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Artikel „Spruner v. Merz, Karl“ von Karl Theodor von Heigel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 35 (1893), S. 325–328, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Spruner,_Karl&oldid=- (Version vom 7. Oktober 2024, 14:10 Uhr UTC)
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Spruner: Karl S. v. Merz, Historiker und Geograph, geboren zu Stuttgart am 15. November 1803, † zu München am 24. August 1892. Da der Vater, der k. Magazinverwalter Christoph v. S., schon 1807 starb, erhielt der Knabe die erste Erziehung im Hause seines Großvaters, der die Stelle eines k. Landsteuerers in Ingolstadt bekleidete. 1814 kam er als Eleve ins k. Kadettencorps zu München, wo er bis zu der 1823 erfolgten Ernennung zum Junker im 1. Jägerbataillon verblieb. 1825 wurde er zum Unterlieutenant im 9. Infanterieregiment befördert. Die schriftstellerische Laufbahn betrat er mit einer Schrift über „Baierns Gauen nach den drei Volksstämmen der Alemannen, Franken und Bajoaren“ (1831); er wendet sich darin gegen die Behauptung des bekannten Ritter v. Lang, daß zur Bestimmung der Gaugrenzen die Kenntniß der alten kirchlichen Eintheilung genüge, und führt den Nachweis, daß wenigstens im Herzogthum Baiern Gau- und Diöcesangrenzen durchaus nicht immer zusammenfielen. Auch mit einem poetischen Versuche trat der junge Officier in die Oeffentlichkeit; ein vaterländisches Schauspiel „Arco’s Heldentod“, das die bekannte Episode aus der Geschichte des Einfalles der Baiern in Tirol im J. 1703 behandelt, wurde 1834 bei einem sog. Theresien-Volksfeste in Bamberg im Freien aufgeführt. Die verdienstlichste Leistung Spruner’s ist der in den Jahren 1837 bis 1839 erschienene „Historisch-geographische Handatlas (2. Auflage 1854, 3., von Th. Menke neu bearbeitete Auflage 1862–1879). Das in drei Abtheilungen (Atlas antiquus, Atlas zur Geschichte der Staaten Europa’s von Anfang des Mittelalters bis auf die neueste Zeit, Atlas zur Geschichte Asiens, Afrikas, Amerikas und Australiens) zerfallende Werk bedeutet einen erheblichen Fortschritt gegen die älteren Leistungen. Der Herausgeber selbst bezeichnet als sein Princip: „Ein historischer Atlas, wie er sein soll, kann und muß wie eine gute Geschichte nur aus den Quellen selbst bearbeitet werden“. Selbstverständlich kann bei einem die gesammte Weltgeschichte umfassenden Werke nicht das Studium sämmtlicher Quellen verlangt werden, aber es wurden wenigstens überall die besten Vorarbeiten mit Geschick benützt, manche ältere Hypothesen berichtigt, manche neue auf haltbarem Grunde aufgestellt; die seither massenhaft angewachsene historische Literatur setzte den Nachfolger Th. Menke in Stand, die Leistung des Vorgängers wesentlich zu vervollkommnen, so daß der Spruner’sche [326] Atlas noch heute von Historikern und Geographen zu den geschätztesten Werken seiner Gattung gezählt wird. 1838 erschien ein von S. bearbeiteter Atlas zur Geschichte von Baiern, 1856 ein historisch-geographischer Schulatlas, 1859 auf Anregung König Maximilian’s II. eine historische Karte von Europa, Westasien und Nordafrika, im nämlichen Jahre als Beitrag zu den Monumenta saecularia der Münchener Akademie ein Atlas zur Entdeckungsgeschichte Amerikas mit Nachbildungen der in Münchener Bibliotheken verwahrten Originalkarten von Pedro Reinel, Vesconte del Majolo, Vaz Dourado u. A. Im Auftrag eines Vereines von Geschichtsfreunden, der sich die Aufgabe stellte, die Quellen zur deutschen Geschichte auch einem größeren Publicum zugänglich zu machen, veröffentlichte S. 1838 eine Uebersetzung der Langobardengeschichte des Paul Warnefried (nach einer Bamberger Handschrift aus dem 10. Jahrhundert). Im nämlichen Jahre erschien aus seiner Feder ein Leitfaden zur Geschichte von Baiern, der mehrere Auflagen erlebte. 1842 wurde der verdiente Kartograph und Historiker von der Münchener Akademie zum außerordentlichen, 1853 zum ordentlichen Mitglied ernannt; 1854 hielt er in öffentlicher Sitzung die Festrede über Pfalzgraf Rupert den Kavalier. In der militärischen Laufbahn rückte S. ziemlich langsam vor; erst 1847 wurde er zum Hauptmann befördert; die Bitte um eine seinen Kenntnissen entsprechende Verwendung wurde wiederholt abgeschlagen, vielleicht infolge einer Bemerkung, welche von einem Vorgesetzten am 7. Juni 1848 in die Qualificationsliste eingefügt wurde: „verrichtet seinen Dienst vorzüglich, glaubt jedoch irrig seine Autorität auf gewisse Zeitideen stützen zu können, die mit dem strengen Begriff der militärischen Disciplin sich nicht wohl vereinigen lassen“. Erst als König Friedrich Wilhelm IV. gelegentlich einer Parade seinen Schwager König Maximilian II. fragte, wie es denn komme, daß in Baiern ein Officier, der sich in der gelehrten Welt einen so ehrenvollen Ruf begründet habe, nicht auf wichtigeren Posten berufen werde, erging ein königliches Handbillet an den Kriegsminister (26. Febr. 1851), es sei unverzüglich für Hauptmann v. S. zur besseren Benützung seiner wissenschaftlichen Bildung eine passende Verwendung zu ermitteln. Darauf wurde S. zum Generalquartiermeister berufen; 1852 erfolgte die Beförderung zum Major, 1855 zum Oberstlieutenant. Zu nicht unwichtiger Wirksamkeit berief ihn die Ernennung zum Flügeladjutanten des Königs (1. Oct. 1855), die als ein Zugeständniß an die sog. altbairische Partei anzusehen war, da in diesen Kreisen ob der auffälligen Begünstigung Dönniges’ Unzufriedenheit herrschte. S. gewann das Vertrauen des Monarchen in so hohem Maaße, daß er bald zu den einflußreichsten Männern bei Hofe zählte und insbesondere bei allen wissenschaftlichen Unternehmungen des Königs zu Rathe gezogen wurde. Ihm wurde 1859 die Oberleitung über eine aus Officieren und Gelehrten zusammengesetzte Commission zur Herstellung einer bairischen Kriegsgeschichte übertragen; es erschienen mehrere Bände von Heilmann, Erhard und Wuerdinger, doch blieb das Werk unvollendet. Auch als König Max, von Ranke angeregt, den Plan faßte, eine Akademie deutscher Historiker als Mittelpunkt für die deutsche Geschichtsforschung ins Leben zu rufen, wurden S., Sybel und Rudhart als die ersten Mitglieder vom König ernannt und zugleich beauftragt, Anträge über die Berufung der ersten auswärtigen Mitglieder zu unterbreiten. S. vertrat in der gelehrten Tafelrunde am Hofe Maximilian’s II. ebenso bestimmt und beharrlich das großdeutsche, wie das liberale Princip; klerikalen Einflüssen trat er mit leidenschaftlichem Eifer entgegen, aber nicht minder mißtrauisch verhielt er sich gegenüber den norddeutschen „Berufenen“. Insbesondere die Entfernung des „Gothaers“ Sybel dünkte ihm aus Gründen einer „wahrhaft bairischen“ Politik unerläßlich. „Mir ist jede Denunciation fremd“, schrieb er am 17. Oct. 1859 [327] an den Cabinetssecretär des Königs, „wenn aber ein auch noch so klug verhülltes, aber gemeinschädliches Bestreben hervortritt, wie dasjenige, dessen Sybel von allen Seiten beschuldigt wird – es ist dies die allgemeine Stimme –, dann wäre längeres Schweigen Pflichtverletzung … Wie gesagt, ich kann nur anführen, was man allenthalben hört, und das ist, daß unbefangene, keineswegs der klerikalen Parthey angehörige Männer, freisinnige Protestanten wie Katholiken, denselben beschuldigen, für die Gothaer und die preußische Hegemonie offenbar Propaganda zu machen, und daß dies der Grundgedanke seiner politischen Anschauung ist, konnte er selbst in seiner längeren Unterredung mit mir nicht ganz unterdrücken. Seine Anschauung kann und darf ihm natürlich niemand bestreiten, ein anderes aber ist es, als Apostel für dieselbe aufzutreten!“ Solcher Einfluß müsse auf die jungen Leute im historischen Seminar und in den Vorlesungen schädlich wirken, und es könnte dahin kommen, daß „der Friede, der schöne Einklang gestört werde, der sich zwischen Fürst und Volk eben bei dem letzten Octoberfest als eine vieltausendstimmige Demonstration für diese Zusammengehörigkeit und gegen jeden Gothaismus als wahres Labsal für jedes bayrische Herz so herrlich aussprach“. Jede Sympathie des Königs für irgend eine Hegemonie, gleichviel ob preußische oder österreichische, sei eine Art politischen Selbstmords … „Sehr wünschenswerth wäre es, wenn Se. Majestaet sich entschließen könnten, in den Abendgesellschaften (es sind die bekannten Symposien gemeint) mehr Mischung eintreten zu lassen, denn Männer wie Pözl, Döllinger, Oberst Walther, Fentsch, Dollmann, Pettenkofer und wohl noch mancher andere Bayer haben sicherlich gesellschaftliche Bildung wie Kenntnisse genug, um sich neben den bisher Geladenen mit Ehren für unser Vaterland zeigen zu können“. An den größeren Unternehmungen der Historischen Commission betheiligte sich S. nicht; dagegen verfaßte er auf Wunsch des Königs eine ausführliche Beschreibung der „Wandbilder des bairischen Nationalmuseums (1858)“, die später unter dem Titel „Charakterbilder aus der bairischen Geschichte“ (1878) neu herausgegeben wurde, eine geschickte Compilation, die auf wissenschaftlichen Werth keinen Anspruch erhebt. Zu persönlichem Gebrauch des Königs fertigte er eine übersichtliche Tabelle der wichtigsten weltgeschichtlichen Epochen; dieselbe, als Manuscript gedruckt, gleicht in ihrer Form den kleinsten Taschenkalendern und ist nur ein paar Zoll hoch, da der König sie immer in der Westentasche mit sich führen wollte; ein zweites Exemplar kam in Besitz der Münchener Staatsbibliothek. Auch mit neuen dramatischen Arbeiten beschäftigte sich S., ohne sich günstigen Erfolges zu erfreuen. Im Januar 1861 wurde ein Schauspiel „Die Perle der Frauen“ „nach der Idee des London prodigal von K. S. Merz“ an der Münchener Hofbühne aufgeführt, jedoch vom Publicum abgelehnt. Eine bei der nämlichen Bühne eingereichte Bearbeitung von Shakespeare’s „Ende gut, Alles gut“ konnte, weil das bekannte Hinderniß einer öffentlichen Aufführung dieses Schauspiels nicht beseitigt war, nicht berücksichtigt werden. Ebenso wenig gelangten zwei Originalarbeiten, „Der letzte Bruderkampf im Hause Wittelsbach“ und „Die Wege des Glücks“ zur Aufführung. Das erstgenannte Drama, praktisch aufgebaut und reich an lebensvollen Scenen, schildert den Kampf des Mittelalters mit der anbrechenden Neuzeit; als Vertreter des feudalen Faustrechtsstaates geräth der trotzige Herzog Christoph von Baiern in Streit mit dem Vertreter des monarchischen Princips, Herzog Albrecht IV., dem Gründer der Primogenitur; zwischen beiden steht vermittelnd Kaiser Maximilian I., „der letzte Ritter“. Das Drama „Die Wege des Glücks“ (1875 als Manuscript gedruckt) hat, wie das bekannte Ausstattungsstück Sardou’s, die ränkevolle, sinnliche Gattin Kaiser Justinian’s, Theodora, zur Heldin; an poetischem Werth steht die ältere Leistung hinter dem Werk des [328] bühnengewandteren Franzosen nicht zurück. Ludwig II. ernannte den litterarischen Vertrauensmann seines Vaters zum Generaladjutanten; außerdem stand S., da ihm sein hohes Alter active Betheiligung an den Feldzügen der bairischen Armee nicht mehr gestattete, als Vorstand der Militärrechnungskammer und Militärfondscommission (1867–1870), später (1874–1877) dem Generalauditoriat vor, 1872 wurde er zum wirklichen Generallieutenant, 1883 zum General der Infanterie befördert, 1886 trat er in den Ruhestand. Aufsehen erregte ein 1876 anonym herausgegebenes Bändchen „Jamben eines greisen Ghibellinen“; es war ein öffentliches Geheimniß, daß der Verfasser kein anderer als General S. sei. Dies mußte füglich überraschen, da der Ghibelline „das neue Reich“ mit der preußischen Spitze begeistert feiert, vor falschem Particularismus warnt und dem König von Baiern zuruft: „Halt fest am Reich, Du und Dein ganzes Haus, Mit ihm steht es, mit ihm bräch’ es zusammen!“ Leidenschaftlich wendet sich der Dichter insbesondere gegen die „gaukelnden Priester“ und ihr „falsches Christenthum“, gegen den in Rom geschaffenen „neuchristlichen Olymp“, die heuchlerischen Streiter des sacre coeur u. s. w. Das Ganze ist ein feuriger Hymnus auf das geeinigte und von Rom befreite, neue Deutschland. „Nicht Pfaffenlist, noch Diplomatenkniffe, und Wälsche nicht und nicht verwälschte Deutsche, Mit Schaufelhüten oder Polenkrönlein, Nie sollen wieder sie den alten Hader, Nie sollen wieder sie den alten Jammer heraufbeschwören über unser Volk!“ Noch schärfere Angriffe werden in einer zweiten Sammlung „Aus der Mappe des greisen Ghibellinen, von C. v. S.“ (1882) gegen „die Heuchler und Fanatiker im Lutherrocke und in der Soutane“ gerichtet. „An der Schwelle des Todes“ verkündete der Achtzigjährige sein Glaubensbekenntniß: „Sank auch mein Kirchenglaube tief und tiefer, So höher flammte auf mein Christenglaube, Die innere Stimme, die mir Gott erweckt, Sie riß mich los von Erden Lust und Last!“ –

Nekrolog in der Münchener Allgem. Zeitung vom 26. Aug. 1892. – Personalacten und Briefe in der Geheimregistratur des k. Kriegsministeriums und anderen Münchener Archiven.