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Artikel „Wagner-Jachmann, Johanna“ von Max Friedlaender in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 40 (1896), S. 587–589, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Wagner-Jachmann,_Johanna&oldid=- (Version vom 29. März 2024, 06:53 Uhr UTC)
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Wagner: Johanna W.-Jachmann, eine der bedeutendsten dramatischen Sängerinnen, wurde am 13. October 1828 in Hannover geboren. Ihr Vater, Albert W., war ein trefflicher Sänger und Schauspieler, dessen Urtheil von seinem jüngeren Bruder Richard W. sehr hochgeschätzt wurde (vgl. u. a. Richard Wagner’s Brief an Hauser v. J. 1834); von ihrer Mutter Elise geb. [588] Gollmann wird berichtet, ihre Stimme habe den außerordentlichen Umfang von 3¼ Octaven gehabt, sodaß sie in ihrer allerdings nur sehr kurzen Bühnenlaufbahn die hohe Sopranrolle der Königin der Nacht und die tiefe Altpartie des Rossini’schen „Tancred“ mit gleicher Fülle des Tons zu singen vermochte. In Würzburg, wo der Vater ein Engagement angenommen hatte, wurde Johanna bereits in frühester Jugend für die Bühne erzogen, auf der sie im Alter von fünf Jahren in Iffland’s „Spielern“ und bald darauf als Salome in Kauer’s „Donauweibchen“ debutirte. Zugleich wurde Sorgfalt auf ihren sonstigen Unterricht verwandt, den sie bis zu ihrem 14. Jahre im Weidmann’schen Institute in Würzburg erhielt. Ihre erste größere Bühnenrolle, die Abigail in Scribe’s „Glas Wasser“, übernahm sie infolge der Uebersiedlung ihrer Eltern nach Bernburg am dortigen Hoftheater. Unter der sachkundigen Leitung ihres Vaters entwickelte sich ihre Stimme in überraschender Weise, sie sang zuerst auf der Ballenstedter Filiale der Bernburger Hofbühne den Pagen in den „Hugenotten“ und führte bald auch anspruchsvolle Partien wie die Myrrha im „Unterbrochnen Opferfest“, die Elvira und Agathe durch. Auf Veranlassung Richard Wagner’s, der inzwischen Hofcapellmeister in Dresden geworden war, sang Johanna im Mai 1844 in Dresden die Irma in „Maurer und Schlosser“ und die Agathe, und hatte einen solchen Erfolg, daß die kgl. Intendanz sie aus eigenen Mitteln aus dem Bernburger Contract löste und auf drei Jahre fest engagirte. „Meine damals siebzehnjährige Nichte Johanna Wagner mit ihrer gerade um jene Zeit hinreißend schönen Stimme und glücklichen Begabung für theatralischen Accent“ so schrieb Richard W. später über sie. Nachdem sie in Dresden in der großen Schröder-Devrient ihr künstlerisches Vorbild gefunden hatte, durfte sie 1846 auf Kosten der Intendanz mit ihrem Vater nach Paris reisen, um dort bei Manuel Garcia noch die letzte Ausbildung im Gesange zu erhalten. Von ebenso bedeutendem Einflusse wie dieser Unterricht waren für sie die Aufführungen der Pariser Oper mit dem unvergleichlichen Ensemble der Grisi, Persiani, Ronconi, Lablache etc. Nunmehr reifte Johanna selbst zu einer großen Künstlerin heran. Schon 1845 hatte Richard W. für sie die Rolle der Elisabeth im Tannhäuser geschrieben, die die Siebzehnjährige bei der ersten Aufführung des Werks am 19. October 1845 in ergreifender Weise sang. Auch für die Elsa im Lohengrin (1847) hatte der Componist Gestalt und Stimme seiner Nichte vor Augen. Während der letzten Jahre ihres Dresdener Aufenthalts konnte sie ihr Repertoire u. a. noch durch den Fidelio, Sextus, Adriano, die Norma, Valentine, Rezia, Eglantine und Donna Anna bereichern, auch durch den Gluck’schen Orpheus, den sie 1847 zuerst mit Felix Mendelssohn’s Begleitung in einem Hofconcert sang und der ihr später weit über die Grenzen Deutschlands hinaus Berühmtheit verschaffte. Ihres Onkels Antheil an der revolutionären Bewegung und seine Flucht von Dresden veranlaßten sie 1849 ein Engagement in Hamburg anzunehmen, wo sie im Januar 1850 bei der ersten deutschen Aufführung des „Propheten“ die Fides sang. Zur Vertretung dieser Partie schlug Meyerbeer sie für die Hofoper in Berlin vor, und hier war es, wo sich in dem folgenden Jahrzehnt ihr Talent am reichsten entfaltete. Ihr Repertoire umfaßte neben den classischen Opern eine außerordentlich große Zahl von italienischen und französischen Werken, und selbst in leichten Spielopern vermochte sie die übernommenen Rollen in eine höhere Kunstsphäre zu heben. Sie sang heute die Gräfin in Lortzing’s Wildschütz, morgen die Iphigenie, als Anna in der Weißen Dame und Rosine im Barbier war sie nicht minder eindrucksvoll wie als Klytämnestra, als Tancred, als Oberpriesterin in der Vestalin. Wie sie in den Hugenotten die Valentine, die Margarethe und den Pagen sang, übernahm sie in der Euryanthe abwechselnd die Titelrolle und die Eglantine, im Lohengrin [589] die Elsa und Ortrud. Eine ihrer hervorragendsten Partien war der Bellini’sche Romeo, in der sie 1852 das Londoner Publicum entzückte. Der außergewöhnliche Contract, durch den sie für Berlin gewonnen war, gestattete ihr einen jährlichen Urlaub von sechs Monaten. Sie war sehr schnell ein Liebling des Berliner Publicums geworden und stand in besonderer Gunst beim König, der sie schon 1853 zur Kammersängerin ernannte. Nicht nur in den großen Hofconcerten bildete sie den vielbewunderten Mittelpunkt, auch zu den intimen Gesellschaften der königlichen Familie wurde sie zugezogen, und sie konnte sich der Freundschaft des nachmaligen Kaisers Friedrich und seiner jungen Gemahlin Victoria rühmen. Niemals hat sie mit ihrer Kunst gegeizt; als sie auf der Höhe ihres Ruhmes stand, hat sie vielen Wohlthätigkeitsaufführungen zu glänzenden Einnahmen verholfen und manchem Musiker den Weg zur Künstlerlaufbahn geebnet. – 1859 heirathete sie den Landrath Jachmann, mit dem sie in mehr als fünfunddreißigjähriger Ehe verbunden blieb. Als sie im J. 1861 plötzlich ihre Stimme verlor, ging sie – was bei der Energie und Schärfe ihres schauspielerischen Charakterisirungsvermögens nahezu selbstverständlich war - zum recitirenden Drama über. Mehr als ein Jahrzehnt hat sie dann noch der Berliner Hofbühne angehört und als Tragödin wie in Repräsentationsrollen eine Reihe mustergültiger Leistungen geboten. Ihr neues Repertoire umschloß u. a. die Rollen der Lady Macbeth, Isabella, Hermione, Medea, Sappho, der Herzogin Marlborough; als Antigone, eine ihrer glänzendsten Rollen, verabschiedete sie sich 1872 von der Bühne, die sie seitdem nur 1876 in Baireuth wieder betrat, wo sie der Sache wegen bei den ersten Nibelungenaufführungen in den kleinen Rollen der Schwertleite und ersten Norne mitgewirkt hat. Da ihre Stimme theilweise wiedergekehrt war, hatte sie bereits 1872 das Altsolo bei der denkwürdigen Aufführung der neunten Symphonie übernommen, die zur Feier der Grundsteinlegung des Baireuther Festspielhauses unter Wagner stattfand; es geschah dies auf den besonderen Wunsch ihres Onkels, unter dessen Leitung sie dieselbe Partie schon 26 Jahre früher in Dresden gesungen hatte.

Am Abend ihres Lebens war sie als Lehrerin thätig – nicht ganz mit dem erwarteten Erfolge. Die Gesangsprofessur bei der kgl. Musikschule in München nahm sie 1882 mit den Worten an, sie hoffe, die Schüler in den Geist und die Tradition der Werke ihres Onkels einführen zu können. Seit der Mitte der 80er Jahre vertauschte sie den Wohnsitz in München wieder mit Berlin. In derselben Stadt, in der das fünfjährige Kind seine Laufbahn begonnen hatte, setzte der Tod dem Wirken der Greisin ein Ziel: sie starb in Würzburg, wo sie sich vorübergehend aufhielt, am 16. October 1894.

Ueber Frau Wagner-Jachmann vgl. Glasenapp, Das Leben Wagner’s und Wagner-Encyclopädie. – Hermann Ritter, im Neuen Theater-Almanach 1896. – E. E. Taubert, in der Monatsschrift „Die Frau“, Dec.1894. – Mrs. Burrell, in Grove’s Dictionary of Music and Musicians IV. London 1889.