Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Wanckel, Leberecht“ von Heinrich Pröhle in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 41 (1896), S. 135–137, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Wanckel,_Leberecht&oldid=- (Version vom 18. Dezember 2024, 07:45 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Wanckel, Karl
Nächster>>>
Wanckel, Matthias
Band 41 (1896), S. 135–137 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Nach Wikipedia-Artikel suchen
Leberecht Wanckel in Wikidata
GND-Nummer 103107320
Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|41|135|137|Wanckel, Leberecht|Heinrich Pröhle|ADB:Wanckel, Leberecht}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=103107320}}    

Wanckel: Christian Leberecht Traugott W., beliebter Kanzelredner, Nachkomme von Bernhardi und von Andreas W. (s. Matthias und Johannes W.). Von diesen stammten zunächst durch zwei Generationen hindurch bis 1732 die Prediger in Burgliebenau und in Döllnitz bei Merseburg ab. Drei ihrer Grabsteine sind noch wohlerhalten. So faßte die Nachkommenschaft von Andreas W. in der nachmaligen preußischen Provinz Sachsen Fuß, von wo sie jedoch dann auch nach den Hauptstädten des Königreichs Sachsen zurückkehrte. Einer der Söhne des letzten W. in Burgliebenau wurde Prediger in Holleben bei Halle. Von dessen elf Kindern wurde Konrad Leberecht ausnahmsweise Advocat in Schkeuditz zwischen Halle und Leipzig. Sein Sohn Leberecht wurde daselbst am 18. April 1785 geboren, studirte 31/2 Jahr in Leipzig, wo Platner und Weiße unter seinen Lehrern waren, wurde 1810 Pfarrsubstitut zu Hohenlohe bei Lützen und erhielt bereits 1811 die einträgliche Stelle definitiv. Schon am 6. Juni desselben Jahres heirathete er die Tochter des Predigers Tschorn in Großgörschen, die ihn überlebte. Zwei Jahre später zog sich der beginnende Freiheitskrieg in die Gegend von Großgörschen und von Lützen. Die Schlacht bei Lützen am 2. Mai 1813 brachte durch Plünderung einen bedeutenden Verlust für W. Er mußte sogar mit seiner Frau und einem vier Monate alten Töchterlein die Flucht ergreifen. Zu dieser Zeit lebte in der gleichfalls nicht sehr entfernten Stadt Merseburg als Prediger in der Vorstadt Altenburg (St. Viti) mit dem reizend unter dem Schlosse gelegenen Filialdorfe Meuschau der gemüthvolle J. A. Chr. Löhr, Verf. des „kleinen Andreas“ und einer andern, von Vilmar neu herausgegebenen Jugendschrift. Wahrscheinlich nicht seiner Gesundheit wegen wie es gewöhnlich heißt, sondern um mehr Zeit für seine naturwissenschaftlichen Studien und für seine Schriftstellerei zu gewinnen, ließ sich Löhr [136] nach dem sächsischen Städtchen Zwenkau versetzen. Ohne Zweifel empfahl er dabei selbst unsern Leberecht als seinen Nachfolger, dessen Predigten dann 1824, 1827 und 1831 in drei Bänden erschienen und trotz des Rufes, den sich W. auf dem Lande bereits erworben hatte, durchaus ein städtisches, ja gebildetes Publicum verlangten. Am 18. Juni 1813 hielt er nach einer durch die für diese Gegend besonders schwierigen Zeitverhältnisse herbeigeführten Verzögerung in Merseburg seine Antrittspredigt. Bald wurde Merseburg eine preußische Regierungshauptstadt. Je mehr Gebildete in die Stadt einzogen, um so mehr bewährte sich Wanckel’s Berufung. Er war kein Redner im gewöhnlichen Sinne des Wortes. Die Feinheit der Beobachtungen, welche er auf die Kanzel brachte, vertrug sich im allgemeinen wenig mit dem rhetorischen Pathos. In der merkwürdigen Predigt über Lucas 18, 31–43 „Sehet, wir gehen hinauf nach Jerusalem!“ bildet er sich das Thema „Wie haben wir uns zu verhalten im Umgange mit Menschen, die uns nicht verstehen?“ Hier war nicht Knigge’s Umgang mit Menschen auf eine gewöhnliche Weise auf die Kanzel gebracht, sondern Bekenntnisse im Sinne des Goethe’schen „Ich muß mein Glück nur mit mir selbst genießen“ wurden zu Gunsten der Mitmenschen auf ein sittliches Maß zurückgeführt und mit der unerläßlichsten Begrenzung der Rücksichten des Christenthums umzogen. Schließlich aber wurde es gerade dem Redner selbst schwer das nur egoistisch genossene Glück bevorzugter Geister, um das es sich hier handelte, einzudämmen. War er doch zu einer hohen Durchbildung gelangt, ehe er das erste geistliche Amt antrat. Nach dem zu frühen Tode des Vaters hatte er in der goldnen Aue seine ebenso specielle als tüchtige Unterweisung dadurch empfangen, daß er in die Familie seines Oheims W. aufgenommen wurde, welcher in Roßleben Conrector und dann Pastor in Bottendorf bei Roßleben war. In das Haus dieses ausgezeichneten Erziehers, Schulmannes und Geistlichen war auch schon Leberecht’s älterer Stiefbruder aufgenommen gewesen, von dessen Sohne, dem Theologen Karl (geboren am 4. Juli 1811 in Hoheneck bei Stollberg im Erzgebirge, † als Lehrer an der Realschule zu Dresden am 26. December 1858) 1859 Hermann Waldow „Dichtungen und Lebensbilder“ herausgab und von dessen zweitem Sohne, dem Juristen Hermann (geboren in Hoheneck am 15. December 1812, † in Leipzig) 1856 ohne seinen Namen die Dichtung „Johannes“ erschien[1]. Seine schönsten Tage hatte unser Leberecht, der Pfarrer zu St. Viti, einst als Hauslehrer bei dem Grafen Brühl in Merseburg, besonders aber auf dem Brühl’schen Weinberge bei Naumburg und im Umgange mit der verwittweten Frau Dr. Voigt verlebt, deren Gedichte Tiedge 1826 unter dem Titel „Weihestunden einer edlen Seele“ aus dem Nachlasse herausgab. Schon seit der Hauslehrerzeit war Leberecht Mitglied der Freimaurerloge zu Merseburg. In ihr fand er auch später noch als Geistlicher die meiste Befriedigung und man behauptet, daß „der Geist dieser Verbindung“ sein ganzes Leben durchdrang. Er soll mit Innigkeit an ihren Unterhaltungen und Beschäftigungen gehangen und in ihr seinen „zweiten Lehrstuhl“ gefunden haben. Jedenfalls setzten ihm die Freimaurer einen Grabstein auf seinem Kirchhofe, nachdem er am 3. März 1829 im Alter von nur 44 Jahren gestorben war. Die Uebernahme der Superintendentur in Sangerhausen hatte er wol mehr mit Rücksicht auf die Merseburger Beziehungen als auf seine schon lange schwankende Gesundheit abgelehnt. Von seinen zehn Kindern überlebten ihn sechs: Gustav, geboren am 12. Juli 1820, studirte Mathematik, lebte in Rouen und befindet sich seit 1883 in Leipzig; Theodor, geboren am 23. Juli 1826, starb als Prediger zu Sachsa am Südharze am 5. April 1882.

Gedrucktes und Handschriftliches im Besitze von Gustav Wanckel. Nach letzterem ist auch schon die kurze Lebensbeschreibung im 3. Bande der Predigten [137] abgefaßt, der erst nach Leberecht Wanckel’s Tode von Dr. Christian Weiß, dem langjährigen Leiter des Volksschulwesens im Regierungsbezirk Merseburg, herausgegeben wurde.

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. S. 136. Z. 22–20 v. u. ist der Satz „und von dessen“ bis „erschien“ zu streichen. [Bd. 55, S. 894]