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Artikel „Stobaeus, Johann“ von Robert Eitner in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 36 (1893), S. 261–262, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Stobaeus,_Johann&oldid=- (Version vom 26. Dezember 2024, 06:39 Uhr UTC)
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Stobaeus: Johann St., auch Stoboeus, ein der Königsberger Tonschule angehörender Componist, geboren am 6. Juli 1580 zu Graudenz, † am 11. September 1646 zu Königsberg i. Pr. Sein Vater hieß Jakob und die Mutter Agnes Koffnatzia. Er besuchte zunächst die Schule seiner Vaterstadt, ward aber 1595 nach Königsberg geschickt in die Schola parochialis zum Rector Valentinus Raschius, dessen Hausgenosse er war. 1600 bezieht er in Königsberg die Universität und kommt zugleich in das Haus Bernhard Tegius’, um dessen Sohn zu unterrichten. Schon seit dem Jahre 1599 war er ein Schüler Johann Eccard’s geworden, da die Neigung zur Musik immer stärker in ihm wurde. Vielleicht befand er sich auch unter den Chorsängern, die Eccard als herzogl. Capellmeister leitete und dieser lernte dadurch die Fähigkeit Stobaeus’ kennen. 1601 war St. angestelltes Mitglied der herzogl. Capelle und zwar als Bassist, 1602 wurde er zum Cantor an der Domkirche und Schule berufen, und bekleidete dies Amt bis er 1626 Capellmeister des Kurfürsten wurde; doch scheint es als wenn er beide Aemter vereinte, denn nach den Titeln seiner Werke nennt er sich 1627 noch Cantor und am 25. Februar 1627 zeichnet er als kurf. brandenburg. preuß. Capellmeister. Scheinbar war dies überhaupt nur ein Titel, denn eine Hofcapelle wird in Königsberg nicht mehr bestanden haben. Was sollte auch eine Hofcapelle ohne Hof, der seit dem Jahre 1608, als Johann Sigismund Kurfürst von Brandenburg wurde, nach Berlin verlegt war. St. war drei Mal verheirathet. 1604 hatte er die Wittwe Esther Möllerin zur Frau genommen, mit der er zwei Kinder zeugte, welche jedoch noch vor dem Vater starben. 1606 starb die Frau und er geht schon 1607 eine neue Ehe mit Elisabeth Hausmann ein, zu der ihm sein Lehrer Eccard den Hochzeitsgesang schreibt, wie v. Winterfeld im evangel. Kirchengesange II, 104 angiebt. Der Gesang ist bisher nicht wieder aufgefunden. Er zeugte mit ihr vier Kinder, 3 Töchter und 1 Sohn. Nur der Sohn überlebte ihn. 1616 starb die zweite Frau und am 10. Juli 1617 geht er eine dritte Ehe mit der Wittwe Regina Möller ein, wozu ihm kein Geringerer als Sweelinck in Amsterdam den Hochzeitsgesang übersendet. (Exemplar in der Univ.-Bibliothek in Königsberg.) Die Ehe war kinderlos und ward 1640 durch den Tod der Frau gelöst. Stobaeus’ letzter Gesang trägt das Datum, den 7. Mai 1646. Noch sei eines Gedichtes von Christoph Wilkan erwähnt, welches sich im 2. Theile der preußischen Festlieder von 1644 befindet; es ist an St. selbst gerichtet und enthält die Verse:

Dir Herr allein sei Lob! daß wir versteckte Preußen
In dieser Winckelwelt, Friedhalber, Selig heißen,
 Und dir als unsern Gott, durch diesen Lobgesang,
 Den uns Stobaeus lehrt, erweisen Ehr und Danck.
Viel tausend Christen jetzt in Deutschen Landen leben,
Die täglich, wie die Schaaf, den Halß zur Schlachtbank geben,
 Und hören ängstlich der Kriegs-Trombetten Schall,
 An stat des Kirchen-Lieds, Cartaunen Donnerknall etc.

Am Schluß heißt es:

Ich fürchte, wo der Todt uns diesen Mann wegrafft,
So bleibt in Preußen wol die Music abgeschafft.

Eccard und Stobaeus sind die Begründer des norddeutschen Choralgesanges, sowie Haßler ihn für Süddeutschland bearbeitete. Alle drei Meister waren weniger bestrebt neue Melodien zu erfinden, als die besten auszuwählen, dieselben mit einem würdigen, dabei einfachen harmonischen Schmucke zu umgeben und sie in der Weise der Gemeinde zugänglich zu machen. St. lebte in einer trüben Zeit und in gedrückten Verhältnissen, und Winterfeld glaubt, daß daher auch die [262] ernste und oft klagende Stimmung in seinen Compositionen herrühre. Man kann sich dieser Meinung nicht ganz anschließen, denn die Ausübung der Kunst hebt den echten Künstler über alles Erdenleid und läßt ihn während der Stunden des Schaffens seine Umgebung völlig vergessen. Er schwelgt während der Zeit nur in seiner Kunst und empfindet das größte Glück. Wenn sich daher St. einer mehr ernsten und klagenden Stimmung hingab, so lag dies in seinem Charakter, der dem Fröhlichen abgeneigt war. Man denke nur an Mozart und Beethoven. Mozart, stets in Geldnöthen und von Schuldnern und der Kränklichkeit seiner Frau bedrängt, schrieb die heiterste, fröhlichste Musik, während Beethoven, ein freier, selbständiger, wohlgestellter Mann, sich mit Vorliebe einer düsteren Stimmung hingab. Wir besitzen von St. eine Sammlung Motetten (Cantiones sacrae) zu 4 bis 10 Stimmen, denen sich 4 Magnificats anschließen, gedruckt in Frankfurt a. M. 1624 bei Aubrios und Schleich, in 6 Stimmbüchern mit 33 Gesängen (Exemplare in Elbing und Danzig, eine moderne Partitur in der kgl. Bibl. zu Berlin, Ms. T 115). Dann in Gemeinschaft mit Compositionen seines Lehrers: „Geistliche Lieder auff gewöhnliche preußische Kirchen-Melodeyen mit 5 Stimmen. Dantzigk 1634 bei Georg Rheten“, 5 Stb. mit 102 Liedern, von denen 57 von Eccard herrühren. Dies ist eine 2. Ausgabe der von Eccard 1597 herausgegebenen Sammlung, von St. mit seinen eigenen Liedern vermehrt. (Exemplare besitzen die Bibliotheken in Königsberg, Elbing, Kopenhagen und in Berlin defect.) Ferner „Preußische Festlieder mit 5, 6 und 8 Stimmen von Eccard und Stobaeus“, 2 Theile. Gedruckt zu Elbing 1642 bei Bodenhausen und der 2. Theil gedruckt in Königsberg 1644 bei Reusner, mit 26 und 35 Liedern, davon 14 von Eccard. 1653 besorgte Reinhard eine neue Ausgabe, vermehrt mit 3 Liedern von Heinrich Albert und verringert um 6 Lieder. Eine neue Partitur-Ausgabe gab G. W. Teschner 1858 bei Breitkopf & Härtel heraus. Außerdem schrieb er aber noch eine große Anzahl Gelegenheitsgesänge zu Trauer- und anderen Festlichkeiten, von denen die Bibliothek in Königsberg allein 282 aus den Jahren 1604–1658 besitzt, denen sich noch 6 Gesänge handschriftlich anschließen (siehe den Katalog von Jos. Müller). Die Berliner Bibliothek besitzt deren 8 im Druck. An St. ging die in Italien sich ausbildende Monodie und der Gesang mit einem begleitenden Baß spurlos vorüber. Warum sollte er davon nicht Kunde gehabt haben? Die handelführende Welt war damals die beste und schnellste Verbreiterin alles Neuen im praktischen und geistigen Leben, dennoch verschmähte es St., auch nur einen Versuch zu machen, sondern blieb bei seinem mehrstimmigen Gesangsatze mit contrapunktischer Führung der Stimmen, wie ihn das 16. Jahrhundert gepflegt hatte. Er hatte sich dermaßen in den protestantischen Choral vertieft, daß es ihm wohl undenkbar schien, ohne ihn überhaupt einen Tonsatz zu Stande zu bringen. Die Cantiones und Magnificats von 1624 scheinen überhaupt das einzige Werk zu sein, was außerhalb des deutschen Chorals steht. Wenn der Titel des Werkes mit Namen, Geburtsort und Amt nicht so genau verzeichnet wäre, so könnte man fast glauben, daß es nicht von ihm herrühre, besonders da es noch dazu in einer so entfernt liegenden Stadt erschien. Doch auch die Dedication rührt von ihm selbst her. Ein Verzeichniß seiner neu erschienenen Werke findet man in meinem Verzeichniß neuer Ausgaben alter Musikwerke. Biographische Quellen sind abgedruckt in Monatshefte für Musikgeschichte 3, 130. 15, 67. 16, 89. Winterfeld II, 103 behandelt ihn sehr umständlich, auch G. Döring in der Geschichte zur Musik in Preußen, Elbing 1852, widmet ihm einen besonderen Abschnitt.