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Artikel „Sextro, Heinrich Philipp“ von Paul Zimmermann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 34 (1892), S. 77–79, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Sextro,_Heinrich_Philipp&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 16:24 Uhr UTC)
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Sextro: Heinrich Philipp S. (Sextroh), geboren am 28. März 1746 zu Bissendorf im Osnabrückschen, verlor schon nach wenigen Monaten seinen Vater, den Prediger H. H. Sextro, der am 7. September 1746 plötzlich von dem Jäger des katholischen Gutsherrn ermordet wurde. Die Wittwe Anna Maria, geb. Meyer, die zweite Frau Sextro’s, zog mit den zahlreichen Kindern nach Osnabrück, wo vorzüglich ihr Bruder, Pastor Meyer, sich ihrer auf das hülfreichste annahm. Die erste Erziehung verdankte S. seiner Mutter, die eine tüchtige und streng religiöse Frau für ihre Familie keine Mühe scheute und nicht zum mindesten durch ihrer Hände Arbeit sie in rechtlichster Weise durchbrachte. Vom siebenten Jahre an besuchte S. das Gymnasium zu Osnabrück. Da er aber bis zum zwölften Jahre sehr kränklich war, so machte er anfangs nicht besondere Fortschritte. Doch holte er, als eine Badekur in Pyrmont ihm die besten Dienste gethan hatte, das Versäumte bald wieder ein und auf das sorgfältigste vorbereitet, konnte er Ostern 1765 die Universität Göttingen beziehen, wo er sich bei Walch, Leß, Michaelis u. s. w. hauptsächlich dem Studium der Theologie widmete, aber auch Philosophie bei Hollmann, Geschichte bei Gatterer und Pütter, griechische und römische Litteratur bei Heyne hörte. Letzterer nahm ihn auch in sein philologisches Seminar auf und seiner Empfehlung hatte er es vornehmlich zu danken, daß er bereits im April 1768 in Hameln als Conrector eine Anstellung fand. Diese Stelle vertauschte er im Mai 1772 mit dem Rectorate der Altstädter Schule zu Hannover, das er bis 1779 inne hatte. Hier entstand seine Freundschaft mit J. Ch. Salfeld, damals Inspector des Schullehrerseminars, die ihr Leben lang währte; auch vermählte er sich in dieser Zeit (27. August 1777) mit Kath. Elis. Mueß, der früh verwittweten Tochter eines Kaufmanns Mueß in Osnabrück, die kurze Zeit an einen Kaufmann gleichen Namens verheirathet gewesen war. Da er trotz großem Eifer für das Schulwesen, mit dem er sich zugleich theoretisch beschäftigte, auch die geistliche Laufbahn sich offen halten wollte, so bestand er 1775, und zwar mit dem Prädicat ’optime‘, das Consistorialexamen. Das ihm unter der Hand gemachte Anerbieten, als zweiter Hofprediger nach London zu gehen, lehnte er ab; doch folgte er bald darauf einem Rufe an die Albanikirche in Göttingen, wo er am 2. Mai 1779 als Pastor eingeführt wurde. Neben seinem Pfarramte nahm er sich auch eifrig der öffentlichen Angelegenheiten an, wie z. B. als Mitglied der Armen-Administration (1780–85) der Armenpflege. Ganz besonders suchte er aber die studirenden Theologen durch Anleitung zu den Pastoralgeschäften für ihren künftigen Beruf vorzubereiten. Zu diesem Zwecke kündigte er Ostern 1782 am Schlusse einer kleinen Schrift: „Ueber Materialien zum Religions-Vortrage an Kranke“ ein theologisch-praktisches Collegium an, worin mit Vorlesungen über die ganze Pastoraltheologie Pastoralübungen im Krankenhause verbunden wurden. Diese Bestrebungen, die er in voller Uebereinstimmung mit dem Universitätsprediger Koppe verfolgte, fanden den Beifall der Regierung; am 3. März 1783 wurde das Pastoralinstitut zu einer öffentlichen Anstalt erhoben und am 8. December 1784 wurde er zum außerordentlichen Professor der Theologie ernannt. Ende des Jahres 1788 erhielt er eine so vortheilhafte Berufung nach Helmstedt, daß [78] er sie annahm, obwohl man ihn in Göttingen durch das Angebot einer ordentlichen theologischen Professur zu halten suchte. Er wurde in Helmstedt ordentlicher Professor der Theologie, Generalsuperintendent, erster Prediger der Stephanikirche und Abt von Marienthal. Ehe er noch seine Stellung im Anfange des Jahres 1789 antrat, wurde er am 6. December 1788 an derselben Hochschule zum Doctor der Theologie befördert. Sextro’s Wirksamkeit in Helmstedt war eine sehr erfolgreiche. Er las außer exegetischen und dogmatischen Collegien ganz besonders über Moral und ’praktische Religion‘, wie er eine seiner Vorlesungen nannte. Mit den theologischen Studien waren philosophische stets eng bei ihm verbunden und vor allem hatte er bei seiner Lehre praktische Ziele, die Ausbildung der Theologen zu tüchtigen Seelsorgern, im Auge. Ueber die Art seines Unterrichts äußerte sich einer seiner bedeutendsten Schüler, der ehrwürdige Bischof Dräseke, später folgendermaßen: „Es leuchtete mir bald ein, daß sich Wissenschaft, Geistestiefe, Scharfsinn und sittlicher Ernst in diesem verehrungswürdigen Theologen zu schönem Bunde vereinigten. Philosophischer Blick, an dem Systeme des Königsbergischen Weisen geübt, strahlte noch mehr hervor, wie es schien, als Gelehrsamkeit; und in dieser stand das Sachliche höher als das Sprachliche.“ Obwohl S. zur Vollendung größerer von ihm geplanter Werke niemals gelangte – das beinahe vollendete Manuscript einer umfangreichen Arbeit über Moral verfiel durch das Ungeschick eines Bedienten dem Flammentode –, so erfreute er sich doch in den akademischen Kreisen des höchsten Ansehens. Das zeigte sich u. A. darin, daß er sowohl 1790 als auch 1795 zum Mitgliede der Commissionen erwählt wurde, die über eine Neugestaltung, wie über eine Verlegung der Universität nach Wolfenbüttel oder Braunschweig berathen sollten. Die politischen Verhältnisse, die Beschränktheit der Geldmittel u. s. w. hinderten die Ausführung der gefaßten Pläne. Die hierdurch für die Professoren verursachte Ungewißheit ihrer Stellung war wohl für S. der Hauptbeweggrund, Helmstedt zu verlassen und als erster Hof- und Schloßprediger, wirklicher Consistorialrath und Generalsuperintendent der Grafschaft Hoya nach Hannover zu gehen. Mit lebhaftem Bedauern wurde ihm unterm 4. September 1798 in Helmstedt der Abschied ertheilt. Auch S. wurde die Trennung schwer, zumal seine kränkliche Frau eine lebhafte Abneigung gegen die Stadt Hannover empfand. Es hatten längere Verhandlungen mit S. stattgefunden, in denen u. A. auch seine Anstellung als Consistorialrath in Wolfenbüttel erörtert worden war. Denn er besaß eine besondere Neigung für die Leitung des Schulwesens, dem er schon in seiner Inspection zu Helmstedt, wie die 1791 eröffnete Industrieschule beweist, trotz dem Widerstreben der dortigen Bürgerschaft erfolgreiche Fürsorge gewidmet hatte. Selbst als bereits seine Nachfolger so gut als ernannt waren, versuchte er noch einmal, jetzt allerdings vergeblich, in seiner alten Stellung zu bleiben. Dennoch söhnte er sich mit seinem Aufenthalte in Hannover, wo er ein weiteres Wirkungsfeld und viele alte Freunde, wie Salfeld, fand, sehr schnell aus und entwickelte auch hier bis in sein hohes Alter hinein eine sehr segensreiche Thätigkeit. Die Hoyasche Generalsuperintendentur vertauschte er 1805 mit der Kalenbergischen. Im J. 1802 wurde er Decan des Stifts Ramelsloh und damit Mitglied der Lüneburger Landschaft. Als solches wurde er 1803 dem in Hannover niedergesetzten Landes-Deputations-Collegio beigegeben. Da dieses den damaligen französischen Gewalthabern in der Contributionsbewilligung nicht nach Wunsche zu Willen war, so wurde es 1807 aufgelöst und S. ward mit zwei Genossen als Gefangener nach Hameln gebracht und dort unter polizeiliche Aufsicht gestellt. Auch später sprach er sich in der westfälischen Zeit mit solchem Freimuthe über die Verhältnisse aus, daß seine Freunde wiederholt für ihn fürchteten. Sehr betrübte ihn die Ende des Jahres 1812 vollzogene Aufhebung der Schloßkirche, in der dann aber nach [79] dem Sturze der Fremdherrschaft am zweiten Advent 1813 zu seiner lebhaften Freude der Gottesdienst wieder eröffnet wurde. In den folgenden Jahren (1814–22) gehörte er auch der Ständeversammlung des Königreichs Hannover an. Allmählich nöthigte ihn aber das Alter, seine umfassende Thätigkeit mehr und mehr zu beschränken. So stellte er 1822 das Predigen ein und 1825 hielt er zum letzten Male die Confirmation ab. Am 1. März 1830 wurde ihm noch der Titel eines Oberconsistorialraths verliehen, aber 1833 gab er die Consistorialarbeiten im wesentlichen auf; 1836 legte er auch das Decanat von Ramelsloh nieder. Denn im Frühjahre 1833 hatte er einen Schlagfluß gehabt, dem längere Lähmung gefolgt war. Blieb er nun auch körperlich schwach und gebeugt, so bewahrte sein Geist doch Regsamkeit und Frische; die wissenschaftliche Beschäftigung und den Umgang mit strebsamen Jünglingen setzte er bis zu seinem Tode fort, der am 12. Juni 1838 erfolgte. Seine Frau war bereits 1820 während eines Besuches in Hunteburg gestorben. Da die Ehe kinderlos geblieben war, so bestimmte S. den größten Theil seines Vermögens zu zahlreichen Vermächtnissen für Kirchen- und Schulzwecke, wie für Armen- und Wohlthätigkeitsanstalten. Insbesondere bedachte er hier, da ihm die wissenschaftliche und praktische Ausbildung der Candidaten und Prediger stets vorzüglich am Herzen gelegen hatte, das Predigerseminar in Hannover, dem er auch seine reiche Bibliothek zuwandte.

Vgl. Fr. Rupstein, Heinr. Phil. Sextro. Eine Gedächtnißschrift. Hannover 1839. – Akten des herzogl. Landeshauptarchivs in Wolfenbüttel.