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Artikel „Albert, Heinrich“ von Arrey von Dommer in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 1 (1875), S. 210–212, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Albert,_Heinrich&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 23:23 Uhr UTC)
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Albert: Heinrich A., Musiker und Dichter, geb. zu Lobenstein im Voigtlande 28. Juni 1604, studirte zu Leipzig die Rechte, darauf in Dresden Musik, ging 1626 nach Königsberg in Preußen und wurde 1631 Domorganist daselbst. Daß er ein Neffe des großen Heinr. Schütz gewesen, erfahren wir aus der Widmung und Vorrede des 2. und 6. Theils seiner Arien. Sein Todesjahr ist nicht sicher anzugeben, doch muß er 1655 oder 56 gestorben sein; denn aus dem J. 1655 kennt man noch Gelegenheitslieder von ihm[1], hingegen spricht Ambrosius Profe in der vom 9. Sept. 1656 datirten Vorrede zu seiner Leipziger Ausgabe von Albert’s Arien bereits von dem „seligen Herrn Heinr. Albert“. Diese damals Arien genannten Lieder und Gesänge sind es, wonach wir A. zu beurtheilen haben: er war eigentlicher Liedercomponist, man möchte fast sagen, schon nach modernem Begriffe. Gesammelt hat er selbst 8 Hefte, welche zuerst in einzelnen Stimmbüchern, dann aber 1642–50 in Partitur erschienen, und vor und nach seinem Tode verschiedentlich rechtmäßig aufgelegt und nachgedruckt wurden. In den schon etwas späteren (190 Stücke enthaltenden) Auflagen von 1650–54 führt die Sammlung folgenden Titel: „Arien, Etliche theils Geistliche, theils Weltliche, zur Andacht, guten Sitten, keuscher Liebe und Ehren-Lust dienender Lieder, Zum Singen und Spielen gesetzt etc.“ Theils sind sie einstimmig mit Generalbaß, theils drei- und noch häufiger fünfstimmig. Lesenswerth sind auch die Vorreden, worin A. uns von seinen Wünschen und Bestrebungen Rechenschaft gibt, viel Unterrichtendes mittheilt, und die schon durch seine Melodien eingeflößte Zuneigung zu ihm durch Bescheidenheit, Einsicht und Achtung vor allem Höheren noch verstärkt.

Zu seinem Dichterkreise gehörte Alles, was Königsberg an namhaften Poeten besaß: Simon Dach, A. selbst und sein Freund Robert Roberthin, Georg Mylius und Andere, denen auch Martin Opitz mit einigen Dichtungen sich anschloß. Ein besonderes Denkmal ihrer traulichen Vereinigung war die „Musikalische Kürbshütte“, eine Sammlung dreistimmiger Gesänge, welche alle „sehr beweglich, sowol in Worten als Klängen, die menschliche Hinfälligkeit vorstellen“. Ihrem Gegenstande nach sind die in den 8 Heften der Ariensammlung enthaltenen Stücke zum Theil Grab-, Hochzeits- und andere Gelegenheits-Lieder, eine dem Martin Opitz 1638 von A. und Simon Dach dargebrachte Musik; Gesänge zu akademischen Festen, Huldigungen an hohe Personen etc.; theils sind sie allgemein betrachtenden [211] und sittlichen Inhaltes, preisen die Tugend, verherrlichen die Natur; auch Wein und Liebe empfangen ihre Opfer, doch stets in den Grenzen harmloser wohlanständiger Heiterkeit und guter Sitte, Ueberschäumendes oder gar Unlauteres lag weder in A. noch in seinen Genossen. Geistliches und Weltliches (erst in späteren Ausgaben geschieden) steht friedlich beisammen, was damals keinen Anstoß erregte; wiewol A. für gut fand, dieser Mischung wegen in der Vorrede zum 1. Theile sich zu rechtfertigen.

Bedeutung für den protestantischen Gemeindegesang hat A. durch eine Anzahl in kirchlichen Gebrauch übergegangener Lieder. Von denen, deren Texte er auch selbst gedichtet hat, singen wir gegenwärtig nur noch das schöne Morgenlied „Gott des Himmels und der Erden“ (1643; Arien Thl. 5 Nr. 4, in 3theil. Takte, 5voc.). Unter seinen Melodien zu geistlichen Dichtungen Simon Dach’s hat nur ein Sterbelied für Roberthin „Ich bin ja Herr in deiner Macht“ mit dem Text zugleich bis auf unsere Zeit sich erhalten. Verschiedene andere zu eigenen und fremden Gedichten sind noch bis Ende des 18. Jahrhunderts von den Gemeinden gesungen worden. In der Erfindung einfacher schöner stimmungsvoller Melodien lag überhaupt Albert’s Stärke, weit schwächer ist er im Contrapunkt; doch sind seine 3stimmigen Sätze meist besser gearbeitet als die 5stimmigen, worin von individueller Entfaltung des Stimmlebens nicht viel zu finden ist. Von Ueberschätzung seiner Producte aber war auch gewiß niemand entfernter als er, der stets mit würdiger Bescheidenheit davon urtheilte und unsicher war, ob ihnen wol ein bleibender Werth beizumessen sei: einmal scheint es ihm zweifelhaft, ein andermal hofft er wieder, daß sie sich halten würden, wobei er aber stets „der Würde ihrer viel schönen Texte“ die Ehre gibt.

Ob und wie hoch der neue Stil, dem ein Theil seiner Gesänge angehört, bei ihrer großen Verbreitung in Anschlag zu bringen ist, wissen wir nicht. Jedenfalls aber war A. unter den Königsbergern der erste Anhänger des von Italien überkommenen und dort namentlich von Monteverde ausgebildeten, in Deutschland besonders durch Heinr. Schütz geförderten concertirenden und dramatischen Stils. Wahrscheinlich ist er zu Dresden bei seinem Oheim Schütz, den er hoch verehrte, in der Lehre gewesen, und auch später muß ein intimes Verhältniß zwischen ihnen bestanden haben, denn Schütz vertraute ihm Handschriften seiner Compositionen an (Arien 6. Thl.). Daß diese Anregungen bei A. Früchte trugen, ersieht man aus einer nicht unerheblichen Zahl seiner Gesänge, sowie aus den von ihm gegebenen Vorschriften für deren Ausführung. Die einstimmigen auf neue Art mit Generalbaß versehenen sind sehr zahlreich, und nicht wenige entfernen sich schon ebensoweit von der einfachen Liedform, wie sie in der Melodiebildung concertirender und dramatisirender Weise sich annähern: das Wort findet sorgsame Berücksichtigung, Melismen und Coloraturen bekunden die Vorliebe für lebhaft gefärbten Gesang, eine Mischung von getragener Melodie und recitirenden Partien zeigt das Streben nach Mannigfaltigkeit und Deutlichkeit des Ausdrucks im Einzelnen, während oftmals lebhaft bewegte Bässe das Bild leidenschaftlich erregter Tonempfindung vervollständigen. Manche der so gearteten Gesänge Albert’s haben schon eine ganz cantatenmäßige Gestalt: der Liedertext ist ganz durchcomponirt, eine Instrumentalsymphonie leitet ein, der Gesang ist ein- und zweistimmiger Sologesang, verschiedentlich durch Zwischenspiele abgewechselt, ein kurzer Chor oder auch ein Instrumentalnachspiel beschließt das Ganze. Hierher gehören u. a. jene Empfangsmusik für Opitz von 1638 (Arien 2. Thl. Nr. 20), ein Gesang bei Abreise des Kurfürsten von Brandenburg (1643, Th. 6. Nr. 11) und andere. Daß A. auch im Singspiele sich versucht hat, erfahren wir wenigstens aus der Vorrede zum 6. Theil der Arien (1645), wo er einer „im vorigen Jahre auf dem akademischen Jubelfeste erhaltenen und nachher wiederholten Comödien-Musik“ [212] gedenkt. Doch ist sie unbekannt geblieben, und wiewol A. größeren Werth darauf legte als auf seine Arien, fragt es sich doch, ob viel daran verloren ist. Man wird begreiflich finden, daß seine Versuche im dramatischen Stil überhaupt mehr als Belege für dessen Ausbreitung und Albert’s Mitstreben interessiren, als durch Kunstvollendung befriedigen; auch hinter seinen einfachen Liedern stehen sie an Abrundung weit zurück, wiewol seine Bemühungen um lebendigen deutlichen Ausdruck in jenen dramatisirenden Gesängen nicht ohne vortheihaften Einfluß auf die Bildung seiner einfachen Liedermelodien geblieben sein können.

Wie sehr es ihm aber am Herzen lag, der neuen Stilart bei seinem Publikum Eingang zu verschaffen und das richtige Verständniß dafür zu erwecken, zeigen endlich seine Vorschriften für ihre Ausführung durch den Sänger und den Generalbaßspieler. So soll der Sänger u. a. die Worte deutlich aussprechen, und in den Gesängen im genere recitativo ganz frei und ohne durch den Takt sich zu binden, dem Worte und Ausdrucke folgen. Der Generalbaßspieler soll nicht jede Note des Sängers harmonisch begleiten wollen, sondern ihn an passenden Stellen zu gehaltenen Accorden frei fortsingen und figuriren lassen, wie im modernen Recitativ und bei Coloraturen geschieht. Die Regeln, welche A. in der Vorrede des 2. Theils (1640) für den Generalbaß aufstellt, fanden schon Mattheson’s Zustimmung, indem er sie für „schön und bündig, in wenigen Worten viel sagend und lehrend, und für so vollständig, daß nichts Wesentliches daran fehle“ erklärt, worin man ihm beipflichten kann. – Der Hauptsache nach sind es jedenfalls seine einfachen Lieder, wodurch er seiner Zeit so werth geworden ist; hier konnten seine gesunde Ursprünglichkeit, natürliche Wärme und Innigkeit des Gefühls ersetzen, was an Stärke der Bildkraft und freier Beherrschung des Contrapunkts ihm abging. Meist durch bestimmte frohe oder trübe Ereignisse oder durch eindringliche Betrachtungen hervorgerufen, sind sie unmittelbare Ergüsse lebhaft erregter Stimmung, wirkten daher mit eben solcher Unmittelbarkeit nicht nur auf die Periode ihrer Entstehung, sondern überlebten zum Theil ihren Schöpfer noch geraume Zeit. Von seinen Leistungen auf der Orgel ist nichts bekannt und von Kirchenmusiken hat er nur ein Tedeum 3voc. aus dem Jahre 1647 hinterlassen. – (Biographisches über ihn geben Mattheson, Ehrenpf. 1–5 und Winterfeld, Kirchenges. II. 136.)

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. S. 210. Z. 20 v. o. ff.: Nach der Einleitung zu der inzwischen erschienenen Ausgabe der Gedichte des Königsberger Dichterkreises von L. H. Fischer (Neudrucke des 16. und 17. Jahrhunderts, Halle bei Niemeyer 1883) starb Heinr. Albert am 6. October 1651. Gelegenheitsgedichte von ihm aus dem Jahre 1655 sind nicht vorhanden. Seine Arien sind nicht zuerst in einzelnen Stimmbüchern, sondern sogleich in Partitur erschienen, Königsberg 1638–1654. Die Titel der beiden Sammelwerke lauten:

    Arien oder Melodeyen etlicher theils Geistlicher, theils Weltlicher, zu gutten Sitten vnd Lust dienender Lieder. In ein Positiv, Clavicimbel, Theorbe oder anders vollstimmiges Instrument zu singen gesetzt von Heinrich Alberten. Gedruckt zu Königsberg.

    Musicalische Kürbs-Hütte, Welche vns erinnert Menschlicher Hinfälligkeit, geschrieben vnd In 3 Stimmen gesetzt von Heinrich Alberten. 1641. [Bd. 21, S. 794 f.]