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Artikel „Sintenis, Karl Heinrich“ von Otto Kaemmel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 34 (1892), S. 402–404, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Sintenis,_Karl_Heinrich&oldid=- (Version vom 23. Dezember 2024, 07:58 Uhr UTC)
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Sintenis: Karl Heinrich S., Schulmann und theologisch-pädagogischer Schriftsteller in der Zeit des Philanthropinismus, wurde am 12. Juli 1744 in Zerbst als Sohn des Consistorialraths und Superintendenten Johann Christian S. geboren. Seine Gymnasialbildung erhielt er 1757–62 auf der Fürstenschule in Grimma, seine Universitätsstudien machte er in Wittenberg, wo ihn besonders der Philolog Hiller anzog. Dessen Empfehlung verdankte es S., wenn er, kaum 21 Jahre alt, 1765 als Conrector an das Gymnasium in Torgau berufen wurde. In dieser Stellung wirkte er unter dem Rector Christian Friedrich Olpe, einem tüchtigen Lateiner, bis dieser 1770 an die Spitze der Schule in Dresden-Neustadt, des jetzigen Realgymnasiums trat, und wurde dann 1771 in Torgau sein Nachfolger im Rectorate. Bei seinem Amtsantritt waren die Zustände der Schüler nicht eben erfreulich. Die drei unteren Classen trugen wie damals an den meisten sächsischen Gymnasien mehr den Charakter einer Bürgerschule, von der sie sich nur durch den Betrieb des Lateinischen unterschieden, und da der größte Theil der Schüler aus ihnen abging, ohne bis in die Tertia aufzusteigen, so hingen auch diese Classen mit den drei oberen nur äußerlich zusammen. Dazu waren die Gehalte der Lehrer selbst für die damaligen Verhältnisse erbärmlich und wurden nur durch Ertheilung von Privatstunden, die indeß einigermaßen dem Organismus des Unterrichts eingefügt wurden, etwas verbessert. Unter S. nahm die Anstalt einen gewissen Aufschwung, sodaß die drei oberen Classen, das eigentliche Gymnasium, von 45 auf 103 Schüler wuchsen. S. suchte wenigstens theoretisch die alte Lateinschule in eine den lebhaften Reformbestrebungen der Zeit gemäßere Gestalt zu bringen. In den zahlreichen kleinen Gelegenheitsschriften, die er damals schrieb, trat er für gründlicheren Betrieb der Muttersprache und für Pflege der neueren Sprachen, überhaupt für eine stärkere Berücksichtigung einer Erziehung fürs Leben ein. Von dem Philanthropinismus freilich, [403] dem soeben 1774 Basedow im nahen Dessau eine Heimstätte gegründet hatte, wollte er nichts wissen; in einer Schrift von 1776 bezeichnete er Basedow’s System geradezu als eine Barbarei („De elementis Basedovii elementis barbariae“) und die Pflege der Muttersprache sollte doch die herrschende Stellung des Lateinischen nicht beeinträchtigen. Schrieb er doch 1780 ein Programm de nimia sermonis patriae cultura hodiernae barbariae causa und sprach sich 1782 de germana scriptorum classicorum interpretatione noxia magis quam frugifera aus. In der That behauptete nun auch im Stundenplane seines Gymnasiums das Latein ein alles beherrschendes Uebergewicht. Denn 1775 beanspruchte es in der Prima und Secunda je 14 Stunden (von 31 bzw. 30 St.), in der Tertia 9 von 22, selbst von den Emendationsstunden noch abgesehen; das Griechische war auf 3, 2 und 1 Stunde beschränkt, dem Deutschen wurde nur in Secunda 1, der Geschichte und Geographie in I je 1 Stunde gewidmet; dafür waren für die Religionslehre 8, 10 und 8 Stunden angesetzt. Nach fast achtzehnjähriger Wirksamkeit in Torgau wurde S. als Rector des Gymnasiums nach Zittau berufen und trat dies Amt am 18. März 1783 an. Er fand hier sehr gleichartige Zustände vor und suchte zunächst in diesem Rahmen seine Anschauungen zur Geltung zu bringen. Demgemäß bekämpfte er auch hier die Grundsätze des Philanthropinismus, sprach sich gegen die stärkere Berücksichtigung der deutschen Litteratur aus („De lectione librorum germanorum juventuti scholasticae plerumque noxia“ 1792) und wandte sich scharf gegen die Schulkomödie, die gerade in Zittau von jeher besonders gepflegt worden war und noch unter dem Rectorate seines Vorgängers Adam Daniel Richter (1760–82) eine Nachblüthe erlebt hatte. Richter hatte sich dabei nicht auf lateinische Stücke meist geschichtlichen Inhalts beschränkt, sondern neben den deutschen Dramen Chr. Weiße’s auch Stücke von Voltaire (Tancred 1764) und Corneille (Polyeuctes 1767) und Lustspiele von Gellert zur Aufführung gebracht, sich endlich auch an Lessing’sche Stücke gewagt (1767 wurde der Schatz aufgeführt, 1768 Minna von Barnhelm, 1769 die Juden, 1771 der Misogyn, 1778 Emilia Galotti, diese in lateinischer Uebersetzung), ein immerhin bemerkenswerthes Beispiel für den Einfluß der aufsteigenden classischen deutschen Litteratur auf die Gelehrtenschulen. S. fügte sich anfangs dem Brauche, erklärte sich aber schon 1784 in seiner Schrift „Von dem Unnützen, Lächerlichen und Schädlichen der Schulbühne“ entschieden dagegen. Freilich mußte er diese Darstellungen später doch wieder zeitweilig aufnehmen (1788–90), weil, wie er kläglicherweise einzugestehen nicht umhin konnte, die Lehrer die daraus fließenden Einnahmen nicht zu entbehren vermochten. Im einzelnen ähnelte der Unterrichtsplan seines Gymnasiums dem Torgau’schen. Das Griechische, das in Tertia begann, war auf die Privatlectionen verwiesen, also ebensowenig ein Pflichtfach wie das Hebräische und Französische; das Deutsche wurde in den drei oberen Classen mit wenigen Stunden betrieben (in Tertia Grammatik, in Secunda Uebersetzungen, in Prima kleine Abhandlungen), daneben Prosodie, Rhetorik, Logik und Physik, in den unteren Classen Schreiben und Rechnen. Daß die Anstalt unter S. Tüchtigeres leistete als vorher, bezeugt ein gebildeter Reisender (C. G. Schmidt), der auch von Sintenis’ Persönlichkeit einen sehr günstigen Eindruck empfing. Nachdem S. 1786 das zweihundertjährige Jubiläum des Gymnasiums hatte feiern können, dachte er im Einvernehmen mit dem damaligen Bürgermeister K. G. Just schon 1792 daran, der Zeit vorauseilend, die drei unteren Classen seines Gymnasiums in eine selbständige „Bürgerschule“ zu verwandeln. („Beschreibung der Einrichtung der drey unteren Classen des Zittauer Gymnasiums als Bürgerschule,“ 1792). Wirklich genehmigte ein kurfürstliches Rescript vom 21. December 1795 die Ausführung des Planes; da S. aber für den Religionsunterricht den hannöverschen Katechismus einführen wollte, der der Geistlichkeit der Stadt nicht für streng-lutherisch [404] galt, so verwickelte er sich darüber in einen heftigen Federkrieg, und die neue Einrichtung verfiel darüber. Die ganze Angelegenheit sollte jedoch für seine Stellung noch verhängnißvoll werden. Denn seine eigene Rechtgläubigkeit war zweifelhaft geworden und 1796 ordnete ein kurfürstliches Rescript eine theologische Prüfung des Rectors, Conrectors und Subrectors vor einem der drei Landesconsistorien und ihre Verpflichtung auf die symbolischen Bücher an. Da Sintenis’ Standpunkt dabei Anstoß erregte, so wurde er schließlich nach heftigen Erörterungen zu Ende d. J. 1797 mit Pension aus seiner Stellung entlassen. Er zog sich darauf nach seiner Vaterstadt Zerbst zurück und war dort noch bis an sein Ende auf religiös-theologischem und philologisch-pädagogischem Gebiet litterarisch sehr thätig. Sein Hauptwerk in ersterer Beziehung ist das „Ausführliche Lehrbuch der moralischen Vernunftreligion“ 1802. Gestorben ist er in Zerbst am 14. Juni 1816.

Vgl. Otto, Lexikon der oberlausitzischen Schriftsteller III, 297 ff. 802, IV, 418. – Kneschke, in der lausitzischen Monatsschrift 1808. – Pescheck, Gesch. von Zittau I, 559 ff. 587. – (Sauppe,) Beitrag zur Geschichte des Gymnasiums zu Torgau (Progr. 1850), 9 ff. – H. Kaemmel, Rückblick auf die Geschichte des Gymnasiums in Zittau (1871), 43 ff.