Aber W., dem es an Erziehung zu wissenschaftlicher Arbeit gefehlt hatte und an Selbstkritik trotz allen Versicherungen des Gegentheils zeitlebens gebrach, überschätzte diese wie gewisse buchhändlerische Erfolge und gründete darauf Ansprüche, die er durch keine ernsthafte litterarische Leistung rechtfertigen konnte. Von materiellen Sorgen gedrängt und an ein improvisatorisches Schaffen einmal [11] gewöhnt warf er Bände über Bände auf den Markt: Romane, Novellen, Humoristika, Gedichte, Reisebriefe, litterarische Feuilletons, Anthologien und Compilationen, Grammatiken und Lesebücher; er edirte alte und neue Autoren, übersetzte aus dem Englischen, Französischen, Italienischen, Spanischen, Lateinischen, Griechischen, half bei der Redaction von Taschenbüchern und Modejournalen, Pfennigmagazinen und Handwörterbüchern. So hat er es in seiner litterarischen Production, die eigentlich erst mit der Aufgabe des Improvisatorberufs einsetzt, also kaum 25 Jahre umspannt, auf weit über 100 Bände gebracht. Mit dieser hastigen Vielschreiberei, die sich auch in der Form bald verräth, konnte W. weder in der Wissenschaft noch in der Litteratur für voll gelten, und da er auch an der Universität und in der Gesellschaft auf die Dauer nicht diejenige Stellung fand, auf die er ein Anrecht zu haben glaubte, so verzehrte er sich in der Erinnerung an die kurze Glanzzeit seines Lebens, neben der nur eine größere Reise (1836) an den Rhein, nach Belgien und Paris mit allerlei litterarischen Bekanntschaften und der Erneuerung seiner Freundschaft mit Heine hervortritt. Der ursprünglich weichherzige und anschlußbedürftige, besonders für den Verkehr mit geistig angeregten Frauen beanlagte Mann vereinsamte und verbitterte mehr und mehr, der stets loyale Patriot, der sich aufrichtig als Deutscher fühlte, gern seine Abstammung verschwieg und den christlichen Niedersachsen herauskehrte, warf sich zuletzt den Radicalen in die Arme. Am 13. September 1851 ist er gestorben.

Das Urtheil über Wolff’s Begabung und Verdienst stößt überall an die unvermeidlichen Mängel seiner Productionsweise. Wie in seinen Gedichten bequeme Handhabung und Rohheit der Form gleich unverkennbar sind, so begegnen uns in seinen Novellen Situationen und Motive, die einen zweifellosen poetischen Instinct bekunden und doch in der unfeinen Ausführung eher verletzend wirken. Feuilletons und litterarische Charakteristiken gelangen ihm, wo er sich die Zeit nahm, nicht übel, und sein auf reichste Kenntniß der Litteratur begründetes ästhetisches Urtheil war im allgemeinen klar und verständig, obwol nicht immer frei von Plattheiten und weichmüthiger Philiströsität. Seine Anthologien, wie der „Poetische Hausschatz des deutschen Volkes“ (1839, bis zu seinem Tode 15 Auflagen) und der „Hausschatz deutscher Prosa“ (1845, desgl. 5 Auflagen) fanden weiteste Verbreitung und haben wol ihrerseits die Auswahl unserer Lesebücher lange beeinflußt. Dem „Handbuch deutscher Beredsamkeit“ (1846) blieb dieser Erfolg versagt, obwol die Idee Beifall zu verdienen schien. Für die „Geschichte des Romans von dessen Ursprung bis auf die neueste Zeit“ (1841, 2. Aufl. 1850) brachte W. zwar keinerlei tiefergehende Studien mit, wol aber eine umfassende Belesenheit und eine ruhige, tendenzfreie Haltung gegenüber den litterarischen Bestrebungen der Gegenwart. Mehr als einmal steht sein Name, wenn auch nie mit einwandsfreien Gaben, am Eingang von Bestrebungen, die erst die nächste Generation hat zu ihrem Rechte kommen sehen: eine „Sammlung historischer Volkslieder und Gedichte der Deutschen“ trug er schon 1830 aus Chroniken, fliegenden Blättern und Handschriften zusammen, seine „Altfranzösischen Volkslieder“ von 1831 hätten bei allen Mängeln der Textbehandlung doch hingereicht, unsern Landsleuten schon damals die naive Anmuth dieser Erzeugnisse nahe zu bringen, – und vielleicht haben sie wenigstens auf M. Haupt gewirkt, der 1835 zu sammeln begann; die einzigartige altfranzösische „cantefable“ von „Aucassin und Nicolete“, die freilich schon früher Uhland, Koreff und Platen zur Um- und Nachdichtung gereizt hatte, hat W. 1833 durch seine Uebersetzung zugänglich gemacht. Und für die Bekanntschaft mit der französischen und englischen Litteratur der Neuzeit hat er mit Geschmack und ohne Vorurtheile sein ganzes Leben hindurch gewirkt.

[12] Eine Autobiographie Wolff’s, die bis zum Mai 1826 reicht – er schloß wie Goethe mit seinem Eintritt in Weimar ab – steht vor den „Portraits und Genrebildern“ Bd. 1 (Cassel 1839) und ist wiederholt vor dem 1. Bande einer Gesammtausgabe seiner „Schriften“, die in 14 Bänden Jena 1841/42 erschien und die Romane, Novellen, Feuilletons und Reisebriefe, sowie eine Auswahl von Gedichten und Uebersetzungen umfaßt. – Neuer Nekrolog der Deutschen, 29. Jahrg. (1851), S. 737–744. – Lübker-Schröder II, 707 f. (Schriften bis 1828). – Alberti II, 588–592 (vollständigstes Schriftenverzeichniß, seit 1828). – Schröder VII, 151 f. (Schriften der Hamburger Zeit).