ADB:Westerburg, Gerhard
Cochlaeus“, A. D. B. IV, 382) und erwarb wahrscheinlich auch dort die Doctorwürde. Nachdem er noch Rom besucht und „gesehen, gehört und persönlich erfahren, daß die Heiden, Juden und Türken ein heiliger Leben führen, denn die Päpste zu Rom mit ihrem Gesind“, kehrte er nach Köln zurück, wo er mit einem Leiter der „Zwickauer Propheten“, dem Tuchweber Nikolaus Storch gegen Ende 1521 bekannt wurde. Er nahm ihn sogar in sein Haus auf. – Angeregt von dessen Lehren ging er 1522 nach Wittenberg, wo er wiederum mit ihm zusammentraf. Wie tief er sich mit ihm in revolutionäre und communistische Umtriebe eingelassen habe, ist nicht festzustellen; mehrfach wird er als sein Genosse bezeichnet. Deutlicher ist sein Verhältniß zu Karlstadt, an den er sich eng anschloß und dessen Grundsätze er lange Zeit hindurch eifrigst vertheidigte. Zu deren Verbreitung vereinigte er sich mit dem leidenschaftlichen Martin Reinhard und zog mit diesem nach Jena (1523). Er verfaßte dort die Schrift: „Vom Fegefeuer“ u. s. w., welche ihm später so viele Beschwerlichkeiten und Verfolgungen einbrachte. Dabei ist sie im Grunde nicht einmal sein Eigenthum. Sie enthält nur eine Umkleidung Karlstadt’scher Lehren, besonders der Schrift: „Ein Sermon vom Stand der christgläubigen Seelen“ (1523), und war dazu bestimmt jene Lehren unter seinem Namen in den Niederlanden zu verbreiten. – Da die Schrift in seiner Vaterstadt Aufsehen machte, ging er mit Reinhard nach Köln und erbot sich bei der theologischen Facultät zur Disputation. Aber der Rath untersagte sie und veranlaßte dadurch, daß W. mit seinem Begleiter nach Thüringen zurückkehrte. Als Luther zur Beilegung der Orlamünder Wirren nach Jena kam, erschien vor ihm Karlstadt in Begleitung Westerburg’s und Reinhard’s im Bären zur Verhandlung; und als Karlstadt, in Sachsen unmöglich geworden, die Verbindung mit den Schweizern suchte, war es wiederum W., der mit Briefen und Tractaten nach Zürich ging und mit Grebel, Brödli und anderen erfolgreich unterhandelte. Damit hatte er sich dem theologischen und politischen Radicalismus der Zeit bedenklich [183] genähert. Wie Karlstadt und Reinhard aus Sachsen ausgewiesen (17. Sept. 1524) ging er mit seiner Familie (er hatte sich in Jena verheirathet) nach Frankfurt a/M., wo sich unter den Bürgern im Sinne „der evangelischen Brüderschaft“ der oberdeutschen Bauern eine Gemeinschaft, „die evangelischen Brüder“, gebildet hatte. Wie an vielen anderen Orten kam es auch in Frankfurt zum Aufstande (Mai 1525). Daß W. die Seele desselben und auch der Verfasser der nach dem Vorbild der „Zwölf Artikel“ entworfenen „Frankfurter Artikel“ gewesen sei, darf als erwiesen angenommen werden. – Die der Gemeinde und dem Rathe übergebenen Artikel wurden von beiden „ohn alles Abtun bewilligt und zugelassen“ (22. April). Damit hatte die radicale Bewegung gesiegt; bald indeß schlug infolge der Niederlage der Bauern die Stimmung in der Stadt um. W. wurde allerseits für schuldig an den Unruhen angesehen und mußte die Stadt verlassen (17. Mai). Er kehrte nach Köln zurück, „um sein väterlich Erb und Güter, Haus und Hof zu besitzen und zu gebrauchen.“ Auch dort regten sich die unteren Classen der Bürger; „die Gaffeln“ forderten Gleichstellung der Geistlichen mit den Bürgern in allen Abgaben bei dem Verkauf von Brot, Wein und Bier; aber nicht wenige verlangten mehr und planten einen Aufstand gegen den Rath (Febr. 1525). Daß auch hier W. die Fäden der Bewegung in der Hand hielt, ist sehr wahrscheinlich. Da er höchst verdächtig erschien, wurde ihm verboten sein Haus zu verlassen und am 17. Juli ein Haftbefehl ausgebracht. Wenn dieser auch bald zurückgenommen wurde, so blieb doch jenes Verbot in Kraft. Um so mehr suchten seine Feinde ihn zur Uebertretung desselben zu verleiten. Die Geistlichen veranstalteten ein Gespräch über das Fegefeuer und erboten sich mit ihm zu disputiren. W. ging nicht darauf ein, und da er sich auch sonst klüglich zurückhielt, gestattete ihm der Rath bald wieder die bürgerliche Freiheit. – Dagegen wendete sich aber nun der Erzbischof und verlangte, daß man „den lutherischen Ketzer“ nicht länger in Köln dulden solle. Eine Berufung in das Dominicanerkloster vor Vertreter der Ketzermeister und des Rathes hatte keinen Erfolg (Jan. 1526); in der darauf folgenden Fastenzeit wurde eine neue Tagung anberaumt (10. März). Der Ketzermeister Hochstraten trat selbst gegen ihn auf. Wiederum ohne Erfolg. Auch ein dritter Termin, den W. selbst beantragte, und in welchem seine Gegner bestimmt den feierlichen Widerruf seiner Lehren erwartet hatten, führte zu keinem Ergebniß. Endlich, da man wieder anfing auch außerhalb seines Hauses auf ihn zu fahnden, verließ er am Montag den 12. März 1526 Köln. Vier Tage danach wurde in einem Schlußverfahren der Inquisitoren sein Buch zur Verbrennung, er selbst als Ketzer verdammt. – Aber der schlaue Jurist war seinen Gegnern gewachsen. Von Eßlingen aus wendete er sich (20. März) an das Reichskammergericht, protestirte gegen das Kölnische Urtheil und appellirte an den Kaiser und den Reichstag; gleichzeitig beantragte er rechtlichen Schutz seiner Person und seines Besitzes. Das Reichskammergericht entsprach sehr schnell seinem Antrage und erließ am 27. März zwei Mandate, das eine an die Inquisition, das andere an den Rath in Köln. Die Wirkung war überraschend; von Verfolgung war nicht mehr die Rede; der Rath forderte W. auf nach Köln zurückzukehren „und seiner Freiheit zu genießen“. – Sieben Jahre hat W. danach in seiner Vaterstadt gelebt. Mit Klarenbach, Fliesteden und Kloprys, den kölnischen Märtyrern, hat er keine nachweisbaren Beziehungen unterhalten. Dennoch hatte er oft genug mit dem Rathe in Religionssachen zu thun und mußte endlich 1533 wiederum seine Vaterstadt meiden. Wahrscheinlich hatte dazu mitgewirkt, daß er in der letzten Zeit mit den Wiedertäufern in Verbindung getreten war. Daher wendete er sich 1534 zunächst nach Münster. Die dortigen Prädicanten und Führer der aufrührerischen Bewegung gewannen entscheidenden Einfluß auf ihn. Am Ende des Jahres ließ [184] er sich von Roll im Hause Knipperdolling’s taufen. – Die wiedertäuferischen Gräuel hatten damals ihren Höhepunkt erreicht. Wie weit er an ihnen betheiligt war, läßt sich nicht mehr bestimmen. Unter denen, die eine hervorragende Rolle dabei spielten, wird er nicht genannt. Der Gefangenschaft und Strafe entging er. – Wohin er sich von Münster gewendet habe, ist nicht bekannt. Jedenfalls verließ er auch innerlich eine Gemeinschaft, die ihm, dem immerhin besonnenen und vorsichtigen Manne, erst allmählich ihren gefährlichen Charakter offenbart hatte. Er wendete sich in der Folge den Reformirten zu und trat 1542 in die Dienste des Herzogs von Preußen als „Doctor der h. Schrift und Rath“. Diese Stellung währte indeß nur 10 Monate. Dann begab er sich nach Ostfriesland und von da, wol auf Veranlassung Lasko’s, nach Zürich zu Bullinger, um sich mit ihm zu besprechen und dessen Beziehungen zu Ostfriesland zu befestigen. Ueber Straßburg, wo er einige Streitschriften, die er im Sinne der Reformirten verfaßt hat, drucken läßt, kehrt er über Bonn 1546 nach Emden zurück, wo er sich fortan ganz an Lasko und die von ihm eingerichtete neue Ordnung anschließt. Von der Gräfin Anna von Ostfriesland unterstützt, bleibt er bis zum Herbst 1547 in Abbingwer bei Loppersum unweit Emden, dann in einer Predigerstelle in Neustadt-Gödens, wo er 1558 gestorben sein soll.
Westerburg: Gerhard W., Jurist, evang. Theolog und socialer Agitator der Reformationszeit, geboren gegen das Ende des 15. Jahrhunderts zu Köln, wo sein Vater Arnt W. „das Fahramt zu Deutz am Rhein theuer für sich und seine Erben erkauft hatte.“ – Am 25. Oct. 1514 in Köln immatriculirt und in die Bursa Montana aufgenommen wurde er schon im März 1515 Magister, ging nach Bologna, um die Rechte zu studiren („Schulgeselle des- Von seinen Schriften werden im ganzen sechs aufgeführt. Sie handeln vom Fegefeuer und den Sacramenten. Vgl. hiezu: G. E. Steitz, Abhandlungen zu Frankfurts Reformationsgeschichte. Separatabdruck aus dem Archiv für Frankfurts Geschichte und Kunst. Bd. V, 1872 u. Neujahrsblatt des A. V. 1875. – C. Krafft, Adolf Klarenbach u. Peter Fliesteden. Real-Encyclopädie für protestantische Theologie und Kirche. Bd. VIII, S. 20 ff.