ADB:Wolf, Hedwig
Ferdinand Joseph Wolf (s. o. S. 729) in der Schauflergasse zu Wien (damals Nr. 24, jetzt Nr. 6) eine Tochter geboren, die in der Taufe den Namen Hedwig erhielt und im Hause ihrer Eltern eine von diesen selbst geleitete sorgfältige Erziehung genoß. Von Kindheit an wißbegierig, lernte sie aus eigenem Antriebe englisch, studirte mit Vorliebe die Weltgeschichte und begann schon frühzeitig, sich in kleinen Erzählungen zu versuchen. Von ihrem zwölften Lebensjahre angefangen, hatte sie keinen Lehrer mehr für die deutschen Gegenstände. Schon im zarten Mädchenalter huldigte Hedwig einer ernsteren Lebensrichtung und beschäftigte sich eifrigst mit Litteratur und Kunst, sowie mit dem Studium fremder Sprachen. Noch nicht erwachsen, war sie bereits der französischen, italienischen, englischen und spanischen Sprache in Wort und Schrift mächtig, in welch’ letzterem Idiom [752] sie ihr Vater selbst unterrichtete; auch die böhmische und russische Sprache war ihr nicht fremd.
Wolf: Hedwig W. Am 15. April 1831 wurde dem durch seine Forschungen auf dem Gebiete romanischer Philologie und Litteratur hochverdienten Gelehrten, damaligem Scriptor der k. k. HofbibliothekEinen äußerst vortheilhaften Einfluß gewannen Erziehung und Unterricht dadurch, daß sich im Hause ihres Vaters in Kunst und Wissenschaft hervorragende Männer, wie Nicolaus Lenau, Theodor v. Karajan, Baron Münch (Friedrich Halm), der Maler Joseph Danhauser u. a. m. einfanden und in das für alles Edle empfängliche Herz der jungen Hedwig manch treffliches Samenkorn einpflanzten, das sich in späteren Jahren zur schönsten Blüthe entfalten sollte. Im J. 1857 trat Hedwig W. mit ihrer Erstlingsfrucht „Einer Stimme Zauber“ in der Gerson’schen Modezeitung zu Berlin als Schriftstellerin in die Oeffentlichkeit, und von diesem Zeitpunkte an war sie unermüdlich litterarisch thätig. In dem von Johann Gabriel Seidl redigirten Taschenbuch „Aurora“ erschien 1858 unter dem Pseudonym Louise Thal die Novelle „Ida“ und in dem Jahrgange 1859 des Wiener „Vaterland“ die Erzählung „der Componist“. Hier sei erwähnt, daß von ihren größeren bei Schöningh in Paderborn in einem Band erschienenen gesammelten Novellen „der Componist“ den meisten Beifall fand. Anderseits erklärte der litterarische Referent der Wiener Zeitung Hieronymus Lorm, daß die in jener Sammlung enthaltene Erzählung „Liebe und Leidenschaft“ von besonderer Bedeutung sei. Seiner Ansicht nach gab die Verfasserin durch diese Arbeit die Bürgschaft, daß sie befähigt sei, auch in einem größeren Rahmen etwas Bedeutendes zu leisten, und daß es nur einer umfangreicheren Composition bedürfe, um Hedwig W. als eine Schriftstellerin ersten Ranges zu zeigen. Auch in der „Wiener eleganten Welt“, in der „Presse“, in der „Bohemia“, im „Wanderer“, in der Berliner „Germania“, im „Schwäbischen Mercur“ und in verschiedenen anderen österreichischen und deutschen Zeitschriften fanden ihre Arbeiten gastliche Aufnahme und einen verständnißinnigen Leserkreis.
Ein äußerst zartes und inniges, ja unzertrennliches Freundschaftsband knüpfte Hedwig W. von ihrem achten Lebensjahre angefangen bis zu ihrem Hinscheiden an das edle Schwester- und litterarische Dioskurenpaar Franciska und Marie Edle von Pelzeln (Pseudonym: „Henriette“ und „Emma Franz“), Enkelinnen der Schriftstellerin Karoline Pichler. Diesen Jugendfreundinnen und deren Bruder August von Pelzeln, der in den letzten Jahren seines Lebens nahezu erblindet war, widmete sie manch’ freie Stunde und verschönerte durch Lectüre und anregendes Gespräch den Lebensabend des würdigen Gelehrten.
Dichter und Schriftsteller hielt Hedwig W. hoch in Ehren und hatte Gelegenheit, sich manchem von ihnen zu nähern. Der österreichische Dramatiker, Poet und Litterarhistoriker Dr. Faust Pachler war ihr Jahrzehnte hindurch ein treuer Freund und Berather in litterarischen Angelegenheiten, und dessen Hinscheiden im vorletzten Jahre ihres Lebens verursachte ihr tiefes Weh. Heinrich Laube wußte die Talente und Fähigkeiten unserer Litteratin zu schätzen und ersuchte sie um ein Urtheil über das von ihm 1868 veröffentlichte Lustspiel „Cato von Eisen“. Das diesbezügliche Dankschreiben Laube’s an Hedwig W. wurde seitens der Familienglieder nach dem Tode der letzteren der Wiener Stadtbibliothek zum Geschenke gemacht.
Der rege Verkehr und Briefwechsel, welchen schon ihr Vater mit hervorragenden Zeitgenossen, unter anderen mit der unter dem Pseudonym Fernan Caballero bekannten Schriftstellerin unterhielt, wurde Anlaß, daß sich ein trautes Freundschaftsverhältniß zwischen den gleichgesinnten Litteratinnen Hedwig W. und Fernan Caballero entwickelte. Da Hedwig W. das spanische Idiom vollkommen beherrschte und tiefes Verständniß für spanische Litteratur besaß, ging sie mit Freude daran, Fernan Caballero’s Roman „Elia“ dem deutschen Publicum [753] zugängig zu machen und ist die Uebersetzung 1861 bei Schöningh in Paderborn erschienen und so trefflich gelungen, daß sich Westermann’s „Monatshefte“ äußerst anerkennend darüber aussprachen. Auch die von Fernan Caballero 1862 veröffentlichte „Coleccion de articulos religiosos y morales“ (Sammlung religiöser und moralischer Sentenzen) wurde von Hedwig W. 1865 ins Deutsche übertragen und bei den Wiener Mechitaristen verlegt. In der kleinen schwächlichen scheinbar kränklichen Gestalt Hedwig Wolf’s mochte der ihr Fernstehende wol nie ahnen, was für eine Geistesfülle und Seelenstärke ihr inne wohnte. Sich nur geistiger Thätigkeit und dem Wohle anderer hingebend, lebte sie still und bescheiden, von ihren Angehörigen und Freunden, ja von allen, die sie kannten, um ihrer liebenswürdigen Umgangsformen und ihrer Selbstlosigkeit willen hochverehrt und geliebt.
Vom Monate November 1892 angefangen abwechselnd bei ihren bereits erwähnten Freundinnen, den Schwestern v. Pelzeln und ihrer Nichte Anna Feitzinger-Wolf wohnend, erkrankte sie im Hause der letzteren zu Hietzing, kurz nachdem sie dort die Weihnachtsfeiertage heiter im Familienkreise zugebracht hatte, an einer Rippenfellentzündung. In den ersten Tagen ihrer Krankheit hatte sie noch die Befriedigung, daß der zweite Band ihrer Uebersetzung der Novellen Coloma’s erschien und ertheilte selbst den Auftrag, dem Verfasser dieses Lebensbildes ein Exemplar zuzusenden. Staunenswerth war die geistige Kraft und Klarheit, welche der Verewigten bis zum Tode treu blieben. Am Rande des Grabes noch erwies sie sich unablässig um das Wohl ihrer Familie und ihrer Freunde besorgt. Wenige Stunden vor ihrem Hinscheiden dictirte sie ihrer Nichte einen spanischen Brief an den verehrten Pater Coloma, in welchem sie ihm ihre schwere Erkrankung mittheilte und ihn bat, für sie zu beten, sie starb am 3. Januar 1893.