ADB:Severin, Julius
Böcklin erinnerndes Farbenexperiment, dessen Vollendung wieder unterblieb. S. ist jenen Naturen beizuzählen, welche, unter weniger günstigen Verhältnissen zu energischer Arbeit getrieben, [77] in ihren Productionen vielleicht glücklich geworden wären. Er blieb stehen, weil ihm alle Wege geebnet waren, während ein anderer mit Ueberwindung der materiellen Schwierigkeiten, die sich fast unübersteiglich quer über die Lebensbahn werfen, die beste Kraft im Kampfe um das Dasein vergeudet. Von diesem Gesichtspunkte betrachtet, ist auch Severin’s Leben lehrreich und mahnend.
Severin: Julius S., Genremaler, wurde von sächsischen Eltern stammend (der Vater soll 1883 noch als Arzt zu Cannes gelebt haben) am 29. April 1840 zu Rom geboren, kam 1865 nach München, wechselte, in behaglichen Verhältnissen lebend, seinen Aufenthalt, bis er sich 1870 ganz in der Isarstadt niederließ. Ohne einer Schule oder einer bestimmten Richtung anzugehören, begann er als Autodidakt verschiedene seltsame oder bizarre Stoffe, um selbe unvollendet auf weiteres zurückzustellen, wenn ein frischer Einfall, wozu dann wieder neue Studien gemalt wurden, die Aufmerksamkeit reizte und spannte. So hatte er unseres Wissens noch kein Werk zu stande gebracht, als er am 19. Mai 1883 vom Frühstückstisch aufstehend durch einen plötzlichen Tod aus dem Leben gerissen wurde. Unter seinem im Kunstverein ausgestellten Nachlasse waren nur ein paar, früher beiläufig beendete, etwas gequält aussehende Genrestücke, ein Capri-Mädchen mit Krug und Rechen (1878) und eine wenig anmuthende Italienerin, welche in steiler Felsgegend, unterstützt von ihrem hübschen Töchterchen, mit ihrem auf dem Haupte getragenen schweren Fruchtkorbe rastet – ein Bildchen von tiefer, ernster, fast rauchiger Farbe und Stimmung. Unmittelbar nach der Natur skizzirt schien ein schattiger, unter imposanten Bäumen hinführender Waldweg, auf welchem ein betender Mönch auf seinem Grauohr einhertrabt; S. hatte die Scenerie offenbar nach dem ersten Eindrucke mit freudiger Frische niedergeschrieben und dann wieder beiseite geschoben. Ebenso sicher war ein Frühlings-Morgenspaziergang dreier singender Mädchen angelegt, welcher gleichfalls wieder Fragment blieb. Weniger ansprechend wirkte die Skizze zu einem Zimmer mit Putzmacherinnen, deren frische Gesichter mit den häßlichen Haubenstöcken von Pappe contrastiren sollten. Nach originellen Einfällen haschend, begann er eine mit dem Rücken nach dem Beschauer gewendete nackte Schäferin, welche in grüner Wildniß ihren ganz naturalistisch gemalten Haidschnucken auf einer modernen Fiedel vorspielt – ein an- Vgl. Beilage 181 „Allgemeine Zeitung“ vom 1. Juli 1883. – Kunstvereinsbericht für 1883. S. 79. – Lützow’s Zeitschrift XVIII, 577.