ADB:Wilhelm I. (Graf von Nassau-Katzenelnbogen)

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Artikel „Wilhelm (der Reiche), Graf von Nassau-Katzenellenbogen“ von Richard Kolb in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 43 (1898), S. 129–131, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Wilhelm_I._(Graf_von_Nassau-Katzenelnbogen)&oldid=- (Version vom 23. Dezember 2024, 18:44 Uhr UTC)
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Wilhelm (der Reiche), Graf von Nassau-Katzenellenbogen, wurde als vierter Sohn des Grafen Johann V. am 10. April 1487 zu Dillenburg geboren. Seine Mutter, des Landgrafen Heinrich von Hessen Tochter, Enkelin und Erbin des letzten Grafen von Katzenellenbogen, brachte dem nassauischen Hause Ansprüche an die reiche Hinterlassenschaft ihres Großvaters zu, die zu langwierigen und verwickelten Streitigkeiten mit Hessen führten. Bei Ableben seines Vaters am 30. Juli 1516 traf W. mit seinem einzigen noch lebenden älteren Bruder Heinrich das Abkommen, daß dieser den niederländischen Besitz erhalten, er selbst jedoch seinem Vater in den Erblanden nachfolgen sollte. Die Regierungszeit Wilhelm’s ist eine der merkwürdigsten Perioden in der Geschichte seines Hauses, der territoriale Besitzstand der Grafschaft erfuhr mehrfache erhebliche Vergrößerungen, andere wurden vorbereitet; die Kirchentrennung, in ihrem Gefolge die Annahme und Einführung der lutherischen Religion durch den Grafen, führte dessen Betheiligung an den politischen Händeln der Zeit, dem schmalkaldischen Bunde, dem Religionsstreit, dem Passauer Vertrag und den beiden Religionsfrieden in Deutschland etc. herbei. Unter schwierigen und verwickelten Verhältnissen verstand Graf W., unterstützt durch politische Klugheit und Erfahrung, durch standhaften Muth verbunden mit Mäßigung, die Interessen seines Hauses zu wahren und den Grund zu dem späteren Aufblühen desselben zu legen.

Die niedere Grafschaft Katzenellenbogen, zwischen Rhein, Lahn, Aar und Wisper belegen, mit St. Goar und der Vogtei Pfalzfeld auf dem linken Rheinufer, war durch die Tochter des letzten Grafen Anna an deren Gemahl, den Landgrafen von Hessen, übergegangen; da deren Sohn Wilhelm im J. 1500 ohne Leibeserben starb, waren die beiden Töchter, die obengenannte Mutter Wilhelm’s von Nassau und die Gemahlin des Herzogs Johann von Cleve, erbberechtigt, wennschon die Mutter den ganzen katzenellenbogischen Besitz an die ältere hessische Linie vermacht hatte. Der Clevische Antheil kam im Verlauf des beim Kaiser und Reichskammergericht geführten Processes durch Vertrag ebenfalls an Nassau und suchte dieses seine Ansprüche an Hessen nun allein durchzufechten. Ueber fünfzig Jahre hat dieser merkwürdige Proceß gedauert, wiederholt der Entscheidung nahe gebracht, wurde derselbe immer wieder fortgesponnen, bis ein unter Vermittlung des Kurfürsten von Sachsen, des Pfalzgrafen Ott Heinrich, der Herzoge von Jülich und Württemberg in Frankfurt am 30. Juni 1557 abgeschlossener Vertrag dem Streit ein Ende machte. W. erhielt für seine Ansprüche an die Erbschaft 600 000 Gulden, von denen ein Viertel in Land, der Rest baar im Zeitraum von acht Jahren abgetragen werden sollte. Es fielen an Nassau das hessische Viertel der Grafschaft Diez mit den Aemtern Camberg, Weilnau, Wehrheim, Ellar, Driedorf und die Hälfte von Hadamar.

Bereits 1517 hatte sich Graf W. dem Ablaßhandel in seinen Landen widersetzt, 1521 Luther auf dem Reichstage zu Worms gehört, jedoch noch keine offene Hinneigung zu dessen Lehre gezeigt, was bei dem großen Einfluß, den sein Bruder Heinrich, ein treuer Anhänger des Kaisers und der Kirche, auf ihn ausübte, wol erklärlich ist. An dem Kriege Karl’s V. gegen Franz II. 1521–22 von Frankreich nahm Graf W. im kaiserlichen Heere theil, und erst 1526, gelegentlich eines Besuches des Herzogs Johann Friedrich von Sachsen in Dillenburg, ließ er sich bestimmen, der neuen Lehre freieren Spielraum zu geben; verschärfte Vorschriften bezüglich der Kirchenzucht und das Verbot einzelner Gebräuche der katholischen Kirche bildeten den Anfang einer Art von Reformation, welche jedoch alle wesentlichen Punkte einstweilen unberührt ließ. Im J. 1529 berief W. einen Geistlichen der neuen Richtung, Heilmann (Bruchhausen) von Crombach, [130] als Hofcaplan und ließ den Abfall des Cistercienserfrauenklosters Thron geschehen, in der Grafschaft Alt-Weilnau hatte seit 1528 die neue Lehre Eingang gefunden. 1530 war Graf W. auf dem Reichstag zu Augsburg und noch in demselben Jahre führte er die Augsburger Confession förmlich ein, die katholischen Geistlichen zu Dillenburg und Siegen wurden zur Resignation gezwungen und Heilmann Crombach, sowie der Magister Leonhardt Wagner aus Creuznach traten an ihre Stelle, das Cölibat wurde aufgehoben, die Messe abgeschafft, die Geistlichkeit auf die Nürnberger Kirchenordnung verpflichtet; für seine Person und Familie hielt es Graf W. einstweilen noch für vortheilhafter, den alten Glauben äußerlich beizubehalten, seine sämmtlichen Söhne wurden noch katholisch getauft, er selbst erwarb noch 1531 für sich eine päpstliche Fastendispens. Dem Einfluß seines Bruders verdankte er es, daß ihm vom Kaiser 1531 die Statthalterschaft des seit 1519 eingezogenen Herzogthums Württemberg angeboten wurde, welche er jedoch, ebenso wie das 1536 ihm zugedachte goldene Vließ, ablehnte. 1536 berief der Graf den M. Sarcerius zum Rector der Schule in Siegen, 1538 ernannte er ihn zum Superintendenten und Hofprediger in Dillenburg und ließ in beiden Orten Synoden abhalten, weitere Berufungen von lutherischen Predigern fanden unterdessen statt. Bekanntlich hatte der Reichstag zu Augsburg mit der Resolution des Kaisers geendet, daß die katholische Lehre bis zu einer allgemeinen Kirchenversammlung beibehalten und von den lutherischen Ständen binnen eines halben Jahres der alte Religionsstand wiederhergestellt werden solle. Die Folge war ein engeres Zusammenschließen der renitenten Reichsstände in dem am 10. Februar 1531 abgeschlossenen „Schmalkaldischen Bund“. Zunächst waren es Kurfürst Johann von Sachsen, Herzog Ernst von Lüneburg, Landgraf Philipp von Hessen, der Herzog von Anhalt, die Grafen von Mansfeld und einige kleinere Stände, welche sich an dem Bunde betheiligten. Die Bedrohung Wiens und der kaiserlichen Erblande durch die Türken verhinderte zunächst ein Einschreiten des Kaisers gegen den Bund und zwangen jenen zum Abschluß des Religionsfriedens zu Nürnberg 1532. Nachdem auch Herzog Ulrich von Württemberg mit Unterstützung des Landgrafen Philipp von Hessen 1534 sein Land zurückerobert hatte, traten dem Bunde die meisten Mitglieder des Wetterauer Grafenbundes, darunter auch W., bei; am 10. Januar 1536 verpflichtete sich derselbe durch Revers zu allem, was der Bund beschließen möge, beizutragen und mitzuwirken (Philipp von Hessen hatte gegen die Zulassung des Grafen wegen des Katzenellenbogener Erbschaftsstreites protestirt). Zu der auf dem Reichstag zu Speier 1542 bewilligten Türkenhülfe hatte Graf W. ein Contingent gestellt, ebenso zahlte er 1544 für denselben Zweck eine größere Summe; bei dem Kriege des Schmalkaldischen Bundes gegen Herzog Heinrich von Wolfenbüttel hatte er sich jedoch nicht betheiligt. Die wachsende Macht seines Gegners im Bunde nöthigte W., auf seiner Hut gegen Gewaltthat zu sein und war mit Veranlassung, daß er sich in dem 1546 ausbrechenden Kriege des Bundes gegen den Kaiser activ nicht betheiligte; er war klug genug, die ihm angesonnene Werbung von 600 Reitern für den kaiserlichen Dienst auszuführen und entging hierdurch dem Strafgericht, das seine walramischen Vettern und die sonstigen Mitglieder des Wetterauer Grafenbundes traf. Dem Reichstag zu Augsburg 1547 wohnte Graf W. bei und mußte im folgenden Jahre das „Interim“ in den Grafschaften einführen, die wiederum der Erzdiocese Trier unterstellt wurden. Erst nach der erfolgreichen Schilderhebung des Kurfürsten Moritz von Sachsen wagte es Graf W., sich offen den Feinden des Kaisers anzuschließen und übernahm eine geheime Mission an den französischen König Heinrich II., behufs Abschluß eines Bündnisses desselben mit den protestantischen Reichsfürsten gegen den Kaiser. Nachdem durch den Passauer Vertrag und den Augsburger Religionsfrieden [131] es ihm möglich geworden war, die lutherische Religion ungehindert wiederherzustellen und die katholische vollends zu unterdrücken, starb Graf W. am 6. October 1559 zu Dillenburg.

Von Regierungshandlungen desselben zur Vergrößerung seiner Hausmacht sind noch zu erwähnen die Erwerbung des Königsteinischen Antheils der Grafschaft Diez 1530, sowie die Hausverträge mit der Bredaischen Linie 1545 und der Beilsteiner 1554. Seine Zeitgenossen nannten ihn, vielleicht nach der Katzenellenbogener Erbschaft, den Reichen, eine in Anbetracht der großen Opfer, die der Streit gefordert, kaum zutreffende Benennung.

Graf W. war zwei Mal vermählt, seine erste Gemahlin war eine Tochter des Grafen Johann von Egmond, Walpurgis, welche nach 23jähriger Ehe 1529 starb und ihm zwei Töchter geboren hatte. Seine zweite Ehe 1531 mit der lutherischen Gräfin Juliana von Stolberg, des Grafen Philipp II. von Hanau Witwe, war eine mit Kindern reichgesegnete, fünf Söhne und sechs Töchter überlebten den Vater; von ersteren fiel der älteste, Wilhelm (der Schweiger), der Begründer der Oranischen Linie, als Statthalter der Niederlande durch Mörderhand, die drei jüngsten blieben im Kampfe für die Unabhängigkeit der Niederlande, der zweite, Johann, wurde Stifter der Nassau-Katzenellenbogischen resp. mittleren Dillenburger Linie.

Arnoldi, Geschichte der Oranien-Nassauischen Länder etc. – Keller, Geschichte Nassaus von der Reformation bis zum Anfang des 30jährigen Krieges. – Ed. Jacobs, Juliana von Stolberg, Ahnfrau des Hauses Nassau-Oranien.