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Artikel „Stoll, Heinrich“ von Friedrich Koldewey in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 36 (1893), S. 401–402, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Stoll,_Heinrich&oldid=- (Version vom 25. April 2024, 17:24 Uhr UTC)
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Stoll: Heinrich Wilhelm St. wurde am 16. Januar 1819 zu Sechshelden, einem Dorfe im ehemaligen Herzogthume Nassau, geboren. Er entstammte einer unbemittelten Bauern- und Bergmannsfamilie. Da er schon früh einen über das Dorfleben hinausstrebenden Sinn zeigte, so ließen ihn seine Eltern von 1831–1835 in dem benachbarten Städtchen Dillenburg das Pädagogium besuchen, eine Anstalt, welche die vier unteren Classen eines Gymnasiums umfaßte. Aber mehr vermochten sie nicht für ihn zu thun. Nach einjährigem Privatstudium erhielt er als Oranier vom Könige von Holland eine Geldunterstützung und besuchte nun von 1836–1838 die beiden obersten Classen des Gymnasiums zu Weilburg, das zu jener Zeit in dem Director Friedemann, sowie in dem älteren und jüngeren Krebs[WS 1] tüchtige Lehrer der beiden classischen Sprachen besaß. Im Frühjahr 1838 bezog St. die Universität Göttingen, um Philologie zu studiren. Zu seinen Lehrern gehörten an erster Stelle Karl Otfried Müller, Schneidewin und v. Leutsch[WS 2]. Im Seminar genoß er noch den Unterricht Mitscherlich’s, der wie eine ehrwürdige Ruine in die neue Zeit hineinragte. Bei Hoeck hörte er eine Vorlesung über römische Alterthümer. In die Philosophie wurde er durch Herbart und Ritter eingeführt, gesteht aber selbst, daß er es nicht weit darin gebracht habe. Am meisten wurde er von K. O. Müller angezogen. Unter seiner Leitung wendete er sich insbesondere dem Studium der griechischen Geschichte, Mythologie und Archäologie zu und gewann dabei jene Vorliebe für die reale Seite des classischen Alterthums, die für seine spätere schriftstellerische Wirksamkeit charakteristisch ist. Als Müller im Herbst 1839 seine verhängnißvolle Reise nach Griechenland antrat, schloß St. sich enger an Schneidewin an und wurde von diesem zu kritischen und litterarhistorischen Studien angeregt. Die erste Frucht derselben waren die im J. 1840 verfaßten „Animadversiones in Antimachi Colophonii fragmenta“. Das Werkchen war ursprünglich dazu bestimmt gewesen, K. O. Müller bei seiner Heimkehr im Namen des philologischen Seminars überreicht zu werden. Nach dem unerwarteten Tode des Gelehrten (1. August 1840 zu Athen) wurde es als Todtenkranz auf sein Grab gelegt (Piis Manibus C. Odofr. Muelleri has inferias vovebat sodalium Seminarii regii philol. Gotting. pietas).

Im Winter 1840/41 bestand St. sein Staatsexamen, versah vom Frühjahr 1841 bis Herbst 1842 eine Lehrerstelle an einer Privatschule zu Idstein, hielt dann am Pädagogium zu Dillenburg einen halbjährigen Probecursus ab und wurde an dieser Anstalt im Herbst 1843 als Collaborator angestellt. Zwei Jahre später siedelte er nach Wiesbaden über und wirkte an dem dortigen [402] Gymnasium zunächst als stellvertretender Lehrer, seit Ostern 1846 als Conrector. Im Herbst 1849 kam er nach Hadamar und übernahm den größten Theil des altclassischen Unterrichts, den bis dahin der nach München berufene Karl Halm ertheilt hatte. Infolge von confessionellen Spannungen – St. war evangelisch, das Gymnasium zu Hadamar katholisch – wurde er auf seinen Wunsch im October 1852 nach Weilburg versetzt. Dort hat er noch nahezu ein Menschenalter hindurch als Lehrer der alten Sprachen und der Geschichte gewirkt. Im J. 1858 wurde er zum Prorector, 1859 zum Professor ernannt. Als er zu Ostern 1884 in den Ruhestand trat, wurden ihm von seinen Schülern, Amtsgenossen und Mitbürgern Beweise einer herzlichen Anhänglichkeit und Verehrung dargebracht. Seine schriftstellerische Thätigkeit setzte er fast bis zu seinem Lebensende fort. Er starb am 19. Juni 1890 zu Weilburg.

Als Schriftsteller hat St. einen rastlosen Fleiß entwickelt. Seine zahlreichen Schriften, die theils als selbständige Bücher, theils in Zeitschriften und Sammelwerken (Lübker’s Reallexikon des class. Alterthums; Pauly’s Reallexikon der classischen Alterthumswissenschaft, 2. Aufl., I, 1 u. 2; Roscher’s Lexikon der griechischen und römischen Mythologie) an die Oeffentlichkeit getreten sind, beziehen sich fast ausnahmslos auf das classische Alterthum, indem sie daselbe nach seiner realen Seite hin der Jugend der höheren Schulen, wie auch weiteren gebildeten Kreisen verständlich zu machen suchen. Nur wenige von seinen Werken tragen ein rein gelehrtes Gepräge. Mit besonderer Vorliebe arbeitete St. auf dem Gebiete der antiken Mythologie. Sein „Handbuch der Religion und Mythologie der Griechen und Römer“, das zum ersten Male 1848 erschien, verfaßte er in der Absicht, die gewöhnlichen Handbücher aus den Schulen durch ein Buch zu verdrängen, das den Ergebnissen der neueren Wissenschaft gerecht würde. Mit wie glücklichem Erfolge diese Absicht erreicht wurde, geht daraus hervor, daß das Werk 1875 in 6. Auflage gedruckt und in acht fremde Sprachen (ins Dänische, Englische, Holländische, Italienische, Neugriechische, Ungarische, Russische und Isländische) übersetzt wurde. Eine populäre Mythologie der Griechen und Römer, die er unter dem Titel „Die Götter und Heroen des classischen Alterthums“ in zwei Bänden veröffentlichte, erlebte 1885 die 7., das gleichfalls zweibändige Werk „Die Sagen des classischen Alterthums“ 1884 die 5. Auflage. Auch von seinen übrigen Büchern sind mehrere wiederholt aufgelegt worden, so z. B. seine „Anthologie griechischer Lyriker für die obersten Classen der Gymnasien“, 2 Bde., 1874 zum vierten, seine „Geschichte der Griechen und Römer in Biographieen“ 1878 zum dritten Male. Ein vollständiges Verzeichniß der Stoll’schen Werke findet sich bei Hinrichsen, d. litter. Deutschland (1. Aufl., 1887) S. 628 f.

Vgl. außer einem biographischen Aufsatze in dem soeben erwähnten Werke von Hinrichsen: Weilburger Tageblatt, Jahrg. 1884, Nr. 85 u. 86; Jahrg. 1890, Nr. 143; Rhein. Kurier, Jahrg. 1890, Nr. 170. Daneben Stoll’s eigene biogr. Aufzeichnungen, die sein Sohn, Herr Prof. A. Stoll[WS 3] zu Kassel, dem Verfasser bereitwilligst zur Verfügung gestellt hatte.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Rudolf Krebs (1804–1881), Professor am Gymnasium zu Weilburg.
  2. Ernst von Leutsch (1808–1887), Professor der Philologie an der Universität Göttingen.
  3. Adolf Stoll (1850–1928), Professor am Friedrichs-Gymnasium zu Kassel.