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Artikel „Schiegg, Ulrich“ von Karl Maximilian von Bauernfeind in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 31 (1890), S. 180–183, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Schiegg,_Ulrich&oldid=- (Version vom 7. Oktober 2024, 05:18 Uhr UTC)
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Schiegg: Ulrich S., geb. am 3. Mai 1752 zu Goldbach[1][2] an der Fils bei Wiesensteig (damals noch bairisch), † am 4. Mai 1810 zu München als Rath der K. Steuerkatastercommission daselbst, um welche er sich theils durch seine genauen geodätischastronomischen Bestimmungen für die Landesvermessung theils durch vorzügliche wirthschaftliche Arbeiten für die Einwerthung der Grundstücke nach ihrer natürlichen Bodengüte (Bonitirung und Classification) große Verdienste erworben hat. Nach seinem Entwicklungs- und Bildungsgange war ein solcher Abschluß des Lebens Ulrich Schiegg’s nicht zu erwarten. Denn als der Sohn armer Bauersleute trat er nach vollendeten Gymnasialstudien im Septbr. 1771 in dem Reichsstifte Ottobeuern als Religiose des Benedictinerordens ein, wo er sich durch Fleiß, Eifer und Wohlverhalten nach vier Jahren die Priesterweihe und bald darauf das Amt eines Stiftsökonomen erwarb. Seine natürliche Begabung brachte es mit sich, daß er neben seinen theologischen Studien besonders ernstlich auch jene der Mathematik und Physik mit ihrer Anwendung auf Astronomie betrieb; wofür als Beweis die Thatsache angesehen werden kann, daß er wenige Monate nach Erfindung des Luftballons durch Montgolfier in Paris zuerst im Januar 1784 einen kleineren und dann am darauf folgenden 16. Mai einen größeren von ihm selbst verfertigten Ballon zum allgemeinen Vergnügen der Einwohner von Ottobeuern und Umgebung in die Luft aufsteigen ließ. Der große mit einer von S. verfaßten lateinischen chronologischen Inschrift versehene Luftballon fiel drei Meilen von Ottobeuern entfernt in dem reichsgräflich Truchseß’schen Gebiete nieder und wurde von dessen Besitzer mit einem Glückwunsche und dem Anerbieten des Bürgerrechts von Wurzach an seinen Absender zurückgeschickt. Dieses bald darauf urkundlich verbriefte Recht hat S. später, mit des Grafen Truchseß Genehmigung, an einen unbemittelten Eingeborenen des Orts verschenkt, seinen Versuch aber mit dem kleinen Ballon beschrieb er in einer gedruckten Abhandlung: „Nachricht über einen ärostatischen Versuch, welcher im Reichsstifte Ottobeuern am 22. Jänner 1784 vorgenommen worden ist“ (Ottobeuern, bei K. Wankenmüller).

In dem nämlichen Jahre 1784 begann unter Schiegg’s Leitung eine topographische Aufnahme des ganzen zum Reichsstifte Ottobeuern gehörigen Gebiets, bei welcher für alle Ortsgemeinden und Besitzungen besondere Flurpläne und Grundbücher hergestellt wurden. Nach Vollendung dieser immerhin sehr beachtungswerthen Arbeit erhielt S. von seinem Prälaten Honorat den Auftrag, für [181] die Religiosen des Klosters Philosophie zu lehren, und als er sich hier als ein sehr befähigter Docent erwiesen hatte, wurde er im Jahre 1791 an die Universität Salzburg als öffentl. ordentl. Professor der philosophischen Facultät berufen, um an ihr das Lehramt der Mathematik und Physik nebst Astronomie auszuüben; eine Aufgabe, die er neun Jahre lang mit allgemeinem Beifall löste. In jener Zeit (und zwar 1796) veröffentlichte er bei Duyle in Salzburg eine zweite Abhandlung „Ueber Reibung und Steifigkeit der Seile als Hinderniß der Bewegung bei Maschinen“, die deutlich erkennen ließ, daß S. auch in der theoretischen Mechanik sehr gründliche Kenntnisse besaß.

Im Jahre 1800 wurde er, trotz den Gegenvorstellungen der Universität und selbst des Erzbischofs von Salzburg, von seinem bejahrten Prälaten, der seiner in Verwaltungsgeschäften dringend bedurfte, wieder in das Kloster zurückgerufen und ihm die Aufsicht über alle Stiftsrevenuen und die Oberleitung aller Oekonomieämter übertragen. In dieser Stellung verblieb er jedoch nicht lange; denn im Jahre 1803 wurde das Reichsstift Ottobeuern mit vielen anderen Klöstern in Baiern säcularisirt und S. als Astronom an der im nordwestlichen Thurme des ehemaligen Jesuitencollegiums eingerichteten akademischen Sternwarte, welche zugleich dem topograpischen Bureau zu dienen hatte, angestellt. Gleichzeitig wurde er zum Mitgliede der Akademie der Wissenschaften ernannt und als Professor reactivirt. Als Astronom besorgte er vor allem die Fortsetzung der von seinem Vorgänger im Amte, dem französischen Ingenieurgeographen Henry begonnenen astronomischen Bestimmungen für das Dreiecksnetz der topographischen Landesaufnahme, und als Mathematiker und Physiker übernahm er gerne auch andere wichtige Aufträge der Staatsregierung, wie z. B. die Regelung der baierischen Maße und Gewichte. Mit Reichenbach und Liebherr bereits befreundet, stand er diesen hochgeschätzten Mechanikern mit seinem wissenschaftlichen Rathe bei, als sie im Jahre 1804 mit Joseph Utzschneider das nach allen dreien benannte mechanische Institut gründeten; sowie er es auch war, der den von Utzschneider ihm übergebenen und nachmals als Optiker so berühmt gewordenen Glaserlehrling Joseph Fraunhofer in Mathematik und Physik mit dem besten Erfolge unterrichtete.

Als S. zu Anfang des Jahres 1805 noch mit der Fortsetzung seiner zur Orientirung des vom topographischen Bureau angelegten Hauptdreiecknetzes dienenden astronomischen Beobachtungen beschäftigt war und eben die Polhöhe seiner Sternwarte bestimmt hatte, überraschte ihn am 10. März des genannten Jahres die Enthebung von seinem ihm liebgewordenen Posten und gleichzeitig die Ernennung zum ordentlichen öffentlichen Professor der Astronomie und höheren Mathematik an der Universität Würzburg, womit der Auftrag verbunden war, die astronomischen Instrumente der Sternwarte sofort an den schon im Vorjahre aus Göttingen berufenen Astronomen Seyffer auszuliefern. Diese Verfügung des kurfürstlichen Ministeriums schmerzte den verdienstvollen Mann so sehr, daß er sich entschloß, das ihm übertragene Lehramt in Würzburg nicht anzunehmen und lieber in den Ruhestand zu treten, als dem praktischen Messungsgeschäfte zu entsagen. Unter diesen Umständen erschien ihm eine allerhöchste Verfügung des Kurfürsten Max Joseph vom 5. Decbr. 1805, welche ihn mit der Leitung der trigonometrischen Operationen der fränkischen Gebietstheile Baierns beauftragte, als eine wahre Wohlthat. Unermüdlich förderte er mit dem für die Markgrafschaft Ansbach von König Friedrich Wilhelm III. schon vorher abgeordneten preußischen Commissär J. G. Soldner (siehe daselbst) die Vorarbeit zur Triangulation Frankens, bis dieselbe durch die für Preußen unglücklich ausgegangenen Schlachten von Jena und Auerstädt unterbrochen und Soldner nach Berlin zurückgerufen wurde. Im Jahre 1807, als Joseph v. Utzschneider wieder in den Staatsdienst des nunmehrigen Königreichs Baiern eingetreten war, und zweifelsohne auf dessen [182] Veranlassung erhielt S. den ehrenvollen Auftrag, im Anschlusse an seine trigonometrischen Arbeiten in Franken und für dieselben auf der Ebene zwischen Nürnberg und Bruck bei Erlangen, die er selbst als das geeignetste Terrain ausgewählt hatte, eine Grundlinie zu messen. Diese Linie liegt in der Verticalebene, welche durch die Axen der Kirchthürme von St. Johannis bei Nürnberg und des Pfarrdorfs Bruck geht, und ist fast zwei Meilen oder vierzehn Kilometer lang. Bei ihrer Messung (im September und October 1807) kam ein in der Reichenbach’schen Werkstätte angefertigter und nach deren Leiter benannter, theilweise aber von S. erfundener Basisapparat zur Anwendung, der auf dem Princip beruht, die eisernen Meßstangen bei der Längenbestimmung nicht dicht aneinander zu reihen, sondern in kleinen Abständen von einigen Millimetern, welche mit dünnen Glas- oder Stahlkeilen gemessen werden können. Das Tagebuch über die doppelte Messung und die Berechnung ihrer wagrechten Länge zwischen den Endpunkten aus den einzelnen Meßlagen bildet zwei stattliche Foliobände, welche in den Acten der K. Steuerkatastercommission zu München verwahrt und nur nach ihren Hauptergebnissen mit den astronomischen Beobachtungen Schiegg’s in dem von der genannten K. Commission und dem K. topograpischen Bureau herausgegebenen Werke „Die Baierische Landesvermessung in ihrer wissenschaftlichen Grundlage“ (München 1873) veröffentlicht sind.

Nach Vollendung der fränkischen Basismessung und noch während ihrer Berechnung aus den Beobachtungen wurde S. am 27. Januar 1808 unter Verleihung des Titels eines K. Steuerraths zum Mitgliede der neuerrichteten und vom Geheimrath Joseph v. Utzschneider geleiteten Steuervermessungscommission ernannt und durch Berufung des in Georgenhof bei Feuchtwangen in Baiern geborenen, damals in Berlin weilenden Astronomen und Geodäten J. G. Soldner als eines weiteren Mitglieds der bezeichneten Commission von den anstrengenden trignometrischen Messungen namentlich deshalb entlastet, weil er einige Monate vor Beginn der Basismessung sich so sehr beschädigt hatte, daß er das Geschäft des Triangulirens nicht mehr versehen konnte: S. wurde nämlich als er im Begriff war, mit einem neben ihm stehenden großen Reichenbach’schen Theodolithen auf den Hesselberg zu reisen, um dort Winkel zu messen, vor dem Gasthause zu Ehingen bei Wassertrüdingen durch das Scheuwerden der Pferde so unglücklich umgeworfen, daß der auf ihn gefallene schwere Instrumentenkasten eine sehr gefährliche Quetschung an den Rippen und damit eine Rippenfellentzündung zur Folge hatte. Konnte er auch nach mehreren Wochen wieder arbeiten, so hat er sich von dem unglücklichen Falle doch nie mehr erholt; im Gegentheile knüpfte sich an die genannte Entzündung, wie so oft, ein schweres Lungenleiden, dem er am 4. Mai 1810, einem Tag nach seinem 58. Geburtsfeste, unterlag. Dem Herannahen seines Lebensendes sah er mit größter Seelenruhe entgegen. Einige Tage zuvor nahm er von seinen um ihn versammelten Freunden herzlichen Abschied und überreichte jedem von ihnen ein Andenken aus seinem Besitze an Fernröhren, Uhren, Dosen u. dgl. Er ist im südlichen Friedhofe zu München begraben und durch Aufstellung einer von Joseph Kirchmayr angefertigten Gypsbüste in den Arkaden jenes Kirchhofs geehrt worden. Dieses Andenken wurde jedoch bei Gelegenheit der Explosion einer nahegelegenen Pulvermühle zerstört, und so gibt uns nur noch ein Holzschnitt in dem unten genannten Kalender (Seite 71) eine ungefähre Vorstellung von dem Aussehen des schlichten Mannes, über dessen Wesen und Leistungen ein Zeitgenosse und College, der Generalsecretär der K. B. Akademie der Wissenschaften Friedrich Schlichtegroll, in seinem am 12. October 1810 erstatteten Jahresberichte sich wie folgt ausgesprochen hat: „Professor S. war einer der gründlichsten Gelehrten seines Fachs. Sein Geist war gereift hinter den stillen Mauern seiner Benedictinerabtei. [183] Aus ihnen nahm er die Neigung, in Stille und Verborgenheit seiner Pflicht zu leben, mit in die Welt, und daher rührte seine Abneigung, sich einen schriftstellerischen Ruhm zu erwerben. Die aber seine Schüler gewesen sind und die als vertraute Freunde seiner sokratischen Unterredungen genossen haben, in deren Herzen hat er sich mit seinen probehaltigen ächten Verdiensten ein ewiges Denkmal gestiftet.“

Kalender für katholische Christen auf das Jahr 1850. Sulzbach, bei J. E. Seidel. – Jahresberichte der K. Akademie der Wissenschaften von 1807 bis 1813. – Acten der K. Baier. Steuercatastercommission über die Formation dieser Centralstelle.

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. S. 180. Z. 19 v. o. l.: Gosbach. [Bd. 33, S. 799]
  2. S. 180. Z. 19 v. o. l.: Gosbach. [Bd. 45, S. 671]