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Artikel „Studer, Gottlieb Ludwig“ von Emil Blösch in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 36 (1893), S. 734–735, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Studer,_Gottlieb_Ludwig&oldid=- (Version vom 18. April 2024, 03:17 Uhr UTC)
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Studer: Gottlieb Ludwig St. wurde am 18. Januar 1801 in Bern geboren, der jüngste unter vier Brüdern, von welchen namentlich der ihm an Alter zunächst stehende, Bernhard (s. o.), sich als Geologe einen berühmten Namen gemacht hat. Sein Vater, Samuel St., war oberster Decan der Berner Kirche und Professor der Theologie, dabei ausgezeichnet als Naturforscher, einer der Gründer des naturhistorischen Museums in Bern, Mitstifter der Schweizerischen naturforschenden Gesellschaft und von mehreren gelehrten Gesellschaften des Auslandes zum Mitglied ernannt. Gottlieb St. wurde zur Theologie bestimmt, war 1819 einer der Stifter des heute noch blühenden „Zofinger-Vereins“ Schweizerischer Studirenden, begab sich sodann nach Halle, wo er Hausgenosse und Schüler von W. Gesenius wurde, und vollendete seine Studien in Göttingen. In Bern erhielt er das Amt eines Predigers am Bürgerspital und, nachdem er sich zur Docentenlaufbahn entschlossen, 1829 die Professur der Philologie an der Akademie und der später gegründeten Universität. Erst 1851 wurde ihm die Professur für das Alte Testament übertragen und damit die Thätigkeit eröffnet, zu der er sich berufen fühlte. Die Selbständigkeit seiner Forschungen führte ihn auf ganz ähnliche Ansichten über die Entstehung der ältesten biblischen Bücher, wie sie seitdem durch Graf und Wellhausen zum Gemeingut der Wissenschaft geworden sind; allein die Aufnahme seines im J. 1835 erschienenen Commentars zum „Buche der Richter“ ermuthigte wenig zur Fortsetzung schriftstellerischer Arbeit in diesem Sinne; übergroße Bescheidenheit und Furcht vor Mißverständnissen hielten ihn ab, die Ergebnisse seines Nachdenkens weiteren Kreisen mitzutheilen; nur seine Zuhörer wußten darum. Im J. 1864 endlich zum Ordinarius befördert, trat er 1878 von seiner Lehrstelle zurück. Beinahe mehr denn als Theologe, hat St. sich als Historiker bekannt gemacht. Schon 1846 bearbeitete er den ersten Katalog der Bernischen archäologischen Sammlung, von 1859 bis 1869 war er Vorsitzender des kantonalen historischen Vereins, und die Zeitschrift dieser Gesellschaft, das „Archiv“, brachte in einigen Bänden fast ausschließlich Abhandlungen aus seiner Feder. Im Auftrage der allgemeinen Schweizerischen geschichtsforschenden Gesellschaft, der er ebenfalls angehörte, gab er 1866 die Chronik des „Matthias von Neuenburg“, 1871 die Berner Chronik des Konrad Justinger [735] (s. A. D. B. XIV, 758) und 1877 als Band I der „Quellen zur Schweizer Geschichte“ die Erzählung des Thüring Frikard (s. A. D. B. VIII, 89) über die Episode des sogenannten „Twingherrenstreites“ heraus. Lange Jahre war er Mitglied des städtischen Bürgerrathes und Präsident der Aufsichtsbehörde über die Berner Stadtbibliothek. Erst als St. in den Ruhestand getreten, wandte er sich wieder mehr der theologischen Wissenschaft zu, vielleicht mit von dem Gefühle geleitet, daß größere Offenheit jetzt gestattet sei. Im J. 1881 erschien „Das Buch Hiob, für Geistliche und gebildete Laien übersetzt und erläutert“, eine Schrift, in welcher der Achtzigjährige den philosophisch-ethischen Gehalt der tiefsinnigen alttestamentlichen Lösung des Welträthsels den modernen Menschen zum Verständniß zu bringen versucht hat. Die „Reformblätter“, die „Theologische Zeitschrift aus der Schweiz“, sowie die „Jahrbücher für protestantische Theologie“ aus Jena brachten eine Reihe von Aufsätzen, in welchen er die Resultate seiner Forschungen niederlegte. Diese – leider zu spät erwachte – litterarische Schaffensfreudigkeit blieb lebendig, bis er, 89 Jahre alt, aber geistig jung und körperlich bis zum letzten Tage munter, am 12. October 1889 starb. Neben den bereits genannten Schriften erwähnen wir noch eine lateinische Jugendarbeit über die griechische Uebersetzung des Alten Testamentes, die Septuaginta (Bern 1823), seine Antrittsvorlesung über den Zusammenhang der griechischen Mythologie mit der ägyptischen (Bern 1830, ebenfalls in lateinischer Sprache geschrieben) und eine öffentliche Vorlesung über „Glauben und Schauen“ (Bern 1856), in welcher er einem vorausgegangenen Vortrag des naturforschenden Bruders über „Glauben und Wissen“ vom Standpunkt der denkenden Theologen geantwortet hat.

Nekrolog im Kirchenblatt für die reformirte Schweiz, 1889. – Ueber den Vater Samuel St. siehe Wolf, Biographien zur Culturgeschichte der Schweiz III, 409–422 (Zürich 1860).