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Artikel „Stöger, Michael Franz“ von Karl Heinrich Hugelmann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 36 (1893), S. 319–322, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:St%C3%B6ger,_Michael_Franz&oldid=- (Version vom 25. Dezember 2024, 19:00 Uhr UTC)
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Stöger: Michael Franz St., Professor der politischen Wissenschaften an der Universität in Lemberg, wurde am 22. September 1796 in Wien in kleinen bürgerlichen Verhältnissen – sein Vater war ein aus Böhmen eingewanderter Schneidermeister – geboren. Als das allein heranwachsende Kind der Eltern erfreute er sich aber trotzdem des Segens eines innigen Familienlebens, und dieses, sowie die Einfachheit des häuslichen Kreises sind sichtlich die für die Entwicklung seines Wesens bestimmenden Jugendeindrücke gewesen. Von 1804 bis 1809 besuchte St. in seiner Vaterstadt die Normalschule (zu St. Anna), von 1809 an das Gymnasium (bei den Schotten), von 1815–1818 die philosophische, von 1818–1822 die juridische Facultät der Universität. Ein Stipendium und die Ertheilung von Privatunterricht verschafften ihm die Mittel zu dem Studium während der Gymnasialzeit; während der Universitätszeit half ihm, nach Ablegung der Privatlehrerprüfung, die Stellung als Erzieher in hervorragenden Familien Wiens über die Schwierigkeiten des Lebens hinweg, ja, er verblieb in dieser Eigenschaft im Hause des Freiherrn v. Löhr auch nach Absolvirung der Studien bis zu seinem Abgang nach Lemberg. Die reichen Verhältnisse, in welche er hierdurch trat, änderten aber nichts an der Schlichtheit seines Wesens, lockerten die Beziehungen zu seinem Elternhause nicht. „Wenn ich mich“, so lauten die charakteristischen Worte eines seiner Jugendbriefe nach einer glänzenden Unterhaltung, „in einer solchen Gesellschaft der ärmste unter allen meinen Nachbarn fühle, dann ist’s, als zöge mich’s weg, hinaus in die niedere, dunkle Wohnung der Eltern, als gehörte ich nicht eher in jene frohen Reihen, als bis ich ein besseres Schicksal für sie dauernd gründen würde können. Mit diesen ein enger, stiller Kreis, von mir geschaffen, mit meinen Lieben getheilt, ohne Ansprüche an die große, laute Welt, Gutes wirkend, schweigende Selbständigkeit genießend, wäre das höchste Ziel aller meiner Wünsche“. Diesen von kindlicher Liebe eingegebenen Jugendvorsätzen hat Stöger’s ganze spätere Lebensführung voll entsprochen.

Nach glänzend zurückgelegten Studien hatte St. 1820 das Doctorat der Philosophie, 1824 das Doctorat der Rechte erworben, und war von 1824 bis 1826 in der Vorbereitungspraxis zur Advocatur thätig gewesen, als ihm im Herbste 1826 unerwartet die Aufforderung zukam, die durch die Suspendirung Rembold’s erledigte Lehrkanzel der Philosophie an der Wiener Universität zu suppliren. Dieser Ruf entschied seine dauernde Wendung zum Lehrfache. Als Supplent unterzog er sich rasch mehreren Concursprüfungen für Universitätsprofessuren [320] (für Philosophie in Lemberg und Innsbruck, für Statistik in Lemberg und Wien, für Politik und Statistik in Graz), und ward am 11. März 1827 zum Professor der Statistik an der Universität in Lemberg ernannt. Diese Ernennung erschloß ihm nicht nur seine amtliche Lebensaufgabe, sie machte es ihm auch möglich, seine schon erkorene Braut heimzuführen und auch den oben ausgesprochenen Wunsch seiner Jugend zu verwirklichen.

Mit lebhaftem Eifer ergriff St. sein neues Lehramt. Dieses erstreckte sich schon im nächsten Studienjahre auch auf die Supplirung der Lehrkanzel der politischen Wissenschaften und die Aufgabe blieb auch eine doppelte, als St. im October 1829 förmlich zum Professor der politischen Wissenschaften ernannt wurde, denn er hatte noch durch zwei Jahre seine ursprüngliche Lehrkanzel der Statistik als Supplent zu versehen. In den folgenden Jahren (1832–1834) war St. wol von der Supplirung der zweiten Lehrkanzel befreit, es trafen ihn aber dafür andere amtliche Pflichten, so das Decanat der philosophischen Facultät, die Mitgliedschaft der Provinzial-Handelscommission; er verblieb daher, zumal seinem Lehramte ein fruchtbares, litterarisches Schaffen parallel ging, in einer umfassenden, rastlosen Thätigkeit, welche seine Kräfte um so rascher verzehrte, als ihn in naher Folge auch schwere Schicksalsschläge erschüttert hatten.

Im J. 1832 hatte St. seinen Vater an der Cholera verloren, welche Lemberg heimgesucht hatte, sein zweites Kind war dem Leben entrissen worden, er hatte seine Frau dem Tode nahe gesehen und, selbst wiederholt von Krankheit befallen, war manchmal das Vorgefühl des Todes über ihn gekommen. Aber trotzdem war der Ausgang der Krankheit, welche ihn am 18. Januar 1834 nach vier Tagen hinwegraffte, ein unerwarteter, und aus allen Stimmen, die sein Hinscheiden beklagen, klingt die Trauer über den jähen Hintritt des 38jährigen Mannes schmerzlich hervor. In ergreifender Weise kam die allgemeine Theilnahme bei dem Leichenbegängnisse zum Ausdruck, bei welchem Studenten die Leiche bis zu dem entfernten Friedhof trugen, und aus dem Kreise seiner Collegen (Haimberger von der juridischen, Nowotny von der philosophischen Facultät) wie seiner Hörer wurde dankbarer und ehrender Nachruf laut.

Ueberblicken wir nun Stöger’s litterarische Wirksamkeit, so haben wir es, obwol dieselbe nur in den fünf letzten Lebensjahren zu Tage tritt, mit einer reichen, sich sichtlich an alle Zweige seines Lehrberufs systematisch anschließenden Thätigkeit zu thun.

Nur die ersten Arbeiten in den Jahrgängen 1829 und 1830 der „Zeitschrift für österr. Rechtsgelehrsamkeit“ gehören der staatswissenschaftlichen Richtung nicht an; es sind dies drei eingehende Recensionen über civilrechtliche Schriften (von Scheidlein, Taglioni, Ascona), welche offenbar noch aus der Zeit der juristischen Praxis stammen. Alle anderen Arbeiten aber, welche sich theils in der „Zeitschrift für österr. Rechtsgelehrsamkeit“, theils in der Fortsetzung von Hormayr’s „Archiv“, dann in der „Steiermärkischen Zeitschrift“ und in der Lemberger „Mnemosyne“ finden, stehen in engem Zusammenhange mit der Thätigkeit auf dem Katheder und sind außerdem fast durchwegs noch näher bestimmt durch die Beziehung zu dem Lande seines amtlichen Wirkens, zu Galizien.

In den Jahrgängen 1832–1834 der Zeitschr. f. österr. Rechtsgelehrsamkeit sind in dieser Richtung zunächst mehrere Abhandlungen aus dem Polizeistrafrechte enthalten, dessen Vertretung damals in den Händen des Professors der politischen Wissenschaften lag, sodann eine Abhandlung „über das Auswanderungspatent in seiner derogatorischen Kraft“; die übrigen Arbeiten sind aus dem Studium der Landeskunde Galiziens hervorgegangen, und zwar beginnen sie im Jahrg. [321] 1829 der Zeitschr. f. österr. Rechtsgelehrsamkeit mit einer Abhandlung über „Die jüdische Bevölkerung in Galizien und ihre Evidenzhaltung“.

Jene Besonderheit Galiziens, welche allen Auswärtigen auffällig entgegentritt und welche deutsche Professoren auf galizischen Universitäten, so z. B. den Amtsvorgänger Stöger’s, Rohrer (s. A. D. B. XXIX, 64), wiederholt zu litterarischer Würdigung angeregt, hat also auch Stöger’s litterarisches Interesse in erster Linie gefesselt; diesem Thema verdanken wir zahlreiche weitere Arbeiten seiner Feder, welche sich schließlich zu dem Hauptwerke seines Lebens verdichteten. In dieser Richtung folgten nämlich in dem „Oesterreichischen Archiv“ der Aufsatz über „Die jüdische Realschule zu Brody“ (1829). „Notizen über die Lemberger und Bukowiner Judenschaft“ (1830), geschichtliche Andeutungen aus der politischen Gesetzgebung für Galizien über „Die Ackeransiedlungen der Juden in Galizien“, bis St. im J. 1833 mit seinem zweibändigen Werke „Darstellung der gesetzlichen Verfassung der galizischen Judenschaft“ (Lemberg, Prznmysl, Stanislawow und Tarnow. Kuhn u. Milikowski XVI u. 280, VI u. 202 S.) hervortrat, welches seine Bedeutung in der deutschen Litteratur dauernd festgestellt hat. Das Ziel der Arbeit ward von St. selbst klar und schlicht gekennzeichnet. „Das Werk hat nicht die Absicht, das Judenthum überhaupt zu schildern oder Verbesserungsvorschläge zu machen. Neben der viel betretenen Heerstraße, die zu Vorschlägen für die Vervollkommnung des Judenthums führt, läuft ein bisher seltener besuchter Weg zur Darstellung jener Mittel, wodurch die österreichische Regierung jenen Zweck wirklich erreichen will; eine große Zahl derselben ward für Galiziens starke Judenschaft ausschließend oder vorzüglich angewiesen; – eine zusammenhängende Darstellung derselben besitzen wir aber noch nicht, und nur diese allein ist mein Zweck.“ Dieser selbstgestellten Aufgabe ist St. vollkommen gerecht geworden; formell und materiell hat er seinen Stoff beherrscht und denselben in lichtvoller und objectiver Weise zur Darstellung gebracht. Der hervorragende Fachgenosse Stöger’s an der Wiener Universität, Prof. Springer, hat das Werk in der Zeitschr. f. österr. Rechtsgel. „mit Freuden als eines der gediegensten Producte“ der politischen Gesetzkunde angezeigt und neben der Bündigkeit des Urtheils und der Faßlichkeit des Vortrags ausdrücklich rühmend hervorgehoben, „es sei ihm kein Gesetz bekannt, welches in dem Werke übergangen oder nicht gehörig benützt worden wäre“.

Ist somit Stöger’s litterarischer Name auch vorwiegend mit dem Werke über das Judenthum verknüpft, welches von seinen Schriften allein selbständig erschien, so ging sein litterarisches Interesse doch in diesem Thema keineswegs auf; diese Arbeit war nur eine Etappe in der Durchforschung der Gesetzgebung und der Natur des Landes Galizien. Zunächst schloß sich in naturgemäßer Erweiterung des Studiengebietes eine Reihe von bevölkerungsstatistischen Arbeiten an („Allgemeine Bemerkungen über Lembergs Sterbelisten“; „Nazionalverschiedenheit in Galizien“; „Verhältnißzahlen der Ehen in Galizien“; „Bevölkerungsverhältnisse Galiziens; „Uebersicht des ersten Regulirungsplanes für das Kirchenwesen der nicht unirten Griechen in der Bukowina“ u. a. m. in den Jahrgängen 1832 und 1833 des Archivs), daneben blieb aber auch kaum ein Gebiet der Natur und Wirthschaft des Landes unberücksichtigt (a. a. O. von 1829–1833 „Ueber die Holz-Produkzion und Konsumzion in Galizien“; „Andeutungen über die Forstgesetze Galiziens“; „Ueber Galiziens Straßen“ u. a. m., ferner in der Steiermärkischen Zeitschrift [1834] über das sogenannte „Zur Hälfte Saën“ in Galizien). Die letzterwähnte Arbeit leitet zu jenem Gebiet hinüber, auf welchem die Studien und Sammlungen Stöger’s nach der Ueberlieferung am umfassendsten gewesen sind, nämlich jenem der bäuerlichen Unterthänigkeitsverhältnisse Galiziens.

[322] Schon in der obenerwähnten Recension hatte Springer die Aufforderung an St. gerichtet, auch das „Unterthansfach des Landes Galizien in seine Bearbeitung zu ziehen und so einem noch unbefriedigten Wunsche entgegenzukommen“. An der Verwirklichung dieses Planes wurde St. durch seinen frühen Tod gehindert, ebenso an der Fertigstellung eines Handbuches der politischen Gesetzkunde, dessen Ausarbeitung er im Aufttage der Regierung unternommen hatte. Aus den inhaltreichen Vorarbeiten, welche sich in dieser Richtung in seinem Nachlasse fanden, wurde nur ein schon vollendeter Aufsatz „über den Begriff der Gutsunterthänigkeit nach österreichischen Gesetzen“ in der Oesterr. Zeitschr. f. Rechtsgel. (1834) veröffentlicht; die weiteren Materialien, welche nach Haimberger’s Zeugniß nur noch die letzte Feile und Ordnung erwarteten, blieben unverwerthet, obwol sie in den Besitz von Stöger’s Nachfolger auf der Lehrkanzel (Nowak) gelangten.

Die litterarische Wirksamkeit Stöger’s gewinnt somit ihr charakteristisches Gepräge durch die Beziehung zu dem Lande Galizien, welches die Stätte seiner amtlichen Thätigkeit war, und daß diese Wirksamkeit des in dem Lande Eingewanderten daselbst keine unbemerkte geblieben, beweist die Thatsache, daß einzelne seiner Arbeiten in polnischen Zeitschriften übersetzt wurden. St. gehört in die Reihe jener Deutschen, welche sich um Galizien wohl verdient gemacht haben, und als Schriftsteller über die Verhältnisse dieses Landes wird ihm ein ehrenvoller Platz in der deutschen Litteratur und insbesondere in der österreichischen Rechtswissenschaft stets unbestritten bleiben.

Wurzbach, Biogr. Lexikon XXXIX, und die daselbst citirten Schriften. – Ferner: Ficker[WS 1], Der Unterricht in der Statistik an den österreichischen Universitäten und Lyzeen (Statistische Monatsschrift, 2. Jahrg., Wien 1876, S. 72 u. 73). – Die Vorlesungsverzeichnisse der Lemberger Universität und das Taschenbuch der Wiener Universität. – In der Lemberger Mnemosyne (1834, 21. Jänner, Nr. 6, S. 21 u. 22): Dem Andenken des Herrn Professors M. F. Stöger (4 Strophen, gez. Dr. F. X. Nowotny); Elegie am Grabe des Herrn Professors Stöger. Von den Hörern des 4. Jahrgangs der Rechte (4 Strophen, gez. Alex. Schädler); Nachruf in das Grab unsers unvergeßlichen Lehrers. – Mittheilungen des Sohnes von M. Stöger, Dr. Josef Stöger, Hof- und Gerichtsadvocat in Wien.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Arnold Ficker (1816–1880)