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Artikel „Stübel, Andreas“ von Friedrich Koldewey in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 36 (1893), S. 702–704, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:St%C3%BCbel,_Andreas&oldid=- (Version vom 24. November 2024, 12:24 Uhr UTC)
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Stübel: Andreas St. (oder auch Stiefel) wurde am 15. December 1653 zu Dresden als der Sohn eines dortigen Bürgers und Gastwirths geboren. Nachdem er bis in sein 15. Lebensjahr die Lateinschule seiner Vaterstadt besucht hatte, wurde er im August des Jahres 1668 auf die Fürstenschule zu Meißen aufgenommen, an deren Spitze damals (1664–1691) als Rector ein tüchtiger Lateiner, Joh. Georg Wilke (oder Wilcke), stand. Als St. diese Anstalt im October 1673 mit der üblichen Valedictionsrede verließ, um die Universität Leipzig zu beziehen, bezeugten ihm seine Lehrer u. a., die Schule verlöre in ihm „quasi partem sui pulcherrimam et delicium unicum Afrae gloriosamque materiam aemulandi“. In Leipzig verweilte er als kurfürstlicher Stipendiat 5 Jahre und widmete sich in dieser Zeit mit großem Eifer philosophischen, philologischen und theologischen Studien. Schon damals machte er sich durch seine Geschicklichkeit in der lateinischen und deutschen Versification bemerkbar. Im J. 1674 wurde er Baccalaureus, 1676 Magister der Philosophie. Nachdem er sodann einige Jahre lang Hauslehrerstellen in Weißenfels, Meißen und Dresden bekleidet hatte, wurde er 1682 an die Nicolaischule zu Leipzig als Collega Tertius berufen, vertauschte aber diese Stelle schon 1684 mit dem [703] Conrectorat an der Thomana. Durch seine Ernennung zum Baccalaureus der Theologie erlangte er 1687 die Berechtigung, an der Universität theologische Vorlesungen zu halten. Bald aber verwickelten ihn seine heterodoxen Ansichten über die Apokalypse und das tausendjährige Reich Christi, die er sowol mündlich vor seinen Zuhörern als auch in seinen Schriften verfocht, in widerwärtige Streitigkeiten, die schließlich 1697 seine Enthebung von seinem Schulamte, allerdings unter Beibehaltung seiner Besoldung, zur Folge hatten. Auch die Fortsetzung seiner theologischen Vorlesungen wurde ihm untersagt. St. ließ sich dadurch in seinen Wunderlichkeiten nicht irre machen und hielt sich allen Ernstes für einen Propheten. So weissagte er aus Anlaß der terministischen Streitigkeiten, – er selbst war wie Spener Terminist und vertheidigte die peremptorische Gnadenfrist, – daß für die Pietisten das Gnadenziel ganz sicherlich am 15. August 1700 eintreten werde. Und als die Schweden wenige Jahre darauf in Sachsen einbrachen, hielt er König Karl XII. und seine Gefährten für die Könige vom Aufgang der Sonne, von denen in der Offenbarung Cap. 16, V. 12 die Rede ist, und die Oder für den Euphrat, der vor ihnen ausgetrocknet sei. Im übrigen war er ein braver und rechtschaffener Mann, und seine chiliastische Schwärmerei hinderte ihn nicht, sich mit unermüdlichem Eifer seinen wissenschaftlichen Beschäftigungen zu widmen. Er entschlief nach kurzer Krankheit am 31. Januar 1725. Verheirathet war er mit einer Tochter des gelehrten Vesperpredigers oder Diakonus zu St. Nicolai, Lic. Joh. Thilo. Von seinen sieben Kindern überlebten ihn drei Söhne und zwei Töchter.

Stübel’s theologische Streitigkeiten, die seiner Zeit einiges Aufsehen erregten und in die pietistischen Wirren sich hineinflochten, sind für die specielle sächsische Kirchengeschichte nicht ohne Interesse; für weitere Kreise würde es jedoch ohne Bedeutung sein, näher darauf einzugehen und die dadurch hervorgerufenen Schriften dem Staube der Vergessenheit zu entreißen. Beachtenswerth aber ist auch heute noch die Wirksamkeit, die St. auf dem Gebiete der Philologie entfaltet hat. In dieser Hinsicht ist es in der That ganz richtig, was in einem ihm gewidmeten Nachrufe gesagt wird, daß er unter den Zeitgenossen nicht viel seinesgleichen gehabt hat. Seine Schulbücher: „Latinismus in nuce“ und „Graecismus in nuce“ wurden mehrmals aufgelegt, und auch sein „Novum Vocabularium Lipsiense“ fand in den Schulen Eingang. Für die gegen Ende des 17. und am Anfang des 18. Jahrhunderts sehr beliebten, wenn auch in wissenschaftlicher Beziehung wenig werthvollen sogenannten „Editiones ad modum Minellii“ (vgl. Bursian, Gesch. der class. Philologie, S. 375 f.) bearbeitete er den Nepos, den Curtius und Cicero’s Officien. Sein Hauptwerk aber, das als eine wahrhaft schätzenswerthe Förderung der lateinischen Lexikographie angesehen werden muß, bildet seine Ausgabe von Basilius Faber’s „Thesaurus“, die 1710 in einem starken Foliobande zu Leipzig unter dem Titel erschien: „Basilii Fabri Sorani Thesaurus eruditionis scholasticae post aliorum inprimis cll. virr. Augusti Buchneri et Christophori Cellarii iteratas operas iam accedentibus novis eiusdem Cellarii nec non cl. Joannis Georgii Graevii notis et observationibus postumis quin etiam M. A. S. additionibus et curis indiceque Germanico-Latino multo locupletior et correctior“. St. selbst gibt in der Vorrede die Zahl der von ihm hinzugefügten Worte auf über 7000 an. Aufs neue wurde das Werk mit Zusätzen von Joachim Jürgen 1717 herausgegeben. Erst durch die Neubearbeitung von Joh. Matth. Gesner wurde es ersetzt und verdrängt.

Vgl. Sicul’s Annales Lipsienses, Bd. III, S. 852–856. – Vorrede zu dem gedruckten Catalogus von Stübel’s Bibliothek, die im Mai 1725 zum öffentlichen Verkauf gestellt wurde. – Jöcher’s Gelehrten-Lexikon, Bd. 4, Sp. 904 f. – Zedler’s Universal-Lexikon, Bd. 40, Sp. 1301–1303. – [704] A. Forbiger, Gesch. der Nicolaischule zu Leipzig, Abthlg. II (Leipzig 1826), S. 14–16. Die letzten drei Werke bieten ein Verzeichnis von Stübel’s Schriften.

Ein älterer Bruder Stübel’s, Johann Jacob St., geboren im J. 1652, auf der Fürstenschule zu Meißen und der Universität Wittenberg vorgebildet. Magister und gekrönter Poet, wurde 1682 Rector in Annaberg, 1699 Conrector zu Meißen, übernahm 1705 das dortige Rectorat und bekleidete dasselbe bis zu seinem Tode im October 1721. Er machte sich besonders verdient durch die Sammlung und Herausgabe von Reden und Briefen des Wittenberger Professors der Poesie und Eloquenz August Buchner († 1661), die als Muster einer eleganten Latinität sehr hoch geschätzt und fleißig gelesen wurden (s. A. D. B. III, 485 ff.). Ein Verzeichniß seiner zahlreichen Schriften nebst einer kurzen Biographie findet sich bei J. A. Müller, Gesch. der Fürsten- und Landschule zu Meißen, Bd. II (Leipz. 1789), S. 123–128.